Die Geschichte war schnell erzählt. Jo und eine Jugendliebe. Es hielt nicht. Das Mädchen Marlies wuchs bei der alleinerziehenden Mutter auf. Jo kümmerte sich, obwohl er offiziell nicht der Vater war.
»Ihren Weg musste sie allein finden und gehen. Dass sie sich ausgerechnet für meinen Beruf entscheidet, habe ich weder forciert noch gebremst.«
Und jetzt war Marlies tot. Kari senkte den Kopf, der auf einmal schwer wie Blei war.
»Ich kann es nicht fassen«, murmelte sie.
»Chef?« Die Tür, die von der Lobby ins Restaurant führte, schwang auf. »Wir müssen über den Ablauf morgen reden.« Es war Tarkan, der Beamte, der sie gefahren hatte.
»Ja. Ja, natürlich.« Jo winkte den Mann heran. »Die Kollegin Lürsen wird diese Nacht über bei uns bleiben. Die junge Dame, Beatrice, ist verständlicherweise verstört. Ich denke, es ist das Beste, wenn jemand, den sie kennt, momentan noch bei ihr bleibt. Die Verantwortung für die Zeugin Sandrine Leonhardt tragt ab sofort ihr als das neue Team. Strengste Geheimhaltung, aber das muss ich euch ja nicht erklären. Lagebesprechung in einer Viertelstunde hier.«
Tarkan nickte und verschwand. Kari starrte Jo verständnislos an.
»Wovon redet ihr?«
»Der Prozess gegen Gereon Leonhardt wird morgen um neun Uhr pünktlich beginnen. Mit der Belastungszeugin.«
»Sandra … sie war nicht in dem abgestürzten Hubschrauber?«
Eine Welle der Erleichterung durchflutete sie.
»Es gab keinen Hubschrauberabsturz.« Jo lächelte leicht sardonisch. »Wir haben das inszeniert, damit uns Leonhardt nicht auf den letzten Metern noch dazwischenfunkt. Morgen wird die Meldung kommen, dass der vermisste Heli unbeschadet landen konnte. «
»Das war alles ein Fake? Um Sandra in Sicherheit zu bringen? Wie habt ihr das angestellt?«
»Als ich nach Föhr kam, habe ich Marlies reinen Wein über meine Vermutungen eingeschenkt. Sie wusste bis zu diesem Zeitpunkt nicht, dass der erste Zeuge gegen Leonhardt getötet wurde. Und seine beiden Personenschützer ebenfalls. Sie ist noch nicht so erfahren, da wollte ich sie nicht damit belasten. Nun sagte ich ihr die Wahrheit. Fragte sie, ob sie sich einen Reim darauf machen konnte, dass Franka die alte Zimmeraufteilung kannte, nicht aber die neue. Wir gingen alle Möglichkeiten durch. Ich kenne sie gut genug. Habe gemerkt, wie es in ihrem Hirn arbeitete. Sie wollte erst nicht so richtig rausrücken mit der Sprache. War offensichtlich schockiert. Denn auch sie zog die richtigen Schlüsse. Sie konnte es nicht glauben, dass sie selbst das Leck war, wenngleich unbeabsichtigt. Dann kam die ganze Geschichte ans Tageslicht. Die Affäre mit Tobias. Ihre Telefonate, die ihrer Meinung nach lediglich privater Natur gewesen waren. Jetzt erst fiel ihr auf, wie geschickt Tobias sie ausgehorcht hatte. Als besorgter Liebhaber. Als geschätzter Kollege. Sie brach mir fast zusammen. Wir haben dann den Plan geschmiedet, ihn in eine Falle zu locken. Daher habe ich sie gebeten, vor dem Abflugtag genau die Infos weiterzugeben, die er für seinen Auftraggeber brauchte. Wann und auf welchem Weg wir die beiden Frauen von Föhr nach Hamburg bringen würden. Sobald klar war, dass Tobias über dieses Wissen verfügte, wurde der Hangar durchgehend und sehr diskret überwacht. Die Mission war erfolgreich. Wir konnten jemanden festnehmen. Diejenige Person hat nachts eine Sprengladung an dem von uns gecharterten Helikopter angebracht. Wir haben abgewartet, bis die Sache erledigt und dem Auftraggeber als solches gemeldet war. Dann haben wir uns den Kerl geschnappt. Anhand der Telefonverbindungen konnten wir einen direkten Bezug zu Leonhardts Anwalt herstellen, der regelmäßig auch von Tobias angerufen worden war.«
»Alle Achtung.« Kari sah ihren Chef voller Bewunderung an.
»Wir wollen dem Kerl endlich das Handwerk legen«, brummte er.
»Wo sind Sandra und Marlies jetzt?«
»In Sicherheit.«
»Darf Bea wissen, dass ihre Mutter lebt?«
Jo wandte den Kopf und sah zum Fenster hinaus.
»Was denkst du, Kari? Das Mädchen hat seiner Mutter den Tod gewünscht. Wollte immer zum Vater zurück, den es verehrt. Können wir auf den letzten Metern riskieren, dass sie Gereon, über welche Kanäle auch immer, warnt?«
»Du hast recht«, murmelte Kari. »Lassen wir sie heute noch in dem Glauben. So schwer es mir auch fällt. Morgen wird sie die Wahrheit erfahren.«