Aber ein Wunder war nicht in Sicht, auch nicht in den folgenden Tagen.
Einige wenige Inselbewohner und ein paar Touristen kamen zu ihm, aber die meisten lehnten ihn nach wie vor ab.
„Es ist lächerlich“, meinte Flora resigniert zu Evanna am Ende von Conners erster Woche auf Glenmore. Es war Samstag. Sie saßen am Strand, erfreuten sich an dem Sonnenschein und sahen zu, wie Kirsty im Sand spielte. „Manche Patienten sagen Janet, es sei dringend, aber dann warten sie lieber auf einen Termin bei Logan, statt zu Conner zu gehen.“ Sie seufzte. „Ich frage mich, was so dringend ist, wenn sie lieber noch ein paar Tage warten?“
„Conner war früher ziemlich aufsässig, da gibt es nichts zu beschönigen“, erwiderte Evanna. „Es braucht einfach Zeit, die Leute zu überzeugen, dass er sich geändert hat.“
„Wie viel Zeit wird bis dahin vergehen? Glenmore braucht einen zweiten Arzt. Logan kann die ganze Arbeit nicht mehr lange allein bewältigen. Dein Baby kommt in ein paar Wochen. Wenn das in der Praxis so weitergeht, wird sich Logan nicht um dich kümmern können.“
Evanna seufzte. „Ich weiß. Früher hat er sich immer bemüht, zu Hause zu sein, um Kirsty gute Nacht zu sagen. Jetzt bin ich schon froh, wenn er kommt, bevor ich eingeschlafen bin.“
„Ich nehme an, die Blutuntersuchung bei dir war in Ordnung?“
„Ja, ich war bereits immun gegen Windpocken. So hat Logan wenigstens ein Problem weniger.“
Flora dachte immer noch über Conner nach. „Er ist wirklich ein erstklassiger, erfahrener Arzt. Du hättest sehen sollen, wie präzise er bei Harry Greggs Diagnose war. Mrs. Ellis hat er auch sofort geholfen. Er hatte ihr Thyroxine verschrieben. Es hat hervorragend gewirkt. Warum begreifen die Menschen hier nicht, was sie an ihm haben?“
„Weil sie immer noch den rebellischen Jungen von früher in ihm sehen und nicht den Mann. Sie trauen ihm einfach nicht.“ Evanna zögerte. „Finn Sullivan hat sich vor zwei Tagen sogar geweigert, ihm ein Segelboot zu vermieten.“
Entsetzt starrte Flora sie an. „Im Ernst?“
„Ja. Aber es gibt auch positive Ereignisse. Gestern habe ich beobachtet, wie Conner mit den Jungs am Strand Fußball gespielt hat. Sie halten ihn für unheimlich cool. Und ein paar jüngere Frauen sind bei ihm gewesen, aber ich glaube nicht, dass ihm das gefallen hat.“
Flora nickte. „Ganz bestimmt nicht. Anschließend kam er zu Janet und knurrte: ‚Ich bin doch kein verdammter Gynäkologe.‘ Janet versuchte ihm klarzumachen, dass er sich auch mit Frauenproblemen beschäftigen muss, weil es auf Glenmore keinen Frauenarzt gibt.“
„Und was hat Conner darauf erwidert?“
„Keine Ahnung, weil er geflüstert hat. Aber Janet wurde puterrot.“
Evanna lachte auf. „Logan hat gesagt, er muss sich daran gewöhnen, wenn Gynäkologie auch nicht das ist, was er bei der Army gelernt hat. Wir haben beschlossen, ihn bei seiner Eingewöhnung zu unterstützen. Er kommt heute zum Mittagessen zu uns.“
Floras Herz begann heftig zu schlagen. „Er kommt zum Mittagessen? Ich dachte, es wären nur Familienmitglieder da, Logan, Meg, ich und einige andere.“
„Conner gehört zur Familie. Ich dachte, es sei an der Zeit, ein paar Leute daran zu erinnern.“
Conners Schritte hallten auf dem Holzboden wider. Als er sich umschaute, stürmten die Erinnerungen auf ihn ein. Das Haus roch muffig, aber das war nicht überraschend, weil es mehrere Jahre lang verschlossen gewesen war und weder Licht noch Luft hereingekommen waren.
Er hatte das Haus immer gehasst. Und daran hatte sich nichts geändert. Es war, als hätten die Wände die Wut und die Verbitterung gespeichert, die er als Junge hier empfunden hatte.
Er versuchte sich an Positives zu erinnern, aber es fiel ihm nichts ein. Er fluchte leise, ging wieder hinaus in den Sonnenschein und sog die frische Luft in seine Lungen.
Es war ein Fehler gewesen, hierher zu kommen. Er hätte einfach einem Makler den Auftrag geben sollen, das Haus so schnell wie möglich zu verkaufen.
Regungslos verharrte Conner einen Moment lang und starrte auf das Meer hinaus. Plötzlich hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein.
Als er sich umdrehte, sah er Flora, die nur ein paar Meter von ihm entfernt stand. Der Wind spielte in ihren braunen Locken und blies sie ihr ins Gesicht.
„Entschuldige, dass ich dich störe“, sagte sie leise. Sie schien unentschlossen, ob sie bleiben oder weglaufen wollte.
