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Deutschland:
Ein Schreckensmärchen
Das, was wir heute als Deutschland kennen, lag einmal auf dem Meeresgrund. Nun, nicht genau die Städte und Dörfer, denen Sie im 21. Jahrhundert aus dem Weg gehen sollten (auch wenn diese gelegentlich wirken, als wären sie lange Zeit unter Wasser zersetzt worden). Nein, die eigentliche Scholle, sie ruhte auf dem Grund des Indischen Ozeans. Durch eine Vielzahl von Erdbeben, Vulkanausbrüchen und vorgezogenen Neuwahlen stülpte sich irgendwann unsere Kontinentalplatte um, wanderte quer durch den Nahen Osten und ließ sich irgendwann nieder. Seitdem sprießen hierzulande Wälder, unnütze Adelsgeschlechter und Baumärkte wie Unkraut.
In Deutschland wollte eigentlich niemand wohnen. Damals zogen entweder die Skandinavier nach Süden, wo jeden Tag die Sonne schien, oder die Römer nach Norden, obwohl es dort kalt und langweilig war. Die deutschen Ureinwohner hatten auch ohne die Straßenverkehrsordnung ein Problem mit der Orientierung und bauten sich wenig gebräuchliche Himmelsscheiben. Als die Germanen begannen, erste Ballsportvereine zu gründen, wandten sich die umliegenden Völker mit Grausen von ihnen ab. Sie begannen erfolglos, das Elfmeterschießen zu trainieren und kümmerten sich auch sonst um ihren eigenen Kram. Spätere Königshäuser ließen als Zeitvertreib vom Pöbel einsturzgefährdete Kastelle an schlecht zugänglichen Orten bauen, an die in späteren Jahrhunderten putzige Türmchen angeflanscht wurden, um japanische Touristen anzulocken.
Das Mittelalter war in Deutschland besonders dunkel – und damit ein Vorgeschmack auf die Schrecken der Neuzeit (Zinsbindung, Flatrate-Partys, Helmut Kohl). Kutschen konnten keine zwanzig Meter fahren, ohne dass ein Schlagbaum runterging und Wegegeld verlangt wurde (eine Tradition, deren Pflege sich heutzutage die Deutsche Bahn auf die Fahnen geschrieben hat). Deswegen war es für Nichtreisende ein goldenes Zeitalter – wer es sich leisten konnte, blieb einfach in seiner Burg, größtenteils ungestört, und trank Bier. Nur der Fernsehempfang war aufgrund fehlender Satelliten und Kabelleitungen eher problematisch.
Die damalige Vielländerei war ein Flickenteppich des Wahnsinns. Patriotismus funktionierte auf kommunaler Ebene, die Landesfürsten waren noch ebensolche, statt sich auf Weinfesten als Volksbelustiger oder Anzapfer zu präsentieren. Weil dieses Chaos bei ihm Kopfschmerzen auslöste, kam Napoleon I. rüber und räumte auf. Preußen und Bayern waren mittelfristig davon nicht erbaut, und es kam wieder zu unübersichtlichen Allianzen und Ränken, bis schließlich ein Kaiserschnitt gemacht wurde und eine Art Deutschland geboren war.
Dieses Land überlegte es sich dann anders mit der Monarchie, importierte sich einen schnauzbärtigen Reise-Führer, baute Panzer und erfand den Blitzkrieg, der als Export ein Flop war. Danach gab es Einigkeit und Recht auf Freizeit für die eine Hälfte, während die andere auf den Sonderzug nach Pankow wartete und unfreiwillig zu Stubenhockern wurde. Dann wurde wieder mal ein Zaun gebaut, mit Bewaffneten, quasi ein Jägerzaun. Die einen wählten einen dicken Mann mit Brille, die anderen ließen einen dünnen Mann mit Brille wählen. Der Zaun verlotterte. Dann wucherte zusammen, was zusammengehört.
Regionale Grausamkeiten
Bei so einer Geschichte sollten Sie vorher gut informiert sein, welcher Schrecken Sie im Zielgebiet erwartet, wenn Sie privat oder geschäftlich in Deutschland unterwegs sind. Jede Region bringt individuelle Seltsamkeiten mit sich, jede Stadt konfrontiert Sie unverblümt mit ihren Eigenheiten. Je besser Sie sich geistig auf Ihr Reiseziel einstellen, je mehr Sie über die Besonderheiten vor Ort wissen, desto leichter können Sie sich durchschleusen.
Ein wichtiger allgemeingültiger Tipp ist, sich den Einheimischen anzupassen, aber versuchen Sie gar nicht erst, so zu tun, als wären Sie einer von ihnen (es sei denn, Sie haben eine umfassende Schauspielausbildung genossen – in diesem Fall können Sie die Reise vielleicht sogar von der Steuer absetzen). Nein, verhalten Sie sich den Gegebenheiten entsprechend, aber verhehlen Sie Ihre Identität als Durchreisender nicht. Lassen Sie Ihren Stolz ruhig raushängen, den jeweiligen Ort bald wieder verlassen zu können, während die Einheimischen keine Wahl haben und dortbleiben müssen. Lachen Sie die Ortsansässigen nur nicht aus deswegen, das hat schon zu manchem Angriffskrieg geführt.
Je mehr Sie über eine Region wissen und darüber, wie die Menschen dort ticken, desto besser. Lernen Sie, mit dem Hintergrund zu verschmelzen, in Gesprächen die richtigen Stichwörter zu geben und korrekt auf traditionelle und folkloristische Ereignisse zu reagieren. Für einen Stubenhocker auf Reisen ist nichts schlimmer, als sich unvorbereitet in einer sozialen Situation wiederzufinden, bei der alle wissen, was das erwartete Verhalten ist – nur man selbst steht ahnungslos da. Eine bestimmte Geste ist an dem einen Ort das visuelle Gegenstück eines Jauchzens, anderswo eine Beleidigung.
Friesland
Eine der urigsten Regionen Deutschlands ist Friesland, doch Vorsicht: Es gibt deren zwei, und wie alle germanisch benachbarten Urvölker sind sie bis aufs Blut verfeindet. Das hat natürlich historische Gründe. Der Hamburger Landvogt hatte sich 1534 nicht entscheiden können, ob er seine Sommerresidenz mit Blick auf Borkum oder Pellworm bauen lassen wollte, weswegen es zum blutigen Elbkrieg kam, in dessen Folge die Elbmündung in jahrzehntelanger Plackerei von vier Metern auf die heutige Breite erweitert wurde, um den Sicherheitsabstand zwischen Ost- und Nordfriesen zu gewährleisten.
Im Gemüt unterscheiden sich die Ostfriesen und die Nordfriesen von Grund auf. Während Ostfriesen eher eigenbrötlerisch sind, sind Nordfriesen verschlossen. Reisende werden in Emden geschnitten, in Husum werden sie ignoriert. Beide Metropolen haben gemein, dass sie 78% ihres Haushalts über Parkgebühren finanzieren (den Rest über Schmiergelder der Fischlobby und den Länderfinanzausgleich).
