Wird es noch Privatsphäre geben?

// ROBERT LUH // MARTIN PIRKER // SEBASTIAN SCHRITTWIESER

Das Thema „Privatsphäre“ wird auch in Zukunft ein höchst kontroversielles bleiben. Ob in den aufblühenden Dom-Städten des roten Planeten oder in den Metropolen der neuen Alten Welt: Die zunehmend sensibilisierte Bevölkerung wird sich tagtäglich mit unaufhaltsamem technologischem Fortschritt und einer wandelbaren politischen Landschaft konfrontiert sehen, die gerade in Fragen der Sicherheit nicht so bald eine geeinte Linie finden wird.

Doch ob politischer Konsens oder nicht: Es wird nicht am Ideenreichtum scheitern. Die vollständige Verschmelzung der physischen mit der virtuellen Welt wird neue Identitätskonzepte hervorbringen, die schon heute auf ihre Umsetzung warten.1 Ein neuer digitaler Ausweis verknüpft nahtlos Online-Accounts, Lenkerberechtigungen, Reisedokumente und Zugriffscodes. Behörden wie auch Internet-Plattformen können nach Zustimmung des Auszuweisenden wählen, welche Attribute zur Person abgerufen und überprüft werden sollen. Was einerseits die Datenspur jedes Einzelnen weiter verfestigen wird, eröffnet auch neue Dimensionen des Datenschutzes. Die Entkoppelung und Zertifizierung2 unserer individuellen Merkmale wird es etwa der Kinobesucherin von morgen ermöglichen, ihr Alter nachzuweisen, ohne zugleich Namen und Geburtsort verraten zu müssen. Zugleich kann der modulare Ausweis als Knotenpunkt fungieren, der unsere sozialen Netzwerke3 der Zukunft definiert.

Doch dieser – wie auch die meisten anderen Trends der Branche – werden die Menge an Daten explodieren lassen, die Tag für Tag über jeden Menschen anfallen und auch gesammelt werden. Geoinformationen wie Werbeprofile werden Teil unseres Fußabdrucks, der nicht mehr zwischen Internet, Augmented Reality oder dem Besuch eines Geschäftslokals unterscheidet. Die „smarten“ Geräte werden den Marsianer der Zukunft ebenso gut kennen wie deren Hersteller, Dritt-Partner und Gesetzgeber. Um diese Daten zu schützen, wird das Thema Kryptographie weiterhin eine entscheidende Rolle spielen. Das 21. Jahrhundert wird geprägt sein von einem Wettrüsten der anderen Art: Zusätzlich zum Kampf der Cyberkriminellen gegen die digitalen Verteidiger werden die steigende Rechenleistung und neue Technologien (z. B. Quantencomputer) immer wieder Verschlüsselungsverfahren an ihre Grenzen treiben, die die Datenflut zu schützen versuchen.4 Geheimdienste werden wie heute um die Platzierung von Hintertüren kämpfen, um ideologischen Konkurrenten und versierten Kriminellen Paroli bieten zu können. Der Kampf gegen die Windmühlen des Terrorismus wird ungewollt das Tor für Missbrauch öffnen, dem bald eine zunehmend vehemente Aktivistenschaft gegenübersteht. Das Internet der offengelegten Identität wird sich so mit einem wachsenden Schattennetz konfrontiert sehen, das die Werte der Anonymität konsequent hochhält. Obwohl vielerorts illegal, bleiben diese kleinen Kommunen unter sich und vertreten eine neue politische Strömung, die auch von manchen Nationen aufgegriffen werden wird.

Unter dem Slogan „Ich bin meine Daten“ wird es diesen Initiativen gelingen, die ersten Schritte zur Umkehr der Besitzverhältnisse von digitalen Spuren zu setzen5 und zu erwirken, dass Betroffene stets und überall auf ihre Profile, Bewegungsmitschnitte und Kundendaten zugreifen können, die der Wirtschaft und den staatlichen Akteuren dank ihrer Sammelwut zur Verfügung stehen. Was nicht genehm ist, kann auf Knopfdruck gelöscht werden – dafür sorgen die rigorosen Datenschutzbestimmungen.

Leider wird es immer schwarze Schafe geben. Nicht alle Staatenbünde und Konzerne werden dieser neuen Linie wohlwollend gegenüberstehen. Zu groß sind der potenzielle Profit und zu verlockend die Macht, die das angesammelte Wissen verleihen kann. Während manche Organisationen mit Angeboten zur freiwilligen Herausgabe von persönlichen Informationen locken oder die Daumenschrauben ansetzen (so wird die Netzneutralität zum Druckmittel der Internet-Provider, die anonymere Zugänge empfindlich drosseln6,7), entsteht in den schattigen Netzen und Peer-to-Peer-Verbünden eine regelrechte Parallelgesellschaft. Werkzeuge der absichtlichen Datenverfälschung8 werden sich, analog zu den kryptographischen Verfahren, mit immer besseren Data-Mining-Algorithmen messen müssen, die das letzte bisschen Semantik aus den Bewegungen des modernen Marsianers zu entlocken versuchen. Der gläserne Mensch wird Realität werden – doch die Tönung des Glases ermöglicht eine zumindest sporadisch wirksame Gegenwehr.

Wird das Leben auf der Erde und den extraterrestrischen Kolonien der Zukunft demnach zur Dystopie verkommen? Wir glauben nicht. Vielmehr werden wir eine Fortsetzung all jener politischen und technischen Konflikte sehen, die auch schon heute das Thema der Privatsphäre prägen. Und wer weiß: Vielleicht werden wir die perfekte Datensicherheit erleben, wenn wir eines Tages in familiären Verbänden von gleichgesinnten Pionieren aufbrechen, um den Rest der Galaxie zu erobern.