»Was sagten Sie noch mal, machen Sie beruflich, Mr. Briggs?«, fragte die Immobilienmaklerin in Henderson am folgenden Morgen.
Bourne nahm die Sonnenbrille ab und lächelte breit. »Ich bin Bauingenieur, Schätzchen«, sagte er mit leichtem texanischem Akzent. »Hab viel in Dubai und Katar zu tun. Die können gar nicht genug kriegen von schönen hohen Glastürmen.«
Die indischstämmige Maklerin namens Iniya erwiderte sein Lächeln mit ihren strahlend weißen Zähnen. Die Frau war wahrscheinlich Mitte vierzig, sah aber kaum älter als dreißig aus. Sie hatte schulterlange schwarze Haare, knallrote Lippen, eine honigfarbene Haut und feurige grüne Augen. Ihr figurbetontes Designerkleid war wahrscheinlich direkt aus Mailand importiert, und ihre Brüste hatten dank chirurgischer Mittel die Größe von kleinen Wassermelonen.
»Und das ist … Mrs . Briggs?«, wandte sich Iniya mit einem neugierigen Kopfnicken zu Abbey.
Abbey wirkte sehr ernst und seriös mit ihrem zusammengebundenen Haar und dem teuren marineblauen Hosenanzug, den sie vor einer Stunde in einer noblen Boutique in Green Valley erstanden hatten.
»Ich bin Mr. Briggs’ Anwältin.«
»Oh, verstehe. Natürlich.«
»Abigail hat in Harvard studiert«, fuhr Jason fort. »Normalerweise mag ich solche Typen nicht besonders, aber dieses Mädchen ist so was von schlau. Ohne sie wäre das Projekt in Doha letzten Herbst nie so ein Erfolg geworden. Sie hat sich gegen zwei Londoner Baurechtsexperten durchgesetzt und meine Kosten um ein Drittel runtergehandelt. Dass sie auch noch hübsch ist, stört mich gar nicht.«
»Sie wären also interessiert, im Sensara-Viertel ein Haus zu bauen?«, kam Iniya zur Sache.
»Richtig. Was ich da oben so gesehen hab, wär ganz nach meinem Geschmack. Ich hab’s gern ein bisschen großzügiger.«
»Das kann ich verstehen. Sie haben einen guten Geschmack, Mr. Briggs.«
»Für Sie Charlie, Iniya. Das vereinfacht die Sache, wenn wir zusammenarbeiten.«
Die Maklerin berührte Jasons Schulter mit ihren langen Fingernägeln. »Okay. Charlie. Ich muss Sie aber darauf aufmerksam machen, dass Sensara eines der exklusivsten Viertel in ganz Las Vegas ist. Sicherheit und Privatsphäre werden hier großgeschrieben. Mit einem Grundstückspreis von sieben bis zehn Millionen müssen Sie schon rechnen. Einige Anwesen liegen sogar deutlich darüber. Das geht rauf bis zwanzig Millionen und mehr. Ist das ein Preisbereich, mit dem Sie sich anfreunden können?«
Jason schaute zu Abbey. »Kann ich mich damit anfreunden, Abigail?«
»Es ist in Ordnung.«
»Abigail sagt, es ist in Ordnung«, sagte Jason zur Maklerin. »Die Dollars und Cents überlasse ich ihr.«
»Es ist außerdem ein Hintergrund-Check notwendig, bevor ein Interessent dort bauen kann. Ein recht aufwendiger Check.«
»Gut zu wissen. Jeder Club hat seine Regeln, richtig? Ich hab nichts zu verbergen.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Iniya.