Conner war nicht nach Gesellschaft zumute. „Was willst du hier?“, fragte er ziemlich unfreundlich.
Betreten schaute Flora zu Boden. „Du warst bei Evanna und Logan zum Mittagessen eingeladen, bist aber nicht gekommen und hast auch nicht abgesagt.“
„Ich weiß. Ich wollte allein sein.“
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.“
„Wieso?“ Wann hatte sich schon jemand um ihn gesorgt?
„Ich finde, dass die Bewohner von Glenmore sich dir gegenüber wirklich schlimm verhalten“, stieß sie hervor. „Es ist schrecklich. Ich hatte angenommen, sie würden dich irgendwann akzeptieren.“
„Das ist unwichtig.“
„Nein, das ist es nicht. Evanna hat mir erzählt, dass Finn dir kein Boot vermieten wollte.“
Als er nicht antwortete, hakte sie nach. „Kümmert dich das überhaupt nicht?“
Conner fühlte, wie das Blut in seinen Schläfen pochte. „Warum bist du wirklich hier?“
„Als du nicht zum Lunch erschienen bist, habe ich gedacht, ich bringe dir etwas zum Essen her.“
Erst jetzt bemerkte er den Korb, den sie neben sich gestellt hatte. Er warf einen Blick hinein und sah eine Schale mit Erdbeeren und eine Schüssel mit Stücken eines gebratenen Hähnchens.
Ein richtiges Picknick! Die Vorstellung stand dermaßen im Widerspruch zu seinem augenblicklichen Gemütszustand, dass er fühlte, wie Ärger in ihm hochstieg.
„Es ist hübsch hier“, meinte Flora. „Das Haus hat sogar einen Privatstrand.“
„Wenn du noch ein bisschen Verstand hast, dann verschwindest du jetzt.“
Sie sah ihn mit großen, unschuldigen Augen an. „Bist du böse auf mich?“
Es war etwas an ihr, das seinen Ärger sofort besänftigte. „Ich war schon sauer, bevor du kamst. Ich weiß, du meinst es gut, aber ich brauche bei meinem Erinnerungstrip niemanden, der mir die Hand hält. Wie hast du überhaupt gewusst, wo ich bin?“
„Zuerst habe ich im Gartenhaus nachgeschaut, aber dort warst du nicht.“ Sie fasste nach einer Haarsträhne, die der Wind ihr ins Gesicht geblasen hatte, und schob sie zurück. „Dann sagte unsere Nachbarin, Mrs. North, die in ihrem Garten Beeren pflückte, sie habe dich in diese Richtung gehen sehen.“
Conners Miene wurde noch düsterer. „Jetzt weiß ich, warum sie auf Glenmore keine Überwachungskameras brauchen. An jeder Ecke steht jemand, der aufpasst, was die anderen machen.“
„Ich hätte tatsächlich nicht kommen sollen. Tut mir leid.“ Flora bückte sich nach dem Korb, ging einen Schritt auf ihn zu und stellte ihn vor seine Füße. „Evanna ist eine erstklassige Köchin. Das Hähnchen ist wirklich köstlich. Wenn du jetzt keinen Hunger hast, kannst du es ja später essen.“
Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und ging weg. Der lange Rock wehte um ihre Beine und betonte den graziösen Schwung ihrer Hüften.
Sie hatte nur nett zu ihm sein wollen. Und er hatte sie zurückgestoßen.
Conner sah ihr nach, dann blickte er auf den Korb hinunter und fluchte. Der Tag verlief anders, als er es sich vorgestellt hatte. Grimmig schaute er hinter der schmalen Gestalt her.
Er hatte sie beleidigt. Aber das war ihm egal, denn schließlich hatte er sie nicht eingeladen.
Er fühlte sich hin- und hergerissen. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, schloss ihn aber gleich wieder. Dann aber rief er doch hinter ihr her: „Magst du eigentlich Erdbeeren?“
Erstaunt drehte sie sich um. „Ja, ich liebe Erdbeeren.“
Sie war zwar stehen geblieben, aber bewegte sich nicht. Selbst auf die Entfernung spürte er ihre Wachsamkeit und Vorsicht.
„Gut. In dem Korb ist eine große Schüssel Erdbeeren. Und ich mag sie nicht besonders.“ Erwartungsvoll blickte er zu ihr hinüber.
„Dann iss nur das Hähnchen“, meinte sie.
