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Amerikaner sind auch Weltmeister im Weihnachten Feiern. Sie schmücken ihre Häuser mit so vielen farbigen Lichtern, leuchtenden Rentieren und an den Schornsteinen festgemachten Weihnachtsmännern, dass man manchmal ziemlich erschrickt. Unter den mächtigen Weihnachtsbäumen in den üppig geschmückten Stuben liegen so viele Geschenke, dass einem die Kinnlade herunterfällt. Aber die Leute in Mill Creek mögen es nicht, wenn man ihnen zum Fenster hineinschaut. Auch ich bekam so viele Sachen geschenkt, dass ich mich fragte, wie ich den ganzen Kram nach Hause schaffen sollte. Sharon meinte, ich solle mir keine Sorgen machen und nicht schon wieder an die Rückkehr denken. Aber ich dachte nun mal an zu Hause, immer öfter sogar, und nachdem ich meine vielen Weihnachtsgeschenke aufgemacht hatte, vermisste ich meine Mutter sehr. Wir telefonierten lange, und sie erzählte mir, wie sie zum allerersten Mal in ihrem Leben Heiligabend ganz allein gewesen sei, was sie zu ihrem Erstaunen sehr genossen habe. Aber vermisst habe sie mich auch, das schon.
Ich musste an Großvater denken, an unser allerletztes Weihnachtsfest vor einem Jahr, als wir ihn im Heim besuchten und ich ihm helfen musste, das Geschenk auszupacken, das ich für ihn eingepackt hatte. Es war ein Polarfuchs aus Holz, den ich in einer Spezialwerkstatt geschreinert hatte. Großvater hielt den Fuchs den ganzen Abend in den Händen umklammert und wollte ihn auch nicht hergeben, als es Zeit fürs Bett war. Das erzählte mir eine Pflegerin beim nächsten Besuch.
Ich vermisste die Gespräche mit Nói und ärgerte mich, meinen Laptop nicht mitgenommen zu haben. Ich vermisste sogar meine Ex-Freundin Perla. Niemand freute sich so sehr über Geschenke wie sie. Wurde etwas ausgepackt, war sie immer so aufgeregt, dass sie in die Hände klatschte und trotz ihres Gewichts auf der Couch rumhüpfte, sodass sich alle lachend in Sicherheit brachten. Ich hätte ihr gern ein Weihnachtsgeschenk geschickt, aber dafür war es jetzt zu spät, es wäre erst zu Ostern in Akureyri angekommen.
Am Silvestermorgen musste ich meinem Vater und Onkel Bucky helfen, Feuerwerk vorzubereiten, drüben im Barn; die verschiedenen Pulver mischen und die Behälter zukleben und so. So was hatte ich noch nie gemacht. Manchmal klopften Leute ans Holztor, um unsere Feuerwerkskörper zu kaufen, Böller und Raketen, die eigentlich keine richtigen Raketen waren, bloß fliegende Böller, die laut explodierten und richtige Druckwellen verursachten. Mein Vater und Onkel Bucky tranken Bier und unterhielten sich über Waffen und wie sie eine kleine Milizarmee ausrüsten würden. Eine Neun-Millimeter-Glock gehörte da zur Standardausrüstung, da waren sich Onkel Bucky und mein Vater sofort einig. Aber beim Gewehr gingen ihre Meinungen auseinander, weshalb schließlich ich entscheiden musste, ob wir für unsere Truppe ein Ruger-Gewehr nehmen würden, der Favorit meines Vaters, oder eine Mossberg-Repetierflinte, wie sie Onkel Bucky geeignet fand. Damit könne man auch Bären erlegen, richtige Bären, sagte er und starrte mich an. Zudem sei die Flinte mit dem optionalen Pistolengriff und dem kurzen Lauf ideal für Krawalle. Ich entschied mich trotzdem für das Jagdgewehr meines Vaters, und zur Belohnung zog er mir den Cowboyhut übers Gesicht. Ich sah schwarz und musste prusten, obwohl ich an Weglaufen dachte.
