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»Es war Cain ! «, schrie Carson Gattor ins Telefon, nachdem er die Tür seines im zwanzigsten Stock gelegenen Büros am Union Square verschlossen hatte. »Er ist in New York. Er sagt, er gehört zu Medusa und es gäbe einen Maulwurf in der Organisation, der von mir weiß. Mein Gott, ist das wahr?«

Die mürrische Stimme seiner Kontaktperson verriet keine Emotion. So war sie immer. »Bist du sicher, dass er es war, Carson?«

»Natürlich bin ich sicher! Du hast mich doch selbst über ihn informiert!«

Sie schwieg erst einmal, und er wusste, dass sie die neuen Informationen verarbeitete. »Tatsache ist, er hat dich nicht umgebracht. Das ist interessant.«

»Interessant ? Ist das alles, was dir dazu einfällt? So war das nicht ausgemacht! Ich sollte nur eine Vermittlerrolle übernehmen. Und jetzt muss ich mich mit Leuten wie Cain herumschlagen.«

»Beruhige dich, Carson. Wenn Cain dich töten wollte, hättest du jetzt eine Kugel im Hals.«

»Ich soll mich beruhigen ? Mich interessiert viel mehr, ob es stimmt, was er sagt. Gibt es einen Maulwurf innerhalb von Medusa, der mich auffliegen lassen kann?«

»Nein, er wollte dir nur Angst machen – und das ist ihm ja auch gelungen.«

»Aber warum?«

»Das ist eine interessante Frage.«

Carson schüttelte den Kopf. »Du musst mir helfen. Maulwurf oder nicht – ich bin in Gefahr. Das Beste ist, ich ziehe mich aus der Sache zurück!«

»Sei still!«, befahl die Frau in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Hätten sie sich jetzt gegenübergestanden, hätte er mehr zu spüren bekommen als nur ihren strengen Ton.

Carson wartete eine gefühlte Ewigkeit. Er hörte nur noch ihr gleichmäßiges Atmen, das ihm längst vertraut war. Es war ein Geräusch, das ihn immer erregte. So atmete sie, wenn sie mit geschlossenen Augen auf ihm ritt, ihn mit aufreizend langsamen Bewegungen auf die Folter spannte und den Moment der Erlösung hinauszögerte.

Sechsmal hatten sie sich getroffen. Jedes Treffen war denkwürdig gewesen. Es endete jedes Mal mit atemberaubendem Sex in einem Hotelzimmer, nachdem sie ihm neue Informationen auf einem USB -Stick ausgehändigt hatte, die er an eine Kontaktperson in einer Regierungsbehörde oder in den Medien weiterzugeben hatte. Ein paar Tage später wurde ihm ein stattlicher Betrag überwiesen, obwohl er in Wahrheit sie bezahlen würde für das, was sie ihm schenkte.

Das erste Mal war er ihr in Las Vegas begegnet. Er war zu einem Treffen mit einem Klienten in die Stadt gekommen. Ein Taxi hatte ihn zu einem schicken Casino außerhalb der Stadt gebracht. Er hatte beim Blackjack eine stattliche Summe verspielt. Noch nie hatte er eine solche Pechsträhne gehabt, doch er konnte einfach nicht aufhören, obwohl die Vernunft ihm gebot, aufzustehen und wegzugehen. Je mehr er verlor, umso überzeugter war er, dass das Blatt sich bald wenden und er eine Glückssträhne haben würde. Doch es kam anders. Er spielte weiter und verlor weiter, die ganze Nacht, mit immer höheren Einsätzen, bis er hundertfünfzigtausend Dollar verspielt hatte. Mehr, als er besaß.

Dann lernte er sie kennen.

Sie tauchte plötzlich neben ihm auf – groß, schlank und atemberaubend, mit schwarzen Haaren und eisblauen Augen, die ihm durch und durch gingen. Sie trug ein kurzes schwarzes Kleid, das mehr zeigte, als es verhüllte.

» Mir scheint, Sie haben ein Problem, Mr. Gattor .«

Woher kannte sie seinen Namen?

Damals hatte Carson es sich nicht erklären können, dafür war er zu benebelt gewesen. Erst später war ihm klar geworden, dass man ihm eine Falle gestellt und ihn manipuliert hatte. Aber in diesem Moment hatte er nur gewusst, dass diese Frau ihn magisch anzog und er Schulden hatte, die er nicht bezahlen konnte.

