Das vorliegende Buch wurde noch während der Präsidentschaft Gorbačevs geplant, und auch der Entwurf der ‹vorrevolutionären› Kapitel entstand, als noch niemand ein so schnelles Ende der Sowjetunion für möglich hielt. Das hat seine Absicht jedoch nicht verändert. Vor und nach dem Zusammenbruch sollte und soll es der schlichten Frage nachgehen, was den ersten Staat auf dieser Welt, der sich als Verwirklichung des Sozialismus in der Lenin’schen Interpretation des Gedankengebäudes von Marx und Engels begriff, als solchen auszeichnete, wie er seine Ziele angesichts einer sperrigen Wirklichkeit umzusetzen versuchte, warum er das 20. Jahrhundert in gut siebzig Jahren so tief prägen konnte wie außer ihm nur noch die Vereinigten Staaten, und warum er schließlich in eine tiefe Krise stürzte, aus der er auch ohne den dramatischen Putsch vom August 1991 in der alten Form nicht hätte wiederauferstehen können.
Mit diesem Ziel ist das Buch sehr viel länger geworden als anfangs beabsichtigt. Es hält daran fest, auch dem nicht fachlich vorgebildeten Leser verständlich zu bleiben, und bemüht sich daher, die Darstellung über der Deutung nicht zu kurz kommen zu lassen. Die angemessene Berücksichtigung beider als Kern der angestrebten Synthese kostete den Preis eines erheblichen Umfangs. Am Ende wage ich kaum mehr zu erwarten, dass das Ergebnis langjähriger Arbeit von vorn bis hinten gelesen wird. Ich hoffe aber, die einzelnen Großkapitel so gestaltet zu haben, dass sie eine Orientierung über alle wichtigen Entwicklungen, Probleme und Strukturen des jeweiligen Zeitraums geben. In diesem Sinne hege ich die Erwartung, dass sich durch die Addition solcher Lektüre doch ein Gesamtbild zusammenfügt.
Dem Zweck der Gesamtübersicht dient auch die Gestaltung der Anmerkungen, die zugleich dem Zwang der Platzersparnis unterlag. Beim ersten Zitat werden die jeweiligen Titel vollständig, danach nur noch in Kurzform angeführt. Ein Literaturverzeichnis musste entfallen; um die Auffindung des Erstzitats auch bei nichtkontinuierlicher Lektüre zu ermöglichen, wird bereits erwähnten Titeln zu Beginn eines jeden neuen größeren Abschnitts der Ort des Erstzitats unter Verweis auf das betreffende Kapitel und die Anmerkung in Kurzform angefügt (z.B. VI. 1, 3). Auf diese Weise hoffe ich, verwertbare Hinweise zur vertiefenden Lektüre zu ermöglichen und dennoch so knapp wie möglich zu verfahren. Trotz der Fülle an Literaturhinweisen, die sich im Laufe einer so ausgreifenden Übersicht ergibt, konnte nur ein Bruchteil der vorhandenen und verarbeiteten Literatur zitiert werden. Die Angaben beschränken sich auf neuere westsprachige Monographien; russische Titel und Aufsätze werden nur ausnahmsweise genannt.
Obwohl sich das Buch primär an Leser wendet, die des Russischen nicht mächtig sind, werden die russischen Namen und Begriffe im Regelfall in der wissenschaftlichen Umschrift wiedergegeben (von der Ausnahme ‹eingedeutschter› Formen wie Sowjet oder Trotzki und Jelzin abgesehen, bei denen sie zu einer falschen Aussprache führen könnte, Trockij, El’cin). Angesichts der wenigen lautlichen Zuordnungen, die dabei vorzunehmen sind, scheint mir der Gewinn der richtigen Schreibung das ‹Risiko› der Überforderung deutlich zu überwiegen. Demnach entsprechen:
š einem stimmlosen sch (wie in Schaf),
č einem tsch (wie in Matsch),
s einem stimmlosen s (wie in nass),
c einem z (wie in Zahl),
y einem dumpfen i, ähnlich wie ui
v einem w (wie in Waage),
ž einem stimmhaften sch (wie in frz. Journal),
šč einem schtsch,
ė einem kurzen, offenen e (wie in Menge),
’ der Erweichung des vorangehenden Konsonanten.