Eine interessante linguistische Entwicklung ist, dass die Friesen nur mit einsilbigen Wörtern kommunizieren können. Ethnologen vermuten, dass dies ein Überbleibsel der Evolution ist und dass die Friesen in grauer Vorzeit telepathisch kommuniziert haben (auch heute tun sie es noch gelegentlich – im Gespräch mit mehreren Friesen werden Sie schnell feststellen, dass sich diese eine übereinstimmend negative Meinung über Sie bilden konnten, ohne miteinander auch nur ein Wort gewechselt zu haben). Daher genügen den Friesen einsilbige Wörter, um gewaltige semantische Inhalte zu transportieren. Leider hat die Elbtrennung dazu geführt, dass in beiden Regionen besagte Wörter unterschiedliche Bedeutungen angenommen haben. Damit Sie in dieser für Außenstehende verwirrenden Sprachlandschaft nicht den Überblick verlieren, finden Sie hier eine Übersicht der wichtigsten Wörter und den Kontext ihrer Bedeutung:
»Kiek!«
Nordfriesland: »Achtung, hinter dir!«
Ostfriesland: »Die Fähre hat schon abgelegt.«
»Öp!«
Nordfriesland: »Könnten Sie bitte nicht auf dem Radweg spazieren gehen? Nur weil Sie einen Kinderwagen mit Scheibenbremse rumrollen, macht Sie das noch nicht zu einem Verkehrsteilnehmer, der gemäß STvO für solche befestigten Wege zugelassen ist.«
Ostfriesland bei Ebbe: »Nein.«
Ostfriesland bei Flut: »Leider hatte ich nicht genug Material für lange Hosen.«
»Mutt!«
Nordfriesland vor 12 Uhr mittags: »Mein Kutter liegt vor Anker.«
Nordfriesland nach 12 Uhr mittags: vom Laster gefallener Fisch (Nom.)
Ostfriesland, Regen: alternativlos (Adj.)
Ostfriesland, Sonne: Metzgerschürze (Nom.)
»Büll!«
Nordfriesland bei Vollmond: »Ich ziehe es in Erwägung.«
Nordfriesland bei Neumond: entschieden zu großer Fisch (Nom.)
Ostfriesland, Festland: wie ein Fischstäbchen (Adj.)
Ostfriesland, Inseln: »Ich haue dir nur deswegen keine rein, weil ich extra dafür aufstehen müsste.«
»Moin!«
Nordfriesland: »Schau mich nicht so an.«
Ostfriesland: »Wir kaufen nichts.«
»Koog!«
Nordfriesland: ertrinken (v.)
Ostfriesland: Rücken einer Frau (Nom.)
»Shiet!«
Nordfriesland: »Ach, das war doch die Gasleitung?«
Ostfriesland: Weißwurst (Nom.)
Das bedeutet, dass Sie in Friesland am einfachsten bestehen, indem Sie die Klappe halten. Reden Sie so wenig wie möglich, und wenn Sie doch einmal den Mund aufmachen müssen, sollte das Resultat möglichst unverständlich und unverbindlich sein.
Harz
Der Harz hält zwei bundesweite Rekorde, und sicher besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen ihnen. Zum einen ist dies die abergläubischste Gegend Deutschlands, zum anderen die windigste ohne direkten Blick aufs Meer.
Geografisch ist der Harz schwer zu übersehen, selbst wenn man das möchte. Furunkelhaft ragt er zwischen diversen Autobahnen auf und ist von Wolken schicksalsverhangen (und Nebel). Schon die Urvölker hatten Probleme, eine Arbeitswoche auf dem Harz unfallfrei zu überstehen. Immer wieder verstümmelten sie sich mit ihren Werkzeugen, verschwanden in schlecht ausgeschilderten Stollen oder wurden Opfer eines Ehekrachs. Dies schoben die alten Germanen natürlich ihren Göttern in die Schuhe, vor allem den Ehekrach, was für noch mehr Ehekrach sorgte. So entstanden Sagen über das Unglück, das man im Harz erleiden musste, wenn man sich dort aufhielt, und die Rituale, wie man es vermeiden kann. Mit solchen Ritualen versuchten die Bewohner der Gegend auch, etwas gegen den strammen Wind zu bewirken, der immerzu über die Wipfel pfiff. Noch heute ist dieser heimtückische Wind unberechenbar und ändert Tag für Tag seine Richtung und Intensität, manchmal sogar stündlich.
Natürlich schlägt sich das im Harzbewohner nieder und spiegelt sich in seinem Umgang mit Fremden. Menschen aus anderen Regionen begegnen die Harzer mit generellem Misstrauen und gehen davon aus, dass diese nicht genug Rituale gegen das Unglück, gegen das Schicksal oder für ihre Gottheiten ausgeführt haben. Deswegen sind für die Harzer die Fremden daran schuld, dass sie sich heute Morgen den Finger in der Tür geklemmt haben (bzw. sind sie für den Wind verantwortlich, der die Tür zugeschlagen hat).
Wenn Sie den Harz besuchen, beherrschen Sie also besser alle abergläubischen Rituale. Jeder zweite Handgriff sollte darin bestehen, dass Sie sich bekreuzigen. Das Zeichen gegen den Bösen Blick ist auch gern gesehen und signalisiert Ihrem Gegenüber, dass Sie seine Sorgen ernst nehmen.
Führen Sie immerzu einen Beutel Salz mit sich, um davon eine Prise zu werfen. Wohin und auf welche Art Sie das tun, hängt von der jeweiligen Situation ab. Berechnen Sie aber auf alle Fälle die Windrichtung bei Ihrem Wurf ein.
Situation |
Wie die Prise Salz zu werfen ist |
Sie verschütten ein Glas |
Eine Prise Salz über die rechte Schulter. |
Sie verschütten ein Glas |
Zwei Prisen Salz über die linke Schulter. |
Sie verschütten beim |
Bei Vollmond über die linke Schulter eines |
Jemand deutet mit dem |
Werfen Sie das Salz senkrecht in die Luft. Fangen Sie dann mindestens die Hälfte wieder auf, sonst sterben Sie innerhalb |
Der Kellner im |
Eine Prise auf den Tisch und die rituellen Worte »Kann die Küche brauchen« sagen. |
Sie heben Geld am |
Zwischen den Beinen durch nach hinten. |
Sie checken in eine |
12 Salzkörner auf den Handrücken, diese ablecken, Tequila nachschütten, in Zitrone beißen. |
Sie checken aus einer |
Bedecken Sie die gesamte Rechnung mit Salz, und sagen Sie: »Die haben Sie nicht ohne den Wirt gemacht.« Klauben Sie das Salz auf, bevor Sie rausgeworfen werden. |
Ein Fremder nickt Ihnen |
Zwei Prisen Salz über die rechte Schulter, eine über die linke, bei einarmigem |
Fußgängerampel schaltet |
Losrennen, schreien und wild Salz nach links und rechts werfen. Den Autos |
Bei Sonnenuntergang |
Auf der ersten Stufe des Einstiegs etwas Salz verstreuen und den Busfahrer |
Eine Kuh rennt geifernd |
Halten Sie ihr den Beutel Salz hin, und schließen Sie die Augen. Hoffen Sie. |
Ein Mammut rennt |
Werfen Sie dem Mammut das Salz ins |
Ihre Gattin, Freundin/ |
Reiben Sie sich mit Salz ein. |
Solange Sie keine außergewöhnlichen Dinge tun, die ein Mob als böses Omen interpretieren kann, sind Sie im Harz auf der sicheren Seite. Ansonsten vermeiden Sie jede Art von Witz oder Anspielung, die mit Hartz IV zu tun hat, wenn Sie nicht verprügelt werden möchten.
Ruhrgebiet
Das Ruhrgebiet ist auch bekannt als die schwarze Lunge Deutschlands. Nirgendwo wird nachhaltiger geraucht als hier. Psychologen vermuten, dass die Einwohner so das Verschwinden der Kohleöfen und Schlote sublimieren – oder dass sich ihre Lungen durch jahrelange Prägung an einen gewissen Schadstoffanteil in der Luft gewöhnt haben. Um das zu verifizieren, müsste man einen Bewohner des Ruhrgebiets längere Zeit an einem Luftkurort halten und regelmäßig untersuchen, doch diese Bevölkerungsgruppe akzeptiert es nicht, von Schalke, dem BVB oder anderen Trachtengruppen getrennt zu leben. Wenn das passiert, wird ein Ruhrgebietler erst wütend, dann melancholisch, bald darauf verweigert er die Nahrungsaufnahme, und man hat keine Wahl mehr, als ihn in sein natürliches Habitat zurückzuführen.