» Ich weiß eine Lösung. Ich kann Ihnen sagen, wie Sie Ihre Schulden zurückzahlen und noch viel mehr Geld verdienen können .«

» Was muss ich dafür tun ?«, fragte er, obwohl es eigentlich keine Rolle spielte. Er musste ohnehin darauf eingehen. Egal, was sie ihm vorschlug – er konnte nicht Nein sagen.

» Die Einzelheiten besprechen wir später. Für heute verlange ich nur eines .«

» Was

» Wenn wir zusammen sind, wirst du mich immer Miss Shirley nennen .«

Dann war sie mit ihm in eine Penthouse-Suite mit Blick auf die Berge gegangen und hatte ihm eine Nacht voll Schmerz und Genüssen bereitet, wie er sie noch nie erlebt hatte. Am Morgen hatte sie ihm ein Flugticket erster Klasse gegeben und ihn angewiesen, ein Gespräch mit seinem Sitznachbarn anzuknüpfen.

Das war alles. Nur eine Gesprächsbasis aufbauen.

Es war seine erste Mission für Medusa.

»Es war richtig von dir, mich anzurufen, Carson«, sagte Miss Shirley, nachdem sie über eine Minute geschwiegen hatte. »Du hast die Situation richtig eingeschätzt. Wir müssen dich aus der Schusslinie nehmen.«

»Ihr bringt mich in Sicherheit?«

»Ja. Irgendwie ist herausgekommen, dass du für uns arbeitest – das heißt, du bist gefährdet. Du kannst nicht in New York bleiben.«

»Wo soll ich hingehen?«

»Fürs Erste zu mir nach Las Vegas. Ich schicke dir noch heute Abend den Jet. Jemand wird dich zu deinem Treffen mit Cain und Ms. Laurent befragen. Danach bekommst du eine neue Identität und fängst ein neues Leben an, Carson. Wie wär’s mit Asien? Vielleicht können wir dich nach Bangkok schicken. Dort wirst du es recht amüsant finden. Unsere Beziehung ist natürlich zu Ende. Wir werden uns nicht mehr sehen und hören.«

»Ich … ich weiß nicht …« Er fand den Gedanken schrecklich, nie wieder eine Nacht mit ihr verbringen zu können.

»Die Alternative wäre ein weiteres Zusammentreffen mit Cain«, sagte Miss Shirley. »Willst du das?«

» Nein! «

»Gut. Dann tu, was ich dir sage. In Greenwich Village gibt es eine Weinbar namens Villiers . Sei heute Abend um zehn Uhr dort. Bis dahin bereite ich alles für deine Abreise vor. Nimm kein Taxi, sondern geh zu Fuß hin. Wir müssen sichergehen, dass dir niemand folgt.«

»Ist das auch wirklich sicher?«

»Keine Sorge, Carson. Habe ich mich nicht immer um dich gekümmert?«

»Was ist, wenn er mich wieder kontaktiert?«, fragte er. »Oder wenn er plötzlich irgendwo auftaucht? Was soll ich dann tun?«

Er hörte das Lächeln in ihrer Stimme. »Du hast gesagt, Cain hat dir eine Waffe gegeben. Benutze sie.«

Miss Shirley legte auf.

Sie lag nackt auf einer Chaiselongue in einem Anwesen in den Hügeln von Las Vegas. Die Sonne knallte auf ihren gebräunten Körper herab. Sie erhob sich und schritt in ihren Sandalen zum Sprungbrett des im römischen Stil angelegten Beckens, das von Steingefäßen, Springbrunnen mit erotischen Motiven und Statuen von Göttinnen umgeben war. Sie streifte die Sandalen ab, stieg aufs Brett und tauchte mit einem gekonnten Sprung ins türkisblaue Wasser ein. Als ehemalige Olympiateilnehmerin kraulte sie mühelos vierzig Längen und war kein bisschen erschöpft, als sie aus dem Becken stieg.

Das Wasser tropfte von ihren Brüsten und ihren nassen Haaren. Mit einem Handtuch trocknete sie sich ab, schlüpfte in die Sandalen und schritt gemächlich zur Chaiselongue zurück.

Dann griff sie zum Telefon und wählte eine Nummer.

»Restak«, meldete sich eine Stimme.

»Ich bin’s.«

»Was kann ich für dich tun … Miss Shirley?«

»Ich komme nach New York«, sagte sie. »Cain ist da. Wir müssen heute Abend einen Vorfall inszenieren.«