V
Erst als der Expreßzug sich am frühen Morgen Brüssel näherte erwachten die Freunde Morris Flynn und Mackie.
»Wir sind da, Messieurs«, sagte der Zugführer, der an die Abteiltür klopfte.
Die beiden schauten aus dem Fenster. Zu beiden Seiten der Gleise waren Schilder aufgestellt, auf denen ein starker Mann ein ungeheuer wildes Pferd bändigte. Darüber stand in allen Sprachen der Welt der gleiche Text:
Bruxelles
Exposition Universelle
1910
Über diesen Plakaten mit dem Pferdebändiger hingen Girlanden und Transparente. Auch sie hießen in allen nur denkbaren Sprachen die fremden Besucher willkommen: »Welcome!«, »Willkommen!«, »Ben vistol!«, »En haraxaide!«
Mackie zog sich hastig an. Vor jedem Willkommensschild verbeugte er sich höflich zum Fenster hinaus.
»Sieh mal, wie die sich freuen!«
»Und daß sie so genau gewußt haben, wann wir ankommen. Sehr aufmerksam!« sagte Flynn und kämmte sich die Haare.
Der Expreßzug verlangsamte bereits seine Fahrt und glitt in die Bahnhofshalle hinein. Die Lokomotive stand still, schnaufte den Dampf aus und verpustete sich.
An der Sperre hatten sich, wie Eisenfeilspäne um den Magneten, viele Menschen versammelt. Unter ihnen war eine Gruppe mit entschlossenen Gesichtern. Pressefotografen und Reporter. Sie drängten sich durch die Sperre. Ihnen folgte eine außerordentlich elegant gekleidete Dame. Man konnte nicht sagen, wie alt sie war. Um ihr wirkliches Alter feststellen zu können, hätte man erst ihr Gesicht mehrere Male mit Terpentin bearbeiten müssen – so bemalt war sie.
»Ist dies der Nachtexpreß?« fragte sie den Schaffner an der Sperre. Aber sie wartete keine Antwort ab, denn sie erblickte ein Schild über dem Bahnsteig, welches Strecke und Ankunftszeit des eingelaufenen Zuges angab. Der Beamte nahm einen Anlauf zu einer höflichen Auskunft, aber die elegante Dame hatte sich schon eilig durch die Menge der ankommenden Reisenden gedrängt. Sie sah sich forschend um und behielt auch die Fensterreihe des Zuges im Auge. Vorn neben der Lokomotive blieb sie stehen, damit hinter ihr niemand unbemerkt den Bahnsteig verlassen konnte.
Mackie war der erste, der zum Aussteigen bereit war. Er bog um die Ecke des Schlafwagenganges; den Geigenkasten unter dem Arm, ging er der Ausgangstür zu, als er plötzlich stutzte. Er sah sich im Zielfeuer vieler Kameras. Es war nicht schwer zu erraten, auf wen die Herren hier warteten. Blitzschnell drehte er sich um und eilte zu Morris zurück.
Morris fragte nichts. Er trat wieder in das Abteil und steckte vorsichtig den Kopf aus dem Fenster. Man konnte nicht sagen, daß ihm behaglich war. Er zog das Fenster wieder hoch und entdeckte im gleichen Augenblick den Zugführer, der in der Abteiltür stand, um sich nach dem Befinden seiner interessanten Fahrgäste zu erkundigen.
»Woher wissen diese Leute von meiner Ankunft?« fragte Morris Flynn scharf.
Der Zugführer schluckte verlegen; denn Flynn konnte einen so durchdringend anschauen, daß man gar nicht erst den Versuch machte, nach einer Ausrede zu suchen. Er habe doch die Vorfälle von Amts wegen telegrafisch melden müssen, entschuldigte er sich. Das Schweigegebot habe doch wohl nur für den Zug gegolten, meinte er.
Morris blickte sich um.
»Wo kann ich unbemerkt aussteigen?«
Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er die gegenüberliegende Tür, die auf die Gleise führte. Er winkte Mackie zu, ihm zu folgen. Beide sprangen ab.
Der Zugführer sah, wie sie auf den nebenan liegenden Bahnsteig gelangten und dort zur Sperre gingen.