Die Menschen des Ruhrgebiets sind für ihre Kumpelhaftigkeit gefürchtet. Evolutionstechnisch ist es ihnen noch nicht gelungen, vom rückgratbrechenden Schlag auf die Schulter zum Handschlag zu wechseln. Vorsicht! Eine ausgestreckte Hand empfinden sie zuweilen als Drohgebärde. Nähern Sie sich einem angeheiterten Ruhrgebietler nur von der Seite, und schlagen Sie ihm auf die Schulter, bevor er Sie fixieren kann. Damit sind Sie ungefragt in sein Rudel aufgenommen, und ein in den Genen festgeschriebener Kodex verlangt, dass der Ruhrgebietler nun Ihnen kumpelhaft auf die Schulter haut und so tut, als wäre er schon ewig mit Ihnen befreundet. Das Kennlernritual ist damit besiegelt.
Wird Ihnen eine Zigarette angeboten, dürfen Sie nicht ablehnen. Im Ruhrgebiet unterscheidet man nicht zwischen Raucher und Nichtraucher, sondern zwischen mit Filter und ohne Filter (wobei Letzteres öfter vorkommt). Wenn Sie sowieso schon rauchen, herzlichen Glückwunsch! Es könnte nicht besser für Sie laufen. Sind Sie ein Gegner des blauen Dunstes, fügen Sie sich trotzdem ohne zu murren in Ihr Schicksal. Üben Sie idealerweise schon vor einer Reise ins Ruhrgebiet die Kunst des Nichtrauchens mit einer Zigarette. Lernen Sie, wie Sie das Rauchen am besten simulieren können, ohne selbst Qualm in die Lunge zu bekommen. Das hat den Vorteil, dass Ihr natürlicher Wohlgeruch schon bald übertüncht ist und die Einwohner des Ruhrgebiets Sie nicht gleich als Fremden wittern können. Gerade im ÖPNV ist das ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
An die Sprechweise im Ruhrgebiet werden Sie sich schneller gewöhnen, als Ihnen lieb ist. Flüstern tut niemand, die Kommunikation ist immerzu laut und voluminös. Damit man Sie überhaupt versteht, werden Sie sich automatisch anpassen. Kaufen Sie dann wieder zu Hause Brötchen, sind Ihnen verwunderte Blicke sicher, weil Sie diese Sprechweise noch nicht abgelegt haben. Beim Durchqueren des Ruhrgebiets müssen Sie besonders aufmerksam sein, in welcher Region GENAU Sie sich gerade befinden. Für Sie mag es keinen Unterschied machen, ob die Ruine da draußen Duisburg, Bochum oder Bocholt ist, aber für die Bewohner der jeweiligen Stadt ist das von entscheidender Bedeutung. Eine der beliebteren Selbstmordmethoden im Ruhrgebiet ist, in einer an Essen angrenzenden Stadt nach 22 Uhr in einer Kneipe zu fragen: »Ist das hier eigentlich noch Essen?« (Funktioniert auch mit allen anderen Städten und ist nur halb so brutal, wie mit einem Schalke-Schal nach Dortmund zu fahren.)
Wegen der nikotinverklebten Gehörgänge verstehen die Bewohner des Ruhrgebiets am besten die Wörter, die mit einem harten Auslaut enden, also auf ein »t«:
»Wat?« – Die höfliche Aufforderung, Sie mögen Ihre Aussage noch einmal wiederholen. Am besten etwas lauter. Manchmal auch ein Zeichen von Entrüstung – wenn gleichzeitig eine Bierflasche zertrümmert wird, sollten Sie sich zurückziehen.
»Dat!« – a) Nachdrückliche Bestätigung des Gesagten, gefolgt von dem Verteilen frischer Zigaretten. b) Teleologischer Hinweis, was die betroffene Person haben möchte.
»Schwatt!« – Das Fehlen jeder Farbe, besonders nachts. Wenn das Wort »Gelb« hinterhergeschoben wird, geht es um Fußball, nicht um politische Konstellationen.
»Pott!« – Kurzform von Pottriotismus (Heimatliebe).
Ansonsten sind die Wörter sehr beliebt, die mit einem Vokal enden, zumindest in der Schriftsprache, aber prinzipiell als »ö« ausgesprochen werden:
»Patte« – Sammelbegriff für Geld. Werden Sie gleichzeitig am Kragen gepackt und geschüttelt, handelt es sich um eine Erpressung.
»Matte« – Bezeichnet das Fehlen einer Frisur.
»Maloche« – Ein mythischer Zustand der Beschäftigung, die die Leute im Ruhrgebiet hatten, bevor es Strom gab.
»Pillepalle« – Unumstößliche Grundlage der Wahrnehmung der Welt.
Mecklenburgische Seenplatte
Diese Region wird nicht umsonst »Das Land der tausend Seen genannt«. Die Wasserbehörde verbürgt sich konsequent dafür, dass es tatsächlich tausend Seen sind – keiner mehr, keiner weniger. In Dürreperioden werden Seen, deren Pegel bedenklich absinkt, durch Zuführung von Importwasser auf der erforderlichen Mindesthöhe gehalten. Für Notfälle stehen Bagger bereit, um innerhalb weniger Stunden einen künstlichen Notsee anzulegen. Die Wasserbehörde überfliegt mit ihren Helikoptern immerzu die ganze Seenplatte, kontrolliert die vorgeschriebene Anzahl der Seen und stellt sicher, dass kein Schindluder mit dem Wasser getrieben wird.
Sie werden keine fünf Schritte machen können, ohne ins Wasser zu fallen oder mindestens nasse Füße zu bekommen. Wenn Sie in diese Gegend fahren, sollten Sie sich entsprechend ausrüsten:
• Gummistiefel
• Socken (pro Tag ca. 5 Paare)
• Badehosen
• Kurze Hosen
• Gummihosen
• Wasserdichte Unterhosen
• Kanu
• Schwimmring
• Schnorchel
• Taucherausrüstung (für paranoide Naturen)
Wasser wird Ihnen nicht nur von unten begegnen, sondern auch von oben – in der Form von Regen, für den Mecklenburger 50 verschiedene Begriffe haben. Daher sollten Sie Ihre Ausrüstung erweitern um:
• Regenschirme (verschiedene Größen und Härtegrade)
• Regenmäntel
• Handtücher
• Einen Eimer Reis (nasses Smartphone reinstecken, damit die Feuchtigkeit rausgezogen wird)
• Notzelte
• Den Schnorchel haben Sie schon dabei – drehen Sie ihn bei Dauerregen nach unten.
Der Umgang mit den Menschen in der Mecklenburger Seenplatte ist denkbar einfach. Es gibt kein anderes Thema als das Wetter, die Niederschlagsmenge und die Pegelstände. Auch der eigene Pegel wird sorgsam gepflegt. Eine empfehlenswerte Eröffnung eines Gesprächs mit einem Einheimischen ist: »Na, wie ist die Regentonne gefüllt?« Zur Verabschiedung empfiehlt sich die Floskel: »Gut schütt!«
Sauerland
Das Hochsauerland ist auch bekannt als Deutsch-Texas. Nirgendwo findet man heutzutage mehr Schützenvereine als hier. Die Gründe dafür sind in der Geschichte zu suchen.
Im Mittelalter waren nicht nur die Dörfer des Hochsauerlandes aufs Blut verfeindet, sondern manchmal sogar die einzelnen Straßenzüge untereinander oder gar die Familien selbst. Durchreisende machten einen weiten Bogen ums Hochsauerland, um nicht zwischen die Fronten zu geraten, und die umliegenden Königshäuser, die nach und nach das Gebiet erobert hatten, zogen entweder schnell wieder entnervt ab oder verlegten ihre Verwaltung auf den Postweg.
