7. KAPITEL

10 GRÜNDE, WARUM ICH MICH NICHT IN RYAN VERLIEBEN SOLLTE:

1. Ich bin erst seit einem Jahr geschieden.

2. Ich bin zu alt.

3. Ich bin nur eine durchschnittliche Frau, und er ist ein Sexgott.

4. In seiner Nähe bekomme ich nichts zu essen herunter.

5. Ich muss an Lexi denken.

6. Er bringt mich dazu, mich wie ein Teenager zu verhalten.

7. Ich muss mit ihm arbeiten.

8. Er wird mich verletzen.

9. Ich bin nicht die Richtige für ihn …

„Mum?“

Jenna ließ den Stift fallen, bevor sie Punkt zehn zu Papier bringen konnte, und drehte hastig den Umschlag um, auf den sie ihre Liste geschrieben hatte.

„Ich bin in der Küche“, rief sie.

Da sie keine Zeit mehr hatte, den Umschlag zu verstecken, stellte Jenna ihren Teebecher darauf ab und setzte ein munteres Lächeln auf. „Guten Morgen, mein Schatz. Was hat dich denn um diese Zeit aus dem Bett getrieben? Ich dachte, du würdest noch tief und fest schlafen.“

„Ich hatte Hunger, außerdem treffe ich mich nachher mit ein paar Leuten.“ Gähnend schüttete Lexi Müsli in eine Schale, goss einen Schuss Milch darüber und setzte sich an den Tisch. „Du bist aber auch ziemlich früh auf den Beinen. Hast du heute nicht frei?“

„Ich habe einiges zu tun.“

Zum Beispiel eine peinliche Liste aufzustellen, die Lexi auf keinen Fall entdecken durfte.

Jenna stand auf und ging zur Spüle, um den Wasserkessel aufzufüllen. Ihr Kopf dröhnte, und ihre Augen brannten vor Müdigkeit. Obwohl sie die halbe Nacht gegrübelt hatte, wusste sie immer noch nicht, wie sie zu dem Thema Stellung nehmen sollte, das ihre Tochter zweifellos gleich ansprechen würde. „Normalerweise liebst du es doch, ewig im Bett zu liegen.“

„Nur während des Schuljahrs, wenn es außer langweiligem Unterricht keinen Grund gibt aufzustehen.“ Während Lexi ihr Müsli löffelte, fiel ihr Blick auf den Becher, der auf dem Umschlag stand. „Wieso machst du neuen Tee, wenn du den hier noch nicht mal zur Hälfte ausgetrunken hast?“

Weil du dich anscheinend auf gar nichts mehr konzentrieren kannst, Jennifer Richards!

Verärgert über sich selbst griff Jenna nach dem Becher und zerknüllte mit der anderen Hand den Umschlag. „Er ist kalt geworden“, behauptete sie. „Außerdem dachte ich, dass du vielleicht auch einen willst.“

„Du weißt doch genau, dass ich Tee nicht ausstehen kann. Und wieso zerquetschst du diesen armen Umschlag, als wolltest du ihn pulverisieren? Ist da ein Brief von Dad drin?“

„Es ist nichts. Ich meine, ich … habe eine Telefonnummer darauf notiert“, stammelte Jenna. „Von einem Klempner. Dieser blöde Wasserhahn tropft immer noch.“

Lexis Augen wanderten zu besagtem Hahn, dem nicht der kleinste Wassertropfen entwich. „Und wieso zerknüllst du seine Nummer, wenn du ihn anrufen willst?“ Sie schien einen Moment darüber nachzudenken, dann zuckte sie mit den Schultern, als gäbe sie jeden weiteren Versuch auf, sich einen Reim auf das eigenartige Verhalten ihrer Mutter zu machen. „Ich werde übrigens nicht vor dem Mittagessen zurück sein. Ich bin um neun Uhr mit Fraser und ein paar anderen an der Burgruine verabredet.“

„Aber sonntags ist das Ausgrabungscamp doch geschlossen.“

„Offiziell schon, aber der Chef-Archäologe will uns die Verliese und ein paar andere coole Sachen zeigen.“

„Ach wirklich?“ Den Umschlag immer noch in der geschlossenen Faust, setzte Jenna sich wieder an den Küchentisch. Sie war unendlich erleichtert, dass die Inquisition, mit der sie fest gerechnet hatte, nun allem Anschein nach doch nicht stattfinden würde. „Ich wollte dir eigentlich ein Picknick auf den Klippen vorschlagen, aber wenn du lieber deine Freunde treffen willst, ist das auch in Ordnung.“

Lexi schob ihre Müslischale von sich und stand auf. „Sehe ich okay aus?“

Versonnen betrachtete Jenna das hübsche blaue Trägertop. Genau diesen Farbton hatten Ryans Augen gehabt, kurz bevor er sie an jenem Morgen am Strand geküsst hatte. Hatte Clive je solche Emotionen in ihr ausgelöst? Hatte sie ihn irgendwann einmal genauso anziehend gefunden und es nur vergessen? Und was war mit Ryan? Was empfand er für sie?