Im gleichenAugenblickstürmten auch die Zeitungsleute den Schlafwagen. Sie stürzten sich auf den Zugführer. »Wo ist Sherlock Holmes?« schrien sie aufgeregt.
Der Zugführer hatte sich im Augenblick gefaßt. Mit der Würde, die nur geheimes Wissen verleiht, hielt er den Fragen stand: »Mister Holmes ist bereits ausgestiegen«, verkündete er. »Er bittet Sie, meine Herren, ihn nicht zu begrüßen.«
Vor dem Schlafwagen stand immer noch die elegante Frau und blickte sich suchend um. Jetzt sah sie, wie die Presseleute wieder aus dem Wagen stiegen und eilig zur Sperre liefen.
»Verzeihen Sie«, sagte sie zu dem Zugführer, der in der offenen Tür erschien, »wer wünschte hier nicht begrüßt zu werden?«
»Sherlock Holmes«, erwiderte der Zugführer wichtig.
Die elegant gekleidete Frau glaubte nicht recht gehört zu haben. Doch der Zugführer erklärte ihr weiter mit stolzgeschwellter Brust: »Kennen Sie nicht den berühmten Detektiv? Diese Nacht mit Sherlock Holmes wird für mich unvergeßlich bleiben. Sein bloßes Erscheinen hat genügt, die Verbrecher in die Flucht zu schlagen. Ich habe teilgehabt an der Ehre, unter den Verbrechern mit aufgeräumt zu haben.«
»Ich gratuliere Ihnen mein Herr!« sagte die Dame. Aber der Glückwunsch kam ihr nicht von Herzen. Sie schaute noch einmal den Bahnsteig ’rauf und ’runter. Kein Reisender war mehr zu sehen. Enttäuscht ging sie ebenfalls zur Sperre zurück.
An der Barriere vor der Gepäckaufgabe standen Mackie und Morris und warteten. Vielmehr Flynn wartete.
»Was willst du hier eigentlich?« fragte Mackie. »Wir haben doch gar kein Gepäck.« Er trommelte dabei nervös auf seinen Geigenkasten, um anzudeuten, daß der ihr einziges Gepäck sei. Aber Morris Flynn brauchte nicht zu antworten. Er steckte eine Brieftasche, aus der er den Gepäckaufgabeschein genommen hatte, wieder zu sich. Mackie bestaunte sie verwundert. Er hatte sie noch nie bei seinem Freund gesehen. Morris hatte die Brieftasche im Schlafwagen der beiden geflohenen Gauner gefunden. Sie war dem Mann mit dem Bärtchen bei der überstürzten Flucht aus der Jacke geglitten. Schon wollte Mackie wieder etwas fragen, da sah er zwei Gepäckträger, die keuchend einen überdimensionalen Schrankkoffer vor Morris niederstellten. Gleich darauf brachten zwei andere Gepäckträger noch einen zweiten, ebenso großen Koffer. Mackies Augen gewannen, wie Seifenblasen, mit jeder Sekunde an Durchmesser. Es konnte nicht mehr lange dauern, und sie mußten aufsteigen und zerplatzen. Darum schloß Mackie die Augen. Aber er öffnete sie ebensoschnell wieder, als Flynn ihn auch noch fragte: »Ist das alles, Doktor?«
»Jawohl«, stotterte Mackie, »das heißt, wenn – wenn weiter nichts da ist.«
Morris Flynn beugte sich zu ihm hinab.
»Siehst du wohl, mein Junge, so reisen Lords.«
Laut aber sagte er: »Die Koffer, bitte, zum Wagen!«
Mackie blieb vorerst noch wie angewurzelt stehen. Endlich hatte er den Zusammenhang begriffen. Er nickte mehrere Male wie ein Weihnachtsmann in einer Schaufensterauslage.
»Lords. Jawohl«, sagte er, und dann ging er hinter Flynn her, der sich dem Ausgang zuwandte.
Im gleichen Augenblick erschien auf der Treppe, die zu den Bahnsteigen führte, die elegante Dame. Sie sah die beiden Herren, sie sah die beiden Koffer, die ihnen vorangetragen wurden. Sie hob ein bißchen die Röcke hoch, in ihrer Erregung etwas zu hoch, und eilte dann den beiden Männern nach. Sie sah, wie sie vor dem Bahnhof in eine Droschke stiegen. Leider war sie zu weit entfernt, um zu hören, welches Ziel dem Kutscher genannt wurde.
