PROLOG

Alle starrten ihn an.

Er konnte die Blicke auf seinem Rücken spüren, während er an der Reling der Fähre stand, die Beine leicht gespreizt, um den Wellengang abzufedern. Er schaute zu der Küstenlinie hinüber, die langsam größer wurde.

Das Geraune und die argwöhnischen Blicke verfolgten ihn, seit er mit seinem Motorrad auf die Fähre gefahren war, von der Sekunde an, als er den Helm abnahm und sie sein Gesicht sehen konnten.

Unter den Passagieren befanden sich auch mehrere Touristen, die ein paar Urlaubstage in der wilden Natur und der rauen Landschaft der schottischen Insel Glenmore verbringen wollten, aber die meisten waren Einheimische.

Und die Einheimischen wussten, wer er war. Selbst nach zwölf Jahren Abwesenheit hatten sie ihn gleich wiedererkannt – so wie er sich an jeden von ihnen erinnerte.

Ihre Gesichter hatte er in seinem Unterbewusstsein gespeichert, die wie Narben auf seiner Seele lagen.

Vielleicht hätte er sie begrüßen sollen. Die Inselbewohner waren gesellige Menschen. Ein Lächeln oder ein „Hallo“ hätte vielleicht der erste Schritt einer Annäherung sein können. Aber sein Mund war zu einem Strich zusammengepresst, und seine Augen strahlten eine eisige Kälte aus.

Das war der Kern des Problems. Nachdenklich musterte er die schroffen Felsen, die die Küstenlinie der Insel seit Jahrtausenden umrahmten. Er war ein Einzelgänger, und es kümmerte ihn nicht, was sie über ihn dachten. Die Meinung der anderen hatte ihn nie interessiert. Und er hatte sich nie zu ihnen zugehörig gefühlt, obwohl er auf der Insel geboren war, die ihm in den ersten achtzehn Jahren seines Lebens wie ein Gefängnis vorkam.

Nun fielen vereinzelt schwere Regentropfen vom bleigrauen Himmel und trieben die Passagiere unter Deck. Er aber blieb an der Reling stehen, während er auf die Felsenküste starrte, die im Regen nur noch verschwommen zu sehen war. Die Insel hatte in ihrer Geschichte grausame Zeiten erlebt, als die Wikinger sie eroberten und eine Schreckensherrschaft errichteten.

Die Bewohner der Insel glaubten, dass Glenmore eine Seele habe, eine Persönlichkeit. Sie waren davon überzeugt, dass die ständig wechselnde Witterung dort Ausdruck ihrer Stimmungsschwankungen sei.

Mit einem zynischen Lächeln sah er zum Himmel empor. Wenn an der Meinung der Inselbewohner etwas dran war, dann hatte der Felsbrocken heute ausgesprochen schlechte Laune.

Als die Fähre sich der Hafenbucht näherte, drängten sich ihm die Erinnerungen an seine Jugend auf. Erinnerungen an wilde Jugendjahre, an Zorn und Trotz. Seine Vergangenheit war eine endlose Kette von missachteten Vorschriften, bewussten Grenzverletzungen, ausgelebten Untugenden und zu vielen verführten Mädchen. Und das alles hatte eine Atmosphäre öffentlicher Missbilligung geschaffen, die immer feindseliger geworden war.

Bitter lachte er auf, als er an die bedrückende Situation in seinem Elternhaus dachte. Sein Vater war nicht einmal in der Lage gewesen, mit sich selbst fertig zu werden. Um den Sohn hatte er sich nicht gekümmert. Als die Mutter schließlich ohne Abschied wegging, war der Sohn so selten wie möglich nach Hause gekommen.

Während die Fähre anlegte, war aus dem Regen ein Wolkenbruch geworden. Er klappte den Kragen seiner Lederjacke hoch und ging zu seinem Motorrad hinüber. Er hätte den Helm aufsetzen und so den feindseligen Blicken entgehen können. Aber stattdessen drehte er sich zu den gaffenden Leuten um, als wollte er ihnen Gelegenheit geben, sich noch einmal sein Gesicht einzuprägen. Ja, er wollte, dass sie ganz genau wussten – er war wieder da!

Mit einer geschmeidigen Bewegung schwang er seinen durchtrainierten, athletischen Körper auf das Motorrad. Einen Moment lang traf sich sein Blick mit dem des Skippers. Er wusste genau, was der alte Jim in diesem Augenblick dachte – dass der Ärger an diesem Morgen auf die Insel zurückgekehrt war. Die Nachricht würde sich in Windeseile verbreiten. Wie zur Bestätigung schnappte er ein paar Fetzen der Unterhaltung der Leute auf. Arrogant, wild, unmöglich, genau wie früher. Aber er sieht verdammt gut aus …

Er lächelte, als er den Helm auf den Kopf drückte. Zum Glück gab es eine Menge Frauen, die arrogante, wilde, unmögliche und gut aussehende Männer mochten.

Er wusste, was als Nächstes geschehen würde. Die Neuigkeit von seiner Ankunft würde schnell die Runde machen. Noch bevor dieser Tag vorbei war, würde jeder Bewohner der Insel wissen, dass Conner MacNeil mit der Morgenfähre angekommen war.

Der „böse Junge“ war wieder zurück.