Irgendwann dämmerte den Sauerländern, dass sie auf dem besten Weg waren, sich auszurotten. Sie suchten daher nach einer Möglichkeit, dies zu verhindern. Die Waffen vollständig ruhen zu lassen war keine Option, dafür waren sie zu sehr mit ihren Mistgabeln, Musketen und Molotow-Cocktails verwachsen. Aber es gelang ihnen die Einigung darauf, dass sie ihre Feindschaften in geordnete Bahnen lenken mussten. Sie versuchten es erst mit Hufeisenwerfen, aber das war ihnen zu harmlos, dann mit Eisstockschießen, aber das ging auf dem Kies nicht so toll, und dann schossen sie auf Bäume. Das war laut, gab gelegentlich Verletzungen und richtete Schaden an – die Hochsauerländer waren begeistert. Sie nannten ihr Treffen »Schützenfest«, und der Gewinner durfte das Hochsauerland fortan regieren. Weil es den Hochsauerländern aber schnell langweilig wurde und sie nicht ein weiteres Jahr warten wollten, bis sie auf dem nächsten Schützenfest ihren neuen Herrscher ermitteln konnten, führten sie kurz darauf wieder eines durch. Und dann noch eines. Das blieb dann bis in die Neuzeit so.
Heutzutage steigt fast jedes Wochenende im Hochsauerland irgendwo Pulverqualm auf. Hatte früher ein Schützenkönig noch echten legislativen Einfluss, ist es heute nur noch ein Ehrenamt, doch deswegen lassen die Sauerländer nicht von ihrer Tradition ab.
Bereisen Sie das Sauerland, sollten Sie davon absehen, die Bewohner eines Dorfes über die Nachbardörfer zu befragen. Sie könnten alte Wunden aufreißen, und wegen des nächsten Schützenfestes laufen sowieso alle bewaffnet durch die Gegend. Droht die Situation zu eskalieren, fordern Sie den Sauerländer zum Duell auf – an der Schießbude des nächsten Schützenfestes. Lassen Sie ihn gewinnen, und geben Sie ihm einen aus, dann kommen Sie auch wieder unverletzt weg.
Spreewald
Aufgrund einer geologischen Anomalie gibt es in dieser Gegend einen Boden, der fast alle Arten von Lebensmitteln abstößt. Kartoffeln werden nur als schwarze, faustgroße Klumpen aus der Erde gezogen, Erdbeeren verkriechen sich so tief in der Scholle, dass sie nicht mehr gefunden werden, und Sellerie mutiert zu Schilfgras, das schwach erhitzt gern für Giftattentate verwendet wird. Nur ein Gewächs gedeiht im Boden des Spreewalds – und zwar die Gurke. Im Mittelalter waren die Gurken des Spreewalds noch groß wie Kürbisse, doch schädliche Umwelteinflüsse haben die Gurken auf ihre heutige Größe degenerieren lassen.
Wegen seines Gurkenvorkommens war der Spreewald zu jedem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte hart umkämpft. Im legendären Gurkenkrieg stritten sich lange Zeit alle umliegenden Königshäuser um ein besonders fruchtbares Fleckchen Erde. Die Legende besagte, dass nach einer dreitägigen Schlacht im Jahr 1599, als das Blut von Soldaten den Boden getränkt hatte, noch jahrzehntelang eine außergewöhnliche, weil rote Gurke auf dem ehemaligen Schlachtfeld wuchs, die als besondere Delikatesse galt. Die Einheimischen nannten sie ehrfürchtig die »Blutgurke«.
Wenn Sie den Spreewald besuchen, dürfen Sie tun und lassen, was Sie wollen. Nur eines sollten Sie vermeiden – sich kritisch über den Gurkengeschmack in Ihrem Essen zu äußern. Rutscht Ihnen ein despektierlicher Kommentar raus, sollten Sie fliehen, bevor die Einheimischen Ihnen mit ihren Gurkenspießen neue Piercings verpassen. Wenn man Ihnen eine Gurke anbietet, sollten Sie diese dankbar annehmen. Immer. Greifen Sie sie mit beiden Händen, und verbeugen Sie sich dabei kurz. Beißen Sie unverzüglich ein Stück ab, und loben Sie den würzigen Geschmack. Fragen Sie nach der genauen Herkunft der Gurke, und man wird Ihnen die kommende Viertelstunde lang alle Details über die Ahnengalerie dieser speziellen Gurke berichten. Unterbrechen Sie keinesfalls den Monolog, sonst beginnt er von vorne.
Die beliebtesten Gerichte im Spreewald sind:
GURKSCHNITZEL: Panierte Gurke.
GURKGHETTI: Schmal geschnittene Gurke mit Tomatensoße.
GURKSAGNE: Verschiedene Gurkensorten geschichtet, mit Käse überbacken.
GURKBURGER: Ein Brötchen mit einer flachen Riesengurke darin. Zur Garnierung gibt es ein daumennagelgroßes Stückchen Fleisch auf der Gurke.
GURK HAWAII: Gurke mit Ananas und Käse überbacken.
STRAMME GURK: Ausgehöhlte Gurke mit Spiegelei drin.
GURKE: Pur.
Saarland
Das Saarland besteht zu 92% aus Wald, zu 6% aus Gewässern und der Rest aus Siedlungen. Außerdem ist es das Bundesland, in dem bis vor wenigen Jahrzehnten der Straßenbau als sinnlose Investition gesehen wurde, weil man schneller und schöner wandern als mit Autos fahren kann.
Insofern sind die Saarländer die ultimativen Naturschützer des Bundesgebiets. Bei ihnen hat jeder Baum und jeder Busch noch einen eigenen Namen. Obwohl inzwischen der Straßenverkehr im Saarland tatsächlich ausgebaut wurde (um leichter in Luxemburg tanken zu können), sind die Saarländer immer noch naturverbunden und verbringen jede freie Minute wandernd in den Wäldern.
Deswegen herrscht im Forst des Saarlandes großer Betrieb. Hirsche und Rehe haben längst nach Lothringen Reißaus genommen, um in Ruhe grasen zu können, während die Saarländer durch die Wälder stampfen und sich lauthals unterhalten. Patriotische Saarländer haben keine Wahl, als immerzu im Kreis zu laufen, da das Saarland so klein ist. Weltoffene Wanderer führt es wiederum bis in die Pfalz, was die Pfälzer wenig erfreut.
Beim Wandern sind die Saarländer immer schwer bepackt. Auch wenn sie behaupten, dass es ihnen um Bewegung und frische Luft geht, so ist der primäre Zweck des Wanderns, sich einen ordentlichen Hunger anzulatschen. In ihren Rucksäcken schleppen sie Brotzeiten mit sich, von denen ganze Berliner Stadtteile ernährt werden könnten.
Gerade in den Sommermonaten dreht sich das Leben der Saarländer nur um eine Sache: das »Schwenken«. Nennen Sie es in Gegenwart eines Einheimischen niemals »Grillen« – das Erhitzen von Wurstwaren darf in diesen Breiten nur auf einem Schwenkgrill vonstattengehen. Dabei hängt der Grillrost an einer Kette über den Holzkohlen und kann regelmäßig – daher der Name – geschwenkt werden, um die Hitze gleichmäßig zu verteilen. Für den Saarländer ist ein fixierter Rost eine absolute Horrorvorstellung und das genaue Gegenteil seiner Weltanschauung. Vermutlich haben die Saarländer im Mittelalter den Schwenkgrill bei den Hexenverbrennungen erfunden, weil es einfacher war, eine Hexe über dem Feuer abzuseilen, statt jedes Mal einen ganzen Pfahl dabei zu verkokeln. So trägt der Saarländer auf seiner Wanderschaft auch gern einen Mini-Schwenker aus Stahl mit sich, der aus Gewichtsgründen allerdings nur so groß ist, um darauf anderthalb durchschnittliche Bratwürste schwenken zu können. Da aber wirklich JEDER Saarländer immerzu schwenkt und wandert und beim Wandern schwenkt, steigen in den Sommermonaten rund um die Uhr Kohledämpfe auf, weswegen die Straßenverkehrsordnung im Saarland ganztägig den Einsatz von Nebelscheinwerfern vorschreibt.
