21

Miles Priest und Nelly Lessard saßen auf der Terrasse von Gabriel Fox’ fünfzehn Millionen Dollar teurem Anwesen hoch in den Wüstenhügeln von Henderson, Nevada. Der Gründer von Prescix hatte sein luxuriöses Zuhause selbst entworfen. Das Haus war weiß, mit klaren geometrischen Linien gestaltet, und bot eine atemberaubende Aussicht auf das Tal von Las Vegas. Von hier aus konnten sie die lange Reihe der Luxushotels und Casinos entlang des Las Vegas Strip sehen, vom Mandalay Bay Resort im Süden bis zum Stratosphere Tower im Norden. Die Türme glitzerten in der Sonne. Am anderen Ende des Tals erhoben sich kahle Hügel über der Stadt, die wiederum vom schneebedeckten Gipfel des Mount Charleston überragt wurden.

Das Anwesen spiegelte nicht nur Gabriels Reichtum, sondern auch seine schrullige Persönlichkeit. Dickhornschafe tummelten sich auf dem Gelände und hatten freien Zugang zum Haus. Der terrassenförmig angelegte Swimmingpool war mit einem Springbrunnen und einer Wellenmaschine ausgestattet, sodass Gabriel seinem Hobby, dem Surfen, frönen konnte. Es gab eine mit Schwarzlicht beleuchtete Bowlingbahn. Ein Zimmer war im Stil einer polynesischen Küstenlandschaft gestaltet, einschließlich mehrerer Originalstatuen von den Osterinseln und Wänden, bei denen es sich in Wahrheit um riesige Bildschirme handelte, die Livebilder vom Pazifik ins Haus lieferten. In einem anderen Zimmer war eine Hollywood-Party der 1950er-Jahre nachgestellt mit Wachsfiguren von Marilyn Monroe, Cary Grant, Katharine Hepburn, Kirk Douglas und einigen anderen, die von Madame Tussauds eigens für Gabriel angefertigt worden waren.

Auf dem Tisch vor Miles und Nelly lieferte ein Förderband Cocktails und exquisite Appetithappen aus Gabriels Vier-Sterne-Küche. Es gab Morimoto Sushi, chinesische Dim Sum, texanisches Beef Brisket, Lutefisk aus Minnesota, dazu Rum, Designerbier und Gläser mit Fünfhundert-Dollar-Weinen.

Priest hasste diese ganze egozentrische Inszenierung, das Exzessive, das darin zum Ausdruck kam. Er zog am Kragen seines Anzughemds. Genauso zuwider wie die ganze Umgebung war ihm die Hitze, die hier herrschte. Er bevorzugte die kalten Tage und Nächte auf seinem schottischen Schloss. Nelly hingegen blühte hier so richtig auf. Sie war in Phoenix aufgewachsen und genoss die Aussicht ohne den kleinsten Schweißtropfen auf der Stirn. Auch die extravagante Dekoration schien sie nicht im Mindesten zu stören. Priest aß und trank nichts, doch Nelly genoss die exquisiten Speisen und Getränke, die ihnen auf dem Förderband kredenzt wurden.

»Soll ich das Reden übernehmen, Miles?«, fragte Nelly, der nicht entgangen war, wie unwohl er sich fühlte. »Ich weiß, dass Sie allergisch auf Gabriel reagieren. Das ist keine gute Voraussetzung für die Verhandlungen.«

»Der Mann ist verrückt«, erwiderte Priest.

»Mag ja sein, aber er ist nun mal ein Genie. Und er hat etwas, das wir wollen. Prescix. Also müssen Sie seine Schrullen in Kauf nehmen.«

»Ich will seine Software kaufen, nicht ihn.«

»Sie wissen, was ich meine.«

Die zwei schauten auf, als Gabriel Fox auf die Terrasse heraustrat. Er trug die Uniform eines Infanteristen aus dem Ersten Weltkrieg inklusive Helm und Bajonett. Der braune Stoff der Uniform war zerrissen und mit Schlammspritzern und Blutflecken übersät.

