Werden wir Beine und Arme nachwachsen lassen können?

// STEFAN NEHRER

Der Verlust einer Extremität – eines Arms oder Beins – ist mit physischen Mobilitäts- und Funktionsverlusten sowie psychischen Herausforderungen verbunden. Bilder vom heiligen Cosmas und Damian belegen den schon vor Jahrhunderten durchgeführten Versuch, ein verlorenes durch ein fremdes Bein zu ersetzen. Was damals nicht funktionierte, ist bis heute ein unerfülltes Ziel vieler Forschungsgruppen.

Während die Replantationschirurgie schon sehr erfolgreich abgetrennte, aber erhaltene Extremitäten wieder annähen kann, ist eine zerstörte oder von Tumor oder Infektion befallene Gliedmaße derzeit nicht wiederherstellbar. Der Schwerpunkt der medizinischen Forschung liegt aktuell darauf, die Extremitäten im Labor herzustellen. „Tissue Engineering“ nennt man die Methoden der biotechnologischen Geweberegeneration. Dabei werden Gewebedefekte durch gezüchtete Zellen und Biomaterialien behoben, was bei Knorpel, Knochen oder Sehnen auch schon klinisch angewendet wird. Als dafür benötigte Zellenressourcen fungieren einerseits die kultivierten Zellen des jeweiligen Gewebes, die entweder vom eigenen Körper oder von Fremdspendern entnommen und anschließend in Gewebelabors gezüchtet werden. Andererseits kommen diese Zellressourcen aus sogenannten pluripotenten Stammzellen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie verschiedene Gewebe bilden können. Durch Vermehrung der Zellen kann die notwendige Menge gewährleistet werden, um Biomaterialien, die in der entsprechenden Form bereitgestellt werden, mit den Zellen zu beimpfen, um den Gewebedefekt zu schließen.

Mit Hilfe der Modifikation von Zellkulturbedingungen, des Biomaterials und durch Zugabe von Wachstumsfaktoren können die Zellen beeinflusst werden, um die richtige Zusammensetzung am Gewebe zu synthetisieren. Durch diese Methoden werden heute schon umschriebene Defekte von Knorpel, Sehnen oder Meniskus behandelt, um somit den Erhalt von Gelenken auch langfristig zu gewährleisten. Die Form und Struktur der Biomaterialien kann sehr gut variiert werden, sodass diese Gewebesubstitute in verschiedenen Formen hergestellt werden können. Die 3D-Printing-Methoden haben in diesen Bereich auch schon Einzug gehalten. Durch Computersimulationen können so geplante Konstrukte hergestellt werden, wobei auch die physikalischen Materialeigenschaften und die biochemische Komposition der Werkstoffe auf die gewünschten Ansprüche und Eigenschaften angepasst werden können.

Für diese Methoden sind besonders die Gewebe des passiven Bewegungsapparates geeignet, da sie meist aus uniformen Zellpopulationen und definierten Materialeigenschaften bestehen. Kompliziert wird es, wenn mehrere Gewebe nebeneinander biotechnologisch hergestellt oder Übergänge von einem in das andere Gewebe nachgebaut werden sollen, also z. B. Knochen und Knorpel. Zumindest ist es schon gelungen, das Endglied eines Fingers biotechnologisch wiederherzustellen. Schwieriger sind funktionierende Muskelzellen zu züchten, v. a. wenn sich diese mit den Sehnen und Nerven verbinden müssen, um eine sinnvolle Funktion zu ermöglichen. Das Problem der Herstellung von ganzen Gliedmaßen ist, dass Muskeln, Knochen und Gelenke an das neurovaskuläre System angeschlossen werden müssen, um gesteuert durch das zentrale Nervensystem und versorgt durch die Blutzirkulation im Gesamtorganismus integriert zu sein – ein unlösbares Problem!?

Die Entwicklung von Extremitäten in der Embryogenese zeigt uns, dass es prinzipiell möglich ist, dass Zellen ganze Gliedmaßen wachsen lassen; wobei die sogenannten embryonalen Stammzellen die Fähigkeit haben, verschiedene Gewebetypen zu entwickeln und auch funktionell miteinander zu verknüpfen. Allerdings ist die Verwendung von embryonalen Stammzellen gesetzlich verboten. Darüber hinaus ist die Steuerung der Zellen im Labor schwierig und mit dem Risiko von Fehl- oder Tumorbildungen verbunden. Die mesenchymalen Stammzellen, wie wir sie im Knochenmark oder Fettgewebe finden, bieten eine Möglichkeit, verschiedene Bindegewebe zu synthetisieren; sie können auch im Printverfahren in bestimmte Formen gebracht werden. Die induzierten pluripotenten Stammzellen sind Gewebezellen, die durch molekularbiologische Verfahren zurück in ihre Stammzellenlinie gezüchtet werden, sodass sie wieder die Möglichkeit erlangen, verschiedene Gewebetypen auszubilden. Sogar die Ausbildung von Kapillaren, also feinsten Blutgefäßen, kann bei Stammzellen induziert werden, die neuronale Anbindung bleibt allerdings bis dato das Problem. Ähnlich wie bei der traumatischen Querschnittslähmung sind die Möglichkeiten der Leitungsüberbrückung von Nervensignalen aus dem Gehirn zur Extremität noch Gegenstand intensiver Forschung.

Das Ziel wäre, in einem Druckverfahren verschieden programmierte Zelltypen mit einem geeigneten Biomaterial nebeneinander einzubringen, sodass in der Interaktion der Zellen komplexe Gewebekonstrukte entstehen können – wie das beim Wachstum einer Extremität beim Embryo geschieht. Durch das Auswachsen aus dem Körper ist der gewonnene Körperteil mit dem Gesamtorganismus von vorneherein verbunden, da er ja aus ihm entsteht. Optimalerweise wachsen diese Regenrate in eine Hülle hinein, die die Endform vorgibt, um ein harmonisches Körperbild zu gewährleisten. Dann müssen wir diese biotechnologische Gliedmaße nur mehr trainieren, damit sie auch tut, was wir wollen – hoffentlich!