Im Saarland sollten Sie immer mit Grillgut unterwegs sein. Es ersetzt die Visitenkarte. Mit einem frischen Steak können Sie richtig Eindruck schinden.
Häuserschluchten des Grauens:
Deutschlands schlimmste Städte
Ah, Städte. Die Höhepunkte der menschlichen Zivilisation. Nirgendwo vibriert das Leben so sehr wie in der Großstadt, nirgendwo treffen Kulturen und Kultur so beeindruckend zusammen, nirgendwo sonst vereinen sich Lebensfreude und Nachtleben derart.
Brauchen Sie noch mehr Argumente, warum Sie Städte prinzipiell umfahren sollen?
Städte sind der geballte Wahnsinn auf engstem Raum. Nur in seinem Kleiderschrank ist man in einer Stadt wirklich alleine, und dort finden es sogar erfahrene Stubenhocker etwas beengt. Natürlich haben Städte den Vorteil, dass man idealerweise eine perfekte Infrastruktur direkt vor der Tür hat. Dann kann man seine Stube, wie weiter vorne beschrieben, wunderbar in den Mittelpunkt seines Lebens setzen. Problematisch wird es aber, wenn ein Stubenhocker in eine andere Stadt zieht, deren Mentalität er noch nicht kennt, oder man zu Besuch ist. Dann muss man umfangreiche Recherche betreiben, welcher Stadtteil welchen Ruf hat, ob dieser in der Realität wirklich stimmt, wo welche Mietpreise verlangt werden, wie der ÖPNV ausgebaut ist, wo die meisten Gewaltverbrechen begangen werden (und welche, und warum).
Selbst in schlimmen Städten können Sie Glück haben und in einer brauchbaren Ecke landen, und auch in Städten mit gutem Ruf kann Sie das Pech ereilen. Aus diesem Grund sollten Sie immer wissen, worauf Sie sich bei einer Stadt einlassen.
Berlin
Berlin wurde 1187 von marodierenden Horden gegründet, und die wohnen auch heute noch dort. Ursprünglich war Berlin ein einziges Sumpfgebiet, das man nur auf Stelzen durchqueren konnte. Daraus ist die Tradition entstanden, dass ein echter Berliner niemals saubere Füße oder Schuhe hat. In der S-Bahn erkennen Sie daran die traditionsbewussten und konservativen Hauptstädter. Jahrhundertelang war das Kaff an der Spree nicht der Rede wert, doch 1587 beschloss der damalige Bürgermeister, dass Berlin zu einem Hauptumschlagplatz der Region Brandenburg werden musste. Er veranlasste den Bau eines Großpferdehofs. Täglich sollten hier Tausende Pferde abgefertigt werden, um die Waren in alle Teile von Brandenburg zu bringen. Allerdings explodierten bald die Kosten und mangelhafte Planung führte dazu, dass die meisten Pferde im Sumpf stecken blieben. Auch heute noch muss man im Volkspark Friedrichshain nicht lange buddeln, bis man auf Pferdeknochen stößt.
Berlin hätte in der Bedeutungslosigkeit versinken können wie Ponyhufe im Matsch, doch die große Waschbärenplage von Brandenburg im späten 18. Jahrhundert sorgte für Landflucht und großen Zuwachs im Stadtgebiet, das im Angesicht der Krise umzäunt wurde, um Schutz vor den Waschbären zu bieten. Ethnologen glauben, dass dies die Grundlage für die Vorliebe der Berliner für Mauern war.
Die »Berliner Schnauze« ist ein komplexes Gebilde aus Sprechweise und Geisteshaltung. Man erkennt sie leicht daran, dass ein echter Berliner immer so klingt, als würde er seinen Gesprächspartner runterputzen. Und das tut er in den meisten Fällen wirklich, doch anders als andere Bevölkerungsgruppen gibt er sich keine Mühe, das zu verheimlichen. Damit man ihn auch als Berliner erkennt, hängt er ein halb gebelltes »Wa?« an jeden seiner Sätze an. Imitieren Sie ihn nicht. Das nimmt er Ihnen übel.
Die Geisteshaltung, die damit einhergeht, ist der Spiegel der Sprechweise. Ein Berliner ist rund um die Uhr empört und macht daraus keinen Hehl. Er sucht nicht den Grund für die Schlechtigkeit der Welt, er ist überzeugt, dass die Welt selbst daran schuld ist, weswegen er kein Mitleid empfindet, sondern sich lieber über die Welt im Allgemeinen aufregt. Das hat dazu geführt, dass ein Berliner psychisch nicht in der Lage ist, etwas zu loben. An allem lässt sich etwas Schlechtes entdecken.
Aus diesem Grund wurde Berlin als Regierungssitz und Hauptstadt für das deutsche Volk auserkoren.
Die »Berliner Luft« ist weniger kompliziert.
Sie ist schlecht.
Wer Berlin besucht, braucht keine großen Pläne zu machen. Sobald man die Stadt betritt, wird man unweigerlich mit den Touristenströmen mitgerissen und landet bei den typischen Attraktionen: ein Tor, das ohne echten Sinn in der Landschaft rumsteht, eine halbe Kirche, ein Bratwurstverkäufer unter einem Funkturm, wie man ihn überall in der Republik aufragen sieht. Sie brauchen auch nicht zu planen, mit dem ÖPNV zu bestimmten Stellen in der Stadt kommen zu wollen. Dieser ist entweder kaputt oder überfüllt. Nur im äußersten Notfall sollten Sie versuchen, auf ein Taxi auszuweichen (siehe »Berliner Schnauze« oben). Wenn Sie in Berlin zu Gast sind, lassen Sie sich am besten einfach treiben. Sie landen zwangsläufig da, wo Sie nicht hinwollten. Früher oder später wird die Polizei Sie auflesen und in Ihr Hotel oder zurück zum Bahnhof oder dem Flughafen bringen.
Sprechen Sie in der Gegenwart eines Berliners niemals seiner Stadt den Metropolen-Status ab. Sie könnten genauso gut ohne Hose rumlaufen – einige würden sich peinlich berührt abwenden, andere würden Ihnen ungefragt die Fresse polieren. Die Berliner sind derart stolz darauf, dass Berlin als Weltstadt gilt, dass sie diesen Status als Alleinstellungsmerkmal beanspruchen. Sie können sich inzwischen gar nicht mehr vorstellen, dass jemand irgendwo sonst leben will, und sind verwirrt, wenn sie im TV sehen, dass es Leben jenseits von Brandenburg gibt. Für sie ist ein Ort, den man nicht als Tagesausflug erreichen kann, nicht existent. Sätze wie »Och, in Hamburg oder München lebt sich’s auch nicht schlecht« sollten Sie niemals von sich geben, solange Sie in Berlin unterwegs sind. Mindestens lösen Sie damit Unverständnis aus, schlimmstenfalls einen langen Sermon, warum Berlin die einzig lebenswerte Stadt unter der Sonne ist.
Tabu ist es auch, sich über Start-ups lustig zu machen. Mehrmals täglich werden Ihnen verschiedene Berliner etwas von ihrer einmaligen Geschäftsidee erzählen. Wenn Sie lange Hosen tragen, wird der Berliner Sie für einen möglichen Investor halten und einen lustigen Spagat versuchen, Sie für seine Idee zu begeistern, wie man beispielsweise genmanipulierte Gewürznelken weltweit übers Internet verkaufen kann, ohne diesen einen genialen Twist zu verraten, der seine Idee so unglaublich originell macht. Sobald der Berliner allerdings merkt, dass Sie kein Geld über haben, verliert er sein Interesse und verlegt sich auf »Berliner Schnauze« (die Welt ist schlecht etc.).
