Hinzu kam ein gleichfalls erhebliches Wachstum der wissenschaftlich-medizinisch-kulturellen Elite. Aus Tabelle A–3/2 geht hervor, dass die frühe Sowjetunion auch in dieser Hinsicht viel aufzuholen hatte. In der «Volksbildung» und «Kultur» stieg die Zahl der Angestellten, größtenteils sicher Lehrer, bis 1940 auf das Fünffache, in der «Kunst» auf beinahe das Siebenfache und an den wissenschaftlichen Einrichtungen, vor allem den Akademien und Universitäten, sogar auf das Zehnfache. In den Nachkriegsjahrzehnten verlief die Entwicklung weniger stürmisch, blieb aber entsprechend dem Bedarf durchaus dynamisch. Im Bildungswesen außerhalb der Hochschulen (Bibliotheken, Museen) arbeiteten 1980 immerhin 10,4 Mio. und 1990 12,8 Mio. Menschen anstelle von ca. 3,3 Mio. 1950 und 4,8 Mio. 1960. Auch die Wissenschaft erlebte mit einer Erhöhung der Beschäftigtenzahl von 0,7 Mio. 1950 auf 4,4 Mio. 1980 eine bemerkenswerte Expansion. Ähnliches galt für den großen Sektor der medizinischen Für- und Vorsorge. Nach einer Versechsfachung der einschlägig Beschäftigten in den beiden Vorkriegsjahrzehnten vermehrte sich ihre Zahl von ca. 2 Mio. 1950 auf 6,2 Mio. 1980; anders als in der Wissenschaft, die mit der Gesamtwirtschaft schrumpfte (auf 4 Mio. 1990), hielt diese Entwicklung auch danach an (1990 7,6 Mio.). Prozentual konnte schließlich auch der Kunstbetrieb Anschluss halten. Allerdings blieb er quantitativ mit knapp 0,18 Mio. Beschäftigten 1950 und 0,46 Mio. 1980 als Berufsfeld unbedeutend. Auch hier fällt auf, dass sein Personal in den achtziger Jahren nicht mehr wuchs.

Unter dem Aspekt der sozialen Lage der ‹Eliten› verdient das Einkommen besondere Beachtung. Auch in dieser Hinsicht gewährt eine langfristige und vergleichende Aufstellung wichtige Erkenntnisse. So zeigt Tabelle A–6, dass die Gehälter in allen drei Tätigkeitsbereichen, die eine besondere Fach- bzw. Hochschulausbildung voraussetzten, im Verhältnis zum Lohn der Industriearbeiter (= 100) in den Nachkriegsjahrzehnten deutlich schrumpften. Vergleichsweise glimpflich kam dabei noch die Wissenschaft davon; der Index der Verdienste ihrer Beschäftigten sank nur von 145.1940 auf 97.1980 und stieg unter Brežnevs Nachfolgern sogar noch einmal auf 114 an. Ärzte, Sanitäter, Krankenhauspersonal und andere Berufsgruppen der medizinischen Betreuung der Bevölkerung verdienten von Anfang an schlecht; dennoch mussten sie weitere relative Einbußen von 79.1940 auf 68.1980 und 63.1990 hinnehmen. Den steilsten Abstieg aber erlebten die Lehrer und sonstigen «Kultur»-Angestellten. Zollte ihnen Stalin auch materiell Anerkennung als einer unentbehrlichen Funktionsgruppe für die Vermittlung grundlegender Qualifikationen, so verloren ihre Fähigkeiten in der Nachkriegszeit, als die Elementarbildung zum Gemeingut wurde, an Besonderheit. Spezialkenntnisse von der Art, wie man sie nunmehr brauchte, vermittelten wissenschaftliche Institute und Universitäten, nicht mehr allgemeine Schulen. Demgemäß sank die Entlohnung im Bildungssektor von 102.1940 auf 73.1980 und 64.1990. Sicher wird man einen Zusammenhang zwischen diesem relativen Einkommensverlust und einer weiteren Zunahme des von Anfang an hohen Anteils von – deutlich schlechter bezahlten – Frauen unterstellen dürfen. In der «Volksbildung» und «Kultur» erhöhte sich die Frauenquote von 59 % 1940 auf 73 % 1971, im Medizinalwesen im gleichen Zeitraum von 76 % auf 85 % und in der Wissenschaft von 42 % auf 48 %. Im Übrigen erlebten auch die Ingenieure und Techniker, die vom institutionellen Niveau her eine gleichartige Ausbildung mitbrachten wie Lehrer, einen Sturz aus den obersten Rängen der vielfach gestuften Lohnskala. Zugleich bleibt der Tatbestand bezeichnend, dass sie eine mittlere Position oberhalb der Industriearbeiter behaupteten (215.1940, 115.1980, 116.1990). Dies bestätigt einmal mehr die Beobachtung, dass technische Qualifikation in Verbindung mit administrativem Geschick im Sowjetsystem die Funktion einer vielfältig verwendbaren Grundkompetenz übernahm, die in den meisten demokratisch-marktwirtschaftlichen Ordnungen der juristischen zukommt. Die Erklärung dafür liegt auf der Hand: Wo der Rechtsstaat fehlte und die wirtschaftliche Bilanz zum entscheidenden (wenn auch nicht einzigen) Maßstab für den politischen Erfolg wurde, bestand wenig Nachfrage nach Rechtsexperten, aber großer Bedarf an Ingenieuren.[30]