Als wir am Abend unsere selbst gemachten Feuerwerkskörper in den Nachthimmel jagten, hielt ich mir die Ohren zu, und es machte mich traurig, nicht in Raufarhöfn zu sein, wo sich das sprühende Licht der Raketen so schön auf dem Wasser spiegelt. Früher wurden zu Silvester noch die Patronen der Seenotsignalpistolen verballert, weil die ein Ablaufdatum haben. Wie alles andere auch. Ich durfte dann immer die Patronen aus Petras Deckshäuschen in die Luft schießen, denn sie einfach wegzuwerfen, wäre schade gewesen.
Die selbstgemachten Bomben meines Vaters waren vor allem eins: laut. An jenem Abend tranken alle sehr viel Bier und wurden unternehmungslustig. Das Gespräch drehte sich um einen Ausflug nach Washington, D.C., den wir alle machen würden. Sharon fand, dass die Kommunisten und Corona-Nazis dem rechtmäßigen Präsidenten das Amt gestohlen hätten.
»Wir schreiben Geschichte!«, freute sich mein Vater, und Onkel Bucky, der in einer Hand die Bierflasche und in der anderen einen Böller hielt, sagte, dass ich mich nicht zu fürchten brauche, in Washington gäbe es keine Eisbären, bloß Schweine und Kakerlaken und Echsen. Dann warf er seinen Böller in hohem Bogen über die Schulter ins Feuer, brüllte: »Fire in the hole!«, und breitete die Arme aus wie ein Rockstar auf der Bühne. Bumm. Während wir schreiend von den Gartenstühlen fielen und versuchten, den glühenden Holzstücken auszuweichen, stand Onkel Bucky seelenruhig da, als genieße er den Glutregen, als sei er ebendiesem Feuer entsprungen. Tatsächlich blieb er bis auf ein paar angesengte Barthaare unversehrt. Er hatte eine dicke Haut. Mein Vater goss ihm lachend eine Flasche Bier über den Kopf, und Onkel Buckys Augen funkelten teuflisch im roten Licht der Glut.
Eigentlich bekam ich an jenem Abend ein Gefühl, das ich noch gar nicht gut kannte. Es hockte zwischen den unteren Rippen und drückte auf den Bauch, wo die Freude gewesen wäre. Doch dass wir nach Washington, D.C., fahren würden, war beschlossene Sache, da gab es keine Widerrede, und das war dann der Anfang vom Ende meines US-Aufenthalts, ein letzter Familienausflug, ein verrückter Höhepunkt meiner Amerikareise.
Nachdem alle ihren Kater ausgeschlafen und wir die Überbleibsel der Silvesterparty weggeräumt hatten, begannen die Vorbereitungen. Wir wuschen und polierten den Truck, bis er glänzte, als sei er nigelnagelneu, wir dekorierten ihn mit Magnetschildern und Fahnen, die wir nebst zusätzlicher Munition im Waffenladen gekauft hatten. Wir probierten verschiedene Outfits an und malten Sprüche und Buchstaben auf selbst gebastelte Schilder, die wir über unseren Köpfen schwenken würden, damit sich der Präsident freuen würde. Ich bekam den Auftrag, einen einzigen, großen Buchstaben auf ein Schild zu malen: Q – der Anfangsbuchstabe meines Vaters Quentin. Ich schlug vor, alle unsere Anfangsbuchstaben auf Schilder zu malen, also auch K für Kalmann, S für Sharon und B für Bucky meinetwegen, aber mein Vater meinte, dass wir gar nicht so viele Hände hätten, um diese ganzen Schilder hochhalten zu können, ich solle es bei einem Q belassen.
Wir gingen in die Kirche und beteten für den Präsidenten.
Wir übten auf dem Schießstand.
Wir reinigten und pflegten alle Waffen.
Als es endlich losging, bereitete Sharon frühmorgens ein großzügiges Picknick vor, Onkel Bucky lud eine Kiste Bier in den Truck, dann fuhren wir Richtung Washington. Es war ein kalter Morgen, der sechste Januar, also der dreizehnte und offiziell letzte Weihnachtstag, und darum fragte ich meinen Vater, ob es in Washington, D.C., Feuerwerk geben würde wie in Island. Onkel Bucky sagte, als wäre er der Sprecher meines Vaters: »Darauf kannst du wetten!«
Als wir an der Tankstelle vorbeifuhren, sah ich Bob mitten auf dem Parkplatz stehen und sich auf einem Besen abstützen. Er schaute uns stirnrunzelnd hinterher, aber als ich ihm zuwinkte, wandte er sich ab.