„Erde an Mum! Kannst du mich hören?“ Lexi wedelte mit der Hand vor Jennas Gesicht herum. „Ich fragte dich gerade nach deiner Meinung.“

„Ich meine, er ist ein erwachsener Mann und weiß, was er tut.“

„Redest du von Fraser?“ Lexi starrte sie völlig perplex an. „Er ist fünfzehn, genau wie ich!“

Jennas Wangen liefen feuerrot an. „Ja, genau das wollte ich sagen. Er ist fast ein Mann. Und ich bin sicher, dass er sehr verantwortungsbewusst ist.“

„Aber ich habe nicht gefragt, ob … Egal. Ich wüsste nur gern, was heute Morgen mit dir los ist. Du benimmst dich echt seltsam.“

„Ach was, das bildest du dir nur ein. Es geht mir großartig, wirklich. Und ich freue mich schon riesig darauf, einen ganzen Tag freizuhaben!“

„Schon gut, Mum. Kein Grund, deswegen gleich auszurasten. Ich habe nur gefragt.“ Lexi musterte ihre Mutter eingehend. „Bist du sicher, dass du keinen Nervenzusammenbruch oder so etwas hast?“

„Einen Nervenzusammenbruch?“, wiederholte Jenna mit unnatürlich hoher Stimme. „Wie kommst du denn auf so eine verrückte Idee?“ Sie knipste ihr Alles-ist-bestens-Lächeln an, darin war sie Weltmeisterin. Fühle das eine und zeige das andere. „Hab einen wunderschönen Tag, meine Süße. Ich bin sehr glücklich, dass du so schnell Freunde gefunden hast.“

„Wie, keine Moralpredigt? Keine Warnung vor den gefährlichen Klippen oder undurchsichtigen Fremden? Das ist doch nicht normal, Mum! Du hast mich nicht einmal daran erinnert, dass Sex nur etwas für Menschen ist, die sich wirklich lieben.“

„Ich dachte, du willst nicht, dass ich mir immer so viele Sorgen um dich mache.“

„Stimmt, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass du plötzlich ganz damit aufhörst.“

„Das habe ich auch nicht. Ich habe nur aufgehört, darüber zu reden.“ Jenna stand zum zweiten Mal auf, um sich eine frische Tasse Tee zu machen, was mit nur einer freien Hand nicht ganz einfach war. Aber in der anderen hielt sie immer noch den zerdrückten Umschlag, und sie wusste nicht, wie sie ihn loswerden sollte. „Ich habe dich mit den Werten erzogen, an die ich glaube. Jetzt ist es Zeit, dir zu vertrauen und dir die Freiheit zu lassen, deine eigenen Fehler zu machen.“

„Mum, ist wirklich alles in Ordnung mit dir?“

„Ja, sicher.“

Nein! Überhaupt nicht!

Ryans Kuss hatte sie auf den Geschmack gebracht, und nun konnte Jenna die Lawine nicht mehr stoppen. Ständig geisterten Bilder von ihm und ihr durch ihren Kopf, wie sie wilden Sex miteinander hatten, und sie konnte einfach nicht damit aufhören.

Lexi verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann bist du also einverstanden, wenn ich den ganzen Tag auf der Burg verbringe, Drogen nehme und mit Fraser herummache?“

„Ja, genau.“ Mit leerem Blick starrte Jenna aus dem Küchenfenster und dachte daran, wie sich Ryans harte Muskeln unter ihren Händen angefühlt hatten. „Ich wünsch dir viel Spaß.“

„Okay, jetzt wird es langsam gruselig.“ Lexi stellte sich dicht vor ihre Mutter, um sich deren volle Aufmerksamkeit zu sichern. „Ich sagte gerade, dass ich Drogen nehmen und mit Fraser herummachen will, und du wünschst mir viel Spaß?“

Oh Gott! Hat sie das wirklich gesagt?

„Das war doch nur ein Witz. Mir ist klar, dass du so etwas nie tun würdest.“ Wieder dieses unnatürliche Lachen. Offenbar war sie tatsächlich kurz davor durchzudrehen. Jenna fing an, planlos in der Küche herumzuwuseln, und versuchte dabei so zu tun, als ob sie aufräumte. „Dafür bist du viel zu vernünftig. Du sagst doch selbst immer, dass du erst eine Ausbildung machen und ein paar Jahre arbeiten willst, bevor du Kinder bekommst.“

„Sex zu haben, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man Kinder bekommt.“ Lexi nahm ihr Handy und ihr iPod vom Tisch und ging zur Tür. „Ich erklär dir irgendwann mal, wie das geht. Aber jetzt muss ich los. Ach ja, du solltest die benutzten Teebeutel aus der Waschmaschine nehmen. Teeflecken sind hartnäckig. Die bekommst du nie wieder raus.“

Teebeutel? Waschmaschine? Aber ich habe doch …

Mit zittrigen Fingern zog Jenna die nassen Teebeutel aus der Wäschetrommel und warf sie in den Mülleimer, wie sie es von Anfang an vorgehabt hatte.

„Hab eine schöne Zeit, Liebes. Und vergiss deinen Schlüssel nicht.“

„Werd ich nicht.“ Lexi zögerte. „Sag mal, dein komisches Benehmen hat doch nichts mit gestern Abend zu tun, oder?“

Jenna hielt den Atem an. „Wie meinst du das?“

„Ich dachte, dass du … egal, vergiss es. Es war nur so eine blöde Idee. Was machst du denn heute noch so?“

Nachdenken. Versuchen, nicht den ganzen Tag an Ryan zu denken. Mich daran erinnern, dass ich zu alt bin, um mich plötzlich wie ein Schulmädchen zu verknallen.

„Hausarbeit“, erwiderte Jenna. „Und danach wollte ich das Unkraut in den Blumenbeeten jäten.“

„Hört sich nach einem aufregenden Tag an.“ Lexi verzog das Gesicht, doch die Antwort schien sie trotzdem zu befriedigen. Wahrscheinlich war sie froh, dass ihre Mutter endlich wieder wie sie selbst klang.