»Wie wär’s, wenn wir uns die Häuser da oben mal ansehen? Da hat doch sicher niemand was dagegen, oder?«
»Nein, das geht natürlich in Ordnung. Sie müssen nur Ihren Ausweis beim Tor hinterlegen. Und Sie sind doch nicht bewaffnet, oder? Gäste dürfen keine Waffen nach Sensara mitnehmen.«
Jason lächelte. »Sie sprechen mit einem Texaner, Schätzchen. Wir sind immer bewaffnet. Aber ich hab die Artillerie in der Hotelsuite gelassen. Hab mir schon gedacht, dass ich meine zukünftigen Nachbarn damit nervös machen würde.«
»Dann können wir sofort aufbrechen.«
In Iniyas rotem Mercedes fuhren sie in die Hügellandschaft, in der die exklusive Siedlung angelegt war, bis zu dem Tor, das der Volvo in der vergangenen Nacht passiert hatte. Bourne gab seinen Führerschein und Abbeys Pass ab und hoffte, dass ihr Name nicht auf irgendeiner schwarzen Liste des Sicherheitsteams aufschien. Die Wächter musterten ihre Gesichter eingehend, zeigten ansonsten aber keine Reaktion. Als sie den Check bestanden hatten, fuhr Iniya durch das Tor. Augenblicke später waren sie von teuren Luxusanwesen umgeben. Viele Häuser waren bereits fertig, andere noch im Bau begriffen.
»Wie Sie sehen, ist noch Platz für neue Projekte«, sagte Iniya. »Die meisten Grundstücke bieten eine freie Aussicht auf den Las Vegas Strip.«
»Das sehe ich«, sagte Jason.
»Haben Sie sich aus einem bestimmten Grund für Las Vegas entschieden?«, wollte die Maklerin wissen.
»Oh, ich hab’s gern heiß. Ich bin die meiste Zeit in Dallas oder im Nahen Osten. Und ich geh gern mal ins Casino. Aber ich will meine eigenen vier Wände, wenn ich in der Stadt bin.«
»Natürlich.«
»Können wir vielleicht kurz aussteigen und uns die Füße vertreten, Iniya? Ich geh gern ein paar Schritte, wenn ich mir ein Fleckchen ansehe.«
»Kein Problem, Charlie.«
Die Maklerin parkte den roten Mercedes an einer der Straßen, die sich zwischen den Terrassen hindurchwanden. Bourne und Abbey stiegen aus. Jason stemmte die Hände in die Hüften und stieß einen anerkennenden Seufzer aus, als würde er den Anblick bewundern. Er schlenderte ein Stück die Straße hinunter und betrachtete jedes einzelne der luxuriösen Anwesen. Die großzügig angelegten, mehrgeschossigen Häuser schmiegten sich an den Hang. In jedem konnte Medusa seinen Sitz haben. Vielleicht auch in allen. Dann fiel sein Blick auf eine Anlage, die etwas oberhalb der anderen lag und nicht nur das Tal, sondern auch die Häuser der reichen Nachbarn überragte. Es war das mit Abstand größte Anwesen, das Haus aus edlem Stein und Marmor gebaut. Auf einem der Flachdächer sah er einen Helikopter. Der Besitzer musste sich also nicht mit dem Verkehr von Las Vegas herumschlagen. Vor dem Anwesen sah Jason mehrere Wagen eines Catering-Service parken.
»Da steigt wohl eine Fete heute Abend«, sagte Jason.
Iniya folgte seinem Blick. »O ja. Eine Hochzeit.«
»Wer heiratet denn?«
Die Maklerin zögerte einen Moment. »Ich darf leider keine Namen nennen, Charlie. Wie gesagt, die Privatsphäre hat hier oberste Priorität. Falls Sie sich aber hier niederlassen, werden Sie feststellen, dass Ihre Nachbarn sehr nette, offene Leute sind.«
»Klar.« Jason studierte das Haus auf der Hügelkuppe. »Da oben, das ist schon ein prima Fleckchen.«
»Ja. Es war das erste Haus, das hier gebaut wurde.«
»Sind das Dickhornschafe, die da auf der Wiese herumlaufen?«
Iniya errötete verlegen. »Ja, der Besitzer hat einen kleinen Wildpark für die Tiere angelegt.«
»Tja, wir haben alle unsere Schrullen«, meinte Jason gutmütig.
Abbey beugte sich zu ihm. »Siehst du das Auge ? «, flüsterte sie ihm ins Ohr.
Bourne ließ den Blick noch einmal über das großzügige Anwesen schweifen, dann sah er es auch. Mehrere kunstvoll gestaltete Brunnen, die ihre Fontänen aus einem Swimmingpool aufsteigen ließen. Das Wasser des mittleren Springbrunnens bildete eine Leinwand, auf die das Videobild eines menschlichen Auges projiziert wurde. Während er es betrachtete, zwinkerte das Auge ihm zu.
