Noch am selben Abend, wir saßen gerade beim Essen, klingelte das Telefon.
Normalerweise bin ich in solchen Fällen sofort am Start, aber ich hatte eben erst einen Ein-Stunden-Marathon mit Larue hinter mir und spürte instinktiv, dass das Klingeln nicht mir galt.
Instinkte, Leute!
Mein Alter kam zum Tisch zurück und sagte: »Ich wünschte, diese Anrufer hätten wenigstens den Anstand, ihre Namen zu nennen.«
»Für mich?« Ich sprang auf. »Mann oder Frau?«
»Wenn es eine Frau ist, dann eine Bauchrednerin«, sagte mein Alter. Was für ein Scherzkeks.
Im Flur schnappte ich mir den Hörer.
»Wer ist da?«
»Hi«, sagte eine Stimme.
Heiliger Strohsack! Nicht möglich! Ich sauste mit dem Hörer in den Garderobenschrank und verriegelte die Tür.
»Woher hast du meine Nummer?«
»Es gibt etwas, dass sich Telefonbuch nennt«, sagte Jeff.
»Aber du kennst doch gar nicht meinen Nachnamen.«
»Es gibt etwas, das sich Strandtasche nennt.«
»Hast du etwa in meinen Sachen gewühlt?«
»Immer mit der Ruhe, Kleine«, sagte er. »Was machst du heute Abend?«
»Heute Abend? Nichts«, antwortete ich ein bisschen zu schnell.
»Das passt gut«, sagte Jeff, »ich hol dich ab.«
»Du weißt, wo ich wohne?«
»Cleveres Ding.«
»Warte mal«, sagte ich, »ich muss noch …«– Gerade noch rechtzeitig hielt ich inne. Ich konnte unmöglich meine Eltern erwähnen. Nach dem Bären, den ich ihm am Strand aufgebunden hatte.
»Was wollen wir machen?«
»Ach, nicht viel. ’ne kleine Spritztour. Vielleicht ins Sip’n Surf.«
»Okay«, sagte ich, »gib mir ’ne halbe Stunde.«
»Ich hup dich raus«, sagte er und legte auf.
Eine halbe Stunde. Meine Gedanken schwärmten in alle Richtungen gleichzeitig aus. Muss mich umziehen. Muss mir Mas Pumps klauen. Muss Femme klauen. Der heiße rote Pulli. Meinem alten Herren muss ich irgendetwas auftischen. Meine Hände fühlten sich an, als hätte ich sie in einen Eimer voller Eis gesteckt.
Ich spurtete los, aber als ich zum Esstisch zurückging, schaffte ich es, eine abgeklärte, fast schon ruhige Haltung einzunehmen.
Ich setze mich sogar hin, um meinen restlichen Nachtisch zu essen.
Einen Moment lang hörte man nichts außer dem gedankenvollen Gelöffel grünen Wackelpuddings.
Dann fragte mein alter Herr: »Wer war der junge Mann?«
»Geoffrey«, sagte ich.
»Geoffrey und wie weiter?«
»Griffin. Einer aus der Crew. Er hat mich gefragt, ob ich mitkommen will. Sie wollen sich bei einem der Mädchen zu Hause Surf-Filme angucken. Um zehn wäre ich wieder hier.«
»Diesen Unsinn, den ihr den ganzen Tag lang treibt, schaut ihr euch abends auch noch an?« Voreingenommen schielte er zu meiner Mutter hinüber.
»Wenn sie um zehn wieder hier ist …«, sagte meine Ma. Sie hatte kein Problem damit, das Zünglein an der Waage zu sein.
Mein alter Herr schmollte, beharrte aber nicht auf seinem Standpunkt.
Ich düste in mein Zimmer und zog mich im Eiltempo um. Ich verschüttete ein bisschen Femme meiner Ma und das ganze Zimmer stank wie ein billiges Stundenhotel.
Jeff war pünktlich wie eine Eins, und gerade als ich mit einer starken Marcel Rochas-Fahne im Schlepptau den Flur entlangflitzte und die Fliege machen wollte, stellte sich mir mein alter Herr in den Weg.
»Moment, junge Dame. Ich möchte diesen Traummann kennenlernen, wenn du nichts dagegen hast.«
»Ich bin spät dran«, rief ich verzweifelt.
