Wer wissen will, was in Liebeshausen wirklich abgeht, muss in Liebeshausen wohnen. Ich hatte mich dort dauerhaft eingenistet und die Regeln ziemlich schnell kapiert. Erstens: dass du auf ihn stehst, ist wichtiger, als dass er auf dich steht. Zweitens: du würdest ohne Bedenken alles, wirklich alles tun, um ihm nahe zu sein. Bei ihm sein … so oft und so bald wie möglich. Drittens: das ganze ad infinitum.
In anderen Worten: Du kannst dich partout nicht von ihm fernhalten.
Es ist eine niederschmetternde Erfahrung, aber ich denke, je früher man sie macht, desto besser.
»Hör mal, Schätzchen«, sagte meine geliebte Mutter, »kann es sein, dass du diesem Jungen hinterherrennst?«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Dazu muss man keinen Kaffeesatz lesen können, Franzie. Aber du machst einen großen Fehler. Ein Junge sollte dir hinterherrennen. Das ist schon seit der Steinzeit so.«
»Vielleicht seit der europäischen Steinzeit«, erwiderte ich. »Hier laufen die Dinge anders.«
»Du kannst dich aus der Sache nicht herauswitzeln«, sagte meine weise Mutter. »Ich habe Augen – und Ohren.«
»Hast du etwa gelauscht?«
»Es ist unüberhörbar. Erst stöhnst du im Schlaf, jetzt flötest du am Telefon. Wenn Jeff dich ohnehin abholen will, musst du ihm nicht zusätzlich noch ein Ohr abkauen, dass er doch bitte vorbeikommen soll.«
Ich wusste, wie recht sie hatte. Aber was sollte ich tun? Wie ich schon schrieb: Du kannst dich partout nicht von ihm fernhalten.
Also rief ich ihn weiterhin an.
Es war das erste, was ich am Morgen, und das letzte, was ich am Abend tat.
Und glaubt bloß nicht, dass er es mir nicht übelnahm.
Er nahm es mir übel, aber er redete stundenlang mit mir. Worüber? Na ja, meistens sprach ich darüber, was ich für ihn empfand, und er, was er nicht für mich empfand. Er hatte wahnsinnige Gewissensbisse und brachte immer wieder Stella auf – Stella, die Besitzerin seiner Verbindungsnadel oben im Norden, … die lange Briefe schrieb, Briefe, die er mir vorlesen wollte, was ich mir aber verbat.
Ich hatte versprochen, ihn weiterhin wie die anderen Malibu-Jungs zu behandeln, aber die Liebe ist eine furchtbare Rampensau und die Jungs waren nicht blöde. Sie witterten zehn Meter gegen den Wind, dass es mich voll erwischt hatte.
Vor allem der große Kahoona. Weise und voller Mitgefühl schaute er aus seinen zwei Metern Höhe auf mich herab, als wollte er sagen: »Ich wünschte, ich könnte dir helfen, Engel, aber wer liebt, muss leiden. Da musst du durch.«
Und ich litt. Denkt bloß nicht, dass ich nicht litt. Aber mein Leiden war zuckersüß. Jeff gehörte einer anderen. Sie hatte den Kuchen, doch ich war diejenige, die daran knabberte.
Ich weigerte mich standhaft zu akzeptieren, dass es sie überhaupt gab, und die einzige Frage, die ich einmal stellte, war, ob sie surfen konnte.
»Sie kam mal mit her, um zuzuschauen«, sagte Jeff, »aber sie würde sich ums Verrecken nicht selbst auf ein Board stellen.«
»Dann passt ihr nicht zusammen«, versuchte ich es.
»Hör mal, Gidget«, sagte er mit einem breiten Grinsen, »es gibt Gottseidank noch andere Dinge neben dem Surfen.«
»Ach ja? Die kannst du in der Pfeife rauchen«, warf ich ihm an den Kopf.
Ich wusste, was er meinte und warum er es mir unter die Nase rieb, und verärgert und frustriert fügte ich hinzu: »Ich wette, es gibt Millionen anderer Mädchen, die das können, was sie kann – aber kaum eine schafft es, auf einem Board zu stehen.«
»Dafür wirst du noch zwei weitere Saisons brauchen, Gidget«, sagte er. »Vielleicht sogar drei.«
»Zwei weitere Wochen – wollen wir wetten?«
»Zwei Wochen! Ha! Du machst mich fertig, Kleine. Du und dein walnussgroßes Hirn.«
»Hau ab«, zischte ich und nahm Kurs auf die Surf-Line.
Wann immer die Wellen es zuließen und ich ein Board von einem meiner Sponsoren ergattern konnte, übte ich wie eine Verrückte. Tandemsurfen gehörte der Vergangenheit an … Ab jetzt war ich allein unterwegs. An manchen Morgen war ich die einzig lebende Gestalt da draußen und ackerte wie eine Fanatikerin, um ein paar dicke Dinger zu erwischen. Zehn, fünfzehn Mal arbeitete ich mich durch die Wellen und versuchte, mich auf dem Board zu halten, und jedes Mal haute es mich in die Gischt.
Gegen Ende des Tages schlichen Jeff und ich uns heimlich davon. Erst verließ ich die Hütte, zehn Minuten später er.
Es gibt eine kleine Bucht, die von zwei riesigen Felsen bewacht wird und vom Highway aus kaum zu sehen ist. Dort trafen wir uns. Dort kabbelten wir uns und schrien uns an und verfielen in Schweigen. Und dort küssten wir uns und ich spürte seinen warmen, von der Sonne aufgeheizten Körper. Doch seltsamerweise wurden seine Küsse immer sanfter, süßer, und es fühlte sich nicht so an, als bereute er es, mich zu küssen. Aber nie, kein einziges Mal, sagte er zu mir, dass er mich liebe.
An manchen Tagen saßen wir einfach nur da und schauten in den Sonnenuntergang, und obwohl er nicht sagte, was ich so sehr von ihm hören wollte, hatte ich das Gefühl, dass es trotzdem so war wie zwischen zweien, die sich liebten, denn was zählt, sind nicht die gesprochenen Worte, sondern die, die man nie sagt – oder höchstens zu sich selbst.