Er setzte sich ihnen gegenüber und lächelte gut gelaunt, als wäre seine Aufmachung das Normalste von der Welt. »Miles, Nelly – immer wieder ein Vergnügen, Sie zu sehen.«

»Hallo, Gabriel«, sagte Priest. »Proben Sie gerade für eine Inszenierung?«

Gabriel wirkte ehrlich verwirrt. »Was für eine Inszenierung?«

»Ach, nichts«, warf Nelly mit einem kurzen Blick zu Priest ein. »Es tut uns leid, was mit Kevin Drake passiert ist.«

Der CEO von Prescix zuckte mit den Schultern und nahm sich einen Teller mit knusprig gebratenen schwarzen Häppchen vom Förderband. Priest brauchte einen Moment, um zu erkennen, dass es sich um frittierte Grillen handelte. Er musste den Blick abwenden, als Gabriel zwei Stück in den Mund steckte und mit lautem Knirschen zerbiss.

»Tja, irgendwann müssen wir alle gehen.«

Gabriel nahm den Helm ab und wischte sich etwas Schweiß von seinem kahlen Schädel. Er war erst Mitte dreißig, stämmig gebaut, mit einem runden, sonnengebräunten Gesicht und einem buschigen braunen Schnurrbart. Noch vor fünf Jahren hatte er buchstäblich auf den Straßen von Las Vegas gelebt und seine Software in einer öffentlichen Bibliothek geschrieben. Heute war er Milliardär und aß Insekten in seiner Big-Tech-Version eines paradiesischen Märchenlands. Priest schüttelte den Kopf.

»Es scheint Sie nicht besonders zu treffen, dass er ermordet wurde, Gabriel. Kevin war Ihr Partner. Er hat Prescix an die Öffentlichkeit gebracht und damit Ihren Erfolg erst möglich gemacht.«

Gabriel bewegte seine Finger, als würde er auf einer Tastatur tippen. »Diese Hände haben Prescix möglich gemacht. Kevin war ein Buchhalter, ein Erbsenzähler. Von Software wusste er nur, was ich ihm beigebracht hatte. Außerdem wollte er mir die Firma stehlen und sie Ihnen überlassen, Miles. Glauben Sie, ich hab das nicht gewusst?«

»So ist das Geschäft«, rechtfertigte sich Priest.

»Mag sein, aber das hier ist mein Geschäft.«

»Heißt das, Sie haben ihn umbringen lassen?«, fragte Priest geradeheraus.

Der Gründer von Prescix klopfte mit seinem Gewehr auf den Boden. »Ich bin es nicht, der Kongressabgeordnete umbringt, Miles.«

Priest öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch dann runzelte er nur die Stirn und schwieg.

»Wir schweifen vom Thema ab«, ergriff Nelly das Wort. »Wie Miles gesagt hat, geht es um eine rein geschäftliche Angelegenheit, Gabriel. Es stimmt, dass Carillon an Prescix interessiert ist. Und es stimmt auch, dass Kevin unserem Anliegen wohlwollend gegenüberstand.«

»Weil Sie ihn gekauft haben.«

»Ganz unabhängig von seinen Beweggründen müssen Sie doch zugeben, dass unsere Unternehmen beträchtliche Synergien entwickeln könnten. Prescix hat ein riesiges Potenzial, und mit Carillon im Rücken wären der Reichweite Ihrer Software keine Grenzen gesetzt. Wir wollen Sie an Bord haben. Und wir möchten Ihnen einen Vertrag zu für Sie außerordentlich günstigen Bedingungen anbieten. Wir sehen das nicht als feindliche Übernahme, sondern vielmehr als eine Übereinkunft, die in unser beider Interesse ist. Tatsache ist doch, dass Sie längst ein Teil der Big-Tech-Community sind, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Wenn der Kongress anfängt, unsere Branche zu regulieren, bleiben auch Sie nicht verschont. Dann müssen wir mit einer Stimme sprechen.«

»Ich spreche mit meiner eigenen Stimme«, hielt Gabriel dagegen. »Ich habe Prescix entwickelt und aufgebaut. Ich leite mein Unternehmen, wie ich es für richtig halte. Sie mit Ihrem kunterbunten Club werden mir mein Werk nicht wegnehmen.«

»Wir können gern über die Leitung unseres gemeinsamen Unternehmens verhandeln. Sie hätten in Ihrem Bereich weiterhin das Sagen.«

»Sehr großzügig von Ihnen, aber ich verzichte.« Gabriel steckte sich zwei gebratene Grillen in den Mund.