Im Stillen atmete Jenna auf. Sie hatte befürchtet, dass Lexi das gefährliche Thema noch einmal anschneiden würde. Aber wie es aussah, hatte sie Evannas Erklärung akzeptiert, dass sie und Ryan nicht geflirtet, sondern nur ihren Notfalleinsatz besprochen hatten. Entweder das, oder sie war zu dem Schluss gekommen, dass Dr. Hot sich sowieso nie für ihre langweilige Mutter interessieren würde.

„Also dann bis später. Ich nehme Rebel mit, okay?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, griff Lexi nach der Leine und pfiff den Hund herbei.

Sobald Jenna allein war, setzte sie sich wieder an den Küchentisch und strich den Umschlag glatt, der die ganze Zeit wie Feuer in ihrer Hand gebrannt hatte. Nachdenklich starrte sie auf die Liste. Punkt zehn war als Nächster an der Reihe, aber vermutlich gab es noch eine Million mehr Gründe, die dagegensprachen, ihr Herz an Ryan McKinley zu verlieren.

Sie stöhnte und vergrub das Gesicht in den Händen. Sie musste mit diesem Unsinn aufhören und sich endlich wie eine Erwachsene benehmen. Sie war, verflixt noch mal …

„Du scheinst ja genauso frustriert zu sein wie ich.“

Als Jenna die vertraute Stimme hörte, schoss sie wie von der Tarantel gestochen von ihrem Stuhl hoch, der durch die heftige Bewegung nach hinten kippte und scheppernd auf den Fliesen landete. Ihr Herz pochte wie verrückt.

„Ryan!“, stieß sie fassungslos hervor. „W…was machst du denn hier?“

Zu ihrem Entsetzen wurde ihr bewusst, dass sie nur einen Slip und das ausgemusterte T-Shirt von Lexi trug, in dem sie geschlafen hatte. Hektisch zog sie den Saum herunter, so weit es nur ging, bis sie merkte, dass sie ihre Brüste damit nur noch mehr zur Schau stellte. Sofort hörte sie mit der Herumzupferei auf und hoffte inständig, kein allzu lächerliches Bild abgegeben zu haben.

„Ich hatte auf ein paar Minuten mit dir gehofft, in denen nicht ganz Glenmore zuschaut.“ Lässig kam er in die Küche geschlendert und hob den umgekippten Stuhl auf, wobei er ihr ein verruchtes Lächeln zuwarf. „Nettes Outfit.“

Zu schockiert, um sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, sah Jenna ihn langsam auf sie zukommen. Dabei versuchte sie mit der Tatsache klarzukommen, dass ein Mann sie mit unverhülltem sexuellem Interesse ansah – und dass dieser Mann nicht Clive war. Nicht, dass die Gefahr bestanden hätte, Ryan mit Clive zu verwechseln. Ihr Ex-Mann war schlank, schmal gebaut und blass, weil er den ganzen Tag in seinem Büro verbrachte. Ryan dagegen war groß und breitschultrig, und seine Haut war von Wind und Sonne gebräunt. Clives Anblick hatte sie nie an Sex und Sünde denken lassen, aber wenn sie Ryan anschaute …

Dicht vor ihr blieb er stehen. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du sensationelle Beine hast?“

Jenna schluckte. Sie spürte ein erregendes Prickeln im ganzen Körper und war gleichzeitig so verlegen, dass sie am liebsten im Erdboden versunken wäre.

„Wie bist du hier hereingekommen?“, brachte sie heiser hervor, ohne auf seine Frage einzugehen.

„Auf dem üblichen Weg: durch die Tür.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, packte er ihr T-Shirt, zog sie zu sich und küsste sie. Jenna fragte sich kurz, ob dies wirklich geschah, dann nahm sie nur noch seine Wärme, seinen Geruch und sein Verlangen nach ihr wahr. All ihre Fantasien von Sex und Sünde waren auf einmal greifbare Realität.

„Ich hatte gerade an dich gedacht“, gestand sie ihm, als er den Kuss für eine kurze Atempause unterbrach. Langsam fuhr sie mit den Händen über seine Arme und erkundete dabei die Konturen seiner harten Muskeln.

„Das freut mich“, murmelte er an ihren Lippen. „Ich bin nämlich nicht gern der Einzige, der leidet. Mhm, du schmeckst gut …“ Er schob die Hände in ihr Haar und küsste sie erneut so verlangend und gierig, als wäre sie ein Festmahl und er kurz vorm Verhungern.

Jennas Knie fühlten sich wie Watte an. Gut, dass sie die Arbeitsplatte hinter sich hatte und sich an seinen starken Armen festhalten konnte! Sie spürte seine Erregung deutlich an ihrem Bauch, was ihre Lust beinahe ins Unerträgliche steigerte. Als seine Hände unter ihr T-Shirt glitten, stöhnte sie leise auf und schloss die Augen.

„Wann erwartest du Lexi zurück?“, murmelte er und begann, ihre Brüste zu streicheln.

Seine sinnlichen Liebkosungen machten es ihr unmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen. Als der Sinn seiner Frage endlich zu ihrem vernebelten Hirn durchdrang, riss Jenna entsetzt die Augen auf. Lexi hatte sie völlig vergessen!

„Mein Gott, was tue ich hier?“, flüsterte sie erschüttert. „Ich bin doch überhaupt nicht der Typ für solche Sachen.“

„Bist du sicher?“ Ryans Lippen wanderten langsam zu ihrem Hals. „Vor einem Monat hattest du auch noch keinen Hund. Und hast keinen Fisch gegessen.“

Sie lachte nervös. „Sex ist ja wohl ein bisschen was anderes.“

„Das hoffe ich. Sonst würde ich ihm sofort abschwören.“

„Nein, bitte nicht! Dazu bist du viel zu gut darin …“ Jenna schlug sich auf den Mund und starrte ihn ungläubig an. „Ich fasse nicht, dass ich das gesagt habe.“

Ryans Lachen klang tief und sexy. „Ich liebe deine kompromisslose Ehrlichkeit.“

Sie kam immer noch nicht mit den Gefühlen zurecht, die er in ihr weckte. Seine Hände taten Zauberdinge, und sein Mund vollbrachte wahre Wunder, aber sie war eine Mutter und trug Verantwortung. Plötzlich kam ihr ein schrecklicher Gedanke.