Sie nahm den nächsten Wagen und befahl, der Droschke vor ihnen zu folgen.
»Fahren Sie vorsichtig«, sagte sie, »aber verlieren Sie die Droschke vor uns nicht aus den Augen!«
Morris und Mackie hatten sich in den Wagenfond zurückgelehnt und genossen die Fahrt. Sie hatten ihre Beine auf den Rücksitz gelegt, weil der Zwischenraum von Sitz zu Sitz viel zu eng war. Morris begann seine Pfeife zu stopfen.
»Fahren Sie langsamer«, sagte er zu dem Kutscher und bohrte ihm das Mundstück seiner Pfeife in den Rücken, »wir wollen von Ihrer schönen Stadt auch etwas haben.« Und so absolvierten sie pflichtschuldigst den jedem Reisenden vorgeschriebenen Kreislauf in der Stadt Brüssel: vom Boulevard Anspach zum Großen Platz mit Rathaus und dem Königshaus, von der Kirche Sainte-Gudule, dem imposanten, weltbekannten Justizpalast bis zum Bois de la Cambre. Die Straßen waren ungewöhnlich belebt. Die Weltausstellung war vor einer Woche eröffnet worden. Morris ließ die Droschke in eine Nebenstraße abbiegen. Es war eine alte, verwinkelte Gasse mit jenem zweifelhaften Aussatz an den Hauswänden, den man gemeinhin als Schmutz, in besonderen, von der Kunstgeschichte vorgeschriebenen Fällen jedoch als historische Patina zu bezeichnen pflegt. Die schmale Straße war wie ein düsterer Schacht, in dem selbst der darin eingefangene Himmel farblos wirkte. Der Kutscher wies mit dem Peitschenstiel auf eine Reihe von Antiquitätenläden, in deren verstaubter Auslage das Strandgut von mehreren Jahrhunderten sich zu langweilen schien. Es mußte eine sehr berühmte Gasse sein, denn es gab in ihr nur Antiquitätenläden. Hinter den kleinen Schaufenstern war Wertvolles neben Tand zu sehen. Kitsch und Kunst im Durcheinander: eine rührend einfältige Madonna aus Holz, hinter Glas gemalte Bilder, kupferne Becken an langen Stielen, die früher zum Anwärmen unter Bettdecken gesteckt wurden, auch alte, sehr große Marionetten aus einem der Puppentheaterkeller in Antwerpen, kostbare, vom Alter vergilbte Spitzen, einige wenige in den Farben nachgedunkelte Tafelbilder, die ebensogut auch echt sein konnten.
Vor einem dieser Läden, in dessen Auslage es am buntesten herging, ließ Flynn die Droschke anhalten. Er stieg aus und verschwand mit Mackie in dem Laden. So sah er nicht, daß am Eingang der Gasse eine zweite Droschke haltgemacht hatte, der jene vornehme Dame entstieg. Unauffällig ging sie an den Läden entlang, hin und wieder eine Auslage betrachtend. Dann tat sie so, als interessiere sie sich brennend für jene kupfernen Bettwärmer, bis sie schließlich den Laden erreichte, in dem die beiden Herren verschwunden waren. Auch hier blieb sie stehen. Die alten Kacheln, die dort zu ganzen Landschaftsbildern zusammengesetzt waren, schienen sie ungeheuer zu fesseln.
Hinter dem Schaufenster war eine halbhohe Rückwand, die von einem Gebetstuhlgitter gebildet wurde und so den Einblick in den dahinterliegenden Laden gestattete. Aber in dem Laden war es dunkel und deshalb kaum etwas zu sehen.
Der Besitzer all der aufgehäuften staubigen, morschen und wurmstichigen Herrlichkeiten hatte die beiden Eintretenden mit einer tiefen Verbeugung empfangen. Er war ein sehr alter Mann und wirkte ebenso ausgestopft wie die Tiere, die von der Decke herabhingen. Nur seine Augen waren ungeheuer lebendig.
