6. KAPITEL

Bis zu diesem Moment war Jenna nicht einmal ansatzweise klar gewesen, wie schwierig es sein konnte, ein geeignetes Outfit auszuwählen. Der gesamte Inhalt ihres Kleiderschranks lag bereits auf dem Bett, und noch immer hatte sie keine Ahnung, was sie anziehen sollte. Verzweifelt starrte sie auf das Durcheinander. War es denn wirklich so schwer, unter all diesen Klamotten etwas Passendes für einen simplen Grillabend am Strand zu finden?

Am Ende entschied sie sich für einen knöchellangen geblümten Rock und ein schlichtes weißes T-Shirt. Nun blieb nur noch die Frage offen, was sie mit ihrem Haar machen sollte. Sie stellte sich vor den Spiegel und probierte mehrere Varianten aus, aber keine stellte sie zufrieden. Vielleicht sollte ich es auf der einen Seite hochgesteckt und auf der anderen offen tragen, überlegte sie mit einem Anflug von Hysterie.

„Mum?“

Beim Klang von Lexis Stimme zuckte Jenna nervös zusammen und beförderte den Kleiderhaufen vom Bett eilig in den Schrank zurück. Sie drückte gerade die Tür zu, hinter der sich der Beweis ihrer Entschlusslosigkeit verbarg, als ihre Tochter hereinkam.

„Bist du fertig?“

„Fast. Ich muss nur noch schnell mein Haar richten.“

Hochgesteckt oder offen? Offen oder hochgesteckt? Es war zum Verzweifeln!

„Kann ich schon vorgehen? Ich bin mit Fraser verabredet.“

„Nein, wir gehen zusammen.“ Also offen, sagte Jenna sich und griff nach ihrer Strickjacke. Für etwas anderes blieb nun keine Zeit mehr. „Es wäre schön, wenn du mir Fraser nachher vorstellen würdest“, sagte sie auf dem Weg zur Treppe. „Ich würde ihn gern kennenlernen.“

Lexi verzog das Gesicht. „Wir sind nur Kumpel, Mum. Das Stadium, in dem eine elterliche Begutachtung angebracht wäre, ist also noch nicht erreicht.“

In der Diele schnappte Jenna sich die Schlüssel und die große Schale mit Erdbeeren, die ihr Beitrag zur allgemeinen Verköstigung war. „Dies ist Glenmore. Auf einer Insel dieser Größe lernt man früher oder später sowieso sämtliche Einwohner kennen. Jeder trifft hier jeden ungefähr fünfmal am Tag.“ Sie wünschte, sie würde ihr Haar nicht offen tragen. Es fühlte sich wild und ungebändigt an, und sie wollte sich gefasst und beherrscht fühlen.

„Alles in Ordnung mit dir, Mum?“

„Ja, sicher. Warum fragst du?“

„Ich weiß nicht … irgendwie wirkst du zerfahren und nervös.“ Lexi musterte sie stirnrunzelnd. „Seit gestern verhältst du dich überhaupt sehr merkwürdig.“

„Ich bin nicht nervös. Warum sollte ich es auch sein? Ich habe überhaupt keinen Grund dafür.“

„Schon gut, Mum, komm wieder runter. Ich verstehe ja, dass es ein großes Ereignis für dich ist, mal abends auszugehen. Aber benimm dich nicht zu peinlich, okay?“

Jenna schloss die Tür ab, eine alte Gewohnheit aus London. „Ich wollte dich gerade um dasselbe bitten.“

„Keine Sorge“, beruhigte Lexi sie. „Ich werde ein Musterbeispiel an korrektem Verhalten abgeben. Solange du mir versprichst, auf gar keinen Fall zu tanzen.“

Ryan sah, wie sie über den Sand auf ihn zukam. Wie am Tag ihrer ersten Begegnung trug sie ihr wundervolles Haar offen.

Als er die Bierflasche an seine Lippen hob und an den Kuss dachte, spürte er die Verspannung in seinen Schultern. Er hatte nicht vorgehabt, sie zu küssen, aber die Versuchung war zu groß gewesen, und jetzt bekam er die Erinnerung daran nicht mehr aus dem Kopf.

Warum hatte gerade diese Frau so eine starke Wirkung auf ihn? Ihre fantastische Figur war sicher nicht der Grund dafür – jedenfalls nicht der entscheidende. Er war schon vielen Frauen mit schönen Körpern begegnet, und keine von ihnen hatte ihn mehr als nur oberflächlich gereizt. Aber Jenna …

Vielleicht lag es an ihrem hinreißenden Lächeln. Oder an der Verletzlichkeit, die sie ausstrahlte. Möglicherweise war es auch ihre Ehrlichkeit. Während sich die meisten Menschen hinter einer Fassade versteckten, um die dunklen Seiten in ihrem Leben zu verbergen, sah sie ihren Problemen mutig ins Gesicht.