Sie bewegte sich immer noch nicht. Also nahm er den Korb vom Boden hoch und schlenderte zu ihr. Als er sie erreichte, fiel ihm auf, dass sie verändert aussah. „Du trägst ja deine Brille nicht.“
„Kontaktlinsen. Die Brille trage ich nur bei der Arbeit.“ Sie schaute in den Korb. „Ich kann die Erdbeeren wieder mitnehmen, wenn du willst.“
„Oder du kannst dich neben mich setzen und sie essen.“
„Ich dachte, dir liegt nichts an Gesellschaft.“
„Wenn die Erdbeeren nicht gegessen werden, würde Evanna beleidigt sein.“
Ein Lächeln stahl sich in ihre Mundwinkel. „Ich dachte, es kümmert dich nicht, was andere denken.“
„Tut es auch nicht. Aber wenn Evanna sauer auf mich ist, verpasst mir Logan ein blaues Auge. Und dann werden die verehrten Inselbewohner annehmen, ich hätte jemand verführen wollen und wäre erwischt worden.“
Flora lachte. „Du bist ja immer noch ganz wild auf Ärger.“
„Eine schlechte Angewohnheit.“
Sie wurde wieder ernst. „Ich hätte nicht herkommen sollen. Es ist dir unangenehm. Du magst einfach nicht über dich reden.“
„Sagen wir mal so – es würde dir nicht gefallen, wenn ich zu reden anfinge.“
„So leicht bin ich nicht zu schockieren.“
„Wenn du dich da nicht mal irrst.“ Er dachte daran, was er in seinem Leben schon alles angestellt hatte. Er schaute in ihre sanften Augen und auf ihren weichen Mund und fragte sich, warum er sie aufgehalten hatte. „Ich bin nicht der Typ Mann, der Erdbeeren mit Mädchen in geblümten Blusen isst.“
„Was hat meine Bluse mit alldem zu tun? Ich frage mich, warum du es immer darauf anlegst, die Leute zurückzustoßen.“
„Das brauche ich gar nicht. Sie laufen von ganz allein fort.“
„Mit diesen Schuhen kann ich schlecht weglaufen.“
„Dann setz dich zu mir und iss mit mir diesen Picknickkorb leer.“
„Wo wollen wir uns hinsetzen?“ Sie schaute zum Haus hinüber.
„Auf keinen Fall“, antwortete er entschieden, bevor er ihre Hand nahm, den Korb hochhob und sie einen schmalen Pfad zum Strand hinunterführte.
Als sie dort angekommen waren, zog sie die Schuhe aus und lief barfuß über den Sand.
„Es ist schön hier und windgeschützt.“
„Warst du noch nie hier?“
„Nein.“
„Gibt es dafür einen Grund?“
„Ehrlich gesagt …“ Sie zögerte. „Dieser Strandabschnitt gehört zu eurem Besitz. Und wir hatten Angst vor deinem Vater, sogar Kyla.“
Bitter lachte Conner auf. „Ja, ein besonders liebenswerter Mann, mein Vater.“ Er setzte sich in den Sand und sah sie stirnrunzelnd an. „Hast du etwas mitgebracht, worauf du dich setzen kannst?“
Sie ließ sich neben ihm nieder. „Das geht auch so.“ Sie kramte in dem Korb. „Serviette?“
„Selbstverständlich, sonst fällt mir noch was auf meinen Smoking.“
Sie lachte und reichte ihm die Schüssel mit den Hähnchenstücken. „Probier mal einen Happen. So was Gutes hast du lange nicht gegessen, ob im Smoking oder in Lederhose. Ich habe übrigens heute Morgen im Supermarkt Mrs. Gregg getroffen. Sie sagte, dass es Harry schon viel besser geht.“
„Ja, er war gestern bei mir in der Sprechstunde. Zum Glück habe ich ja für meine wenigen Patienten eine Menge Zeit.“ Er biss in einen Hähnchenschenkel. „Hm, das schmeckt wirklich vorzüglich.“
„Ich habe ein eigenes Boot, wenn du mal segeln willst.“
Conner zog die Augenbrauen hoch. „Ist das ein Annäherungsversuch?“
Flora errötete. „Natürlich nicht.“
„Aber du bietest an, mir dein Boot zu leihen?“
„Ja.“ Sie suchte in dem Korb und holte ein paar köstliche Scheiben Landbrot heraus. „Wir könnten auch mal gemeinsam segeln. Das macht mehr Spaß, als ganz allein an Bord zu sein.“
„Ich wusste gar nicht, dass du segelst.“
„Vermutlich weißt du sehr wenig über mich“, erwiderte sie ruhig. Erstaunt schaute Conner sie an.
„Was würden die Einheimischen von dir denken, wenn du ganz allein mit dem bösen Conner auf Segeltour gingst?“
„Wir sollten versuchen, nicht in Schwierigkeiten zu geraten, denn ich bin mir nicht sicher, ob die Leute vom Rettungsdienst uns aus dem Wasser ziehen würden.“
„Da könntest du recht haben. Dich würden sie herausfischen – und mich im Wasser lassen.“
„Wie gesagt, wir sollten Schwierigkeiten besser vermeiden. Wie wäre es mit einem Becher Limonade?“
„Limonade? Ist das dein Ernst?“
„Evanna hat sie selbst gemacht.“ Sie goss sich ein und nahm einen Schluck. „Wirklich erfrischend.“
Vorsichtig nahm er den Becher, den sie ihm reichte. „Wenn du meinst.“
„Du ziehst bestimmt Bier vor.“
„Ich trinke nie Alkohol.“
Sie warf ihm einen überraschten Blick zu. „Wegen deines Vaters?“, fragte sie leise. Es war nicht nötig, dass er antwortete.
Schweigend beendeten sie das Picknick. Dann packte Flora alles wieder in den Korb. „Es herrscht der richtige Wind zum Segeln. Ich finde immer, der Wind auf See macht den Kopf klar“, sagte sie.