Er hatte dieses Auge schon einmal gesehen, auf dem Mobiltelefon, das er dem Rowdy in der U-Bahn-Station abgenommen hatte. Es war das Symbol auf dem Startbildschirm der Prescix-Software.
Jason und Abbey wechselten einen vielsagenden Blick. Dann drehte er sich lächelnd zur Maklerin um.
»Gehen Sie auch zu dem Empfang heute Abend, Iniya?«, fragte er.
»Ja. Mein Mann und ich wurden tatsächlich eingeladen. Ich bin ja für den Verkauf der Grundstücke verantwortlich, deshalb kenne ich die Leute hier gut. Wir werden mit einer Limousine abgeholt. Das hat schon was. Sie werden sehen, die Leute hier wissen, wie man lebt.«
»Muss ja eine Riesenfete sein.«
»Ist es auch. Ein paar Hundert Gäste von überall auf der Welt.«
»Das wär ganz nach meinem Geschmack. Da könnte ich schon mal meine künftigen Nachbarn kennenlernen«, sagte Bourne. »Was meinen Sie? Können Sie mir und Abigail nicht zu einer Einladung verhelfen?«
»Das würde ich unheimlich gern, Mr. Briggs, aber das ist wirklich unmöglich.«
»Alles klar, kein Problem«, sagte Jason. »Sie und Ihr Mann werden sicher einen netten Abend haben. Wo wohnen Sie noch mal?«
»Gabriel Fox«, sagte Jason, während er im Spiegel prüfte, ob der schwarze Smoking passte. »Gründer, Programmier-Genie und größter Aktionär von Prescix. Er wohnt in dem Schloss ganz oben auf dem Hügel. Ich habe in einer einschlägigen Zeitschrift eine Beschreibung seines Hauses gefunden.«
Abbey stand auf der anderen Seite des Vorhangs der Umkleidekabine. Sie befanden sich in einer noblen Boutique in den Forum Shops im Hotel Caesars Palace. »Das passt zusammen. Medusa und Prescix. Es wundert mich jedenfalls nicht, dass der Gründer mit Medusa unter einer Decke steckt. Vielleicht war die Software von Anfang an darauf angelegt.«
»Kann sein.«
»Du glaubst nicht, dass es so war?«
»Wenn Prescix schon Medusa gehören würde, müsste die Big-Tech-Gruppe es eigentlich wissen. Prescix spielt eine zentrale Rolle in den Plänen von Medusa, aber ich glaube nicht, dass sie die Software schon in der Hand haben.«
»Warum hat dieser SUV dann den Casinomanager zu Gabriel Fox’ Anwesen gebracht, um ihn hier ermorden zu lassen?«
Bourne runzelte die Stirn. »Das weiß ich nicht. Vielleicht finden wir es auf der Party heute Abend heraus.«
»Falls sie uns reinlassen«, sagte sie.
»Mach dir deswegen keine Sorgen.«
»Ich komm jetzt raus«, rief Abbey aus der Umkleidekabine. »Mach dich auf was gefasst.«
Jason lächelte. »Ich bin bereit.«
Abbey zog den Vorhang zurück und erschien in einem kurzen violetten Cocktailkleid, dessen tiefer Ausschnitt die Rundung ihrer Brüste betonte. Sie vollführte eine kleine Pirouette auf ihren High Heels, dann posierte sie mit einer Hand an der Hüfte.
»Und?«
»Wow«, sagte Jason.
»Heißt das, es erfüllt seinen Zweck?«
»Ich fürchte bloß, dass du zu viele Blicke auf dich ziehen wirst. Du siehst fast zu schön aus.«
»Danke, Sir.« Abbey stellte sich neben ihn vor den Spiegel. »Das Ding kostet ungefähr sechs Monatsmieten.«
»Das ist es wert. Wir müssen glaubwürdig rüberkommen.«
»Ich brauche auch eine neue Frisur. Bei Männern macht es nichts, wenn sie ein bisschen schlampig aussehen – aber einer Frau lässt man das nicht durchgehen.«
»Unser nächster Zwischenstopp ist der Friseur«, sagte Jason. »Wir lassen die Sachen einpacken und gehen.«
»Willst du mir nicht verraten, wie wir zu einer Einladung kommen?«, fragte Abbey.