„Hat Lexi dich gesehen, als du gekommen bist?“

„Nein“, beruhigte Ryan sie. „Ich habe gewartet, bis sie außer Sichtweite war.“

„Gott sei Dank!“ Jenna atmete erleichtert auf.

„Hat sie dir wegen gestern Abend Vorwürfe gemacht?“

„Sie fing an, etwas in der Richtung zu sagen, aber dann ließ sie das Thema wieder fallen. Ich glaube, Evannas Erklärung hat sie überzeugt. Übrigens wollte ich mich noch bei dir entschuldigen. Du bist bestimmt sauer auf mich, weil ich dich in aller Öffentlichkeit in Verlegenheit gebracht habe.“

Seine Lippen streiften über ihre Wange. „Wirke ich irgendwie sauer?“ Er bewies ihr erneut, wozu sein Mund fähig war, und Jenna spürte, wie ihre Willenskraft brach. Nur mit größter Anstrengung gelang es ihr, ihm die Hände auf die Brust zu legen und ihn von sich zu schieben.

„Bitte, Ryan, wir müssen vernünftig sein. Vielleicht hat Lexi etwas vergessen und taucht plötzlich hier auf. Ich möchte mir gar nicht vorstellen, was …“

„Schon gut, ich habe die Botschaft verstanden. Dies ist nicht der geeignete Ort für eine wilde Orgie. Wollen wir stattdessen brav einen Kaffee trinken?“ Mit einem frechen Lächeln stahl er sich noch einen schnellen Kuss, bevor er sie losließ. Dann entdeckte er etwas auf dem Fußboden und bückte sich, um es aufzuheben.

Es war der zerknüllte Umschlag!

Ryan hätte ihn einfach weggeworfen, wenn Jenna keinen entsetzten Schrei ausgestoßen und hektisch danach gegriffen hätte.

„Gib ihn her, das ist meiner!“

„Was ist denn damit, dass du deswegen so einen Aufstand machst?“

„Nichts.“ Sie versuchte, an den Umschlag heranzukommen, aber er hielt ihn außer Reichweite und faltete ihn mit einer Hand auseinander.

„Wenn es nichts ist, kann ich auch lesen, was darauf steht.“ Er blickte auf das zerknitterte Papier und zog die Brauen hoch. „10 Gründe, warum ich mich nicht in Ryan verlieben sollte? Klingt interessant …“

Nein, bitte nicht! Stöhnend bedeckte Jenna das Gesicht mit den Händen. „Bitte ignoriere das einfach …“

„Ich denke nicht daran. Wenn du eine Liste mit zehn Gründen aufstellst, dich nicht in mich zu verlieben, habe ich das Recht, diese Gründe zu kennen.“ Er überflog die Liste und runzelte die Stirn. „Ich wusste gar nicht, dass ich dich vom Essen abhalte. Warum hast du mir das nie gesagt?“

Zutiefst gedemütigt, konnte Jenna nur stumm mit dem Kopf schütteln. Ryan seufzte und schob den lädierten Umschlag in die Gesäßtasche seiner Jeans.

„Wenn du meine Meinung hören willst, halte ich diese Liste für kompletten Schwachsinn. Der einzige Grund, den ich ernst nehme, ist Lexi.“ Er fuhr sich langsam mit den Fingern durchs Haar. „Sie ist deine Tochter, und ich kann gut verstehen, dass du ihr nicht wehtun willst. Aber sie ist kein kleines Kind mehr. Glaubst du wirklich, dass es so schlimm für sie wäre, wenn ihre Mutter nach einem Jahr wieder Interesse an einem Mann zeigt?“

„Ich weiß es nicht“, murmelte Jenna verzagt. „Ehrlich gesagt, weiß ich überhaupt nichts mehr. Diese ganze Situation macht mir Angst. Vielleicht lasse ich mich nur auf dich ein, um mir zu beweisen, dass ich noch attraktiv auf Männer wirke.“

„Dieser Einwand stand nicht auf deiner Liste.“ Sein Mund streifte zart ihren Hals. „Versprich mir, dass du dir keine neuen Gründe mehr ausdenkst, dich nicht in mich zu verlieben.“

„Hör auf damit, Ryan …“, flüsterte sie, als seine Zungenspitze über die kleine Mulde an ihrem Schlüsselbein glitt. „Ich kann nicht richtig denken, wenn du das tust.“

„Entschuldigung.“ Er klang nicht, als würde es ihm leidtun, und er hörte auch nicht auf.

Jenna spürte, wie sie dahinschmolz, aber ihr Hirn weigerte sich abzuschalten. „Was, wenn ich es einfach nur tue, weil ich wütend auf Clive bin?“

Seufzend hob Ryan den Kopf. „Du meinst, mich zu küssen wäre ein Racheakt an ihm?“

„Ich habe keine Ahnung. Jede Minute denke ich etwas anderes.“

In seinen Augen funkelte es belustigt, als er ihr ins Gesicht blickte. „Wenn du mich küsst, denkst du dann an Clive?“

„Nein, natürlich nicht! Aber das beweist doch nicht, dass es keine vernünftige Theorie ist.“

„Beantworte mir eine Frage.“ Sein Mund war wieder an ihrem Hals, und Jenna schloss die Augen.