Wir waren nicht die Einzigen, die nach Washington, D.C., gekommen waren. So viele Leute, so viele Fähnchen, Banner und Schilder.
Mein Vater und Onkel Bucky trugen identische Baseballkappen in Tarnfarben, Sharon einen pinken Cowboyhut, und ich hatte meinen weißen auf. Ich hatte außerdem einen kleinen Rucksack dabei, in dem eine isländische Fahne steckte. Es war Sharons Idee gewesen. So würde sie immer genau wissen, wo ich mich befand. In meinem Rucksack waren zudem mein Pass, Schokolade und eine Flasche Cola verstaut. Die Schokolade hatte ich aber schon verputzt, bevor ich den Präsidenten überhaupt zu Gesicht bekam. In den Händen hielt ich mein Q-Schild und bekam dafür viel Lob, ganz besonders von denjenigen, die denselben Buchstaben auf ihren Pullovern und Lederjacken trugen.
Die Leute waren gut gelaunt und freuten sich über die vielen Begegnungen. Amerikaner sind sogar dann gut drauf, wenn sie wütend sind, sind gesprächig und für jeden Spaß zu haben, hilfsbereit und spendierfreudig. Snacks und Getränke wurden verteilt, da und dort hörte man Musik aus kleinen Lautsprechern, Gartenstühle überall. Sharon tanzte mit wildfremden Leuten einen echten Country-Tanz, in dem alle gleichzeitig kleine Schritte nach vorne, nach hinten und zur Seite machen, sich drehen und in die Hände klatschen. Das sah sehr kompliziert aus, mir wurde fast schwindlig vom Zuschauen.
Später machte Sharon mit ihrem Handy ein Live-Video für ihre Fans auf Youtube, und dabei filmte sie auch mich: »Our guest of honor all the way from Iceland!« Ich winkte verlegen in die Kamera. Dann kam der Präsident.
Die Bühne war weit von uns entfernt, aber glücklicherweise hatte jemand einen riesigen Bildschirm aufgestellt, auf dem man den Präsidenten gut sehen konnte. Sharon schlug sich beide Hände vors Gesicht, kreischte und rief: »He’s so beautiful!«
Mein Vater wischte sich klammheimlich eine Träne aus dem rechten Auge, und Onkel Bucky lächelte, hörte mit dem Kaugummikauen auf und zeigte sogar seine Zähne. Sie waren braun. Hier schämte sich niemand, weder wegen brauner Zähne noch wegen komischer Cowboy-Tänze. Ich glaube, auch der Präsident war gerührt, denn er schaute sich lange um. Aber dann wurde er wütend, richtig wütend, denn man hatte ihm sein Amt gestohlen, und Amerika war im Begriff, vor die Hunde zu gehen, und darum forderte er alle auf, mit ihm zum Kapitol zu marschieren und zurückzufordern, was ihnen gehöre. Und viele machten sich auch sofort auf den Weg, ließen ihre Gartenstühle einfach stehen, wollten gar nicht auf ihn warten. Onkel Bucky und mein Vater wurden ganz zappelig und stritten sich mit Sharon, die auf den Konvoi des Präsidenten warten wollte, aber Onkel Bucky meinte, der komme sowieso nicht, der sei schließlich noch immer der fucking Präsident.
Der Lärm um uns hatte zugenommen, und darum brüllte Onkel Bucky so laut, dass seine Schlagader hinter seinem Bart hervorlugte. Wir machten uns also auf den langen Weg, zwei Kilometer entlang der Pennsylvania Avenue. Ich bekam Seitenstechen, und mein blödes Q-Schild wurde immer schwerer, obwohl ich es gar nicht mehr hochhielt. Als es mir schließlich aus den Händen glitt, ließ ich es liegen. Wir wurden von hupenden Trucks, Fahrradfahrern und Inlineskatern überholt. Eine Menge Leute marschierten mit uns, einige verkleidet oder maskiert, stumme Militärveteranen aus wahrscheinlich allen amerikanischen Kriegen, es gab sogar uniformierte Südstaatler. Einige trugen Schutzausrüstung, Militärhelme, Fahrradhelme, Gasmasken, Piratenhüte, ausgeflippte Sonnenbrillen, und es gab einen Rollstuhlfahrer, der ein bisschen wie Großvater aussah. Aber er war es nicht.