Was auch immer ihren Reiz ausmachte – sie ging ihm auf eine Weise unter die Haut, die ihn ernsthaft beunruhigte. Wenn er sich seinen mühsam errungenen Seelenfrieden bewahren wollte, wäre es sehr dumm, sich auf eine frisch geschiedene Frau mit einer halbwüchsigen Tochter zu fixieren.

Das Problem war nur, dass sein Körper sich nicht um Vernunft kümmerte. Es genügte schon, sie auf sich zukommen zu sehen, um den Drang in ihm zu wecken, sie auf der Stelle zu nehmen. Dabei war sie in keiner Weise provozierend gekleidet. Der hübsche sommerliche Rock reichte ihr bis zu den Knöcheln, und der Ausschnitt ihres T-Shirts gab kaum mehr als ihren schlanken Hals preis.

Offenbar hatte sie keine Absicht, aufreizend zu wirken, doch der unberechenbare Wind auf Glenmore hatte seinen eigenen Willen. Er drückte den Rock an ihre Oberschenkel, fand den Schlitz an der Seite und ließ den dünnen Stoff hoch auffliegen, wobei er lange, schlanke Beine enthüllte und etwas Türkisfarbenes aufblitzen ließ, das wie ein Badeanzug aussah.

Schmunzelnd beobachtete Ryan, wie sie mit hochrotem Gesicht versuchte, den Rock wieder an Ort und Stelle zu ziehen. Für eine junge Frau aus London wirkte sie erstaunlich „uncool“, wie Lexi es formuliert hätte. Mit der großen geblümten Tasche über der Schulter und dem scheuen Blick, mit dem sie sich umschaute, könnte man sie für ein unbedarftes Mädchen vom Lande halten. Nachdem sie sich gestern während der Sprechstunde alle Mühe gegeben hatte, ihm aus dem Weg zu gehen, traf Ryan ihr Anblick wie ein Schlag in den Magen.

„Sie wäre perfekt für dich“, bemerkte Evanna, die unbemerkt hinter ihn getreten war.

Langsam drehte er sich zu ihr um. „Du gibst niemals auf, stimmt’s?“

„Nicht, wenn ich glaube, dass mein Einsatz die Mühe wert ist.“

„Ich wäre dir dankbar, wenn du dich da heraushalten würdest.“

Evanna breitete mit einem unschuldigen Lächeln die Hände aus. „Ich will nur helfen.“

„Danke, aber ich ziehe es vor, meine persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln.“

„Also gut“, lenkte sie ein. „Wenn du mir versprichst, sie dir nicht durch die Lappen gehen zu lassen, verspreche ich, mich in Zukunft zurückzuhalten.“

Ryan stieß langsam die Luft aus. „Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass das Leben nicht immer in so hübsch geordneten Bahnen verläuft, wie du es gern hättest?“

„Es macht eine Menge Arbeit, die Bahnen so hübsch zu ordnen.“ Evanna stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen raschen Kuss auf die Wange. „Du lebst jetzt seit zwei Jahren wie ein Einsiedler in deinem Leuchtturm, Ryan. Das ist lange genug. Lass nicht zu, dass die Vergangenheit auch noch deine Zukunft ruiniert.“

Ryan dachte an den Kuss am Strand und die Gefühle, die Jenna in ihm wachrief. „Nein“, murmelte er halb zu sich selbst. „Das werde ich nicht.“

„Ist meine Frau schon wieder dabei, dein Liebesleben in Ordnung zu bringen?“ Logan kam mit seinem kleinen Sohn Charlie auf den Schultern zu ihnen hinübergeschlendert.

„Was redest du da für einen Unsinn! So etwas würde mir nicht einmal im Traum einfallen.“ Evanna drückte ihm eine Schüssel mit grünem Salat in die Hände. „Kannst du die bitte auf den Tisch neben die Tomatensauce stellen? Ich gehe mal zu Jenna rüber und sehe zu, dass sie sich willkommen fühlt. Sie sieht nervös aus. Bestimmt fühlt sie sich durch die vielen Menschen eingeschüchtert.“

„Wie sieht Tomatensauce denn aus?“ Logan rückte den leicht abgerutschten Charlie auf seinen Schultern zurecht und nahm Evanna die Schüssel ab. „Ist das dieses breiige rote Zeug?“ Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen liebevollen Kuss auf den Mund, den seine Frau mit einem leisen Seufzer erwiderte.

Als Ryan die zärtlichen Blicke sah, die sie tauschten, die vertraute Art, wie sie einander berührten, spürte er einen scharfen Stich in seinem Innern. Betroffen registrierte er, dass es Neid war.

Nicht einmal in der ersten Zeit war seine Beziehung mit Connie so innig gewesen, und auch später hatten sie nie diesen Grad an Nähe erreicht. Im Grunde war das Desaster zwischen ihnen von Anfang an vorprogrammiert gewesen. Hätte sein Beruf ihn nicht so in Anspruch genommen, hätte er die Vorzeichen vielleicht erkannt. Vielleicht aber auch nicht. Connie hatte ihre Rolle gut gespielt.