„Was?“

„Wenn Lexi in dieser Geschichte keine Rolle spielen würde … wenn es nur dich und mich gäbe … was würdest du dann jetzt tun?“

„Den Tag mit dir irgendwo verbringen, wo uns niemand sehen kann.“ Sie seufzte. „Aber ich weiß, dass das auf Glenmore unmöglich ist.“

„Vielleicht doch.“ Er strich ihr lächelnd eine verirrte Locke aus dem Gesicht. „Ich kenne einen Ort, der genau deinen Anforderungen entspricht. Komm mit, ich zeige ihn dir.“

Der Leuchtturm stand in eindrucksvoller Einsamkeit auf einem großen kreisförmigen Grasstück. Der einzige Zugang war ein schmaler, versteckter Pfad, der sich jenseits der Küstenstraße dorthin wand.

„Dies ist der abgelegenste Besitz auf der Insel.“ Ryan griff rasch nach Jennas Ellbogen, als sie auf dem Weg zum Eingang über einen Stein stolperte. „Nicht einmal Mrs. Parker war jemals hier.“

Sie blickte zur Spitze des Leuchtturms. „Es ist unglaublich. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man tatsächlich hier wohnen kann.“

Dass man es konnte – und mehr als nur das – wurde Jenna augenblicklich klar, als Ryan die Tür aufschloss und sie die riesige runde Küche betrat.

„Du meine Güte!“ Mit großen Augen blickte sie sich um. Der Raum war stilvoll und zugleich gemütlich, mit einem gewaltigen Herd, einem amerikanischen Kühlschrank und einer Arbeitsinsel in der Mitte. An einem der Fenster stand ein schwerer Holztisch, sodass man beim Essen den fantastischen Ausblick genießen konnte.

Von der Tür aus beobachtete Ryan gespannt ihre Reaktion. „Und? Gefällt es dir?“

„Das wäre eine maßlose Untertreibung! Von außen würde niemand vermuten, dass es hier drinnen so großzügig und … anheimelnd ist.“ Noch immer fassungslos, ließ sie erneut den Blick schweifen. „Bestimmt musste viel gemacht werden, bis es so aussah wie jetzt.“

„Ich habe ein paar Änderungen vorgenommen“, bestätigte Ryan. „Möchtest du jetzt gleich frühstücken, oder wollen wir vorher noch einen Rundgang machen?“

„Zuerst den Rundgang, bitte.“

„Ach ja, das Anti-Ryan-Argument Nummer vier.“ Er führte sie durch einen bogenförmigen Durchgang zu einer Wendeltreppe. „Ich nehme nicht an, dass du mir verraten willst, warum dir meine Gegenwart den Appetit verdirbt? Nicht, dass jede Frau von mir begeistert wäre, aber dass ich ihr Übelkeit verursache, hat mir noch keine vorgeworfen.“

Jenna lachte. „Du verursachst mir keine Übelkeit. Du löst einfach so ein Fallgefühl in meinem Magen aus. Als würde ich Achterbahn fahren, und wer kann schon in einer Achterbahn etwas essen?“

„Hm … “ Er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ist das jetzt gut oder schlecht?“

„Gut, wenn man abnehmen will.“

„Tu das bitte nicht. Ich mag deine Figur.“

Er war direkt hinter ihr, als sie die gewundenen Stufen hinaufstiegen. Sie waren ganz allein. Niemand konnte sie stören …

„Hier hat also tatsächlich niemand Einblick?“ Jennas Herz schlug plötzlich schneller.

„Dies ist ein schwer zugänglicher und gefährlicher Teil der Küste. Darum ist der Leuchtturm auch an dieser Stelle gebaut worden. So, hier ist das Wohnzimmer.“

Jenna betrat einen weiteren großen runden Raum. Die Decken waren hoch und die Wände zum großen Teil aus Glas. Die Ausstattung spiegelte unaufdringlich und harmonisch ihre Umgebung wider – weißer Holzboden, Seegrasmatten, tiefe weiße Sofas. Einige blaue Akzente sorgten für Farbe und bizarr geformte Treibholzstücke an den Wänden für Stil. In der Mitte des Raums stand ein großer Holzofen.

„Du meine Güte, Ryan!“, rief Jenna hingerissen. „Das gehört ja auf die Titelseite eines Lifestylemagazins! Ich kann mir kaum vorstellen, wie es sein muss, an einem so besonderen Ort zu wohnen.“

„Als ich den Leuchtturm kaufte, sah es hier ein bisschen anders aus.“ Ryan war anzusehen, wie sehr ihre Begeisterung ihn freute. „Ich habe ein Jahr gebraucht, um ihn bewohnbar zu machen.“

„Und wo hast du in der Zeit gewohnt?“

Grinsend breitete er die Arme aus. „Hier … mitten zwischen dem Bauschutt.“

„Du hast also vieles selbst gemacht?“

„Eigentlich alles, außer dem Verglasen. Das war für eine Person nicht machbar. Darüber hinaus braucht es sehr viel Fachkenntnis, um solche Mengen Glas sicher zu verbauen. Daher habe ich das einer Spezialfirma überlassen.“

„Aber für das Verlegen von Wasser- und Stromleitungen und das Bauen von Mauern benötigt man doch auch Fachkenntnisse“, wandte Jenna ein.