Je näher wir dem großen Gebäude kamen, dessen Kuppeldach ich von Weitem sehen konnte, desto wütender wurden die Leute. Jemand errichtete sogar einen Galgen wie im Wilden Westen. Jetzt wurde Sharon nervös und rief immer wieder nach ihrem Baby, also nach meinem Vater, der sich aber nicht aufhalten ließ.
»Baby, jetzt warte doch mal!«, rief sie und versuchte, ihn im Getümmel nicht zu verlieren.
Ich klammerte mich an Sharon, prallte aber gegen einen breiten Rücken, ein Muskelpaket in Lederjacke, es gab kein Vorbeikommen. Mein Vater reckte den Kopf und drehte sich zu uns um.
»Honey, dieses Haus gehört uns!«
Das Muskelpaket nickte.
»Aber was ist mit Kalmann?« Sharons Stimme überschlug sich, während Onkel Bucky jubelte.
»Sie gehen wirklich rein! Fuck, yeah!« Er preschte voran. Ich hatte ihn noch nie so glücklich gesehen, nicht mal zu Silvester, als er den selbst gemachten Böller ins Feuer geworfen und die Arme ausgebreitet hatte. Sein langer Bart schwang hin und her, er hüpfte und jauchzte, dann verschwand er in der Meute, die eine große Treppe hochrannte, Sicherheitskräfte niederprügelte, über Barrikaden und Mauern kletterte. Er war in der Masse nicht mehr auszumachen, war verschwunden, und ich würde Onkel Bucky nie wieder zu Gesicht bekommen.
Jemand schlug mir den Cowboyhut vom Kopf, versehentlich wahrscheinlich, denn viele schwenkten noch immer ihre Fähnchen und Banner über den Köpfen. Mein schöner weißer Cowboyhut! Er landete auf dem schmutzigen Rasen, und ich hechtete mit ausgestreckten Armen hinterher, wurde aber so heftig von der Seite angerempelt, dass ich der Länge nach hinfiel.
Beine. Lauter Beine. Wie ein dunkler Märchenwald. Und mein Hut verfing sich darin, wurde wie von Zauberhand weggetragen, verschwand im Dickicht. Ich sah zu, dass ich auf die Füße kam, denn ich wollte nicht wie mein Hut platt getrampelt und irgendwo liegen gelassen werden. Zum Glück zog mich ein netter Wikinger auf die Beine. Er trug einen Plastikhelm mit Hörnern und lachte, klopfte Erde und Gras von meinem kleinen Rucksack und fragte mich, ob alles in Ordnung sei.
»Ich habe meinen Hut verloren!«, rief ich verzweifelt.
»Vergiss den Hut!«, sagte der Wikinger, schaute sich aber trotzdem nach allen Seiten um. »Wie sieht er denn aus?«
»Er ist weiß! Ein Cowboyhut.«
»Vergiss den Hut!«, wiederholte er.
Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich nicht nur meinen Hut, sondern auch Sharon verloren hatte. Und meinen Vater. Also fragte ich den mit den Hörnern, ob er sie vielleicht gesehen hatte, meine Leute, was er leider verneinte.
»Die gehen bestimmt da rein!«, vermutete er und zeigte auf das Gebäude. »Alle gehen jetzt rein, weißt du? Alle sind eingeladen! Dieses Haus gehört uns.«
Wahrscheinlich hatte er recht. Wahrscheinlich hätte ich meine Leute da drinnen finden können, wo der ganze korrupte Dreck steckte, der mörderische, elitäre Abschaum, wie mir der mit den Hörnern erklärte.
»Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?«
Ich nickte, obwohl das Gegenteil der Fall war, denn ich hatte meine Familie und meinen Hut verloren. Der nette Wikinger wandte sich ab und verschwand mit Kriegsgebrüll in der Menge.
