Werden wir weiterhin Grünen Veltliner trinken können?

// GERHARD SOJA

Wein ist generell eine wärmebedürftige, jedoch weitgehend frostharte Kultur. Die Anbaueignung eines Gebietes hängt von der Überschreitung einer bestimmten Temperatursumme während der Vegetationsperiode sowie von der Unterschreitung einer Jahresniederschlagssumme von etwa 1000 Millimeter ab, da bei feuchterem Klima das Infektionsrisiko für Pilzkrankheiten sehr hoch wird. Für die Charakterisierung des Rebsorten-spezifischen Wärmebedarfs wurde für die Weinbaugebiete ein bioklimatischer Wärme-Index, entwickelt: der Huglin-Index. Bei der Sorte Grüner Veltliner beträgt der erforderliche Huglin-Index 1700 bis 1800. Damit liegt der Wärmeanspruch des Grünen Veltliners geringfügig über dem für den Weinbau als Untergrenze angesehenen Huglin-Index von 1500.

Die Analyse des atmosphärischen Erwärmungstrends seit den 1970er Jahren hat gezeigt, dass in einzelnen österreichischen Weinbaugebieten eine Temperaturerhöhung von rund 1,5 °C aufgetreten ist. Dies ist naturgemäß ein höherer Wert als das globale Mittel der Temperaturerhöhung im gleichen Zeitraum, da sich Landmassen schneller erwärmen als die Ozeane. Eine mittlere Erwärmung von 1,5 °C bedeutet für ein Weinbaugebiet eine Erhöhung des Huglin-Index um bis zu 275. Damit sind Weinbaurieden, welche temperaturmäßig an der Untergrenze des Praktikablen gelegen sind und bestenfalls einem Müller-Thurgau oder Blauen Portugieser gute Reifechancen geboten haben, bereits für anspruchsvollere Sorten wie den Grünen Veltliner geeignet. Hingegen bieten nun bisher für den Grünen Veltliner optimale Lagen bereits ausreichende Wärmesummen für noch wärmebedürftigere Sorten wie Welschriesling oder Merlot.

In österreichischen Weinbaugebieten wurde beobachtet, dass insbesondere das Frühjahr und die erste Sommerhälfte wärmer geworden sind und sich daher der Beginn des Rebenaustriebs nach vorne verschoben hat. Da gleichzeitig die Termine des letzten Spätfrostes nicht vorgerückt sind, bleibt die Gefahr einer Frostschädigung nach dem Austrieb weiterhin real. Aufzeichnungen der phänologischen Entwicklung am Standort Krems haben in den letzten vier Jahrzehnten eine Vorverlagerung der Rebblüte um elf bis 14 Tage ergeben. Weiters wurde ein Trend zu zunehmend sonnigeren Bedingungen während der Vegetationsperioden festgestellt.

Eine frühere Blüte der Reben ist gleichbedeutend mit einem früheren Reifebeginn. Das hat zur Folge, dass die Trauben früher einen höheren Zuckergehalt erreichen. Werden die Trauben dennoch länger am Stock belassen und erst zu einem traditionell späten Zeitpunkt geerntet, liegen zwar die Mostgrade hoch und die Erzeugung von Prädikatsweinen wird erleichtert, doch steigt auch der Alkoholgehalt im Wein. Der Grüne Veltliner kann sich zu einem sortenuntypisch schweren Produkt entwickeln. Dazu kommt, dass der Säureabbau während warmer Sommernächte bei Trauben hohen Reifezustands beschleunigt vor sich geht. Geringe Säuregehalte mindern in Folge die Lagerfähigkeit des Weins. Allerdings zeichnet sich gerade ein typischer Grüner Veltliner durch sehr gute Lagerfähigkeit und Frische auch bei älteren Weinen aus. Diese durch die beschleunigte Traubenreife bedingten Qualitätsverschiebungen stehen dem klassischen Grüner-Veltliner-Charakteristikum entgegen.

Es ist daher zu überlegen, ob die nun bereits im September statt Anfang Oktober stattfindende End-Ausreifung der Trauben von Grünem Veltliner mit dem bekannten Sortencharakter dieses Weins kompatibel ist oder eine spezifische Sorten- bzw. Typenauswahl in Richtung langsamerer Reifung bedarf. Eine bewusste Selektion von langsamer reifenden Klonen innerhalb einer Sorte mit geringerem Säureabbau kann dazu beitragen, dass die typische Weincharakteristik des Grünen Veltliners auch bei weiterem Temperaturanstieg erhalten bleibt. Die Variabilität der Sorte bietet hier einige Chancen, dem Klimawandel angepasste Klone zu selektieren, welche auch unter zukünftigen Temperaturbedingungen die Produktion klassischer Grüner Veltliner erlauben. Eine weitere Chance, einen dem Klimawandel angepassten Weinbau mit den bisherigen Sorten zu betreiben, ist die Möglichkeit der Wiedergewinnung von in vergangenen Jahrhunderten aufgegebenen Weinbaurieden. Diese Rieden, welche sich im Spätmittelalter in Höhenlagen von bis zu 500 Meter und in Gunstlagen alpiner Täler Süd- und Westösterreichs noch höher befunden haben, wurden durch die Klimaverschlechterungen während des 16. bis 18. Jahrhunderts aufgegeben. Eine Ausweitung des Weinbaus um wenige 100 Höhenmeter nach oben würde den weniger wärmebedürftigen Sorten die Beibehaltung der klassischen Weincharakteristika erlauben, während in den tieferen Lagen neue und wärmebedürftigere Sorten kultiviert werden könnten.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die durch den Klimawandel bedingte Erwärmung in österreichischen Weinbaugebieten die vollständige Beibehaltung der bekannten Grünen Veltliner-Charakteristik erschwert. Höhere Zucker- und Alkoholgehalte sowie geringere Säuregehalte sind von Weinen der gleichen Sorte bei der Traubenproduktion unter höheren Temperaturen zu erwarten. Der Weinbau kann aber durch Selektion langsamer reifender Klone des Grünen Veltliners sowie durch Ausweichen auf höher gelegene, in vergangenen Jahrhunderten aufgelassene Weinbaurieden gegenhalten.