Der Traum muss ziemlich wild gewesen sein und ich muss eine beeindruckende Geräuschkulisse erzeugt haben, denn meine Ma saß an meinem Bett und hielt mich an den Schultern und ich hörte sie wie eine Irre »Franzie! Franzie!« rufen, sie war total außer sich. Und als nächstes kam mein Alter ins Zimmer gerannt, nur im Schlafanzugoberteil, eine alte Gewohnheit von ihm, und ich musste lachen, obwohl ich immer noch glühte wie Holzkohle.

Beide starrten mich an.

»Was ist los?«, fragte ich.

»Du hattest einen Alptraum«, antwortete meine alte Dame.

»Soll ich Phil anrufen?«, fragte mein alter Herr. Das sagt er immer als erstes. Er ist ein ziemlicher Hypochonder, aber Hauptsache, er kriegt Phil Rossman ans Telefon und kann mit ihm reden, dann wird weder er sterben, noch eines der Familienmitglieder. Das nennt man wohl Fetischismus oder so.

Meine Mutter, sehr viel praktischer veranlagt, presste

Sobald er aus dem Zimmer gestakst war, schaute mich meine Ma auf eine ganz bestimmte Weise an und fragte: »Hast du von einem Hund geträumt?«

»Hä?«

»Du hast nach einem Moondoggie gerufen«, sagte sie.

»Oh«, ich erinnerte mich an nichts mehr.

»Wer ist Moondoggie?«

»Ein Junge.«

»Hmmm«, sagte meine alte Dame – als wüsste sie Bescheid.

Aber sie bohrte nicht weiter. Ich musste zwei Aspirin nehmen und dann sagte sie, ich solle sie rufen, wenn ich etwas brauche, und ging zurück in ihr Zimmer. Ihres ist auf der anderen Seite des Flurs.

Es war eine helle Nacht, der Mond zeigte sich in seiner ganzen Pracht, und ich war jetzt knallwach und starrte an die Decke. Die Decke hat einen Riss, der wie ein fliehendes Gnu aussieht, aber in dieser Nacht sah er wie etwas anderes aus, … wie ein Surfboard auf einer großen Welle, und als ich es anstarrte, hatte ich plötzlich dieses absurde Gefühl, von dem ich schon mal gelesen hatte und das man »absolutes Gedächtnis« nennt.

Mir war heiß. Dann eiskalt. Und dann wieder heiß. Das war das Gefühl gewesen. Es muss das gewesen sein, worüber sie immer in diesen Büchern schreiben, die meine Ma mir ständig andrehen will und für die ich mich einfach nicht erwärmen kann – abgesehen von den Passagen, in denen es heiß hergeht.

In meinem Traum hatten Jeff und ich eine Liebesaffäre. Aber nicht so, wie ihr jetzt denkt. Wir liebten uns. Was wahrscheinlich viel besser war als eine reine Affäre. Wir küssten uns. Und er sagte mir, dass er sich in mich verliebt habe. Ich konnte seine Stimme hören. Und er fragte mich, ob ich ihn auch lieben könnte. Und ich sagte: »Du bist der Mann, auf den ich schon immer gewartet habe. Ich liebe dich. Ich habe dich schon immer geliebt. Verlass mich nicht. Niemals. Ich würde sterben, solltest du mich je verlassen.«

Wir lagen im Sand und sagten uns diese verrückten Dinge und ich glaube, ich weinte sogar ein bisschen, weil ich so schrecklich liebeskrank war.

Ich hatte noch nie zu jemandem ›Ich liebe dich‹ gesagt. Außer vielleicht als Kind zu meiner alten Dame, oder zu meiner Schwester Ann, aber auch das war schon ganz schön lange her. Auf jeden Fall habe ich es noch nie zu einem Jungen gesagt. Natürlich gibt es

Und in der Schweiz dachte ich auch mal, dass ich verliebt bin – wieder in einen amerikanischen Jungen – aber das lag daran, dass ich diesmal einsam war und Heimweh nach Amerika hatte, und Chuck war nur zum Skifahren dort. Ich war damals erst vierzehn, und in dem Alter ist das wohl sowieso noch nicht das Richtige.

Aber als ich im Bett lag und mir ins Gedächtnis rief, wie es in meinem Alptraum mit Jeff gewesen war, war ich mir plötzlich sicher, so wie er mich geküsst hatte und ich ihn geküsst hatte, so grandios, so perfekt, und wie ich geweint hatte – dass es so sein musste, wenn man verliebt war. Und dann platzten irgendwie lauter kleine Blasen in mir. Ich schlief in dieser Nacht nicht mehr ein, und als meine alte Dame reinkam, lächelte

Meine Mutter maß Fieber, und es war noch nicht weg. Also kam Phil Rossman noch einmal und verabreichte mir eine weitere Ladung Penicillin und schaute mir in den Hals und sagte zu mir, dass meine Mandeln wie zwei Golfbälle aussahen, und zu meiner Ma, dass er ihr schon hundertmal gesagt hatte, dass die Dinger raus sollten. Und meine alte Dame antwortete, was sie bei meiner alljährlichen Mandelentzündung immer antwortet: »Nur über meine Leiche!« Ihre Leiche, wohlgemerkt.

Phil sagte, ich müsse mindestens eine Woche im Bett bleiben. Ich lächelte ihn an, denn obwohl er mindestens vierzig ist, sieht er für einen Arzt genial gut aus, und für einen Augenblick fand ich ihn sogar Jeff ähnlich. Das war das Fieber.

Erst dann ging mir auf, dass er von »einer Woche Bettruhe« gesprochen hatte. Meine Augenlider brannten und ich hatte einen Kloß im Hals.