»Ich glaube, das willst du nicht wissen.«
»Sag’s mir trotzdem.«
»Wir haben keine Einladung – aber Iniya hat eine.«
Abbey schaute ihn verständnislos an. Dann machte sie einen scharfen Atemzug, als sie verstand. »Herrgott. Du willst sie doch nicht umbringen, Jason?«
»Nein.«
»Jemanden von Medusa zu töten, ist eine Sache. Das ist Notwehr. Aber diese Frau hat nichts mit Medusa zu tun.«
»Da gebe ich dir recht. Jedenfalls glaube ich, dass sie nichts mit denen zu tun hat. Ich habe auch nicht vor, sie umzubringen, Abbey. Wenn ich so etwas tun müsste, würde ich allein hingehen. Nicht mit dir.«
Abbey schwieg eine Weile. »Das heißt, manchmal musst du solche Dinge machen, richtig?«
»Manchmal.«
»Du bringst unschuldige Menschen um.«
»Ich will dich nicht anlügen, Abbey.«
»Hättest du mich auch umgebracht, wenn ich dir im Weg gestanden hätte?«
Jason schwieg.
Sie schaute in den Spiegel, bewunderte ihr Aussehen in dem teuren Kleid, doch das Leuchten in ihren Augen war erloschen. »Ich weiß nicht, wie du in deiner Welt leben kannst. Ich versteh das nicht.«
»Es gibt Tage, da geht es mir genauso«, gab er zu.
Ohne ihn anzusehen, ging sie zurück in die Kabine. »Ich hab gesagt, ich helfe dir. Dabei bleibt’s.«
Er hörte, wie sie sich hinter dem Vorhang umzog, und trat ebenfalls in eine Kabine, um den Smoking auszuziehen. Als sie sich ein paar Minuten später vor den Kabinen trafen, war sie wieder Abbey Laurent, kein Model mehr. Wortlos reichte sie ihm den Bügel mit dem Cocktailkleid, damit er es bezahlen konnte. Sie sah unglücklich aus. Jason hatte dieses Gesicht schon öfter gesehen, wenn Frauen draufkamen, wer er wirklich war.
»Alles okay?«, fragte er.
»Sicher.«
»Ich kann das auch allein machen. Du musst nicht mitkommen.«
»Nein. Es ist eine Party. Du fällst weniger auf, wenn du nicht allein dort bist, oder? Steht das nicht in deiner Treadstone-Bibel ? «
»Ja.«
»Dann gehen wir zusammen hin.«
Abbey drehte sich um und ging zum Ausgang. In diesem Moment war ihm klar, dass sie ihn hasste. Ihre Reaktion tat so weh, dass er die Kamera vergaß, die er zuvor an der Decke der Boutique bemerkt hatte. Er versäumte es, Abbey darauf hinzuweisen, den Kopf zu senken und ihr Gesicht wegzudrehen.
Nash Rollins fand keine Information über den Anrufer auf dem Display, als sein Handy klingelte. Normalerweise konnte Tread-stone die Nummer jedes Anrufers zurückverfolgen – diesmal nicht. Er nahm den Anruf entgegen und blaffte: »Wer ist da?«
»Hallo, Nash«, sagte Miles Priest mit rauer Stimme.
»Ah, Miles. Natürlich. Haben Sie Informationen für mich?«
»Die hab ich. Sie wollten, dass wir uns auf die Frau konzentrieren. Das war eine kluge Strategie. Sie ist in Las Vegas. Wir haben sie per Gesichtserkennung aufgespürt, beim Shoppen.«
»Ist sie noch mit Bourne zusammen?«
»Es sieht so aus.«
»Wissen Sie, was sie dort machen?«, fragte Nash.
»Nein.«
»Las Vegas«, sinnierte Rollins. »Es überrascht mich nicht, dass Cain dort ist. Wir gehen davon aus, dass Medusa dort einen Stützpunkt hat. Okay, ich kümmere mich darum.«
»Hoffentlich«, erwiderte Miles und trennte die Verbindung.
Ohne zu zögern, wählte Nash eine Nummer. »Machen Sie den Jet startklar«, wies er die Frau am anderen Ende an. »Sagen Sie dem Direktor, ich muss noch heute Abend nach Nevada.«