„Flora …“
„Schwindle mir nicht vor, du wolltest gar nicht segeln. Ich weiß, wie sehr du dich bemüht hast, ein Boot von Finn zu leihen. Jetzt biete ich dir mein Boot an – für dich allein oder mit mir als Crew.“
Er sah auf das Meer hinaus. „Ich wollte heute Nachmittag eigentlich das Haus aufräumen.“
„Das ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann“, erwiderte sie mitfühlend. „Als mein Vater starb, habe ich es sechs Monate lang nicht fertiggebracht, das Haus überhaupt zu betreten. Ich konnte selbst die positiven Erinnerungen nicht ertragen. Möchtest du nicht doch darüber reden?“
„Ich weiß nicht, was ich sagen sollte. Ich war zwölf Jahre nicht hier. Aber nicht mal diese Zeit scheint lang genug.“ Conner nahm einen Schluck aus seinem Becher und schüttelte sich. „Mein Gott, ist das sauer.“
Flora lachte. „Logan tut immer Zucker hinein.“
Conner verzog das Gesicht und schüttete den Inhalt des Bechers in den Sand. „Wo liegt dein Boot?“
„South Quay.“
Er warf ihr einen skeptischen Blick zu. „Also vor aller Augen …“
„Richtig.“ Sie erhob sich und schüttelte den Sand von ihrem Rock. „Wir müssen kurz bei mir zu Hause vorbei, ich möchte mich umziehen. Aber das dauert nur eine Minute.“
„Du willst wirklich mit mir segeln? Ich dachte, du magst es nicht, im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu stehen.“
„Ich bin nicht interessant für die Leute … sondern du.“
Sie will allen zeigen, dass sie solidarisch mit mir ist, dachte Conner. Er überlegte, ob er nicht besser auf den Segeltörn verzichten sollte, aber als ein Windstoß die Wellen an den Strand schlagen ließ, vergaß er, was er gerade hatte sagen wollen. „Es ist wirklich ein ideales Wetter zum Segeln.“
„Worauf warten wir noch?“ Flora ging bereits zu dem Dünenpfad hinüber. „Kommst du, Dr. MacNeil?“
Sie hatte lange nicht so viel Spaß gehabt. Der Wind blies mit fünf Knoten. Und Conner erwies sich als begnadeter Segler. Er hatte ein angeborenes Gefühl für den Wind und die Bewegungen des Wassers. Und Nerven aus Stahl. Obwohl er einige gewagte Manöver durchführte, hatte Flora nie das Gefühl, sie könnte im Wasser landen.
Als wieder einmal das Wasser über die Bordwand spritzte und sie durchnässte, lachte sie vor Freude laut auf. „Wo hast du so gut segeln gelernt?“
„Selbst beigebracht. Zwei Boote habe ich dabei versenkt. Vielleicht hatte Finn davon gehört und wollte mir deshalb keins leihen. Ich liebe es, auf dem Wasser zu sein.“ Er zog das Hauptsegel straff und drehte das Boot in den Wind. „Aufgepasst“, rief er Flora zu. Sie ließ das Vorsegel los und duckte sich, als der Klüver herumschwang. Der Wind blähte die Segel, und das Boot kam schnell herum und nahm sofort Fahrt auf. Die Sonne glitzerte auf dem schäumenden Kielwasser.
Über eine Stunde verging, bevor Conner das Boot zum Hafen zurücksteuerte. Flora bedauerte zutiefst, dass das Abenteuer schon vorbei war.
„Hast du jemals überlegt, einfach davonzusegeln und nicht zurückzuschauen?“
„Jedes Mal.“ Nachdenklich blickte er sie an. „Und du?“
„Oh, ja, sehr oft.“ Sehnsüchtig schaute sie zum Himmel hinauf. „Ich liebe es, auf dem Boot zu sein. Hier ist alles so klar und unkompliziert. Keine Leute, keine Probleme.“
„Du überraschst mich immer wieder, Flora Harris.“ Conner lachte. „Ich hätte nie vermutet, dass du Seemannsbeine hast.“
„Das Boot habe ich von dem Geld gekauft, das Dad mir hinterlassen hat. Er hat mir auch das Segeln beigebracht. Ich glaube, Dad wusste, dass Segeln mir gefallen würde – die Freiheit und das Gefühl, auf sich allein gestellt zu sein.“ Sie schloss die Augen und wandte ihr Gesicht der Sonne zu. „Wenn ich mit Leuten zusammen bin, fühle ich mich angespannt und unbehaglich.“
„Du bist immer noch ziemlich schüchtern, stimmt’s?“
Sie öffnete die Augen. „Das stimmt. Aber ich habe gelernt, damit umzugehen. Das ist ein Vorteil, wenn man erwachsen wird – man lernt, mit Situationen fertig zu werden, die einen als Kind erschreckt hätten.“
„War das so schlimm bei dir?“
„Leider.“ Ihre ehrliche Antwort berührte ihn.
„Das war mir damals gar nicht bewusst, ich dachte, du wärst ein Bücherwurm.“
„Wenn ich mich in ein Buch vertiefte, störte mich wenigstens keiner. Ich wollte immer möglichst in Ruhe gelassen werden.“
„Warum bist du nach Glenmore zurückgekommen? Logan sagte, du hättest vorher in Edinburgh gearbeitet. Dort konntest du doch sicher ungestörter leben.“
„Ich fühlte mich ziemlich allein und vermisste die Umgebung hier und vor allem das Segeln.“
Der Hafen tauchte vor ihnen auf. Conner befestigte die Segel und den Klüver und steuerte das Boot geschickt an seinen Liegeplatz.