Er trank einen großen Schluck Bier, während er Evanna nachblickte, die durch den Sand auf Jenna zulief. Nach einer herzlichen Umarmung begann sie, ihr wild gestikulierend etwas zu erzählen. Ryan hatte keine Ahnung, worum es ging, aber es brachte Jenna zum Lachen. Es war ein klares, helles und so durch und durch echtes Lachen, dass sich jeder Muskel seines Körpers anspannte. Er bezweifelte, dass Jenna je in ihrem Leben einen Mann manipuliert hatte. Wahrscheinlich wusste sie gar nicht, wie man das überhaupt anstellte.

Unter halb gesenkten Lidern beobachtete er, wie sie und Evanna an ihm vorbei zu dem meterlangen improvisierten Buffet gingen. Jenna holte eine große Schale leuchtend roter Erdbeeren aus ihrer Tasche und stellte sie auf den Tisch. Jemand machte eine Bemerkung dazu, und im Nu war sie in ein lebhaftes Gespräch mit einer Gruppe gut gelaunter Einheimischer verwickelt.

Es war, als wäre sie hier geboren. Nach wenigen Sekunden stellte Ryan fest, dass sie überall hinblickte, nur nicht zu ihm. Evanna fing seinen Blick auf, und die stumme Botschaft, die sie ihm zukommen ließ, war eindeutig: Wenn du jetzt nicht aktiv wirst, werde ich die Sache in die Hand nehmen.

Also schlenderte er zu Jenna hinüber, die mit Feuereifer begann, die Schüsseln und Platten mit dem Essen hin und her zu rücken und so zu tun, als würde sie ihn nicht bemerken.

„Wo ist denn Rebel?“ Ryan spürte, wie ein Prickeln durch seinen angespannten Körper rann, als er neben ihr stehen blieb.

Sie stellte vorsichtig die Schüssel ab, die sie gerade in den Händen hielt, und blickte zu ihm auf.

„Lexi hat ihn an der Leine. Ich dachte, all die Würstchen und Steaks hier könnten eine zu große Versuchung für ihn sein.“

„Da hast du vermutlich richtig gedacht.“ Er bemerkte, dass ihre Wangen sich leicht gerötet hatten und sie sehr darauf achtete, seinen Mund nicht anzusehen.

Nein, dachte er. Jenna würde nie mit einem Mann spielen oder ihm etwas vorgaukeln, um ihre eigenen Wünsche durchzusetzen. Sie war ehrlich und ohne jede Arglist. Und erstaunlich naiv für eine Frau in den Dreißigern.

Mit Stöpseln in den Ohren und ihrem iPod in der Gesäßtasche ihrer Jeans kam Lexi zum Tisch geschlendert. Ihr Kopf bewegte sich im Rhythmus der Musik, die sie gerade hörte, während Rebel, den sie fest an der Leine hielt, beharrlich in die andere Richtung strebte.

„Hi, Ryan“, sagte sie lässig, worauf Jenna peinlich berührt zusammenzuckte.

„Also wirklich, Alexandra! Du kannst Dr. McKinley doch nicht einfach Ryan nennen!“

„Wieso denn nicht? Du nennst ihn doch auch so und duzt ihn sogar.“

„Weil das in der Praxis so üblich ist. Wir arbeiten zusammen und …“

„Das ist schon okay.“ Ryan, der sich nur mit Mühe das Grinsen verkneifen konnte, hob beschwichtigend die Hand. „Du kannst mich ruhig Ryan nennen“, versicherte er Lexi. Dann beugte er sich zu Rebel hinunter und tätschelte ihm den Rücken. „Na, wie geht’s, alter Freund?“

Der Hund sah ihm in die Augen und machte augenblicklich Platz.

„Hast du das gesehen, Mum? Er hat sich ohne jedes Kommando hingelegt!“ Entgeistert starrte Lexi den Hund an, dann kam ihr ein Gedanke. „Warum nimmst du ihn nicht für eine Weile? Anscheinend hat er vor, heute Abend brav zu sein. Ich geh mal zu meinen Freunden rüber.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte sie ihrer Mutter die Leine in die Hand und lief zu einer Gruppe Jugendlicher, die sich ein Stück weiter um ein Lagerfeuer versammelt hatte.

„Ich fürchte, es war ein Fehler, ihn mitzunehmen.“ Jenna umklammerte die Leine so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. „Falls er beschließen sollte, sich über das Grillgut herzumachen, kannst nur du ihn davon abhalten.“

„Du überschätzt meinen Einfluss auf ihn.“

„Hoffentlich nicht, denn andernfalls steht mir eine ernsthafte Peinlichkeit bevor.“

„Ich glaube, dazu ist es schon gekommen.“ Ryan sprach so leise, dass niemand außer ihr ihn hören konnte. „Jedenfalls scheinst du es so zu erleben. Dabei gibt es nichts, was dir peinlich sein müsste. Und es war auch völlig unnötig, mir gestern den ganzen Tag lang aus dem Weg zu gehen.“

Sie atmete tief durch und hielt den Blick fest auf Rebel gerichtet. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihn an. „Ich habe seit langer Zeit niemanden mehr geküsst und hatte nicht erwartet, dass es so …“ Sie ließ den Satz unbeendet, aber Ryan wusste genau, was sie hatte sagen wollen.

