Schuldenabbau im Schlaf. Das ist wahrscheinlich der Lieblingstraum manch eines Finanzministers. Ist die nominale Wachstumsrate der Wirtschaft, also die Summe aus realem Wachstum und Inflationsrate, höher als der Zins für Staatsschulden, und zahlt man Zins und Zinseszins einfach durch immer neue Schulden, dann werden die Schulden selbst zwar immer größer, als Anteil an der Wirtschaftskraft werden sie aber immer kleiner. Die Beispielrechnungen zum Stichwort »Münchhausen-Lösung« in Kapitel 18 zeigen, wie eine Schuldenquote schmilzt oder explodiert, je nachdem, ob die Wachstumsrate dauerhaft über oder unter dem Zins liegt. Einige europäische Länder hatten in den vergangenen zehn bis 20 Jahren Phasen eines solchen goldenen Zeitalters mit hoher ökonomischer Dynamik bei gleichzeitig niedrigen Zinsen. Die Entwicklungen der europäischen Staatsschuldenkrise haben jedoch diese Erfolge mehr als zunichte gemacht.
Darauf zu setzen, aus den Schulden herauszuwachsen, ist eine gefährliche Strategie. In Nachkriegszeiten mag der Finanzpolitiker noch auf besonders hohe Wachstumsraten hoffen, weil Konsumwünsche in den Kriegstagen unerfüllt bleiben mussten, und weil der Krieg auch Nachholbedarf bei allen Formen von Investitionen verursacht haben mag. Vergleichbare Wachstumsimpulse inmitten einer langen Friedenszeit ohne eine grundlegende technologische Revolution sind weniger wahrscheinlich. Der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Dennis Snower warnt: »Die Hoffnung, dass das Wachstum die öffentlichen Haushalte wieder ins Gleichgewicht bringt, ist trügerisch.«368 Ein Wirtschaftswunder wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erscheint für Europa derzeit wenig wahrscheinlich, auch wegen der zunehmenden Alterung und des Bevölkerungsrückgangs. Ohnehin sind die Episoden des schlafenden Schuldenabbaus auch in der Wirtschaftsgeschichte rar gesät.369