»Womit kann ich dienen, Messieurs?« fragte er und rieb sich die Hände, als freue er sich schon des kommenden Geschäfts. Aber wahrscheinlich war dies Händereiben nur eine Folge gestörter Blutzirkulation; denn seine Hände waren wachsbleich, zerknittert und schienen ohne Blut zu sein.
»Eine Geige«, sagte Flynn.
Da hob der alte Mann beschwörend seine bleichen Hände zum Himmel.
»Monsieur«, sagte er tief verletzt, »man kommt nicht in einen Laden wie diesen und sagt einfach: ›Eine Geige!‹ – Sie bringen mich in eine unmögliche Situation. Vielmehr muß ich Sie fragen: Wollen Sie ein Kunstwerk, ein Künstlerinstrument eine alte Violine, von Meisterhand geschaffen, eine schwingende Seele, die schöner klingt, als Menschenstimmen jemals zu klingen vermögen – oder wollen Sie nur eine Geige, wie sie fabrikmäßig zu Tausenden hergestellt werden, ein Stück Holz, mit Deckel, Boden, Zargen und vier Saiten? Dann sind Sie, muß ich Ihnen sagen, hier nicht am richtigen Ort. Dann bedaure ich, Ihnen ein solches Instrument nicht verkaufen zu können, weil ich es nicht besitze.«
»Wir wollen keine Seele, Herr«, sagte Flynn klar und deutlich, »wir wollen eine Geige. Verstehen Sie das? Eine Geige mit Deckel, Boden und vier Saiten.«
»Die da«, sagte Mackie, zeigte auf ein an der Wand hängendes Instrument und trat drauf zu.
Erschrocken und darum ganz untätig sah der Alte zu, wie Mackie das Fiedelholz von der Wand nahm. Dem Alten schien das ganze Geschäft keinen Spaß zu machen, weil er um seine traditionelle Verkaufszeremonie gebracht war.
Mackie war stolz. Er hatte ein recht gutes Augenmaß bewiesen. Die Geige schien, von außen angelegt, genau in den mitgebrachten Kasten zu passen.
Kopfschüttelnd verfolgte der Alte das Ganze. Daß jemand erst den Kasten kaufte und dann die Geige, das war ihm noch nicht vorgekommen. Auf was Engländer alles verfielen!
»Die nehme ich«, sagte Flynn. »Und was brauchen wir sonst noch zum Geigenspielen?«
Mackie überlegte. »Kolophonium!«
Der Alte brachte ein faustgroßes Stück Kolophonium.
Mackie fiel noch etwas anderes ein.
»Einen Dämpfer«, schlug er strahlend vor.
»Gegen wen?« fragte Morris und sah Mackie an. Dann besann er sich. »Ach so! – Also einen Dämpfer.«
Der Alte brachte einen Dämpfer und legte ihn auf den Ladentisch. Doch schließlich wollte auch er das Seine zu einem vollständigen Geigeneinkauf dazutun.
»Wie wär’s denn mit einem Bogen?« wagte er schüchtern zu bemerken.
»Richtig«, sagte Flynn, »bitte einen Bogen.
Er nahm den Bogen, den der Alte ihm reichte, in die Hand, hieb damit durch die Luft, daß es zischte, und versuchte dann ein paar imaginäre Striche. Nicht nur, daß er diese Bogenstriche mit der linken Hand ausführte und mit der rechten Hand so tat, als hielte er die Geige darin, sondern auch an der versteiften Haltung des Handgelenks war zu sehen, daß er, mochte er auch sonst gewohnt sein, die erste Geige zu spielen, bestimmt noch nie einen Bogen geführt hatte.
Des Alten Erfolg hatte diesen kühn gemacht.
»Die Herren brauchen doch sicher auch Noten«, meinte er und bekam wieder Geschmack am Geschäft.
»Danke«, sagte Mackie. »Zur Not können wir’s auch ohne Noten.«
Unterdes hatte Morris Flynn großartig wieder die Brieftasche aus dem Mantel gezogen und öffnete sie. Mackie hielt sich an der Kante des Ladentisches fest, als er sah, daß Morris aus der Tasche einen Geldschein zog.
»Oh, Lord!« sagte Mackie.
Es klang wie ein Stoßseufzer. Der Alte jedenfalls hielt es für einen solchen. Flynn aber verzog nur den Mund ein wenig zu einem geringschätzigen Lächeln und überreichte dem Alten den Schein.