»Dein Vater hat recht«, sagte meine Mutter. »Bitte ihn herein.« Man sah ihr an, dass auch sie vor Neugier fast platzte.
Mein Hirn funktioniert im Krisenmodus gut. Vielleicht war es tatsächlich besser, Jeff jetzt vorzustellen, dann würde mein alter Herr später, wenn Jeff mich nach Hause brachte, nicht in der Dunkelheit lauern. Denn das hatte er schon ein paarmal bei anderen Jungs gemacht, und vor Scham wäre ich jedes Mal am liebsten im Boden versunken.
»Okay«, sagte ich und wagte den Sprung ins kalte Wasser. »Ich bitte ihn herein, … aber nur für eine Minute. Und bitte, Daddy, mach nicht den Großinquisitor. Er ist kein Freak. Er geht aufs College.«
Verlorene Liebesmüh.
»Hol den jungen Mann mal herein«, war alles, was mein alter Herr zu sagen hatte.
Ich sauste los.
Als Jeff mich die Einfahrt hinunterkommen sah, sprang er aus seiner Corvette und machte mir die Tür auf. Junge, Junge, er sah zum Niederknien aus. Bisher hatte ich ihn nur in Badesachen gesehen. Jetzt trug er einen hellgrauen Pulli und sein Gesicht hatte die Farbe von Kork.
»Hi«, sagte ich lässig-elegant. So wie er mich ansah, musste mein Auftritt einen Eindruck hinterlassen haben.
Ich stieg ein, und als er sich hinters Steuer klemmen wollte, sagte ich plötzlich: »Ach, verflixt, ich hab meine Handtasche vergessen.«
Schnell stieg ich wieder aus und drehte mich dann, als sei mir plötzlich ein Gedanke gekommen, zu ihm um. »Sag, willst du nicht kurz mit reinkommen? Ich bin mir sicher, dass meine Eltern Hallo sagen wollen. Sie sind in der Hinsicht ein bisschen altmodisch.«
Mein Vorschlag schien ihn nicht gerade zu begeistern.
»Bitte!«, sagte ich.
Er stieg aus dem Auto und schlurfte betont widerwillig hinter mir her.
Ich machte alle miteinander bekannt.
Meine Mutter sagte: »Freut mich, Sie kennenzulernen«, aber mein Alter starrte ihn nur an, als wäre er eine Zirkusattraktion.
»Möchten Sie reinkommen?«, fragte meine Mutter.
Es folgte eine peinliche Stille.
»Echt jetzt, Ma«, sagte ich, »ein andermal. Wir verpassen sonst den Film.«
»Ja«, pflichtete Jeff mir bei, »wir müssen jetzt los. Ein andermal.«
Noch einmal ein frostiges Lächeln auf beiden Seiten, und weg waren wir.
»Nichts überstürzen«, rief mein alter Herr uns nach. Er konnte es nicht lassen! Dass er überall seine abgedroschenen Billigsprüche zum Besten geben muss.
Alles ging so schnell, dass Jeff noch nicht einmal mitbekommen hatte, wie ich meine Handtasche ins Seitenfach des Autos gestopft hatte.
Es war noch nicht ganz dunkel, aber die Sonne ging gerade unter.
»Was für einen Film wollen wir uns denn ansehen?«, fragte Jeff.
»Ach, ich musste ihnen eben irgendetwas sagen. Du weißt doch, was sonst für Fragen kommen. Für sie bin ich immer ein … Kind.«
»Ja«, sagte er. »Sie können ganz schön anstrengend sein. Ich hab meinen schon vor ’ner ganzen Weile den Laufpass gegeben.«
»Lebst du nicht bei deiner Familie?«
»Spinnst du? Ich wohne in einer Verbindung.«
Schnell schaute ich nach seiner Verbindungsnadel. In einem glücksbeduselten Anfall sah ich sie schon an meinem roten Pulli stecken. Doch sie war nirgends zu sehen.
Jeff machte das Radio an, aber es lief nichts Aktuelles. Stattdessen irgendwelche klassische Musik. Was mir nichts ausmachte. Ich lehnte mich zurück und schaute in die Sterne und hörte zu, und als das Stück zu Ende war, sagte der Moderator, dass wir eine Referenzaufnahme vom »Jolie Fille de Perth« gehört hatten. Diese Melodie werde ich wohl mein Leben lang nicht vergessen.