„Ein wunderschönes Boot“, sagte Conner und streichelte den Mast.
Flora spürte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Würde er sie doch nur so streicheln …
Conner sprang auf die Pier und befestigte das Boot. Flora begann, die Segel einzuholen. Sie wäre gern noch länger auf dem Wasser geblieben. Jetzt, da sie wieder an Land waren, wurde ihr bewusst, dass sie mit Conner MacNeil zusammen war und alle Einheimischen sie beobachteten.
Conner schien von solchen Gefühlen völlig unberührt. „Ich wundere mich, dass dein Vater dir zu einem Freizeitsport geraten hat, der nicht ganz ungefährlich ist. Ich hatte immer den Eindruck, er würde dich unter Verschluss halten. Er war sehr streng.“
„Er wollte mich beschützen.“ Flora sprang von dem Boot an Land. Weil ihr warm geworden war, nahm sie ihre Kappe ab. Die braunen Locken fielen über ihre Schultern. „Meine Mutter starb, als ich noch klein war. Ich nehme an, die Vorstellung, mir könnte etwas zustoßen, war für ihn ein Horror. Er war immer nervös und ungeduldig, wenn ich mal nicht zu Hause war.“
„Ich kann mich nicht entsinnen, dass du jemals ausgegangen bist. Meine Erinnerung an dich ist immer mit einem Buch verbunden.“
Flora lachte. „Das war mein Fehler. Ich war extrem schüchtern. Und ein Buch hielt andere Leute davon ab, mit mir zu reden.“
„Und warum bist du mir gegenüber jetzt nicht schüchtern?“
Sie stutzte und sah ihn an. Er hat recht, dachte sie. „Ich bin nie schüchtern, wenn ich segele.“
Aber sie wusste, es lag nicht am Segeln, dass sie sich weder schüchtern noch gehemmt fühlte, sondern an dem Mann.
Sie fühlte sich wohl in Conners Nähe.
Flora warf einen Blick über den Hafen und den angrenzenden Strand, auf dem sich die Touristen tummelten. „Kann ich dich noch auf einen Kaffee einladen?“
Conner schüttete den Kopf. „Ich glaube, für heute habe ich die Bewohner von Glenmore genug in Aufruhr versetzt. Mir geht es wie dir – das Boot ist mir lieber als Small Talk mit den Leuten.“
Wie ähnlich wir uns sind, dachte Flora.
„Aber du bist nach Glenmore zurückgekommen. Warum?“
„Es war an der Zeit“, antwortete er achselzuckend.
Aber er würde nicht lange bleiben, wie Flora wusste.
Plötzlich verspürte sie den Wunsch, ihn erneut auf das Boot zu ziehen und mit ihm loszusegeln. Auf dem Wasser hatte sie den Menschen hinter der Fassade des „bösen Jungen“ erkennen können. Er war entspannt und gut gelaunt gewesen. Jetzt, da sie wieder an Land waren, hatten seine eisblauen Augen erneut ihren kalten Blick angenommen, und sein Mund verzog sich sarkastisch, als er die abweisenden Gesichter der Einheimischen registrierte.
Am anderen Ende des Kais schien es Aufregung zu geben. Angespannt blickte Flora hinüber. Sie wunderte sich, warum die Fähre noch nicht abgelegt hatte, während sie auf ihre Uhr schaute. Es war zehn Minuten nach vier. „Was mag da los sein? Der alte Jim ist sonst immer superpünktlich. Er hätte um Punkt sechzehn Uhr losfahren sollen.“
„Heute scheint er sich mal zu verspäten.“
„Warum haben sich dort so viele Leute versammelt und starren zur Fähre hinüber?“ Flora fühlte sich beunruhigt. „Da muss etwas passiert sein. Bestimmt ist jemand ins Wasser gefallen.“
Plötzlich fing eine Frau an, hysterisch zu schreien. Flora wurde blass. „Das ist Jayne Parsons, sie arbeitet bei unserem Zahnarzt. Es muss was mit Lily passiert sein, ihrer Tochter.“
Flora rannte los und drängte sich durch die gaffenden Touristen. Und dann sah sie, worauf die Leute so entsetzt starrten. Blut war auf der Wasseroberfläche zu sehen. Erschrocken hielt Flora den Atem an, bevor sie mit zitternder Hand ihr Handy aus der Handtasche nahm und die Nummer der Küstenwache und der Rettungszentrale wählte. Dann fasste sie Jayne an der Schulter, die dabei war, sich ebenfalls ins Wasser zu stürzen. „Jayne, tu das nicht. Geht es um Lily?“
„Sie ist ins Wasser gefallen. Eben aß sie noch ihr Eis, dann rutschte sie ab und fiel zwischen die Fähre und die Kaimauer.“
Ein Einheimischer sprach Flora an. „Die Fähre wollte gerade losfahren. Ich fürchte, die Schiffsschraube hat das Mädchen …“ Beim Anblick von Jaynes panischem Gesicht schwieg er.