»Zehn Franc für alles zusammen.«
»Messieurs!« jammerte der Alte verzweifelt, der voreilig den Schein angenommen hatte und ihn jetzt mit weit ausgestrecktem Arm von sich weghielt.
Flynn hatte die Geige aufgenommen.
»Paßt sie hinein‹?« fragte er.
Mackie klappte den Deckel des Geigenkastens auf und kippte den Inhalt auf den Ladentisch. Bürsten, Nachthemden, Kämme, Hausschuhe, Seife und Zahnbürsten fielen durcheinander.
»Das kriegen Sie noch dazu«, sagte Flynn und schob die Reiseutensilien dem Alten hin.
Mackie griff sich einen Hausschuh.
»Prima Seide«, versicherte er, das zerdrückte Futter zwischen den Fingern reibend, »mehr wert als Ihr sogenanntes Künstlerinstrument.«
Flynn angelte aus dem wirren Haufen die beiden Zahnbürsten heraus und steckte sich und Mackie eine in die obere Rocktasche. Dann nahm er die Geige und legte sie versuchsweise in den Kasten. »Sie paßt«, verkündete er befriedigt. Er warf Kolophonium, Dämpfer und Bogen dazu, klappte den Deckel mit einem lauten Plopp zu, und dann wandten sich die beiden Herren, nachdem sie beide gleichzeitig grüßend an Hut und Mütze getippt hatten, zum Ausgang.
Als die Ladentür knarrte, war die elegante Dame schnell beiseite getreten. Doch nicht weit genug, als daß sie nicht hätte hören können, was Flynn dem Kutscher zurief: Er nannte ihm die Adresse des Hotels.
»Palace Hotel. In der Chaussee d’Haecht.«
Morris und Mackie bemerkten die Dame nicht. Die wartete noch, bis der Wagen mit den beiden Herren abgefahren war. Dann trat sie selbst in den Laden.
Sie blickte verwundert auf die nächtlichen Toilettenrequisiten, die noch auf dem Ladentisch lagen. »Was kostet das?«
Der Anblick dieser vornehmen Dame, ihre echten Reiherfedern auf dem Hut, der Rubinring an ihren Fingern und das Parfüm in seiner Nase gaben dem alten Antiquitätenhändler, der noch immer die Zehnfrancnote, über das geschwinde Geschäft verdutzt, in der Hand hielt, schnell seinen Geschäftsgeist zurück.
»Madame«, sagte er, »man kommt nicht in diesen Laden und fragt: ›Was kostet das Ganze?‹ – Man prüft und erkennt, man stellt fest, daß es sich um prima Seide handelt. Fühlen Sie bitte!« Und er hielt ihr Mackies niedergetretenen Hausschuh hin. »Kaum getragen, Madame. Von Herrschaften allerhöchster Kreise, von Lords, unvorhergesehener Umstände halber abgelegt. Prima Qualität, Madame.« Verzückt streichelte er die Nachthemden und küßte gleichzeitig seine Fingerspitzen. »Londoner Fabrikat!« Als handele es sich um den Schleier des Bildes von Sais, hielt er ihr ein Nachthemd hin, das er zuunterst aus dem Haufen herauszog. Die vornehme Dame tat, als wolle sie den Stoff prüfen. Sie befingerte das Hemd, bis sie an eine aufgesetzte Tasche geriet. Dann hörte sie etwas knistern. Mit spitzen Fingern griff sie hinein und angelte einen Zettel heraus, den sie auseinanderfaltete und mit großer Aufmerksamkeit studierte.
»Zehn Franc«, sagte sie dann, ohne aufzuschauen.
Der Alte scheute sich nicht vor einem Dakapo. »Madame! Madame!« winselte er und verdrehte die Augen nach oben.
»Einpacken!« befahl die elegante Dame ungerührt. Der Alte jammerte weiter. Aber er gehorchte. Er suchte Packpapier und einen Faden, wickelte Seife, Kamm, Hausschuhe und Nachthemden zusammen und verschnürte alles zu einem Bündel, während die Dame immer wieder den Zettel las. Es schien eine Quittung zu sein. In der Tat ein interessantes und aufschlußreiches Dokument.