Ich hatte keine Ahnung, wohin er mich mitnahm. Es war mir auch egal. Er hätte vorschlagen können, durchzubrennen und runter bis nach San Diego und weiter über die Grenze nach Mexiko zu fahren, mir wär’s recht gewesen. Ich war so hin und weg, dass ich gar nicht merkte, wie angespannt Jeff war. Erst im Nachhinein war mir aufgefallen, wie klamm seine Hände gewesen waren, als er mir vor dem Sip’n Surf unten im Santa Monica Canyon aus dem Auto geholfen hatte.
»Lass uns mal reinschauen«, sagte er.
Der Schuppen war leer. Eine abgeranzte Bar mit einem einsamen Säufer, der über dem Tresen hing.
»Hey Charlie!«, Jeff winkte dem Barkeeper zu. »Wie geht’s dem Jungen?«
»Dem Jungen geht’s prächtig«, sagte Charlie. »Und wie geht’s dem bösen Vater?«
»Der böse Vater macht Theater«, antwortete Jeff.
Musste wohl irgendein Insiderscherz zwischen den beiden sein.
»Zwei Bier«, bestellte Jeff.
Charlie warf mir einen fragenden Blick zu, auch wenn ich ordentlich Lidschatten aufgetragen hatte und die hochhackigsten Pumps meiner Mutter trug.
»Ist okay, Charlie.« Jeff blinzelte Charlie mehr als offensichtlich zu.
»Bist du oft hier?«, fragte ich.
»Ab und an«, antwortete er, »mit der Crew.«
Charlie brachte zwei Biere und wir stießen an. Das Bier schmeckte wie Spülwasser, aber ich hätte es auch getrunken, wäre es Rattengift gewesen.
Danach machte Jeff einen etwas entspannteren Eindruck. Er ging zur Jukebox und warf eine Münze ein. Sanfter Pop kam aus dem Lautsprecher und Jeff nahm meine Hand. »Wie wär’s?«
Wir tanzten. Es war schummerig und es roch nach abgestandenem Rauch, aber das war alles vollkommen irrelevant. Ich war fast wunschlos glücklich, auf eine benommen-schwindelige Art. Ich wollte ewig in seinen Armen sein und für immer weitertanzen. Als er mich hielt, wuchs ich um mindestens eine Oktave. Er war ein großartiger Tänzer.
Als es vorbei war, schaute ich ihn einfach nur an. Wir hatten kein Wort gesprochen. Er verstand mich. Er warf noch eine Münze ein und wir tanzten nochmal zum gleichen Song und diesmal war es sogar noch besser.
Dann kamen ein paar Typen rein und Jeff wurde plötzlich nervös und sagte: »Lass uns noch ein bisschen rumfahren, Gidget.«
Wir gingen zurück zum Auto und es fühlte sich so an, als kämen wir nach Hause.
»Hör mal«, sagte ich, »ich hab auch ’nen richtigen Namen, weißt du?«
»Klar.« Er grinste. »Gidget.«
»Ich bin als Franzie zur Welt gekommen.«
»Lass und bei Gidget bleiben«, antwortete Jeff.
Wir fuhren runter nach Malibu und am »Rock« hielt Jeff an und parkte das Auto mit Blick aufs Meer.
Er legte seinen Arm um mich und zog mich an sich. Er drehte meinen Kopf zu sich und die Schatten waren so dunkel, dass man kaum sehen konnte, wie seine Mundwinkel leicht zitterten, bevor er mich küsste.
Ich war schon geküsst worden, aber nie so. Es war so wie im Traum, nur diesmal passierte es wirklich. Meine Finger, meine Zehen fingen Feuer. Ich brannte. »Ich liebe dich, Jeff«, flüsterte ich.
Und komisch, er schwieg. Nicht wie im Traum, wo er antwortete, dass er mich auch liebe. Um ehrlich zu sein schien er sich dafür gar nicht zu interessieren. Es schien ihn sogar zu stören. Einen Moment lang saß er schweigend da und blickte aufs Meer hinaus. Es ist schwer, mit jemandem zu sprechen, den man gerade erst geküsst hat, … und furchtbar, schweigend nebeneinander zu sitzen. Jeff musste sich genauso gefühlt haben, denn plötzlich sagte er: »Lass uns runter zum Strand gehen.«
»Sollten wir das tun?«
»Warum nicht?«
»Es könnte nass sein da unten.« Ich kriegte es mit der Angst zu tun.
»Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Habe ich nicht.«
»Na, dann los.«
Er half mir aus dem Auto und ich hielt mich an ihm fest und wir stolperten den steilen Hang hinab, der zu den Dünen führte.
Wir setzten uns in den Sand, er war kein bisschen feucht. Es war ein richtig milder Abend. Einige Feuer brannten entlang der Uferlinie und spiegelten sich im Meer.
»Schau mal«, sagte ich, »die Wellen haben Feuer gefangen. Gruselig, oder?«
Er nickte abwesend. Dann packte er mich an den Schultern und zog mich mit sich in den Sand.
Wieder küsste er mich, aber es war nicht so gut wie beim ersten Mal im Auto. Vielleicht war ich zu ängstlich oder er zu bemüht. Es fühlte sich so an, als wolle er sich etwas beweisen oder als wolle er ausprobieren, wie weit ich ihn gehen lassen würde, … wie leicht ich zu haben war.
Ich wand mich aus seiner Umarmung.
»Bitte«, sagte ich, »lass uns einen kühlen Kopf bewahren.«
Meine Herren, ein Satz wie aus True Confessions!
Jeff ließ mich los. Er sah mich komisch an, dann steckte er sich eine Zigarette an. Mir bot er keine an.
Plötzlich wollte ich nur noch weinen. Ich wollte meine Wange an seine schmiegen und ihm sagen, dass ich ihn liebte und dass das alles war, was ich wollte. Ich wollte ihm sagen, dass ich erst fünfzehn war, und dass er, Jeff, bisher meine einzige Liebesaffäre gewesen war, und das auch nur im Traum. Ich wollte ihm sagen, dass er mich nur ein bisschen lieben und Geduld haben solle, und dass wir uns dann für immer lieben würden.
Jeff sagte nicht viel und ich wusste nicht, wie ich die Unterhaltung in Gang bringen sollte. Alles erschein plötzlich leblos. Vielleicht dachte er an die Geschichte, die ich ihm erzählt hatte, die von Dan und Carmel, und wahrscheinlich hatte er geschnallt, dass das alles eine dicke fette Lüge gewesen war.
Er stand auf. »Okay, Gidget«, sagte er, »lass uns gehen.« Er half mir auf und wir liefen zurück zum Auto. Alles war so unabgeschlossen. Warum sagte er nichts?
Zurück im Auto rückte ich nah an ihn heran, aber die Stimmung war angespannt. Es war nicht so, wie es hätte sein sollen. Selbst das Meer war jetzt verlassen, schwarzblau mit nur noch gelegentlichen Funken hier und dort.
Wir schwiegen bis zu mir nach Hause. Die ganze Rückfahrt über suchte ich nach den richtigen Worten, und als er anhielt, drehe ich mich zu ihm und sagte: »Ich denk mal, du weißt es sowieso, Jeff, aber ich habe dich angelogen. Ich wollte angeben. Ich war nicht in Carmel. Ich lag mit einer Mandelentzündung im Bett. Was ich dir heute Morgen erzählt habe, hatte ich aus einem Buch. Du hattest recht. Aber bitte, bitte sei nicht böse. Ich wollte dich beeindrucken.« Ich kämpfte mit den Tränen. »Weil ich … weil ich so einen albernen Traum hatte, von uns.«
»Uns??« Er drehte sich zu mir und machte sarkastisch ein ungläubiges Gesicht.
»Träumst du denn nicht manchmal?«, fragte ich.
»Ach so«, sagte er. »Solche Träume.«
Er lachte.
»Hör auf«, bat ich. »Es war ein ernster Traum.«
»Also gut. Und was soll ich jetzt tun? Mich dafür entschuldigen?«
»Du sollst gar nichts tun«, sagte ich. »Ich wollte es dir nur erzählen.«
»Okay«, sagte Jeff, »vergiss es. Mir war schon klar, dass diese Geschichte nicht so heiß gewesen sein konnte, wie du sie mir aufgetischt hast. Aber es ist mir egal.« Er hielt inne, dann nahm er meinen Kopf in seine Hände und hob ihn zu sich hoch. Er küsste mich. Er küsste mich richtig und rau und wirklich lang. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass küssen so sein konnte.