Jayne begann erneut zu schreien. Ihre Stimme klang schrill und schnitt durch die sonnige Nachmittagsluft, sodass alle Umstehenden verstummten. Dann versuchte sie wieder, ins Wasser zu springen, aber Flora hielt sie zurück. Jayne war stärker, und Flora wusste, sie würde sie nicht lange aufhalten können. Zum Glück kamen ihr zwei Fischer zu Hilfe und hielten Jayne fest.
Sie zogen die weinende und sich heftig wehrende Mutter zur Seite. Flora spürte, wie sich jemand schnell an ihr vorbeibewegte. Es war Conner, der mit einem Kopfsprung im Wasser verschwand.
Flora ging zu Jayne und nahm ihre Hand, um sie zu beruhigen. „Conner wird sie finden und herausholen.“
„Conner?“ Jayne zitterte so sehr, dass die beiden Fischer sie stützen mussten. Plötzlich wurde ihr bewusst, wer ihre Tochter retten wollte. „Conner MacNeil?“
„Er ist ins Wasser gesprungen“, erwiderte Flora schnell.
„Conner?“, fragte Jayne ungläubig. „Er hat doch noch nie jemandem geholfen. Er wird Lily ertrinken lassen.“ Jayne entwickelte übermenschliche Kräfte, riss sich los und lief zur Kaimauer.
Die beiden Fischer kamen ihr nach und versuchten sie zurückzuhalten, obwohl sie sich wand und strampelte. Flora umarmte Jayne, um ihr Trost zu spenden. „Es hilft Lily überhaupt nicht, wenn du auch ins Wasser springst. Vertraue auf Conner.“
„Wer würde diesem Kerl schon vertrauen?“
„Ich zum Beispiel“, sagte Flora. „Ich würde ihm mein Leben anvertrauen.“
„Dann bist du nicht mehr ganz bei Sinnen“, meinte Jayne schluchzend. „Wie die meisten Frauen, die in seine Nähe kommen.“
Laute Rufe der Leute, die auf dem Quai standen und ins Wasser starrten, ließen Flora herumfahren. Conners Kopf tauchte über der Wasseroberfläche auf, während er das bewusstlose Mädchen auf dem Arm hielt. Er schnappte nach Luft und schwamm mit einer Hand zu einer Treppe aus groben Steinblöcken, mit der anderen Hand presste er Lily an seine Brust.
Lily bewegte sich nicht, ihr Gesicht und ihr Kleid waren mit Blut verschmiert.
Jayne klammerte sich an Floras Arm und begann zu wimmern.
„Komm her“, rief Conner Flora zu. „Jemand anderes soll sich um die Mutter kümmern. Du musst mir helfen. Gib mir ein Handtuch oder etwas Ähnliches, damit ich das Blut abwischen kann. Sonst kann ich nicht feststellen, was ihr fehlt.“
Ein Handtuch?
Schnell schaute sich Flora um und entdeckte zwei Touristen, die offenbar gerade vom Strand kamen und ihre Badetaschen dabeihatten. „Geben Sie mir ein Handtuch“, drängte Flora, wartete die Antwort gar nicht ab, sondern zog ein Badetuch aus der Tasche und lief zu Conner. Dort kniete sie sich neben das Mädchen.
Lily lag ganz still, wie eine Puppe. Aus einer tiefen Wunde an ihrem Bein sprudelte das Blut. „Eine Arterie ist verletzt. Sie muss auf die Schiffsschraube gefallen sein.“ Er presste seinen Finger fest auf die Ader über der Schnittwunde, um die Blutung zu stoppen.
„Sie atmet nicht mehr!“ Flora spürte, wie Panik in ihr aufstieg.
Ohne Conners rasche und eindeutige Befehle hätte sie nicht gewusst, was sie machen sollte.
„Hier, drücke deinen Finger fest auf diese Stelle. Ich muss sofort mit künstlicher Beatmung beginnen.“
Einen Moment lang war Flora nicht fähig, sich zu bewegen. „Reiß dich zusammen.“ Conners scharfer Ton brachte sie zur Besinnung. „Wir dürfen keine Sekunde Zeit verlieren. Und du bist die Einzige hier, die mir helfen kann.“
Flora fühlte sich elend. Noch nie hatte sie so viel Blut gesehen. „Sag mir, was ich tun soll“, bat sie Connor.
„Hier fest drücken. So ist es gut.“ Er nahm ihre Hand und schob ihren Finger an die richtige Stelle. Dann begann er mit der künstlichen Beatmung. Eine Hand schob er vorsichtig unter Lilys Kopf, mit der anderen hob er ihr Kinn an. Dann legte er seinen Mund auf die Lippen der Kleinen und blies ihr vorsichtig seinen Atem in die Lunge. Erleichtert bemerkte er, wie sich ein paar Sekunden später die Brust des Mädchens hob und senkte.
„Flora, ich brauche eine Kompresse, um die Blutung zu stoppen.“
Wo sollte sie die hernehmen?
Sie wandte sich an einen Touristen, der neben ihr stand. „Geben Sie mir eine Krawatte oder sonst etwas, das ich um die Wunde binden kann.“
Der Mann warf ihr einen verständnislosen Blick zu, aber seine Frau reagierte schnell. Sie lief zu einem Geschäftsmann, der offensichtlich auf die Abfahrt der Fähre gewartet hatte, und brachte ihn gestikulierend dazu, seine Krawatte abzubinden. Dann lief sie zu Flora hinüber, die noch nicht gewagt hatte, den Druck ihres Fingers zu vermindern.