Alle Daten werden bis zur Umstellung am 1. (14.) Februar 1918 nach dem bis dahin in Russland gültigen Julianischen Kalender angegeben, der im 19. Jahrhundert zwölf, im 20. Jahrhundert dreizehn Tage weniger anzeigte als der dann eingeführte Gregorianische.
Ein so umfangreiches, über Jahre entstandenes Buch habe ich nur dank vielerlei Hilfe schreiben können. Mehrere Institutionen haben mir die unentbehrliche temporäre Befreiung von Lehr- und Selbstverwaltungspflichten an der Universität verschafft. Zu Anfang hat die VW-Stiftung freundlicherweise zugestimmt, ein für ein anderes Projekt beantragtes halbjähriges Akademiestipendium umzuwidmen. Anderthalb Jahre später konnte ich ein ‹reguläres› Forschungssemester für diesen Zweck nutzen. Ganz besonderer Dank aber gebührt dem Historischen Kolleg in München, das mir 1995/96 ein ganzes Jahr lang den Luxus ungestörter Arbeit in einer großzügigen und ruhigen Umgebung ermöglicht hat. Ohne diese längere Phase konzentrierten Schreibens wäre das vorliegende Buch zumindest nicht vor der Jahrtausendwende erschienen. Daneben haben zahlreiche Personen in der einen oder anderen Form zur Entstehung dessen beigetragen, was unter der Hand die Dimension eines Werkes angenommen hat, das ich wohl kein zweites Mal schreiben werde. Zu nennen sind zum einen mehrere Generationen von Hilfskräften, die mir eine Vielzahl von Büchern und Aufsätzen, davon die meisten über die Fernleihe mit entsprechendem Aufwand, besorgt und unsere überaus nützliche bibliographische Datenbank gepflegt haben. Nach Fertigstellung des ersten Entwurfs habe ich auch manchen Kollegen durch die Bitte um korrigierende Lektüre die Reste ihrer freien Zeit geraubt: Stephan Merl hat große Teile der Kapitel über die NĖP und die Stalinzeit, Bernd Bonwetsch vor allem die Kapitel über den Zweiten Weltkrieg und den späten Stalinismus, Gottfried Schramm die langen Abschnitte über die dreißiger Jahre und Dietrich Beyrau die ‹Kultur›-Kapitel von der NĖP bis zur Brežnev-Zeit gelesen. Dietrich Geyer schließlich hat die große Mühe auf sich genommen, das gesamte Manuskript von der ersten bis zur letzten Zeile mit kritischen Augen zu prüfen. Alles andere als selbstverständlich ist heutzutage, dass ein Verlag das Risiko auf sich nimmt, ein so umfangreiches Buch zu drucken, und in Gestalt von Detlef Felken auch noch über einen äußerst kompetenten, tatsächlich lesenden Lektor verfügt. Allen bin ich für viele sachliche und sprachliche Verbesserungen und Hilfestellungen, die ich fast ausnahmslos übernommen habe, zutiefst verpflichtet. Den größten Anteil am Zustandekommen des Vorliegenden aber hat, wie wohl immer, meine Familie gehabt. Sie hat nicht nur ein Jahr des Pendelns zwischen Göttingen und München mit Fassung ertragen, sondern auch sonst auf manche abendliche und sonntägliche Freizeit verzichtet. Ihr sei das Buch – vertreten durch unseren ‹Mittleren› – in der Hoffnung gewidmet, dass sich ein solcher Entzug nicht mehr wiederholen wird.
Göttingen, im Dezember 1997
Manfred Hildermeier