Ein Satz, den Sie gefahrlos anbringen können, ist: »In Berlin habe ich schon nicht gewohnt, als es noch uncool war.« Bis der Berliner ihn verstanden hat, sind Sie schon längst wieder aus dieser verrückten Stadt verschwunden.
Hamburg
Diese Siedlung war 976 von Wikingern gegründet, aber von diesen bald darauf verlassen worden, weil ihnen das Wasser zu warm war. Weil die Hamburger wenig mit sich anzufangen wussten, verlegten sie sich auf Fischfang. Daraus entstand logischerweise der Hafen, der dank seiner günstigen Anbindung an den Atlantik im Mittelalter zu einem beliebten Umschlagplatz für Fischbrötchen wurde. Nach dem Elbkrieg (siehe Abschnitt »Friesland«) begannen die Hamburger, den Hafen zu vergrößern, um riesige Fischkutter anlegen zu lassen. Das schlug sich im Bruttosozialprodukt nieder, und die Hamburger erfanden hochnäsigen Adel mit Fischgeruch – den Hanseaten, der sich bis heute dort herumtreibt. Diesen zeichnet aus, dass er Zeug in alle Welt verschifft, das keiner braucht, während er seinerseits Waren einkauft, die niemand will, aber billig in Fernost hergestellt wurden. In Hamburg werden Geschäfte noch mit einem Handschlag besiegelt, aber manchmal schlägt der Geschäftspartner zurück.
Die Freie und Hansestadt blickt auf eine stolze Geschichte zurück, die primär aus Bränden, Bomben und Musicals besteht.
Der Hamburger spricht nicht, er »schnackt«. Im »Schnacken« werden all die Wörter gebraucht, für die ein durchschnittlicher Friese mit seinen einsilbigen Begriffen keinen Bedarf hat. Hamburger sind für Außenstehende schwer zum Schweigen zu bringen. Finden sich mehrere Hamburger zusammen, reden sie prinzipiell gleichzeitig und überschneiden sich. Hamburger sind die Einzigen im Bundesgebiet, die gleichzeitig senden und empfangen können. Die ISDN-Technologie kann nur ein Hamburger erfunden haben.
Weil Hamburger einmal ein stolzes Seemannsvolk waren, dem auch eine Sturmflut kein Wässerchen trüben konnte, leiden sie darunter, dass sie inzwischen zu Landratten degeneriert sind. Sie sehen dauernd die riesigen Container- und Kreuzfahrtschiffe (deren Flair sich an Bord nur im Hinblick auf die ausgelegten Teppichböden unterscheidet) und leben im ständigen Bewusstsein, dass sie in alle Ecken der Welt segeln könnten. Aber das tun sie natürlich nie. Der Hafen hat für den durchschnittlichen Hamburger nur noch den Zweck, als Kulisse für den Hafengeburtstag zu dienen, wo man tagsüber Eis isst und nachts seinen Kummer ersäuft. Aus dieser Verzweiflung heraus ist auch zu erklären, warum die Elbphilharmonie gebaut wurde, die ganz bewusst wie ein gekentertes Containerschiff aussieht und die damit die untergegangenen Reisehoffnungen besingen soll – etwas, das Stubenhocker nur unterstützten können.
Wer sich in der Hansestadt aufhält, ist verpflichtet, jeden Tag ein Fischbrötchen zu essen. Daher ist der Fischausweis immer mitzuführen, wenn man in Hamburg unterwegs ist. Das Ordnungsamt führt Stichproben durch, ob für jeden Kalendertag ein Stempel im Fischausweis ist. Wenn das nicht der Fall ist, wird man verwarnt und muss sich zur nächsten Fischbrötchenverkaufsstelle begeben (ist in Hamburg nie weiter weg als 50 Meter), um den ordnungsgemäßen Verzehr nachzuholen. Der Preis des täglichen Fischbrötchens kann aber auf die Kurtaxe angerechnet werden.
Vermeiden Sie auf alle Fälle eine Hafenrundfahrt. Sie können schon mal nicht sicher sein, ob Sie auf diese Weise nicht shanghait werden und auf einem Containerschiff landen, das Duschvorhangringe nach Reykjavík transportiert. Schauen Sie sich die Kapitäne der Schiffe nur einmal an, die solche Hafenrundfahrten machen – die sehen nicht aus, als wären sie damit zufrieden, jeden Tag eine Runde durch die Seitengassen der Elbe zu fahren.
München
An keinem anderen Ort in Deutschland ist es teurer, zur Miete zu wohnen oder ein Appartement oder Haus zu kaufen, und das war schon immer so. Bereits die Kelten hatten Probleme, eine bezahlbare Wohnung mit guter Verkehrsanbindung zu finden, ohne dass sie gleich ins Gebiet der Säbelzahntiger – also das heutige Fürstenfeldbruck – ziehen mussten. Eine wohnliche Höhle, die nicht zu muffig war, hatte ganze Schlangen von Bewerbern (und gelegentlich auch Bewerber mit Schlangen).
Berühmt und erst richtig zu München wurde die Stadt im Mittelalter durch den Bau der Isarbrücke. Der Job als Brückenwärter war heiß begehrt, weil neben der Maut wie bei der Wohnungssuche viel Bestechungsgeld floss.
Heute kann selbst der Besitzer einer Abstellkammer in der Isarvorstadt ein gesichertes Leben führen, indem er den Raum vermietet und von dem Geld weit außerhalb wohnt. Es bleibt genug über, um sich regelmäßig Weißbier kaufen zu können, was für den durchschnittlichen Münchner an Lebenszielen genug ist.
Vermieter in München sind Nachfahren der Raubritter, nur dass sie nicht mehr plündernd und brandschatzend durch die Lande ziehen, sondern sesshaft geworden sind. Ihr Auswahlverfahren bei Mietern haben sie bei der Spanischen Inquisition abgeschaut und optimiert (angeblich hat der CIA einige Teile seines Modus Operandi für seine Verhöre lizenziert). In der peinlichen Befragung wird der gesamte Hintergrund eines Bewerbers durchleuchtet. Durch den Einsatz von Gänsefedern, Schraubzwingen und den Hits der 80, 90er und dem Besten von heute ist es dem Bewerber nicht möglich, auch nur das kleinste Detail zu verheimlichen. Die Vorlage von Lebenslauf, Gehaltsbescheinigung, Bluttest, Fahrerlaubnis, Stammbuch, Lebensversicherungen, Hausratversicherungen, medizinischer Bestätigung der Tierhaar- und Kinderallergie, Mitgliedsbescheinigung des FC Bayern oder 1860 (je nach Stadtteil, Straßenzug und der religiösen Ausrichtung des Vermieters) sowie die Hinterlegung einer Kaution von 8 Monatsmieten, einer Genprobe und einer Option auf das Erstgeborene werden verlangt (ist dieses schon dem Kindesalter entwachsen, ist ersatzweise ein gut erhaltener Ferrari auszuhändigen). Wenn Sie also in München leben wollen müssen, sollten Sie frühzeitig dafür sorgen, dass Sie all diese Bedingungen erfüllen. Durchlaufen Sie eine vollständige Schulausbildung, schließen Sie sich der richtigen Religion an, waschen Sie sich regelmäßig, und suchen Sie sich einen Beruf, der hoch angesehen ist und eine Menge Schotter einbringt. Ist einer dieser Faktoren nicht erfüllt, haben Sie keine Wahl, als nach Berlin zu ziehen.