„Wenn ich die Krawatte um das Bein wickele, fängt die Wunde wieder an zu bluten“, sagte sie leise zu Conner. „Wo soll ich die Krawatte festmachen?“, fuhr sie hilflos fort. „Ich kenne mich mit Unfallverletzungen nicht aus.“
„Knote die Krawatte über der Wunde um das Bein, aber so, dass sie noch Luft hat. Du brauchst dann einen Stock oder etwas Ähnliches, den steckst du unter die Schlinge und drehst den Knoten so fest zu, bis die Blutung aufhört.“
Flora folgte Conners Anweisungen und befestigte die Krawatte am Bein. Sie versuchte, mit dem Finger den Knoten festzuziehen. „Es funktioniert nicht. Sie blutet immer noch stark.“
„Du musst einen Stock oder etwa anderes nehmen und die Schlinge viel fester zuziehen.“ Er wandte sich an die umstehenden Passanten. „Hat jemand einen Stock oder den Stiel einer Kinderschaufel oder ein Stück von einer Latte?“
Ein paar Sekunden später kam jemand mit einem Stock heran.
Conner wandte sich an Flora. „Steck ihn unter die Krawatte und drehe sie fest zu. Und schau auf die Uhr. Wir dürfen die Kompresse nur zehn Minuten so stramm lassen. Aber wenn der Rettungsdienst nicht in den nächsten zehn Minuten kommt, wird es sowieso zu spät sein.“
„Der Rettungshubschrauber ist gerade am Strand gelandet“, sagte Jim, der Kapitän der Fähre. „Kann ich irgendwie helfen?“
„Sieh zu, dass die Leute für die Sanitäter Platz machen. Wie geht es Jayne?“
„Sie ist ohnmächtig geworden. Ist vielleicht besser so. Eine Krankenschwester vom Festland, die hier einen Wochenendurlaub macht, kümmert sich um sie.“
Conner fing an, die Brust des Mädchens zu massieren, um die Atmung in Gang zu bringen. „Gehen Sie den Sanitätern entgegen, Jim. Sie sollen ein Sauerstoffgerät und eine Flasche Blutplasma mitbringen. Und sie sollen das Krankenhaus vorwarnen. Lily braucht sofort eine Bluttransfusion, wenn sie dort ankommt.“
„Okay“, sagte Jim und lief los.
„Die Blutung hat aufgehört“, rief Flora erleichtert.
„Gut. Dann können wir gleich versuchen, die Kompresse zu lösen“, meinte Conner. „Aber lass sie noch dran. Vielleicht brauchen wir sie noch einmal.“ Er beugte sich wieder zu Lily hinunter und fuhr mit der künstlichen Beatmung fort.
Flora sah, dass die Sanitäter mit einer Trage im Laufschritt näher kamen. „Sie sind da“, rief sie Conner zu, der sie nicht hörte, weil er sich auf Lily konzentrierte.
„Komm, meine Kleine“, flüsterte er beschwörend. „Tu mir den Gefallen und atme.“
Flora sah, dass er seine Augen wie gebannt auf Lilys Brust gerichtet hielt.
„Meinst du, sie ist …“, flüsterte Flora.
In diesem Moment hustete Lily und spuckte Wasser aus. „Oh, mein Gott, sie lebt“, rief Flora. Vorsichtig drehte Connor den Kopf des Kindes zur Seite, um ihre Luftröhre von Wasser zu befreien.
„Braves Mädchen. Du wirst bald wieder gesund sein, mein Engel.“ Er sprach so leise, dass Flora bezweifelte, außer ihr könnte jemand verstanden haben, was er sagte. Sie fühlte, wie ihre Kehle eng wurde, als sie ihn so mit dem Kind sah.
Er war also gar nicht kalt, ohne jede menschliche Regung. Sie hatte es immer gewusst!
Als er aufschaute, war sein Gesicht wie gewohnt verschlossen. „Sammle ein paar Handtücher, Jacken oder sonst etwas ein, worin wir sie einwickeln können. Wir müssen sie warm halten.“ Dann wandte er sich an die Sanitäter, die inzwischen angekommen waren. „Sie braucht Sauerstoff. Ich werde ihr eine Kanüle legen und ihr das Blutplasma geben. Und dann muss sie so schnell wie möglich ins Krankenhaus.“
„Wie viel Plasma soll sie bekommen?“
Conner wischte sich mit der Hand über die Augen. „Wie viel mag sie wiegen? Wie alt ist sie …“
„Ihr Gewicht kenne ich ganz genau“, sagte Flora. „Sie war erst vor ein paar Tagen bei mir in der Praxis. Sie wiegt sechzehn Kilogramm.“
„Fangt mit 160 Milliliter an“, sagte Conner zu den Sanitätern. Einer von ihnen suchte eine geeignete Flasche Blutplasma heraus, während Conner mit dem Finger über den Innenarm des Mädchens strich, um eine Vene zu finden.
Lily atmete jetzt regelmäßig. Manchmal öffnete sie kurz die Augen, bevor sie wieder bewusstlos wurde.