»Oh, Jeff«, flüsterte ich, »du bist nicht sauer?«
»Hat es sich sauer angefühlt?«
»Ich liebe dich«, sagte ich.
»Ach, bitte«, sagte Jeff und rückte von mir ab.
»Willst du das denn nicht?«
»Nein«, sagte er. Dann fügte er rasch hinzu: »Aber du kannst mich jederzeit küssen. Ich mag es, wie du küsst.«
»Und du willst nicht, dass ich dich liebe?«
»Soll ich’s dir schriftlich geben?«
»Aber warum denn nicht? Magst du mich nicht?«
»Ja und nein.«
»Warum ›nein‹?«
»Du bist zu jung dafür, Gidget.«
Da hatten wir es schon wieder. Es dauert so lange, alt zu werden. Ich wünschte, ich hätte über Nacht erwachsen werden können.
»Ich werde jeden Tag älter«, sagte ich. »Und es zählt doch, wie man sich fühlt.«
»Die Crew würde mich für einen alten Perversling halten.«
»Darüber machst du dir Sorgen?«
»Sie würden sich nicht mehr einkriegen vor Lachen.«
»Du musst es ihnen ja nicht erzählen«, warf ich ein. Viel zu schnell. Ich war bereit, alles zu tun, um ihm nah zu sein.
In dem Moment, als ich es sagte, merkte ich, wie ungeschickt ich war.
»Ich habe schon befürchtet, dass du auf komische Ideen kommst«, sagte Jeff, »und das will ich nicht. Für deine Träume bist du selbst verantwortlich. Aber denk bloß nicht, dass ich nur rumgesessen und darauf gewartet habe, dass du endlich auftauchst.«
Einen Moment lang herrschte eisige Stille.
Dann fragte ich: »Wer ist sie?«
»Sei nicht so neugierig, Kleine. Ich bin dir keine Erklärungen schuldig.«
»Ist sie älter als ich?«
»Achtzehn.«
»Blond?«
»Brünett – und groß.«
»Gut, dass du es sagst«, sagte ich. Ich biss mir auf die Lippe.
»Musste ich wohl. Wollen wir das hier also sein lassen?«
Ich versuchte, auf Zeit zu spielen.
»Wo ist sie?«
»Den Sommer über oben im Norden.«
Immerhin war sie nicht hier. Wenn man verliebt ist, ist man äußerst anpassungsfähig.
»Hat sie deine Verbindungsnadel?«
»Hör mal«, sagte er, »ich kann dir ein Foto zeigen, wenn’s dir so wichtig ist.«
»Lass gut sein.«
Einen Moment lang fragte ich mich, ob ich es überhaupt noch ins Haus, in mein Zimmer, ins Bett schaffen oder vorher sterben würde. Der Traum. Würde ich jemals wieder träumen?
Aber plötzlich ging mir ein Licht auf. War es wirklich wichtig, ob er ein anderes Mädchen hatte? Ob sie ein festes Paar waren oder ob sie groß oder cool oder spießig war? Hatte ich mich nicht schon immer als Heldin eines tragisch-schönen Melodrams gesehen? Jetzt müsste ich nicht mehr so tun, als wäre ich erwachsen und erfahren, sondern könnte ihn weiter lieben, ohne diese Dinge tun zu müssen, die ich nicht verstand und die mir Angst machten.
Junge, Junge, was für Milchmädchenrechnungen man sich ausstellt, wenn man auf jemanden steht!
»Na gut«, sagte ich schließlich und brach das lange Schweigen, »wenigstens weiß ich Bescheid, und wenigstens hast du mir nicht so einen Bären aufgebunden wie ich dir.« Ich schaffte es sogar, zu lächeln.
Jeff lächelte zurück. Er wirkte erleichtert.
»Gut, dass du das sagst … Es hat Spaß gemacht.«
»Find ich auch.«
Ich öffnete die Tür. Aber bevor ich ausstieg, legte ich meine Arme um Jeff und küsste ihn lang und richtig verführerisch. Es hatte sogar was, an diese dunkle Brünette oben im Norden zu denken.
Sie mag vielleicht seine Nadel tragen, dachte ich, aber wer, bitteschön, knutscht gerade mit ihm rum.