»Wäre es Ihnen lieber, wenn Ihr Werk Medusa in die Hände fiele?«, versuchte es Priest erneut. »Das wäre nämlich die Alternative. Damit Sie’s wissen – die haben Ihre Software bereits gehackt und manipulieren sie nach ihren eigenen Interessen. Diese Leute stehlen Ihnen Ihre Vision, Gabriel. Wollen Sie das wirklich? Stellen Sie sich vor, was diese Organisation mit Ihrer Arbeit anstellen würde.«

Gabriel lachte. »Medusa, Medusa. Sie sind besessen von dieser Medusa-Organisation, Miles. Glauben Sie nicht, dass Sie da ein Schreckgespenst an die Wand malen, das nur in Ihrer Vorstellung existiert?«

»Erzählen Sie das der Abgeordneten Ortiz«, konterte Priest hörbar gereizt. »Medusa hat sie nämlich ermorden lassen, nicht wir.«

»In Washington hört man etwas anderes.«

»Und das glauben Sie? Medusa hat die Politik und die Geheimdienste unterwandert. Die gewinnen mit jedem Tag an Einfluss.«

»Vielleicht brauchen Sie bloß ein Feindbild, das den Leuten Angst macht, weil Sie davon ablenken wollen, dass Sie die wahre Bedrohung sind.«

»Glauben Sie, es war Zufall, dass Kevin gerade jetzt ermordet wurde?«, fuhr Priest fort. »Medusa hat ihn aus dem Weg geräumt, um zu verhindern, dass wir an Prescix herankommen. Die wollen Ihre Software für sich haben. Im Moment brauchen die Sie noch, aber sobald es ihnen gelingt, sich Prescix ganz unter den Nagel zu reißen, sind Sie genauso weg vom Fenster wie Kevin. Anders gesagt, man wird Sie eines Tages auf dem Grund Ihres schönen Pools finden.«

Gabriel zuckte mit den Schultern. »Prescix war immer unabhängig. Damit es so bleibt, habe ich entsprechende Maßnahmen getroffen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Ich bin in letzten Gesprächen mit einer Gesellschaft, die bei mir einsteigen wird, damit ich mein Unternehmen von der Börse nehmen kann. In Zukunft wird es keine feindlichen Übernahmeversuche mehr geben, Miles. Prescix ist wieder sein eigener Herr.«

»Wer hat dafür die nötigen Mittel?«

»Eine Gruppe, die sich im Hintergrund hält, deren Ressourcen aber enorm sind. Sehen Sie der Wahrheit ins Auge, Miles – Sie kommen zu spät. Der Zug ist ohne Sie abgefahren.«

»Sie machen einen schweren Fehler, Gabriel«, warf Nelly mit sanfter Stimme ein.

»Da hat sie recht«, bekräftigte Priest. »Ich kenne die Gruppe nicht, die bei Ihnen einsteigen will, aber ich bin mir sicher, dass Medusa dahintersteckt. Sie geben denen freiwillig, was sie wollen.«

»Hauptsache, Sie kriegen mein Unternehmen und meine Software nicht.« Lächelnd setzte Gabriel den Helm auf seinen kahlen Schädel, hängte sich das Gewehr um und erhob sich. »Nichts für ungut, Miles. Ich mein’s nicht persönlich. Wie Nelly gesagt hat, es ist was rein Geschäftliches. Sie beide können gern hierbleiben, solange es Ihnen gefällt. Genießen Sie, was ich Ihnen bieten kann. Ich muss jetzt los – ein großes Fest organisieren.«

»Ein Fest?«

»Ja. Ich heirate in ein paar Tagen. Wenn Sie Lust haben, bleiben Sie doch so lange.«

» Heiraten ?«, staunte Priest. »Sie?«

»Klar. Meine Verlobte leitet die Sicherheitsabteilung der Gesellschaft, die bei mir einsteigen wird. Wir haben uns vor ein paar Monaten kennengelernt, kurz nachdem ich mit den Verhandlungen begonnen habe.«

»Wer ist sie?«, wollte Nelly wissen.

