D er Notruf ging kurz nach elf über den Rettungskanal ein. Binnen weniger Sekunden waren Rosa und ihre Kollegen einsatzbereit, und Fred, ihr Chef, wählte sich in die Konferenzschaltung der beteiligten Rettungskräfte ein.
»Schneller können wir nicht?«, fragte Karim und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können, solange Rosa die Principessa rückwärts aus der Werft manövrierte. Doch es war, trotz Blaulicht, stockfinster.
»Wenn du mit dem Radar den Weg checkst, können wir es versuchen«, antwortete Rosa und drückte den Gashebel nach oben, was lautstarke Motorengeräusche nach sich zog.
Karim stellte mit der einen Hand den Funk lauter und tastete mit der anderen die Fläche vor ihnen mit dem Radargerät ab. Auf dem Bildschirm huschten gelbe Wärmequellen vorbei, manchmal reichten schon ein offener Rollladen an einem Bootshaus oder in der Uferzone schlafende Enten für ein Signal aus. Je näher sie dem Hafen Enge kamen, umso leuchtender wurde die Fläche. Sie rasten auf das Aquaretum zu, die Fontänen des Wasserspiels schossen in die Höhe, eisblau und phosphoreszierend, ihre Bögen bildeten einen seltsamen Kontrast zum Flammenmeer im benachbarten Hafen. Normalerweise ließen sich am Rhythmus des Aquaretums lokale Erschütterungen und weit entfernte Erdbewegungen ablesen. Doch die Katastrophe im benachbarten Hafen hatten die Signale des Erdbebendienstes, die den Mechanismus der Düsen steuerten, nicht voraussehen können.
»Unfassbar!« Karim befestigte den Waffengurt, zutiefst schockiert, dann schaltete er die Lüftung der Innenkabine aus. Sie lenkten die Principessa so nahe an das Hafenbecken auf der linken Seeseite, wie die mörderisch abstrahlende Hitze gerade noch zuließ. Der Nachthimmel glühte. Gelbe Rettungshelme überall, und doch brannte es nach wie vor lichterloh.
»Mit der Bise haben wir schlechte Karten.« Ein Feuer dieser Größenordnung hatte Rosa noch nie erlebt. Nur schon landseitig mussten weit über hundert Einsatzkräfte vor Ort sein, die versuchten, den Brand in Schach zu halten. Dennoch kam er dem historischen Baumbestand nördlich der Uferböschung bereits gefährlich nahe. Rosa warf einen Blick in die Kabine unter Deck, wo es im Notfall Platz für zwei Dutzend Gerettete gab.
»Schau nur, es springt!«, rief Karim. Mehrere Boote standen bereits in Flammen, unkontrollierbar zog das Feuer immer mehr Sauerstoff an.
»Wenigstens sind hier nachts um diese Jahreszeit kaum Leute unterwegs«, sagte Rosa. Wobei die Menge an Schaulustigen ihre Worte infrage stellte. Zwischen dem Wabengarten und der Hafenpromenade standen ganze Menschentrauben und filmten die Szenerie mit gezückten Telefonen. Unbeeindruckt von der polizeilichen Absperrung übertrugen sie das Inferno direkt ins Netz. Heulende Sirenen und eine breite Rauchsäule, die über den Flammen aufstieg. Sie musste bis in die Innenstadt, selbst vom gegenüberliegenden Ufer, von der Goldküste aus, zu sehen sein.
»Bereit?«, fragte Rosa ihren Kollegen, den Instruktionen aus dem Funkgerät folgend. Sie zog das Atemschutzgerät über, ihre Augen tränten vom beißenden Rauch. Das Feuer zischte und fauchte wie eine rasende Bestie unter dem Löschschaum, der aus armdicken Schläuchen drückte – und doch nirgends hinreichte.
»Bereit!«, bestätigte Karim und schob das Visier des Rettungshelms herunter.
Nebenan hatten die Truppen der Seerettung in Windeseile orangefarbene Sperren auf ihren Booten ausgerollt. Diese wässerten sie nun vor der südlichen Hafeneinfahrt, um auslaufendes Motorenöl und Löschschaum aufzufangen, ehe sie das Trinkwasser gefährdeten. Der Seerettungsdienst war auf verschiedene Gemeinden verteilt, wie die freiwillige Feuerwehr, und das ganze Jahr über auf Pikett abrufbar, wenn die Seepolizei mehr Kapazitäten brauchte. Eine große Entlastung, nicht nur jetzt. Trotz der Sperre trieb bereits eine trübe Schicht auf dem See, durchzogen von Wrackteilen, Resten verbrannter Planen und nasser Asche. Wenige Handgriffe später war auch die Löschanlage der Principessa in Betrieb. Lautstark saugte sie Wasser aus dem Seebecken an und verteilte es auf mehrere Spritzsysteme. Aus der Luft näherten sich Rotorengeräusche. Einen Augenblick später tauchten die Löschhelikopter der Armee über den Baumwipfeln auf.
Erst gegen fünf Uhr war das Feuer so weit gezähmt, dass die Einsatzkräfte bis zu den ausgebrannten Booten vorrücken konnten. Rosa schaltete das Flutlicht an, während Karim die Principessa in Stellung brachte. Der steinerne Löwe an der Landungsbrücke war schwarz vor Ruß.
Plötzlich breitete sich Hektik aus. Sanitäter versammelten sich bei der Quaimauer, nachdem sie die Einsatzwagen so umgeparkt hatten, dass sie zu einem Sichtschutz zwischen Hafenbecken und Schaulustigen wurden.
»Kannst du was erkennen?« Rosa lehnte weit über die Reling und hoffte, dass es nicht das war, wonach es aussah.
»Sie stellen ein Leichenzelt auf«, bestätigte Karim ihre Befürchtung und ließ das Fernglas sinken.
Da rief schon Freds Stimme aus der Zentrale, unterlegt vom Rauschen des Funkgeräts. Rosa drehte die Lautstärke hoch und funkte zurück. Sie sollten mit dem Radargerät unter den umhertreibenden Flecken von Löschschaum nach weiteren möglichen Opfern suchen. In den Trümmern war eine tote Person geborgen worden. Noch bevor Rosa darauf reagieren konnte, begann ein Segelschiff zu sinken. Und wenig später eine Motoryacht.
»Nicht das auch noch!« Ihre Stimme klang heiser, als sie auf die Überreste der Boote blickte, über denen bereits dünnes Morgenlicht graute. Mit ihnen versank gerade sämtliches Beweismaterial auf dem Grund. Sie würden danach tauchen müssen, lange tauchen.