„Ich hatte es auch nicht erwartet.“ Plötzlich bereute er, dieses Gespräch hier begonnen zu haben, wo sie wie auf dem Präsentierteller standen. Er hätte Jenna an eine ruhige Stelle abseits des Trubels führen sollen, wo er in der Lage gewesen wäre, seine Handlungen mit seinen Worten in Einklang zu bringen.

„Wenn die Leute gestern früh am Strand uns erkannt haben, weiß es bestimmt schon die ganze Insel“, murmelte sie unglücklich.

„Davon ist auszugehen.“

„Und Hamish und Evanna und alle, die uns sonst noch verkuppeln wollen, haben sich wahrscheinlich schon zu ihrer gelungenen Mission beglückwünscht.“

„Das würde mich nicht wundern.“

„Nervt dich das nicht?“

„Doch, ein bisschen schon, aber darum geht es doch nicht. Ich habe dich nicht geküsst, um die Erwartungen irgendwelcher Leute zu erfüllen, sondern weil ich es wollte.“ Und er würde es sofort wieder tun, egal, wo sie gerade waren.

Jenna blickte verstohlen um sich. „Sie beobachten uns“, flüsterte sie.

„Ignorier sie einfach. Was möchtest du trinken?“

„Was trinkst du?“

„Ginger Ale“, erwiderte er trocken. „Ich habe heute Bereitschaftsdienst. Soll ich dir ein Glas Wein bringen?“

Sie zögerte kurz, dann blitzte es übermütig in ihren Augen auf. „Ich hätte Lust auf ein Bier. Aus der Flasche. Du musst dich also nicht um ein Glas bemühen.“

Ryan zog eine Flasche aus einer der Kühltaschen und ließ den Bügelverschluss aufschnappen, bevor er sie ihr reichte. Vielleicht kannte er sie doch nicht so gut, wie er glaubte. Sie hatte definitiv nicht den Eindruck einer Frau auf ihn gemacht, die Bier aus der Flasche trank.

„Cheers.“ Mit dem Lächeln eines aufmüpfigen Kindes genehmigte sie sich einen kräftigen Schluck, wobei die Hälfte der schäumenden Flüssigkeit auf der Vorderseite ihres T-Shirts landete.

„Was für eine Schweinerei!“ Sie schnitt eine Grimasse und zog den durchnässten Stoff von ihrer Brust weg. „Jetzt halten mich bestimmt alle für eine Alkoholikerin.“

„Alkoholiker schaffen es normalerweise, den Alkohol vollständig in ihren Mund zu befördern.“ Ryan nahm einen Stapel Servietten vom Tisch und drückte sie gegen den Fleck, um die Feuchtigkeit aufzusaugen. Dass seine Finger dabei hin und wieder mit ihren Brüsten in Berührung kamen, war quasi unvermeidlich. „Ich nehme an, dein Mann war mehr der Typ für ein gepflegtes Glas Wein.“

Jenna hob leicht die Brauen. „Woher willst du wissen, was mein Mann getrunken hat?“

„Es war eine reine Vermutung, gestützt auf die Beobachtung, dass du stets das Gegenteil von dem zu tun scheinst, was du während deiner Ehe getan hast. Du hast dir einen Hund angeschafft, isst drei Mal die Woche Fisch und jetzt trinkst du – offensichtlich zum ersten Mal in deinem Leben – Bier aus der Flasche.“

„Woher weißt du das mit dem Fisch?“

„Hamish hat es erwähnt.“

Natürlich! Warum war sie nicht selbst darauf gekommen?

„Auf der Insel wird eben über alles geredet“, sprach Ryan ihre Gedanken aus. „Das solltest du inzwischen wissen.“

„In dem Fall lässt du besser die Finger von meinem T-Shirt.“ Sie nahm ihm die Servietten aus der Hand und begann, den nassen Stoff selbst zu bearbeiten. „Wir müssen die Gerüchteküche ja nicht noch mehr anheizen.“

Er musterte sie interessiert. „Nimmst du das Getratsche denn so ernst?“

„Wenn ich damit rechnen muss, dass es Lexi zu Ohren kommt, ja.“

Die wild pochende Ader an ihrem Hals verriet Ryan, dass sie das heftige Knistern zwischen ihnen auch wahrnahm. „Soll ich dir vielleicht ein anderes Getränk besorgen?“

„Kommt nicht infrage! So leicht gebe ich nicht auf.“ In ihren Augen blitzte wieder der Schalk. Und Entschlossenheit. „Wenn du aus der Flasche trinken kannst, ohne dich zu bekleckern, dann kann ich es auch …“ Sie setzte die Flasche ein zweites Mal an und nahm einen Schluck. Diesmal ging kein einziger Tropfen daneben.