Gabriel warf eine frittierte Grille in die Luft und fing sie mit dem Mund auf. »Ihr Hintergrund ist ziemlich geheimnisvoll, aber das macht sie nur noch interessanter. Sie ist Tschechin. Ich sage Ihnen, die tschechischen Frauen haben etwas an sich … einfach unwiderstehlich. Da kann keine der Frauen mithalten, mit denen ich schon das Bett geteilt habe – und das will was heißen.«

»Wie heißt sie?«, fragte Priest.

»Oh, ihr Nachname ist leider unaussprechlich«, sagte Gabriel vergnügt lächelnd. »Also nenne ich sie einfach Miss Shirley.«

»Bist du sicher, dass er dort ist?« Miss Shirley stand auf der Dachkante eines Apartmenthauses am Gramercy Park, neunzehn Stockwerke über den Straßen New Yorks. Ihr Blick war auf das Hochhaus mit der betreffenden Wohnung gerichtet, das auf der anderen Seite des Parks die Bäume überragte.

»Im dreizehnten Stock«, sagte Peter Restak mit vor Nervosität zitternder Stimme, als er sie auf der schmalen Mauer stehen sah. »An der Südostecke. Wir haben es von unseren Quellen in Großbritannien bestätigen lassen … Miss Shirley.«

»Ausgezeichnet.«

Die Windböen in den Häuserschluchten New Yorks waren unberechenbar, doch Miss Shirley hielt mühelos die Balance auf der Dachkante. Sie beugte ein Knie, streckte das andere Bein nach hinten, breitete die Arme aus und nahm die Yogastellung Krieger 2 ein. Fast eine Minute verharrte sie in dieser Position, dann richtete sie sich auf und streckte die Arme über den Kopf, die Handflächen aneinander.

»Wir haben das Video der Überwachungskamera aus dem Haus«, fügte Restak hinzu. »Wir gehen übrigens davon aus, dass auch Treadstone die Aufnahmen hat … Miss Shirley.«

»Wenn wir uns auf Treadstone verlassen könnten, wären wir nicht hier«, entgegnete sie.

Miss Shirley senkte die Arme vor die Brust, hob langsam den linken Fuß und drückte ihn an ihren rechten Schenkel. Auf einem Bein verharrte sie in der Baum-Stellung, ihre schlanke Gestalt wiegte sich kaum merklich im Wind. Unter sich auf dem Dach hörte sie Peter Restak nervös aufstöhnen.

»Beunruhigt es dich, was ich mache?«, fragte sie.

»Es sieht nicht sicher aus … Miss Shirley.«

»Was ist schon sicher, was unsicher? Was zählt, ist allein Erfahrung und die Fähigkeit, eine Situation zu meistern. Komm her.«

»Lieber nicht … Miss Shirley.«

Ihre dunklen Brauen krümmten sich streng nach unten, und ihre blauen Augen fixierten ihn mit ihrem Raubtierblick. »Hat es etwa wie eine Frage geklungen, Restak?«

»Nein … Miss Shirley.«

Sie sah, wie der Hacker seine schweißnassen Hände abwischte. Vor Angst fast hyperventilierend, legte Restak beide Hände auf die Mauer und zog sich hoch. Er setzte sich auf die Dachkante und zitterte im schneidenden Wind. Instinktiv schaute er nach unten. Es kam ihm vor, als würde das ganze Gebäude sich im Wind wiegen.

»Steh auf.«

»Ich glaube nicht, dass ich das kann … Miss Shirley.«

»Steh auf. Ich lass dich nicht runterfallen, Restak.«

Sie sah zu, wie er langsam die Beine streckte, roch seine Angst, spürte, wie seine Gedanken durcheinanderwirbelten. Kaum hatte er sich ein paar Zentimeter aufgerichtet, schrie er auf und kippte nach vorn, doch Miss Shirley packte ihn am Arm und zog ihn zurück. Halb auf dem Dach, halb in der Luft, baumelten seine Beine über dem Abgrund. Dann zog sie ihn hoch, bis er mit wackeligen Knien neben ihr stand. Tränen der Angst strömten ihm übers Gesicht. Die Augen hatte er geschlossen.

»Gut gemacht, Restak«, lobte sie. »Jetzt mach die Augen auf.«

»Ich kann nicht … Miss Shirley.«

» Mach die Augen auf

Restak gehorchte und starrte geradeaus.