Mindestens zehn Tage würde ich nicht nach Malibu fahren können! Oh! Mein! Gott!

»Sie müssen mich schnell wieder auf die Beine kriegen«, sagte ich zu Phil. »Vielleicht können Sie mir irgendwas Stärkeres verpassen?«

Meine Ma sagte: »Ich weiß, was los ist.« Sie durchbohrte mich mit ihrem Röntgenblick und in dem Moment wusste ich, dass sie mich durchschaut hatte.

Sobald der Medizinmann die Fliege gemacht hatte, setzte sie sich an mein Bett und wir hatten ein ernstes Gespräch – heißt: sie redete.

Sie erzählte, dass sie schon seit Langem die Vermutung gehabt hatte, dass meine täglichen Strandausflüge mit Larue und Mai Mai und Barb nicht der Wahrheit entsprachen. Sie hatte nichts gesagt, gehofft, dass ich zu ihr komme und ihr die Wahrheit sage. »Und Mütter haben Instinkte«, fügte sie hinzu. Sie wusste, dass ich flunkerte und Sachen aus dem Kühlschrank stahl, und jetzt wollte sie wissen, wer »Moondoggie« war.

»Es tut mir leid, dass ich dir nichts erzählt habe«, sagte ich. »Ich hatte solche Angst, dass ich dann nicht mehr rausgedurft hätte.«

»Du bist surfen gegangen!«

»Ich lerne es gerade. Es ist verdammt schwierig, aber ich lerne viel. Die Draufgänger bringen es mir bei.«

»Die Draufgänger???«

»Die Jungs dort draußen«, erklärte ich. »Don Pepe und Lord Gallo und Hot Shot Harrison – und Schweppes. Er hat einen Bart wie in der New Yorker-Werbung.

Meine Ma schaute mich an, als hätte ich gerade Chinesisch gesprochen. Dann fing sie sich wieder.

»Du hast Moondoggie vergessen. Du hast die ganze Nacht seinen Namen gestöhnt und vor dich hin geseufzt.«

»Das ist Jeff«, sagte ich, »Jeff Griffin.«

»Wie alt ist er?«

»Oh, vielleicht neunzehn.«

»Und die anderen?«

»Sie gehen alle aufs College.«

»Sind sie nicht zu alt für dich?«

»Sie denken, ich bin siebzehn.«

Das war ein Schuss in den Ofen.

»Sie sind zu alt für dich«, sagte meine alte Dame.

»Sie sind genau richtig für mich«, protestierte ich. »Ich gehöre dazu. Weißt du, dass ich das einzige Mädchen bin, das sie aufgenommen haben? Weißt du, was das heißt?«

»Das könnte eine ganze Menge heißen«, sagte meine Ma – sehr trocken.

»Du musst mich wieder zu ihnen gehen lassen«, sagte ich. »Ich bin erwachsener als du denkst.«

»Du bist ein Baby«, antwortete meine Mutter. »Schau dich an. Dein kleines Mäusehirn ist noch nicht einmal schlau genug, zu wissen, wann du aus der

Sie ging raus.

Und ich fühlte mich hundeelend. Ich begann zu glauben, dass sie vielleicht Recht hatte. Vielleicht spielte ich nur die Erwachsene – wie ich es schon immer getan hatte, seit ich mich erinnern kann. Als ich mit acht die BHs und Abendkleider meiner Schwester anprobierte, als ich Zigaretten rauchte und falsche Wimpern trug und mit irgendwelchen erfundenen Hollywood-Typen sprach und sie zu Cocktailpartys einlud. Ich erinnerte mich daran, wie ich einem Kerl in einem Reisebüro in Venedig erzählte, dass ich alleine in Italien war und eine Weltreise machte, und mich mit ihm verabredete. Natürlich ist es ganz normal, wenn man mit fünfzehn ein paar Schritte weiter sein will, aber aus einem Schritt muss ja nicht gleich ein Salto mortale werden. Mir wurde bewusst, dass ich vor allem seit meiner Rückkehr aus Europa besonders erpicht darauf war, erwachsen zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass es jede Minute so weit sein konnte. Damit meine ich nicht im biologischen Sinne, … das habe ich schon alles hinter mir. Aber emotional gesehen und so. Ich wäre dann endlich mit der Schule fertig, von zu

An diesem Morgen, als ich vollgepumpt mit Penicillin dalag, kamen die Tagträume zurück, nur mit dem Unterschied, dass der Schnorcheltaucher seine Maske abgenommen hatte und ich sein Gesicht erkennen konnte. Dieses Gesicht war plötzlich die Antwort auf alles, worauf ich mein Leben lang gewartet hatte: »Ich muss es ihm sagen«, sagte ich mir. »Er weiß es noch nicht, aber ich muss es ihm sagen.« Wäre das Telefon in meinem Zimmer gewesen und hätte ich seine Nummer gehabt, hätte ich ihn auf der Stelle angerufen. Ich kann es nicht ertragen, dachte ich. Zehn Tage ohne ihn. Mein Gott, wie ich ihn liebte! Wie wunderschön es war, von ihm geküsst zu werden.

Ich schloss die Augen und versuchte, die Szene noch einmal zu träumen, doch das funktionierte nicht. Aber weil ich so voller Liebe war und es niemandem sagen konnte, holte ich Papier und Stift und schrieb einen

Es war grandios.

Dann las ich den Brief noch einmal durch und fand ihn fast schon publikationswürdig.

Nachdem ich fertig geschrieben hatte, war ich fix und fertig. Ich klingelte nach meiner alten Dame, weil ich ausgetrocknet war. Aber bevor sie reinkam, zerriss ich den Brief und legte seine Einzelteile unter mein Kissen.