„Ich bin Arzt“, erinnerte Ryan sie. „Da verlegt man dauernd Leitungen und schließt Stromkreise. Und eine Mauer zu bauen, ist nicht viel anders als einen gebrochenen Knochen zu richten. Man muss nur dafür sorgen, dass man das Ding gerade hinbekommt.“

Jenna war sprachlos. Gab es eigentlich irgendetwas, was dieser Mann nicht konnte? Und dann tat er seine Meisterleistungen auch noch ab, als wären sie ein Kinderspiel gewesen!

Hinter einer Tür kam ein mit allen Schikanen ausgestattetes Bad zum Vorschein, eine andere führte zu einem kleinen Gästezimmer. Nachdem Jenna sich alles angeschaut hatte, erklomm sie die letzte Ebene – und fand sich im Paradies wieder! Offenbar hatte Ryan bei der Konzeption des Schlafzimmers beabsichtigt, den unglaublichen Ausblick maximal zur Geltung zu bringen. Die Wände bestanden praktisch nur aus Glas, sodass sich dem Betrachter ein atemberaubendes 360 Grad-Panorama über ganz Glenmore bot.

Schweigend nahm Jenna den Anblick in sich auf. Das riesige Bett konnte unmöglich ihrer Aufmerksamkeit entgehen, doch da Ryan sie vom Treppenabsatz aus beobachtete, musterte sie es nur flüchtig aus dem Augenwinkel. Die Intimität, die der Raum ausstrahlte, war ungewohnt, aufregend … und beängstigend.

Langsam wanderte sie an der gläsernen Front entlang und staunte, wie sehr die Landschaft sich bei jedem Schritt veränderte. Die schroffen Felsen tief unter ihr, die schon manchem Schiff zum Verhängnis geworden waren, wirkten düster und bedrohlich. Doch schon wenige Schritte weiter schlängelte sich die Küstenstraße durch friedlich daliegende Grasflächen, hinter denen sich wildes, von lila Heidekraut bewachsenes Moorland ausbreitete.

„Es ist, als würde man auf einer himmlischen Plattform leben“, murmelte Jenna andächtig. „Man kann von hier aus wirklich alles sehen. Nur keine Menschen.“

„Direkt hinter der Landzunge liegt die Farm der Scotts, aber das ganze Gebiet um den Leuchtturm herum steht unter Naturschutz.“ Plötzlich stand Ryan hinter ihr und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Daher gibt es weder Gebäude noch Menschen. Ab und zu verirren sich ein paar Wanderer hierher, aber weiter als bis zu den Felsen kommen sie nicht. Der Weg, den wir genommen haben, ist der einzige, der hierherführt.“

„Ich habe noch nie einen so vollkommenen Ort gesehen.“ Plötzlich konnte Jenna vor Aufregung kaum noch atmen. Ryan war ihr so nah, dass sein Körper bei jeder Bewegung ihren Rücken streifte. Ihr Herz pochte schnell und hart, als sie an die Decke blickte und noch mehr Glas entdeckte. „Es muss beängstigend sein, sich hier bei einem Gewitter aufzuhalten. Ist das nicht gefährlich?“

„Das Glas ist sehr dick. Du wärst überrascht, wie stark es die Geräusche von außen dämpft.“ Er umfasste ihr Kinn und zwang sie sanft, ihn anzusehen. „Hast du Angst vor Gewittern?“

„Ich weiß nicht …“ Sie versank in den blauen Tiefen seiner Augen und stellte fest, dass die Gefühle, die er in ihr auslöste, weitaus beängstigender waren als jedes Unwetter. Sein Mund war nur Zentimeter von ihrem entfernt, aber er küsste sie nicht.

Wartete er darauf, dass sie die Entscheidung traf?

Jenna hob eine Hand und legte sie zaghaft an sein Kinn. Es fühlte sich rau an, und sie spürte, wie Ryan auf die Berührung reagierte. Doch anstatt sie endlich zu küssen, wartete er immer noch ab.

Schließlich hielt Jenna es nicht mehr aus. Ohne weiter nachzudenken, schlang sie ihm die Arme um den Hals und küsste ihn auf den Mund. Ihr Magen machte einen Satz, als würde sie in freiem Fall eine Klippe hinunterstürzen. Ihr Instinkt warnte sie, dass die Entscheidung, die sie gerade traf, ihren Preis haben würde, doch das scherte sie in diesem Augenblick nicht. Wenn es sein muss, werde ich ihn eben bezahlen, sagte sie sich trotzig.

„Bist du sicher, Jenna?“ Ryans Hand lag auf ihrem Rücken, aber nur ganz leicht, als wollte er ihr noch immer die Möglichkeit zum Rückzug geben.

Dabei war Rückzug das Letzte, woran sie gerade dachte!

Als sie ihn erneut vorsichtig küsste, umfasste er ihren Hinterkopf und tat endlich, wonach sie sich schon so lange sehnte. Sein Kuss war hungrig, fordernd und unglaublich sinnlich! Wie in Trance nahm Jenna wahr, wie ihr Leinenrock zu Boden glitt. Der raue Stoff von Ryans Jeans rieb über ihre nackten Oberschenkel, sie konnte spüren, wie hart er war.

Während er leise ihren Namen murmelte, befreiten seine Hände sie in Windeseile von ihrer Bluse und der Unterwäsche, dann entledigte er sich ebenfalls rasch seiner Kleidung. Ohne den Kuss zu unterbrechen, sanken sie auf den Boden und erkundeten einander mit atemloser Gier.

„Das Bett ist nur einen Meter von uns entfernt.“ Ryan küsste ihre Brüste, seine liebkosenden Lippen lösten lustvolle Schauer auf Jennas Haut aus. „Wollen wir nicht …“

„Nein … zu weit weg.“ Sie wollte nicht, dass er auch nur eine Sekunde mit dem aufhörte, was er gerade tat. Als er anfing, ihre Brustknospen mit der Zungenspitze zu reizen, schrie sie vor Wonne auf. Das Verlangen, ganz eins mit ihm zu werden, raubte ihr fast den Verstand. Ungeduldig bog sie den Rücken durch, um ihm noch näher zu kommen.