Aber glauben Sie nicht dem Klischee, dass die bayerische Hauptstadt großen Wert auf Folklore legt. Nein, inzwischen ist München so modern geworden, dass es seinen ursprünglichen Hang zum Volkstümlichen komplett abgelegt hat. Alles, was Sie mit Bayern in Verbindung bringen, ist nur noch ein Trick, mit dem Touristen besänftigt werden. Wenn Sie in München jemanden sehen, der wie ein echter Bayer aussieht (Lederhosen, Gamsbart am Hut, Vollbart am Kinn, Weißbier trinkend), dann handelt es sich dabei um einen von der Stadtverwaltung bezahlten Schauspieler. Die meisten von ihnen stammen gar nicht aus Bayern und haben in einem sechsmonatigen Abendkurs den gutturalen bayerischen Dialekt gelernt. Sie sind angehalten, mit Touristengruppen zu posieren, schweigend im Biergarten zu sitzen oder Selbstgespräche führend in der Fußgängerzone auf und ab zu laufen. Redet man mit ihnen, bleiben sie vollständig in ihrer Rolle, schimpfen über die Preußen und murmeln etwas vom Herrgott.
Die echten Münchner haben inzwischen normale Berufe erlernt, sitzen in der S-Bahn oder im Büro, und haben abends noch einen Zweitberuf als Heizungsinstallateur oder Hundefriseur, um die Miete zahlen zu können.
Sollten Sie es aus anderen Städten gewohnt sein, dass die Fluchtwege leicht zu erreichen sind, müssen Sie als Flugreisender in München umdenken. Der Flughafen von München ist derart abgelegen, dass er auch als Flughafen von Ingolstadt durchgehen könnte. Die Anfahrt dorthin ist schon so aufwändig, dass sie als eigene Reise gilt, und sollte bei einer Fernreise als relevanter Teil eingeplant werden.
Stellen Sie sich vor, dass eine Stadt abgeriegelt wird und die Menschen sich auf engstem Raum drängeln. Jede Art von Moral und Kultur wird vergessen, Hygiene gehört der Vergangenheit an. Es werden am laufenden Meter Verbrechen gegen die Menschlichkeit vollführt, es gibt immer wieder Gewaltausbrüche, und die Ordnungsmacht ist hilflos im Angesicht der Massen.
Das ist kein Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern das alljährliche Oktoberfest.
Stubenhocker sind nicht unbedingt darauf aus, auf U-Bahn-Gleise geschubst oder von Starkbiergeschädigten angepöbelt zu werden, daher meiden Sie dieses sogenannte Volksfest weiträumig. Zumal während der Feierlichkeiten die gewohnten Währungen nicht gelten – es wird nicht mehr in Euro umgerechnet, sondern in »Maß Bier«, und alljährlich wird ein Ritual aufgeführt, in dem man sich über deren Preis zu echauffieren hat. Auch das überlassen Stubenhocker den anderen.
Frankfurt
Durch die Geschichte der Mainmetropole zieht sich ein zentrales Motiv: Frankfurt ist die Stadt, die bei allem zu kurz gekommen ist und immer noch nicht den Platz in der Weltgeschichte eingenommen hat, der ihr rechtmäßig zusteht – außer in den Köpfen der Frankfurter selbst.
Das begann schon mit der Stadtgründung. Diese fand nicht etwa statt, weil sich dort so ein lauschiges Plätzchen befand oder weil der Boden besonders gut für die Petunienzucht geeignet wäre, nein, es gab genau eine felsige Stelle, an der man den Main überqueren konnte, ohne spontan zu ertrinken. Damit war die Grundlage für die Geisteshaltung dieser Stadt gefunden: Wer in Frankfurt ist, sucht nach Möglichkeiten, möglichst unauffällig wieder verschwinden zu können. Kein Wunder, dass wenige Jahrhunderte später dort einer der weltweit wichtigsten Flughäfen gebaut wurde, der inzwischen in der Kommunalverwaltung als eigener Stadtteil behandelt wird.
Frankfurt war im Besitz der verschiedensten Völker und Königshäuser. Es etablierte sich als erste Anlaufstelle für Königswahlen – eine Veranstaltung, die damals als »Heiliges Römisches Reich deutscher Nationen sucht den Superstar« bekannt wurde und auf den Wochenmärkten in Sachsenhausen das Thema Nummer eins unter der Bevölkerung war. Die gewählten Könige allerdings nutzten die erste Gelegenheit, die sich ihnen bot, um aus der Stadt zu fliehen, bevor ihre Kontrahenten sie mit Apfelwein vergifteten. Ihr Königshaus wollten sie dann doch anderswo haben als im Gallusviertel.
Wieder stritt man sich um Frankfurt. Mal machten sich die Preußen breit, mal die Österreicher, mal die Wiesbadener.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot sich für Frankfurt die Chance zum Neuanfang. Die Stadt begann, ihre Minderwertigkeitskomplexe in städtebauliche Maßnahmen zu kanalisieren. Diese stolze Tradition lebt heute im Bau von Bankenphalli fort. Auch bei der Wahl zur Bundeshauptstadt ging Frankfurt leer aus und landete hinter Bonn, einem mythischen Ort der Kakaoplantagen und des Samba (zumindest in der Wahrnehmung von Konrad Adenauer).
Die Geschichte der Stadt hat sich im Gemüt der Frankfurter niedergeschlagen. Und weil es die einzige relevante Stadt in Hessen ist, strahlt das sogar ins restliche Gebiet des Landes ab. Der Hesse ist immer der Meinung, dass ihm übel mitgespielt wird und dass er dagegen machtlos ist. Entsprechend klingt das Frankfurterische in fremden Ohren – wie jemand, der es schafft, 50% zu jammern und gleichzeitig 50% auf die Welt zu schimpfen, selbst wenn er nur Brötchen bestellt. In dieser Hinsicht sind Frankfurter die Geistesverwandten der Berliner, nur dass die Frankfurter sich dabei nicht auf einen imaginären Weltstadt-Status berufen. Auswärtige erkennt der Frankfurter daran, dass ein Grundoptimismus in deren Stimme mitschwingt, was sie für Frankfurter gleich verdächtig macht. Möchten Sie selbst in der Stadt untertauchen und wie ein Frankfurter sprechen, sollten Sie sich Halsschmerzen zulegen, ein Depressivum einwerfen und beim Sprechen die Lippen niemals weiter als 1 Zentimeter öffnen. Wollen Sie in Frankfurt leben, sollten Sie sich von einem guten Psychiater begleiten lassen (es sei denn, Sie arbeiten in einer der Banken, da ist das automatisch Teil der Vergütung).
Sind Sie tatsächlich in Frankfurt gestrandet, empfehlen sich Kohletabletten. Denn alles, was Sie bestellen, wird mit »Grüner Soße« garniert. Traditionell sind es Eier und Kartoffeln, die mit dieser radioaktiv leuchtenden Pampe überzogen sind, doch der Trend geht neuerdings dahin, auch andere Gerichte damit zu pimpen. ALLE anderen Gerichte. Inzwischen hat man an der Hauptwache schon Bratwurst mit Grüner Soße und in Sachsenhausen Döner mit Grüner Soße entdeckt. Eine Salamipizza mit Grüner statt Tomatensoße ist noch im experimentellen Stadium (vermutlich in einem vergessenen Geheimlabor auf einem verlassenen US-Stützpunkt und ohne das Wissen der Bundesregierung). Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis eine Burgerbräterkette den Green Cheeseburger auf den Markt bringt (in der Kinderpackung mit einem kleinen Plastik-Goethe, der Furzgeräusche von sich gibt). Ähnlich verhält es sich übrigens mit »Handkäs mit Musik«, der im Ersten Weltkrieg zur chemischen Kriegsführung verwendet wurde. Viele alliierte Soldaten sind seinen Ausdünstungen zum Opfer gefallen.
