Werden wir noch selbst Auto fahren?

// ALEXANDRA MILLONIG

Das Autofahren hat in den letzten 100 Jahren eine Bedeutung erlangt, die aus unserem Leben kaum mehr wegzudenken ist. Der motorisierte Individualverkehr stellt heute fast überall den größten Anteil am Verkehrsaufkommen, und unsere Planungen orientieren sich seit der Mitte des letzten Jahrhunderts vorwiegend an einer möglichst effizienten Abwicklung des Autoverkehrs. Aus heutiger Sicht fällt es daher vielen Menschen schwer, sich ein radikal anderes Verkehrssystem vorzustellen. Mittlerweile werden jedoch mit der Entwicklung selbstfahrender Fahrzeuge bestehende Mobilitätskonzepte zunehmend hinterfragt und ein neues Verständnis von Mobilität intensiv diskutiert. Ein Paradigmenwechsel scheint sich anzukündigen – sei es im Hinblick auf die künftige Art der Fortbewegung oder auch der Rolle des Menschen als Besitzer, Bediener oder lediglich Nutzer von Verkehrsmitteln. Ob, wie und wann sich eine Mobilitätswende vollziehen wird, ist aber nur schwer einzuschätzen.

Aus objektiver Sicht gibt es wenige Argumente, die für die Beibehaltung der bestehenden Mobilitätsmuster sprechen. Vergleicht man das Auto mit anderen Verkehrsmitteln, so schneidet es gleich in mehreren Kategorien wesentlich schlechter ab als andere Angebote: In puncto Energieeffizienz, Platzverbrauch und CO2-Ausstoß rangiert der Autoverkehr auf dem letzten Platz1, und beim Thema Sicherheit gilt der Faktor Mensch nach wie vor als größtes Risiko2.

Rational betrachtet spricht also vieles dafür, Autos aus Sicherheitsgründen nicht mehr von Menschen lenken zu lassen und am besten gleich überhaupt auf individuell genutzte Kraftfahrzeuge zu verzichten.

Andererseits bieten Autos aus subjektiver Sicht viele Vorteile, die andere Angebote nicht aufweisen können. Kein anderes Verkehrsmittel verspricht so viel Flexibilität und die Freiheit, jederzeit überallhin gelangen zu können (sofern die Infrastruktur nicht überlastet ist); gleichzeitig bietet es einen privaten Raum in der öffentlichen Umgebung. Autofahren wird von vielen auch als angenehme Beschäftigung empfunden und macht einfach Spaß. Nicht zuletzt stellt der Autoverkehr auch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, der sowohl in Produktion und Betrieb zahlreiche Arbeitsplätze schafft.

Kaiser Wilhelms II. Ausspruch „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung“ gehört zu den bekanntesten Irrtümern der Geschichte. Auch die heutige Bedeutung des Autos kann sich ändern. Die Rolle des Automobils in der Zukunft hängt dabei von den Prioritäten ab, die in der Entwicklung zukünftiger Verkehrssysteme gesetzt werden, und dem Zeithorizont, der betrachtet wird. Bis sich Mobilitätspräferenzen im Lebensgefühl mancher sozialer Gruppen nachhaltig ändern, braucht es wohl ein oder zwei Generationen, die mit neuen Mobilitätsoptionen aufwachsen. Auch eine Ausrichtung der Wirtschaft auf neue Sektoren, die einen Bedeutungsverlust der Autoindustrie kompensieren können, kann nicht kurzfristig erreicht werden. Andererseits verlangen Klimaschutzziele, verkehrsbedingte Gesundheitsbeeinträchtigungen und der zunehmende Platzmangel in urbanen Ballungsräumen ein rasches Handeln, um unseren Lebensraum und die Lebensqualität für künftige Generationen zu sichern.

Bei der Frage, wie wir uns in Zukunft fortbewegen werden, geht es letztendlich aber vermutlich nicht um ein „Entweder-oder“, sondern eher um ein „Sowohl-als-auch“. Individuelle, selbstgesteuerte Autos werden wohl immer weniger in Gebrauch sein; v. a. in urbanen Gebieten, wo Alternativen vorhanden sind und schon heute immer mehr Menschen freiwillig auf ein eigenes Auto verzichten. In ländlichen Gebieten können automatisierte Fahrdienste die Mobilitätsbeeinträchtigungen jener Menschen kompensieren, die nicht (jederzeit) über ein eigenes Fahrzeug verfügen. Auch andere werden vermutlich zunehmend die Vorzüge und die Sicherheit, die ein automatisiertes Fahrzeug bieten kann, zu schätzen lernen und sich an neue Mobilitätsformen gewöhnen. Schließlich könnte das Autofahren als Freizeitbeschäftigung auf gesonderten Strecken weiterbestehen, um Spaß und Fahrgefühl erlebbar zu machen, während es als Alltagsverkehrsmittel in den Hintergrund gerät; so wie viele Menschen auch heute gerne reiten, jedoch Pferde für den Transport kaum noch eingesetzt werden.

Es ist anzunehmen, dass Autos nicht so schnell an Bedeutung verlieren werden, aber es ist zu hoffen, dass sich die Rolle des Autoverkehrs aus Gründen der Nachhaltigkeit und Gesundheit deutlich ändern wird und in Zukunft Teil eines breiten Portfolios an Mobilitätsmöglichkeiten wird, das vor allem dort eingesetzt wird, wo es sinnvoll ist. Was wir heute dafür tun können, ist – neben der Schaffung entsprechender einander ergänzender Mobilitätsangebote – die Menschen dabei zu unterstützen, Mobilität als Teil eines bewussten Lebensstils wahrzunehmen.