„Geben Sie mir eine Kanüle“, sagte Conner zu dem Sanitäter, der sich neben ihn gehockt hatte. „Ich glaube, ich kann eine Vene fühlen. Ich werde es noch einmal versuchen.“
Flora hielt den Arm des Kindes, während Conner die Nadel ansetzte. Lily schien von allem nichts zu merken. In der Nähe entstand Unruhe, aber Conner achtete nicht darauf. Er war völlig konzentriert. Schließlich gelang es ihm, die Nadel in die Vene einzuführen. Erleichtert stöhnte er auf. „Geschafft. Befestigt die Nadel mit einem Pflaster, ich möchte nicht, dass die Kanüle wieder herausrutscht.“
In diesem Moment tauchte Jayne hinter Conner auf und packte ihn an seinen Schultern. „Was machen Sie da mit meinem Baby? Lassen Sie sie los. Ich will zu ihr.“ Sie sah Flora mit wutverzerrtem Gesicht an. „Ich habe dir gesagt, er soll die Finger von ihr lassen.“
„Jayne, bitte“, sagte Flora und führte die Mutter ein paar Schritte zur Seite.
„Sie ist tot“, jammerte Jayne. „Und schuld daran ist nur …“
„Nein, sie ist nicht tot. Sie atmet wieder.“
„Nicht tot?“ Fassungslos weiteten sich Jaynes Augen. Als sie zu Conner und ihrer Tochter hinüberschaute, geriet sie sofort wieder in Panik.
„Was macht er mit ihr? Da ist ja alles voller Blut.“
„Lily hat sich schlimm an der Schiffsschraube geschnitten“, versuchte Flora der hysterischen Mutter zu erklären.
„Er soll sie loslassen. Er soll weggehen. Ich traue ihm nicht.“
„Du solltest ihm vertrauen“, warf Jim leise ein. Er nahm Jayne am Arm und zog sie weg. „Flora, helfen Sie Dr. MacNeil. Jayne, du bleibst bei mir. Und vergiss nicht, dass Lily nur wegen Conner MacNeil noch am Leben ist. Ich weiß, du bist aufgeregt, aber Conner hat ein wahres Wunder vollbracht.“
Conner erhob sich. Dann ging er mit den Sanitätern, die Lily auf die Trage gelegt hatten, zum Hubschrauber hinüber. Er wischte seine blutverschmierten Hände an seinen Shorts ab, während aus seinem nassen Haar Wassertropfen perlten. Als er seinen Blick auf Jayne richtete, waren seine Augen wieder so kühl und distanziert wie immer.
„Wir bringen sie jetzt ins Krankenhaus.“
Jayne zitterte am ganzen Körper. „Es tut mir leid, es tut mir leid, dass ich …“ Sie schluchzte auf. „Darf ich mitkommen? Bitte!“
Dankbar nahm Conner ein Handtuch, das ein Tourist ihm reichte, und trocknete sich ab. „Das kommt darauf an, Mrs. Parsons, ob Sie die Absicht haben, mich während des Fluges wieder zu attackieren.“
Jayne schlug die Hände vor die Brust. „Ich verspreche Ihnen …“
„Es ist nicht meinetwegen, aber es kann sein, dass Lilys Atmung auf dem Flug aussetzt. Ich muss sie dann wiederbeleben. Und das kann ich nicht, wenn Sie über mich herfallen.“
Conners harte Worte schienen Jayne aufzurütteln. „Ich habe verstanden“, erwiderte sie leise und nickte. „Machen Sie alles, was Sie für notwendig halten. Alles. Ich möchte nur in Lilys Nähe sein. Und – danke, Dr. MacNeil. Danke. Ohne Sie wäre Lily …“
Conner wandte sich an die Sanitäter. „Wir sollten keine Zeit mehr verlieren. Vorwärts.“
Sekunden später schaute Flora dem Hubschrauber nach, der abgehoben hatte und in Richtung Festland flog. Plötzlich bemerkte sie, dass ihre Hände zitterten. Sie schaute an sich hinunter. Ihre Shorts waren mit Blut verschmiert. Und ein großer Fleck von Lilys Blut war auf der Pier zu sehen. „Jim, kann jemand einen Eimer Wasser holen und das wegspülen?“, bat sie.
Jim nickte. „So etwas habe ich auf Glenmore noch nie erlebt.“
„Der Kai war sehr voll, vielleicht hat jemand Lily zufällig gestoßen …“
„Das meine ich nicht“, unterbrach Jim sie. „Ich meine, was Conner MacNeil da getan hat. Er hechtete ins Wasser, als die meisten noch gar nicht richtig begriffen hatten, was geschehen war. Er hat ihr das Leben gerettet.“
„Ja“, nickte Flora. „Das hat er.“
„Logan hat gesagt, er war in der Army.“ Jim schob seine Mütze in den Nacken. „Ich wette, er hat schon in einigen gottvergessenen Winkeln dieser Erde gekämpft. Ich bin froh, dass er heute zur Stelle war. Er ist vielleicht kein ausgesprochen netter Kerl, aber wenn es dir wirklich schlecht ginge, wen würdest du bevorzugen – jemanden, der nett ist, oder jemanden mit Conners Kompetenz?“
Flora nickte. „Ich muss jetzt gehen, Jim, und mich umziehen.“
„Und ich muss die Fähre zum Festland bringen. Guter Job, Flora, meinen Glückwunsch.“