Ryans ganzer Körper pochte vor Begehren, als er ihr zusah. Die Art, wie ihre rosigen Lippen den Flaschenhals umschlossen, beschwor Bilder in ihm herauf, die alles andere als jugendfrei waren.

Inzwischen war Evanna wieder zum Buffet zurückgekehrt, um eine weitere Schüssel Salat, die jemand mitgebracht hatte, abzustellen. Während sie vorgab, ein wenig Ordnung auf dem Tisch zu schaffen, verirrte ihr Blick sich immer wieder in seine und Jennas Richtung.

Plötzlich verspürte Ryan den heftigen Drang, Jenna zu beschützen. Sie sollte nach Lust und Laune ausgehen und Bekanntschaften machen dürfen, ohne dabei ständig das Gefühl haben zu müssen, dass alles, was sie tat, analysiert und breitgetreten wurde.

Er war gerade im Begriff, zu Evanna zu gehen und ein Machtwort zu sprechen, als sein Handy klingelte. Am liebsten hätte er es ignoriert, doch da er Bereitschaftsdienst hatte, musste er den Anruf annehmen.

Nachdem er sich mit einem knappen „McKinley“ gemeldet hatte, hörte er etwa zehn Sekunden lang nur zu. Dann sagte er: „Alles klar, ich bin sofort da.“

„Das war Ben, der Wirt vom Stag’s Head“, informierte er die beiden Frauen. „Ein Tourist ist zusammengebrochen und kämpft mit schweren Atemproblemen, ohne dass ein erkennbarer Grund dafür vorhanden wäre.“

Evanna, die eine solche Situation nicht zum ersten Mal erlebte, hatte schon den Arztkoffer geholt und drückte ihn Ryan in die Hand. „Wenn du Verstärkung brauchst, gib Bescheid. Logan hat sein Handy dabei und ist jederzeit erreichbar.“

„Ich komme mit“, erklärte Jenna kurz entschlossen. Sie warf Evanna einen bittenden Blick zu. „Lexi ist hier irgendwo mit Fraser unterwegs. Würdest du für mich ein Auge auf sie haben? Und auch auf Rebel?“

„Natürlich.“ Evanna nahm Jenna die Hundeleine ab. „Mach dir deswegen keine Gedanken.“

Jenna dankte ihr mit einem flüchtigen Lächeln und hastete hinter Ryan her, der sich schon auf den Weg zum Pub gemacht hatte, das zum Glück ganz in der Nähe lag. Als sie hinter ihm die Gaststube betrat, kam sie sich in ihrem langen Rock und dem befleckten T-Shirt ziemlich lächerlich vor, doch ein einziger Blick auf den auf dem Boden liegenden Mann ließ sie jeden Gedanken an solche Lappalien vergessen. Seine Augen und Lippen waren stark geschwollen, die Atmung ging pfeifend und mühsam. Offenbar bekam er kaum noch Luft.

Seine völlig aufgelöste Frau kauerte neben ihm und rüttelte ihn immer wieder an der Schulter. „Pete, bitte!“, rief sie verzweifelt. „Was ist denn los? Bitte sag doch was, Pete …“

„Was genau ist passiert?“ Ryan kniete bereits auf der anderen Seite des Mannes und untersuchte seine Atemwege. Seine Finger bewegten sich rasch und geschickt, überprüften verschiedene Möglichkeiten, schlossen sie wieder aus und forschten weiter nach dem Grund für seinen Zustand.

„Gerade eben haben sie noch beim Abendbrot gesessen.“ Ben stand neben ihnen und fuhr sich ratlos über den dichten grauen Haarschopf. „Dann hat er sich plötzlich an die Kehle gegriffen und ist zu Boden gestürzt.“

„Das kam alles aus dem Nichts“, schluchzte die Frau. „Als wir heute Nachmittag am Strand waren, war er noch völlig in Ordnung.“

„Hat er irgendwelche Allergien, oder ist er vielleicht von einem Insekt gestochen worden?“

In den Augen der Frau stand Panik. „Nein! Ich glaube nicht, dass er gestochen wurde, und er ist auch gegen nichts allergisch. Wird er jetzt sterben?“

Ryan griff in den Arztkoffer und nahm eine Spritze heraus. „Nein, er wird nicht sterben. Ben, ruf den Rettungsdienst und bring mir die Sauerstoffflasche, die du im Hinterzimmer hast.“ Mit eiskalter Ruhe injizierte Ryan das Adrenalin in den Oberschenkel des Mannes. „Können Sie mich hören, Pete? Ich bin Dr. McKinley.“

Jenna riss den Blick von seinen Händen los und wandte sich der Frau des Patienten zu. „Was genau hat Ihr Mann denn gegessen?“ Sie blickte über den Tisch, auf dem noch immer die Reste des Abendessens standen. „Fischpastete?“