Als Ryan die Hand zwischen ihre Schenkel schob, gab sie einen langgezogenen lustvollen Laut von sich. Seit zwei Jahren hatte Jenna keinen Sex mehr gehabt, und selbst der hatte sich nie so angefühlt wie das!

„Ryan …“ Die langsamen, erfahrenen Bewegungen seiner Finger machten sie ganz verrückt. „Bitte tu es jetzt …“

„Immer mit der Ruhe, meine Schöne.“ Seine Stimme klang heiser und aufreizend an ihrem Ohr, als seine Finger tief in sie hineinglitten. Jennas Körper stand in Flammen, ihr Atem ging flach und unregelmäßig. Sie bewegte ihre Hand nach unten, um ihn zu umfassen, doch bevor sie dazu kam, hielt Ryan sanft, aber bestimmt ihr Handgelenk fest.

„Warte einen Moment.“ Er richtete sich halb auf, streckte den Arm aus und nahm ein Kondom aus dem Schränkchen neben seinem Bett. Während er sich über sie beugte, um sie erneut zu küssen, öffnete er die Verpackung und streifte den Schutz über.

„Bist du wirklich sicher, dass du es willst?“

Was für eine Frage!

„Wenn du jetzt aufhörst, Ryan McKinley, bringe ich dich um, das schwöre ich.“

Er lachte leise und sexy. Ein Schwarm Schmetterlinge flatterte in Jennas Bauch auf, als sie in seine unglaublichen Augen blickte. Und dann war er plötzlich in ihr. Zuerst bewegte er sich langsam und sinnlich, dann wurden seine Bewegungen allmählich schneller und härter. Und Jenna, die nicht genug davon bekommen konnte, trieb ihn hemmungslos an. Es war, als würden sie in einem Zug ohne Bremsen auf einen Punkt ohne Wiederkehr zurasen. Wenn Sex sich jemals so für sie angefühlt hatte, musste sie unter partiellem Gedächtnisverlust leiden.

Zwischen heißen, verlangenden Küssen rief sie immer wieder Ryans Namen. Das Lustgefühl war so intensiv, dass sie es fast nicht ertrug. Sie grub die Fingernägel in seinen Rücken, das erregende Pochen und Ziehen in ihr wurde immer stärker, bis sich die süße Anspannung endlich in einem Meer aus Licht und unbeschreiblich köstlichen Empfindungen entlud.

Ryan erreichte den Höhepunkt beinahe gleichzeitig mit ihr. Sein ganzer Körper bäumte sich auf, dann ließ er mit einem rauen Stöhnen den Kopf an ihre Schulter sinken.

„Bist du okay?“, fragte er sie, sobald er wieder zu Atem gekommen war.

„Nein, ich glaube nicht.“ Noch immer am ganzen Körper bebend, blickte Jenna zur Decke und versuchte, das Unglaubliche zu verarbeiten, das gerade geschehen war. „Dass Sex so sein kann, hätte ich mir nicht einmal im Traum vorstellen können.“

„Das liegt bestimmt daran, dass du es noch nie auf einem Holzboden getan hast.“ Die Arme noch immer um sie gelegt, rollte Ryan sich auf den Rücken. „Vielleicht sollte ich ihn gegen etwas anderes auswechseln. Er ist praktisch und sieht gut aus, aber für Sex ist er ungeeignet. Wollen wir nicht ins Bett umziehen?“

„Ich will mich am liebsten gar nicht bewegen.“ Jenna schmiegte sich eng an seine Brust. Es war einfach wunderbar, ihm so nah zu sein. Eine Weile genoss sie es, seinem raschen, kräftigen Herzschlag zu lauschen und seine nackte Haut an ihrer zu spüren. Dann hob sie den Kopf und küsste ihn auf den Mundwinkel.

„Ich habe noch nie einen Mann auf die Art gewollt, wie ich dich will“, gestand sie ihm. „Das war schon am ersten Tag so, als du mich von der Fähre abgeholt hast. Einen Moment lang befürchtete ich ernsthaft, den Verstand zu verlieren.“

„Ich auch. Du bist also nicht die Einzige, die gegen höchst unheilige Gelüste ankämpfen musste.“

„Ich war mir nicht sicher, was genau du von mir wolltest.“ Der Gedanke, dass sie noch immer so gut wie nichts über diesen Mann wusste, warf plötzlich einen Schatten auf Jennas Wolke der Glückseligkeit. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Natürlich.“

„Bist du verheiratet?“

Ryan war wie vom Donner gerührt. „Du glaubst, ich würde hier mit dir liegen, wenn ich verheiratet wäre?“

„Keine Ahnung. Ich hoffe nicht.“

„Ich dachte, du würdest mich inzwischen besser kennen, als so etwas von mir anzunehmen.“

„Jetzt habe ich dich verärgert.“ Jenna wünschte, sie hätte nichts gesagt. Der ganze Zauber zwischen ihnen war verflogen. „Es tut mir leid, Ryan, ich hätte nicht …“ Sie hielt mitten im Satz inne. Nein, ihre Frage war berechtigt gewesen. „Ich glaubte auch einmal, Clive zu kennen“, sagte sie leise. „Bis ich feststellen musste, dass ich mit einem völlig Fremden verheiratet war.“

„Ich bin nicht verärgert, Jenna“, stellte Ryan klar. „Und du musst mir das auch nicht erzählen.“

