D ie langsam fließende Limmat zeichnete die Wolkengebilde am Himmel nach, spiegelte die gelben Laternen am Uferweg. Der Clochard hatte es sich unter der Eisenbahnbrücke gemütlich gemacht und zündete eine Zigarre an. »Ist schließlich Heiligabend«, hatte die Verkäuferin gesagt und ihm noch eine zweite dazu geschenkt. Er blies genüsslich den Rauch in die kalte Bise, vor der er sich mit einer Wolldecke schützte, die über seinem Ziehwagen hing. Der war zwar nicht so gut gefüllt wie vor seiner Verhaftung, doch das eine oder andere war in den letzten Wochen zusammengekommen. Neben einem Windlicht lag eine zerlesene Ausgabe von Hundert Jahre Einsamkeit, nach der er nun griff. Wenn alles glattging, würde er schon bald in See stechen. Nach Lateinamerika, auf einem Hochseedampfer, eine kleine Kabine, nur für ihn, er brauchte nicht viel. Denn er war sich sicher: Am Strand von Valparaíso starb es sich dereinst sehr viel schöner als am Hafen von Zürich Enge. Es war mit dem Zeitungsartikel gar nicht so schwierig gewesen, den Typen vom Hafen ausfindig zu machen, da standen ja alle Namen. Als er damals, es schien eine halbe Ewigkeit her, die Parabellum gefunden hatte, hatte er auf Finderlohn gehofft. Doch das hier war noch viel besser. Und schon in wenigen Tagen sollte das Geld in einer Tüte genau hier auf der Bank am Fluss deponiert werden. Wie es aussah, hatte sich das Blatt gewendet, und das Glück stand ausnahmsweise mal auf seiner Seite. Zur Feier des Tages hatte er sich neben einer heißen Dusche auch eine Rasur gegönnt. In der Bahnhofsmission hatten sie ihn danach beinahe nicht wiedererkannt. Zischend öffnete er das erste Bier aus der Herrenhandtasche. Ein bisschen leid tat es ihm für seinen Freund, den Koch, der hatte zünftig Ärger bekommen nach der Sache in der Bodega. Aber das würde sich wieder legen. Nach ein paar Schlucken stellte er die Bierdose neben das aufgeschlagene Buch, um kurz in die Büsche zu verschwinden.
Die erste Faust kam von hinten und traf ihn komplett unerwartet. Jost schrie, so laut er konnte. Eine Strategie, die ihn in den Jahren auf der Straße schon oft vor Schlimmerem bewahrt hatte. Doch noch ehe er den Reißverschluss seiner verdreckten Hose schließen konnte, folgte ein harter Tritt in die Kniekehle. Der Clochard landete auf dem Boden, mitten in seinem noch warmen Urin, der in Rinnsalen davonfloss.