„Ja, aber davon hat er nur sehr wenig gegessen.“

„Waren Garnelen darin?“

„Ja“, bestätigte Ben, der gerade mit der Sauerstoffflasche zurückkam. „Aber an denen kann es nicht liegen, sie sind erst heute Morgen gefangen worden.“

„Ich denke nicht an eine Lebensmittelvergiftung“, beruhigte Jenna ihn rasch. „Aber vielleicht ist er allergisch gegen Schalentiere.“

Ryan hatte inzwischen die Sauerstoffmaske über Mund und Nase des Mannes gezogen. „Das wäre möglich“, stimmte er ihr zu. „Jedenfalls würde es die Symptome erklären.“ Er stellte die Sauerstoffzufuhr ein. „Wir warten fünf Minuten, dann gebe ich ihm noch eine Spritze. Kannst du sie schon mal bereitlegen, Jenna?“

Sie suchte und fand das gewünschte Medikament und nahm noch einige andere, die sie wahrscheinlich brauchen würden, aus dem Arztkoffer.

„Eine Schalentierallergie?“ Die Ehefrau des Patienten sah die beiden erschrocken an. „Aber das war nicht das erste Mal, dass er Garnelen oder Krebse gegessen hat. Kann man denn ganz plötzlich gegen etwas allergisch werden? “

„Leg ihm bitte den Stauschlauch um den Arm, Jenna. Ich will einen Zugang legen.“

„Ja, so etwas kommt vor“, beantwortete sie die Frage der Frau, während sie Ryans Anweisung folgte. „Viele Menschen entwickeln erst im Erwachsenenalter eine Allergie gegen Nahrungsmittel, die sie vorher gut vertragen haben.“

Fasziniert beobachtete sie, mit welcher Geschwindigkeit und Präzision Ryan den Venenzugang legte. Ihre Finger lagen für einen Moment über seinen, als sie mit einem Pflaster die Kanüle befestigte, um sie an ihrem Platz zu fixieren. „Dr. McKinley hat Ihrem Mann gerade eine Injektion gegeben, die dieser Reaktion entgegenwirkt.“

Das Gesicht der Frau wurde noch eine Spur blasser. „Wird es funktionieren?“

„Ich hoffe es“. Ryan nahm die Spritze, die Jenna ihm hinhielt. „Das war eine ziemlich heftige Reaktion, daher gebe ich ihm jetzt noch eine Dosis und danach Antihistamine und Hydrocortison.“

„Der Rettungshubschrauber ist auf dem Weg“, verkündete Ben, und in diesem Moment kam Jenna eine Idee. Sie hob das T-Shirt des Mannes an und beugte sich ein Stück tiefer über ihn, um besser sehen zu können.

„Sieh dir mal diesen Ausschlag an, Ryan …“

Nach einem Blick auf die roten Pusteln, mit denen die Brust des Mannes übersät war, bestätigte er Jennas Vermutung. „Ich glaube, jetzt können wir mit ziemlicher Sicherheit von einer Schalentierallergie ausgehen.“ An die Frau des Patienten gewandt, fügte er hinzu: „Ihr Mann wird jetzt in ein Krankenhaus auf dem Festland gebracht. Dort wird man ihn während der Nacht beobachten und anschließend an einen Allergologen überweisen. Wo wohnen Sie?“

„In London. Wir machen hier Urlaub und wollten noch eine Woche bleiben.“ Die Frau starrte ungläubig auf die Brust ihres Mannes. „Ich habe noch nie einen Ausschlag gesehen, der sich so rasend schnell ausbreitet.“

„Das ist ein Symptom der allergischen Reaktion“, sagte Jenna ruhig. „Aber die Medikamente, die er bekommen hat, helfen gut dagegen.“

„Mit etwas Glück wird Ihr Mann schon morgen aus der Klinik entlassen, und Sie können Ihren Urlaub wie geplant beenden.“ Ryan sah sich den Ausschlag noch einmal gründlich an, bevor er den Puls überprüfte. „Das sieht gut aus“, stellte er fest. „Der Puls ist schon wieder fast normal, und seine Atmung hat sich auch verbessert. Die letzte Injektion scheint es gebracht zu haben.“

„Gott sei Dank …“ Die Frau sah aus, als würde sie gleich umfallen.

Jenna legte ihr fürsorglich den Arm um die Schultern. „Sind Sie allein mit Ihrem Mann hier, oder haben Sie noch Freunde oder Verwandte dabei?“

„Meine Schwester und ihr Mann sind auch hier. Sie sind bei dem Barbecue am Strand.“

„Ich kümmere mich darum“, erbot Ben sich sofort. Er ließ sich den Namen und eine kurze Beschreibung der beiden geben und schickte einen der Einheimischen, die sich im Pub aufhielten, zum Strand, um die Verwandten der Frau zu finden.

Wieder einmal war Jenna von den Inselbewohnern beeindruckt. Sie pflegten einen Zusammenhalt, mit dem sie Probleme auf eine Art und Weise lösten, die in einer großen Stadt undenkbar gewesen wäre.