Tja. Da war ich also. Allein inmitten Tausender Leute. Ich hätte stehen bleiben sollen, ich weiß. Mein Fehler. Denn wer verloren geht, muss an Ort und Stelle warten, bis er gefunden wird. Aber ich wurde von den Massen mitgerissen wie Treibholz, sodass ich gar nicht anders konnte, als immer weiter auf das Gebäude zuzustolpern, bis die Menge zu einem abrupten Halt kam. Weiter vorn stieg beißender Rauch hoch, und das Gebrüll der Leute wurde ohrenbetäubend. Ich hörte eine dumpfe Detonation, spürte die Druckwelle in meiner Brust. Bumm. Ich wurde hin und her gerissen, manche Leute drängten rückwärts, während andere noch immer vorwärts preschten. Die gute Laune war mit der Detonation gänzlich verpufft. Es gelang mir, mich seitlich aus der Menge zu drängen. Ich machte Fäuste und ruderte mit den Armen, schob Leute zur Seite, bis ich mich wieder frei bewegen konnte. Dann erst blieb ich nach Atem ringend stehen und schaute mich um, rief nach Sharon, meinem Vater und Onkel Bucky, Teufel, ich rief sogar nach meiner Mutter, denn es kam mir vor, als würde sie mich am ehesten hier finden. Auch den Boden suchte ich ab, und tatsächlich fand ich einen Cowboyhut, aber er war braun und platt und nicht meiner, darum ließ ich ihn liegen. Ich sah einen Polizisten und fasste Mut, wollte ihn bitten, meine Leute für mich ausfindig zu machen, doch dann bemerkte ich, dass er weinte. Er schluchzte hemmungslos, ging mit hängendem Kopf durch die Menschenmenge, scheinbar ziellos, und weinte dicke Tränen. Ich glaube, er war der traurigste Mensch, den ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, trauriger als Róbert McKenzie, trauriger als dessen Tochter Dagbjört, nachdem ich Róberts Hand gefunden hatte. Der Polizist schniefte und weinte, setzte einen Fuß vor den anderen und nahm weder mich noch das Geschehen um sich herum wahr. Ich schaute zu, wie er angerempelt und geschubst wurde, was ihn aber überhaupt nicht zu kümmern schien. Bald verlor ich ihn aus den Augen, und damit verlor ich alle Hoffnung, von Sharon oder meinem Vater gefunden zu werden, machte kehrt und latschte davon, ging da lang, wo am wenigsten Leute waren.
An einer Straßenecke verfolgten Schaulustige das ganze Chaos aus der Distanz.
»Happy?«, rief mir eine junge Frau zu und richtete ihr Smartphone auf mich. Wahrscheinlich nahm sie mich auf Video auf. Ihre Freunde grölten: »Rassist! Feigling! Bist du behindert? Oh shit, der ist wirklich behindert! Aus welcher Anstalt bist du ausgebrochen?«
Ich wollte noch über die Straße, schaffte es aber nicht, wurde immer langsamer, meine Beine, das Blut in ihnen, es wurde dicker, der Lärm dumpfer.
»Oops!«, frohlockte jemand, aber ich hörte das fast nicht mehr. »You’re in trouble! Run, Forrest, run!«
Ich rannte nicht. Ich blieb einfach mitten auf der Straße stehen, denn meine Beine waren jetzt aus Zement, und in meinem Kopf rauschte es wie in einem Betonmischer. Den schwarzen Cherokee-Jeep, der sich mir mit blinkenden Lichtern im Schritttempo genähert hatte, nahm ich wie aus weiter Ferne war, merkte nicht einmal, dass sein Gehupe mir galt. Ich schaute mir selbst dabei zu, wie ich mit den Fäusten auf die Autohaube trommelte, so fest, dass mein ganzer Körper wie ein Nokia-Handy zu surren begann. Die Autotüren wurden aufgestoßen, FBI-Agenten stiegen aus, die Buchstaben auf ihren Westen leuchteten gelb, einer der Männer war Mr. García, er drehte mir die Arme auf den Rücken und knallte mir den Kopf auf die warme Motorhaube des Cherokee-Jeeps, und dann riss der Film, es wurde endlich dunkel, Licht aus.