„Doch, das muss ich“, beharrte sie. „Es ist mir wichtig, dass du mein Misstrauen verstehst. Ich war sechzehn Jahre lang mit Clive verheiratet. Ich hatte ein Kind mit ihm, schlief in seinem Bett und dachte, wir wären eine intakte Familie. Dann erfuhr ich, dass er schon seit vielen Jahren ein anderes Leben lebte, in dem weder ich noch Lexi vorkamen. Wie viele Affären er im Lauf unserer Ehe hatte, kann ich nicht sagen. Ich weiß von drei Frauen, von denen eine eine gute Freundin von mir war.“

Ryan zog sie in seine Arme. „Du kannst mich fragen, was immer du willst, Jenna. Ich werde dir auf alles eine ehrliche Antwort geben. Und nein, ich bin nicht verheiratet. Nicht mehr.“

„Oh …“ Langsam fuhr sie mit den Fingerspitzen über seine Brust und ließ die Bedeutung seiner letzten zwei Worte sacken. „Dann hast du also auch eine gescheiterte Ehe hinter dir?“

„Ja.“

Jenna wartete darauf, dass er noch etwas sagte, aber er tat es nicht. Sie brannte vor Neugier, mehr darüber zu erfahren, und er hatte ihr gerade versichert, ihr jede beliebige Frage zu beantworten. Ihr Bauchgefühl sagte ihr jedoch, dass die Zeit noch nicht reif dafür war, daher beschloss sie, es für den Moment dabei zu belassen.

„Eines würde ich tatsächlich gern noch wissen …“ Sie stemmte sich hoch und setzte sich rittlings auf ihn. „Wie bequem ist dieses Bett dort eigentlich?“

„Obst, Brötchen, eine Scheibe Melone?“ Ryan deutete auf das üppige Frühstück, als Jenna ihm gegenüber Platz nahm. „Wie hungrig bist du?“

„Nicht sehr. Du hast einen schlechten Einfluss auf meinen Appetit, schon vergessen?“

„Du hast gerade an die zehntausend Kalorien verbrannt, du musst etwas essen“, ordnete er an. „Eigentlich ist es ja eher ein Mittagessen als ein Frühstück, aber ich hoffe, es schmeckt dir trotzdem.“

„Mittagessen? Aber wir …“ Jennas Blick ging zu der Uhr an der Wand. „Oh, nein! Es ist ja schon zehn nach zwei!“

Ryan goss ihnen Kaffee ein. „Wie gesagt – zehntausend Kalorien.“ Als er Jennas Blick auffing, hielt er inne. „Was ist los?“

„Nichts“, erwiderte sie heiser.

„Komm schon, Jenna. Wir wollten doch immer ehrlich zueinander sein.“

„Es fühlt sich seltsam an“, gestand sie. „Ich meine, hier mit dir zu sein. Auf … diese Weise.“ Sie wurde rot und trank schnell einen Schluck Kaffee, um ihre Verlegenheit zu überspielen.

„Gut seltsam oder schlecht seltsam?“, hakte Ryan nach.

„Beängstigend seltsam. Ich hatte noch nie einen anderen Mann als Clive.“

Er hatte schon etwas in der Richtung vermutet, dennoch war es ein kleiner Schock, es aus ihrem Mund zu hören. „Wirklich keinen?“

Sein verblüfftes Gesicht brachte Jenna zum Lachen. „Wann und wie hätte es denn dazu kommen sollen? Ich habe Clive mit sechzehn kennengelernt, und mit achtzehn bekam ich Lexi. Als sie in den Kindergarten kam, fing ich meine Ausbildung zur Krankenschwester an und war rund um die Uhr eingespannt. Zum Glück waren einige meiner Freundinnen ebenfalls berufstätige Mütter, sodass wir uns gegenseitig bei der Kinderbetreuung helfen konnten. Manchmal hatte ich das ganze Haus voller kleiner Schreihälse.“

Bei der Erinnerung glitt ein wehmütiges Lächeln über Jennas Gesicht. Es war eine anstrengende, aber auch schöne Zeit gewesen.

Ryan konnte sich das Bild lebhaft vorstellen. „Warum hast du eigentlich nicht mehr Kinder bekommen?“

„Clive wollte keine mehr.“

„So wie er nicht wollte, dass du dir einen Hund anschaffst oder Fisch isst?“

Sie lächelte schwach. „Du meinst, es wäre der ultimative Akt der Auflehnung gewesen, noch ein Baby zu bekommen? Das wäre wohl ein bisschen zu weit gegangen, meinst du nicht? Und jetzt ist es zu spät.“

„Wieso denn das?“

„Weil ich zu alt bin, zum Beispiel.“

„Du bist dreiunddreißig, Jenna. Da fangen viele Frauen erst an, über Kinder nachzudenken.“

„Aber da ist noch Lexi“, hielt sie ihm entgegen. „Es wäre schwierig für sie, wenn ich jetzt noch ein Kind bekäme.“

„Schwierig inwiefern?“

„Weil sie im letzten Jahr schon genug Veränderungen verkraften musste. Sie braucht jetzt vor allem Stabilität und Ruhe, und die will ich ihr geben, so gut ich kann. Warum reitest du überhaupt so auf diesem Thema herum?“

Gute Frage. Warum tat er es?

„Ich finde nur, dass du noch nicht zu alt für ein weiteres Kind bist, das ist alles.“ Ryan ignorierte den unangenehmen Druck in seiner Brust. Er wollte sich jetzt nicht mit den Gründen dafür auseinandersetzen, doch ihm war klar, dass er es früher oder später tun musste.