Als der Rettungshubschrauber kam, war der Mann bereits wieder bei Bewusstsein, und die Verwandten der Frau waren ebenfalls gefunden worden. Sie trafen gerade ein, als Ryan mit den Sanitätern den Ablauf des Patiententransports besprach. Wenig später startete der Hubschrauber zu seinem kurzen Flug zum Festland.

Jenna betrachtete Ryan von der Seite und fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte. Sein von Sonne und Wind gebräuntes Gesicht wirkte etwas abgespannt, aber zufrieden. Das dunkle Haar, das in so reizvollem Kontrast zu den eisblauen Augen stand, wehte in der Brise. Wie verzaubert von seinem Anblick stand sie reglos da und spürte die Kraft, die sie magisch zu ihm hinzog. Sie vergaß die Verunsicherung, die ihre Gefühle für ihn in ihr auslösten, und sehnte sich nur noch danach, ihn wieder zu küssen.

Am liebsten jetzt gleich …

Als sie sich ihm langsam zuneigte, war sie so aufgeregt wie ein Schulmädchen. Ryan legte die Hände auf ihre Schultern und sah ihr in die Augen. Jetzt, dachte sie verträumt und glaubte schon, seine Lippen auf ihren zu spüren, als ein scharfes „Mum!“ sie unsanft aus ihrem rosaroten Kokon riss.

Wie aus dem Nichts aufgetaucht, stand Lexi plötzlich vor ihnen und starrte sie und Ryan mit großen Augen an.

„Was tust du da, Mum?“, fragte sie in einem Tonfall, als wäre sie die Mutter und Jenna die halbwüchsige Tochter, die im Begriff war, sich gründlich danebenzubenehmen.

Jennas Herz schlug hart und schnell, ihr Mund wurde trocken. Lexis Frage war völlig berechtigt. Was, in aller Welt, tue ich da? Sie war eine geschiedene Mutter von dreiunddreißig Jahren und kurz davor gewesen, ihren Arbeitskollegen zu küssen, während praktisch die ganze Insel zusah.

„Wir sollten wieder zum Barbecue zurückgehen“, meinte Ryan so entspannt, als wäre ihm die Brisanz der Situation völlig entgangen.

Jenna nickte. Sie fühlte sich wie betäubt. „Ja, das denke ich auch.“ Dies war ihr und Lexis neues Leben, und sie hätte es um ein Haar ruiniert. Und für was? Für einen Kuss?

„Ich habe einen Bärenhunger! Wenn nichts mehr zu essen da ist, bringe ich jemanden um.“ Ryan blieb an der Treppe stehen, die zum Strand hinunterführte. „Na, Jim, wie sieht’s aus?“

Jim?

Jenna brauchte einen Moment, um sich der Anwesenheit des Fährenkapitäns bewusst zu werden, der an der Treppenmauer lehnte und mit einem Einheimischen plauderte. War er schon die ganze Zeit hier gewesen? Es hätte ein Feuer ausbrechen, eine Flut sie überschwemmen oder ein Hurrikan die ganze Insel davonfegen können – alles, was sie bemerkte hätte, wäre Ryan gewesen.

„Sieht so aus, als hätten Sie mal wieder ein Leben gerettet, Doc.“ Grinsend kratzte Jim sich den Nacken und blickte zum Himmel hoch, an dem der Hubschrauber nur noch als kleiner Punkt zu erkennen war. „Heute Morgen sagte mir jemand auf der Fähre, dass er sich extra einen Kurzurlaub genommen hätte, um hier seinen Hautausschlag untersuchen zu lassen, weil die Jungs vom Glenmore Medical Centre immer genau wüssten, was sie tun.“

Ryan verzog das Gesicht. „Ich werde Logan darüber informieren. Offenbar haben wir nicht genug dafür getan, unseren Ruf der Nutzlosigkeit zu verteidigen.“

Lexi wartete am Fuß der Treppe. „Du schuldest mir noch eine Antwort, Mum“, erinnerte sie ihre Mutter. „Was hast du da vorhin mit Ryan gemacht?“

„Sie hat mit ihm den Einsatz nachbesprochen.“ Evanna, die mit Charlie auf dem Arm an Lexis Seite getreten war, rettete die Situation. „Wie ist es denn gelaufen, Jenna? Ich hoffe, ihr konntet dem Mann helfen.“

Jenna wollte etwas erwidern, aber ihre Kehle war wie zugeschnürt, sodass sie keinen Ton herausbekam. Zum Glück sprang Ryan für sie in die Bresche. „Als der Hubschrauber eintraf, war er wach und stabil“, antwortete er an ihrer Stelle. „Ich schätze, dass er morgen wieder auf den Beinen ist. Für meinen Geschmack waren zu viele Zuschauer dabei, aber man kann sich die Umstände nicht immer aussuchen.“

Jenna fragte sich, ob seine letzte Bemerkung die Behandlung des Patienten betraf oder den intimen Moment zwischen ihnen, als sie ihm beinahe um den Hals gefallen wäre.