Weil die Frankfurter aufgrund ihrer Geschichte immer noch an Minderwertigkeitskomplexen leiden, suchen sie nach einem Ventil dafür. Spielt die Eintracht nicht gerade in der zweiten Liga, lassen sie ihren Frust an Offenbach aus. Die Nachbarstadt verbindet – wie jede deutsche Nachbarstadt mit einer anderen – einen abgrundtiefen Hass mit Frankfurt. Braucht ein Offenbacher neue Reifen, parkt er in bestimmten Stadtteilen Frankfurts und kann am nächsten Tag die zerstochenen Reifen der Versicherung melden. Sind Ihnen Leib und Leben wichtig, sollten Sie vermeiden, sich in Frankfurt wie ein Offenbacher zu verhalten. Wenn man eine Ihrer Handlungen oder Haltungen als offenbächerisch deutet, sagen Sie schnell: »Nix schmeckt ohne Grüne Soße, gell?« Das wird den Frankfurter so heftig und anhaltend nicken lassen, dass Sie sich schnell entfernen können.
Köln
Der Legende nach war dort, wo Köln heute steht, ein Römer von einem Herzinfarkt niedergestreckt worden (also von Jupiter, wie man damals dachte), als er gerade eine Kutschladung Cervisia transportierte. Das Bier vergammelte in seinen Fässern, und bald trat ein furchtbarer Gestank aus. Andere Römer kamen und sahen dies als göttliches Zeichen, dass ihnen auferlegt sei, an dieser Stelle eine Stadt zu gründen, die die Heimat einer ganz neuen Art von Cervisia sein sollte.
In den folgenden Jahrhunderten wurde Köln unter allen Durstigen bekannt, und es herrschte ein gewaltiger Zuzug. Die Stadtherren experimentierten mit den außergewöhnlichsten Zutaten, um bislang unbekannte Bierarten zu erfinden. Es gab Freiwillige in großer Zahl, die sich an den öffentlichen Verköstigungen erfreuten (an dieser Stelle steht heute das Messegelände). Selbst die vielen Vergiftungen hielten niemanden davon ab.
Die Jahrhunderte der Bierverköstigung haben die Gene der Kölner verändert und diese zu einer Spielart der menschlichen Gattung werden lassen, dem Homo Colonia. Genetisch ist diese evolutionstechnische Variante fast deckungsgleich mit dem Homo sapiens, allerdings ist seine DNA um das sogenannte Kölsch-Gen erweitert. Dieses sorgt dafür, dass der Homo Colonia immerzu gute Laune hat, schunkeln möchte und jeden Fremden als seinen neuen besten Freund betrachtet.
Weil das Bier, das in Köln schließlich entwickelt wurde, einen derart eigenen Geschmack hatte, dass nur die Einheimischen mit dem Colonia-Gen es verzehren konnten, ohne von Magenschmerzen niedergestreckt zu werden, durfte es nur in besonders kleinen Dosierungen ausgegeben werden. Im 18. Jahrhundert wurde die korrosive Flüssigkeit weiter verdünnt, sodass immerhin der Konsum von 0,1 l dieses Getränks möglich wurde, ohne danach seine Eingeweide vom Boden aufklauben zu müssen.
In seiner Langform haben die Einwohner das Getränk »Göttertrunk aus dem Heiligen Köln« getauft, doch schon nach dem ersten Glas ist die Zunge so taub, dass daraus nur ein »Mnnmnmnmnmnmnm Kölsch« wird. Und dieser Name hat sich eingebürgert.
Kölner halten es nicht lange aus, allein zu sein, und sie können es auch nicht mitansehen, wenn ein anderer alleine ist. Fällt ihnen eine solche Situation ins Auge, rotten sie sich sofort zusammen, fragen die Person aus, bestellen Kölsch und singen Lieder über Köln, in denen es um den unbeweglichen Dom geht. Wenn Sie in die Verlegenheit kommen, in Köln in ein Restaurant gehen zu müssen, sollten Sie also niemals als Erster dort ankommen. Bevor die Leute da sind, mit denen Sie sich treffen wollen, haben Sie sich auf Betreiben der anwesenden Kölner schon betrinken müssen und tragen eine rote Pappnase im Gesicht – schlimmstenfalls sind Sie bereits in eines der Brauhäuser entführt oder von einem Kölner in sein Gästezimmer einquartiert worden.
Die milde Variante ist, dass ein Kölner sich mit Ihnen verbrüdert. Ob Sie einfach nur auf einer Parkbank sitzen, in der Schlange des Supermarktes stehen oder in einer Kneipe herumlungern – es wird jemand zu Ihnen kommen, seine Lebensgeschichte erzählen und Ihnen die Ihre aus der Nase ziehen wollen. Pochen Sie auf Ihre Rechte, und verweigern Sie die Aussage. Erwähnen Sie die Tabellensituation des 1. FC Köln, um den Kölner auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Geben Sie vor, aus exotischen Mittelmeerländern oder Skandinavien (je nach Teint) zu stammen, und tun Sie so, als würden Sie nichts verstehen.
Innerdeutsche Reisetipps für Stubenhocker
Wenn Sie bei einer Reise, einem Ausflug oder einer Dienstfahrt beeinflussen können, wohin es geht, dann zögern Sie nicht. Tun Sie es einfach. Es gibt Orte in Deutschland, an denen Sie es als Stubenhocker besser aushalten als an den meisten anderen. Das sind Plätze, an denen Sie entweder nicht endlosen Reizen ausgesetzt sind oder wo es Oasen der Ruhe gibt. Hier sind einige Beispiele:
• Berlin-Müggelheim: Wenn Sie schon in die Bundeshauptstadt müssen, können Sie sich hierhin zurückziehen. Müggelheim ist von schützenden Seen umgeben und besteht überwiegend aus alten Scheunen.
• Mannheim: In dieser Stadt werden Sie nie von irgendwelchen Leuten angesungen. Wer es wagt, öffentlich zu singen, wird sofort für ein Talent gehalten, in einer Akademie interniert und ausgebildet. Besonders männliche Jugendliche sind gefährdet, also die Söhne der Stadt. Gut für Sie, solange Sie nicht singen.
• Kettwig: Für Rhein-Ruhr-Reisende eine gute Basis. Die einzigen Attraktionen sind alte Häuser, weswegen sich kaum jemand dorthin verirrt. Aber sowohl Ruhrgebiet als auch Rheinland sind nicht weit und durch eine gute Autobahn-Anbindung können Sie schnell von dort fliehen.
• Bottrop-Kirchhellen: Für die einen ist es Deutsch-Hollywood, für die anderen die Brezelhauptstadt. Wenn Sie sich intensiver mit der Kulturgeschichte der Brezel befassen wollen, sollten Sie in dieser Stadt Ihre Zelte aufschlagen.
• Wetzlar: Die mittelhessische Stadt besitzt einen halben Dom. Diese Bescheidenheit zieht sich durch die ganze Stadt und kommt der Stubenhocker-Gesinnung mehr als entgegen.
• Der Untersberg in den Berchtesgadener Alpen: Wenn Sie sich mal WIRKLICH zurückziehen wollen, finden Sie hier die »Riesending-Schachthöhle« – eine große, tiefe und lange Höhle. Anders gesagt: tatsächlich ein Riesending.
• Lubmin/Ostsee: Wenn Sie gern ans Meer möchten und Ruhe suchen, fahren Sie hierhin. Die einzigen Attraktionen sind ein stillgelegtes Atomkraftwerk und ein Minigolfplatz.
• Blauort/Nordsee: Ein unbewohnter Hochsand, der nicht als Insel, ja nicht mal als Hallig durchgeht. Wandern Sie bei Ebbe dorthin, und nehmen Sie genug zu essen mit. Eventuelle Wattwanderer, die Ihre Ruhe stören, können Sie mit einem Bärenkostüm verscheuchen.
• Gernsbach: Viele Dinge sprechen für diesen Ort im Schwarzwald – die Nähe zur Natur, die harmlose Industrie (Papier und Pappe) und das Wort »Auspendlerüberschuss«, was bedeutet, dass es tagsüber kaum jemanden dort hält. Sprich: Wenn Sie in Gernsbach sind, haben Sie Ihre Ruhe. Sie können sich also selbst dort auspendeln, ganz ohne Esoterik.