»Gut. Jetzt darfst du runter.«

Sie hielt ihn am Handgelenk und ließ ihn nach unten auf die Dachterrasse steigen. Als er auf sicherem Boden stand, brach er zusammen und übergab sich. Miss Shirley vollführte eine letzte Pirouette und sprang anmutig von der Mauer. Sie stellte die Schuhspitze auf Restaks Stirn, der völlig fertig auf dem Rücken lag.

»Wir müssen einander hundertprozentig vertrauen.«

»Ja … Miss Shirley.«

»Wie du Gattor eliminiert hast, das war hervorragende Arbeit. Es ist alles genau so gelaufen, wie ich es geplant habe.«

»Danke … Miss Shirley.«

»Aber deine Arbeit in New York ist jetzt zu Ende. Cain weiß von deiner Identität. Du musst zurück ins Hauptquartier und dich neuen Aufgaben zuwenden.«

Restak wischte sich den Mund ab und schaute mit neu aufkeimender Angst zu ihr auf. Miss Shirley lächelte ihm aufmunternd zu.

»Wenn ich dich nicht mehr bräuchte, würdest du jetzt da unten auf der Straße liegen, Restak. Betrachte es als Beförderung. Und jetzt gehen wir wieder hinein, ja?«

Sie stützte den Mann, weil er nicht allein gehen konnte. Zusammen überquerten sie die Dachterrasse und traten durch die Tür zum Penthouse. Über eine gläserne Treppe gelangten sie in den großzügigen Wohnbereich mit Blick auf den Park. Die zweiundsechzigjährige Eigentümerin des Apartments lag mit durchgeschnittener Kehle auf dem Teppich. Miss Shirley hob das Messer vom Boden auf, wischte es an der Bluse der Toten ab und steckte es weg. Dann nahm sie den Kasten mit dem Scharfschützengewehr und stellte ihn auf den Nussholztisch. Sie öffnete den Deckel und strich fast zärtlich mit den Fingerspitzen über den schlanken, harten Lauf.

Einen Moment lang schaute sie aus dem Fenster zu dem Hochhaus auf der anderen Seite des Parks. Sie hatte eine direkte Sichtlinie zu dem Eckzimmer im dreizehnten Stock. Dahinter ragten Hunderte weitere Hochhäuser in den New Yorker Himmel.

»Ich liebe New York«, sagte sie.

Restak schwieg, der üble Geruch seiner Kleidung stieg ihm in die Nase.

»Geh duschen und mach dich frisch, Restak. Du hast heute noch ein paar Dinge in deinem Apartment zu erledigen. Aber davor kriegst du eine kleine Belohnung, weil du so tapfer warst.«

»Gut … Miss Shirley.«

»Das willst du doch, oder? Sex mit mir?«

»Ja … Miss Shirley.«

»Nimm dir eine Pille aus meiner Handtasche. Ich glaube, die wirst du brauchen.«

Restak kramte in ihrer Handtasche, nahm eine Tablette aus einem unbeschrifteten Plastikfläschchen und schluckte sie. Dann entledigte er sich seiner vollgekotzten Kleidung und verschwand im luxuriösen Badezimmer mit begehbarer Dusche und Marmorbank.

Sie hörte das Wasser aus der Dusche rauschen und spürte ein gespanntes Kribbeln beim Gedanken an die Dinge, die vor ihr lagen. Zuerst der Sex, dann die lange, schlanke Waffe in ihren Händen. Der Schuss, der Blutschwall aus der tödlichen Wunde.

Genauso war es auch bei Sofia Ortiz gewesen.

Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Tasche und spielte das Video ab, das Restak ihr geschickt hatte. Die Aufnahme zeigte zwei Personen im Aufzug eines Hauses, das den Briten als Safe House diente. Sie küssten sich, langsam zuerst, dann immer leidenschaftlicher, wie zwei Leute, die sich sehr zueinander hingezogen fühlten. Es überraschte sie, dass ein Mann wie Cain eine Frau anziehend fand, die zwar ganz passabel aussah, aber absolut nichts Extravagantes an sich hatte.

Schließlich wich die Frau einen halben Schritt zurück, und die Kapuze rutschte ihr vom Kopf. Ihre Wangen waren gerötet, die Augen voller Begehren. Miss Shirley hielt das Bild an und musterte das Gesicht der Frau.

»Schau an«, murmelte sie. »Abbey Laurent, du kleine Schlampe.«