Heftige Schuldgefühle übermannten sie, als sie verspätet erkannte, dass sie Ryan ebenso in Verlegenheit gebracht hatte wie sich selbst. Dies waren seine Freunde, seine Kollegen. Wahrscheinlich müsste er jetzt monatelang alle möglichen Anspielungen über sich ergehen lassen. Okay, er hatte sie auch geküsst, aber das war früh am Morgen gewesen, wo kaum ein Mensch unterwegs war.

„Nach allem, was ich gehört habe, hast du dich bei deinem ersten Notfalleinsatz als waschechte Glenmore-Schwester erwiesen. Man singt hier schon überall dein Loblied.“ Evanna schob ihre Hand unter Jennas Arm und schlenderte mit ihr zum Barbecue zurück, als wären sie schon seit einer Ewigkeit Freundinnen.

Vor dem Buffet blieb Evanna stehen und lud eine gewaltige Portion Kartoffelsalat auf einen Teller. „Deine Lexi kann übrigens wunderbar mit Kindern umgehen. Sie und Fraser haben sich ganz rührend um Kirsty gekümmert und waren sogar mit ihr schwimmen. Ach, Logan …“ Sie fing den Blick ihres Mannes ein und zeigte auf den Grill. „Besorg doch ein paar leckere Würstchen oder ein Steak für Jenna. Sie hat es sich redlich verdient.“

Jenna nahm das Essen mit einem dankbaren Lächeln entgegen, obwohl sie nicht den geringsten Hunger verspürte. Sie wollte nur zurück in ihr gemütliches Cottage, um in Ruhe zu überlegen, was sie Ryan sagen würde, wenn sie ihn das nächste Mal allein sah.

Vor allem musste sie sich für ihren aufdringlichen Annäherungsversuch entschuldigen. Damit war sie eindeutig zu weit gegangen, bei allem Verständnis für die Spätfolgen ihrer Scheidung. Es war okay, sich einen Hund anzuschaffen, mehrmals pro Woche Fisch zu essen und Bier aus der Flasche zu trinken. Aber ihn anzumachen, während halb Glenmore dabei zusah, war ein absolutes No-Go.

Lexi kam zu ihr und informierte sie, dass sie jetzt Volleyball spielen würde. „Das ist übrigens Fraser“, sagte sie dabei kühl und sah zu dem tief gebräunten schlanken Jungen mit sensiblen Gesichtszügen, von der Sonne gebleichtem Haar und einem kleinen Ring in der Nase.

„Hallo Fraser, nett dich kennenzulernen.“ Jenna wünschte, die Begegnung hätte zu einem Zeitpunkt stattgefunden, an dem sie in besserer Verfassung gewesen wäre. Trotzdem war sie froh, das Dauergesprächsthema ihrer Tochter endlich mit eigenen Augen zu sehen.

„Hi, Mrs. Richards.“ Fraser erwiderte unbefangen ihr Lächeln, und Jenna spürte, wie sich etwas in ihr entspannte. Ryan hatte recht gehabt. Er schien wirklich ein netter Junge zu sein. Sie hätte gern noch ein paar Worte mit ihm gewechselt, aber Lexi konnte die Situation offenbar nicht schnell genug beenden.

„Wir müssen jetzt los“, drängte sie und verabschiedete sich mit einem lässig hingeworfenen „Bis dann“.

„Ja, bis dann“, murmelte Jenna, während sie den beiden nachblickte. Sie wollte Fraser noch nachrufen, dass er gern mal im Cottage vorbeikommen könne, aber er war schon außer Hörweite. Gleich darauf holten sie die bedrückenden Gedanken an Ryan wieder ein. Sie wünschte sich weit weg von hier. Das fröhliche Gelächter und die ausgelassene Stimmung machten ihr die eigene Misere nur noch bewusster. Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen, aber damit hätte sie die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Und noch mehr Aufmerksamkeit war das Letzte, was sie jetzt brauchte.

Sie spürte Ryans Anwesenheit so deutlich, als würde er sie berühren. Den vereinzelten Gesprächsfetzen, die ihr der Wind zutrug, entnahm sie, dass er sich gerade mit Logan über den Rettungshubschrauber unterhielt. Konnte der Hubschrauber nicht zu ihr zurückfliegen, sobald er seinen Einsatz beendet hatte, und sie abholen? Jenna hatte das Gefühl, ihn dringend zu brauchen.

„Hier, für dich …“ Evanna, die anscheinend ihre Gedanken gelesen hatte, drückte ihr ein großes Glas Wein in die Hand. „Und guck nicht so besorgt, alles ist gut. Du und Ryan wart ein tolles Team.“

Jenna brachte ein steifes Lächeln zustande, aber alles, was sie denken konnte, war: Warum fühle ich mich so?

Sie musste sich Ryan aus dem Kopf schlagen.

Und endlich diesen Kuss am Strand vergessen!

Zum Glück war morgen Sonntag, und sie hatte frei. Was ihr einen ganzen Tag Zeit gab, um wieder zur Vernunft zu kommen.