59. Kapitel

Bea Hudson blickt zurück und denkt voraus. Möge dieses Jahr meinen Lieben Hoffnung, Gesundheit und Glück bringen.

29 »Gefällt mir«-Angaben.

Der Neujahrstag bei den Hudsons ist genau wie immer – überambitioniert, überkandidelt, überladen, was Angebot und Ausstattung angeht, und zugleich arm an Atmosphäre und Herzlichkeit. Der Speisesaal ist dunkel und still. Wir sitzen zu viert um einen riesigen Tisch, der mit dem besten Silber und Porzellan sowie mit großen Zweigen stacheligen Grünzeugs gedeckt ist. In der Ecke steht ein Weihnachtsbaum, der eher wie ein Kunstwerk als wie ein Stück Natur wirkt. Über der Tischmitte hängt gefährlich tief ein Kronleuchter, in dem sich hundertfach unsere Gesichter spiegeln, als bemühte er sich verzweifelt, uns das Gefühl zu geben, wir vier seien in dem riesigen Speisesaal nicht allein. Ich wollte unbedingt, dass dieser Tag glücklich verläuft und das neue Jahr verheißungsvoll beginnt. Weihnachten war … enttäuschend. An Heiligabend arbeitete Adam so lange, dass wir es nicht zu Lonis traditionellem Familienfest schafften. Er meinte, ich solle allein hinfahren. Da er nur zwei Tage freihatte, scheute er die lange Autofahrt, aber ich konnte mir nicht vorstellen, ohne ihn dort zu sein. Ich bin seit unserer Hochzeit nicht mehr nach Norfolk gefahren, weil ich noch immer Angst davor habe, Kieran zu begegnen. Egal wie sehr ich mich bemühe, ich kann nicht vergessen, dass er auf meiner Hochzeit aufgekreuzt ist oder mir diese Facebook-Nachricht geschickt hat. Außerdem wollte ich nicht von Adam getrennt sein, wenn ich ihn das ganze Jahr über schon kaum sehe. Also blieben wir zu Hause. Nur wir zwei. Mit unserem kleinen Weihnachtsbaum, den wir in letzter Minute erstanden hatten, und unseren großzügigen Geschenken, durch die wir auszugleichen versuchten, was in unserer Ehe fehlt. Den Tag darauf verbrachten wir mir Shopping, weil wir dadurch etwas zu tun hatten und nicht in der Wohnung hocken und versuchen mussten, die Risse unserer Beziehung mit festlichem Geschenkpapier zu verhüllen.

Und jetzt sitzen wir hier.

Ich betrachte den riesigen Truthahn in der Tischmitte und das elegante Drumherum und lausche unserem Schweigen. Einen Augenblick überkommt mich heftige Sehnsucht nach Lonis Haus. Ja, Loni ist anders, ja, unsere Familientreffen sind etwas unkonventionell, aber zumindest geht es lustig und locker zu – und wir sind fröhlich. Loni verwendet stets ihre gesamte Energie darauf, Menschen glücklich zu machen – einschließlich mich. Für sie ist das ihr Lebenswerk.

Komischerweise fällt mir jetzt auf, dass ich sie nie gefragt habe, ob sie selbst eigentlich glücklich ist.

Und jetzt feiere ich hier mit meiner neuen Familie, der vorbildlichen, perfekten Familie, die ich mir immer gewünscht habe. Nur dass sie nicht ganz so perfekt ist. Langsam denke ich, dass es so etwas gar nicht gibt.

»Wir danken dem Herrn für das, was er uns bescheret hat …«, setzt Marion fromm zum Tischgebet an.

Ich bin nicht gläubig, aber ich schließe die Augen und denke an Loni und Cal und spreche ein stummes Dankgebet. Dann schwöre ich mir, nach Hause zu fahren und sie zu besuchen.

Adams Mutter klatscht in die Hände und lächelt. »Es ist bei uns üblich, dass George vor dem Neujahrsessen ein paar Worte sagt. George?«

»Danke, Marion, in der Tat möchte ich zur Feier des Tages mit ein paar ausgewählten Worten das vergangene Jahr würdigen.« Marion nickt und richtet ihr Halstuch, während George aufsteht, uns alle anblickt, sich räuspert, dann sein Glas erhebt und bellt: »Hoch die Tassen!«

Ich unterdrücke ein Lachen, während Marion ihn wütend anfunkelt. »Ist das alles? Im Ernst, George! Das ist alles, was dir zu dem Jahr einfällt, in dem sich für unseren einzigen Sohn etwas so Wundervolles und Einschneidendes ereignet hat, indem er« – Adam nimmt meine Hand, als wolle er bestätigen, was Marion gleich sagen will – »Geschäftsführer geworden ist?«

Ich lächle weiter und warte, dass sie mich uns, unsere Hochzeit erwähnt.

Was sie nicht tut.

»Herrgott, Marion, können wir jetzt einfach essen?« George füllt sein Glas nach, leert es zur Hälfte und steht auf, um den Vogel zu tranchieren, wobei wir ihm stillschweigend zusehen.

Sehnsüchtig denke ich an Lonis Neujahrs-Tranchierritual. Jeder um den Tisch schneidet ein Stück Braten ab und spricht dabei für seinen Tischnachbarn einen Wunsch aus. Erst jetzt wird mir klar, was das für eine wundervolle Art ist, zwischen allen eine Verbindung zu schaffen und so ein Essen zu beginnen.

»Also Adam«, sagt Marion. »Erzähl uns doch, was bei der Arbeit …«

»Sollen wir uns nicht erst jeder etwas wünschen?«, unterbreche ich mit strahlendem Lächeln, woraufhin mich alle verständnislos ansehen. »Nicht? Okay, dann vielleicht Knallbonbons?«, schlage ich unsicher vor und nehme ein edles Modell in die Hand. Ich will unbedingt etwas Lärm machen, die Unterhaltung auflockern, sie alle ermuntern, aus ihrer Starre auszubrechen.

Ich blicke zu Adam und wedle mit dem Knallbonbon vor seiner Nase herum. Da er jedoch nicht darauf reagiert, lege ich es zurück auf den Tisch, hebe mein Glas und nehme einen großen Schluck. Wenn ich George schon nicht schlagen kann, kann ich mich ihm genauso gut anschließen.

Nach dem Mittagessen ziehen wir uns mit Brandys in einen Raum zurück, den Marion als »Salon« bezeichnet, was seltsam ist, weil sie a) keine Franzosen sind und b) dort weder ein Waschbecken noch andere Utensilien an einen Friseursalon erinnern. Abgesehen von seinem Namen ist es ein überraschend gemütlicher Raum. Dort fühle ich mich am wohlsten. Es gibt einen großen offenen Kamin, in dem ein paar Holzscheite fröhlich vor sich hin knistern und der mich an zu Hause erinnert. Als Marion sich zu mir aufs Sofa setzt, fällt mir auf, dass Adam und ich zwar beide aus einer Dreierfamilie stammen, seine jedoch deutlich kleiner wirkt als meine.

»Nun, Bea«, sagt Marion im Plauderton, schlägt die Beine übereinander und legt den Kopf schief, um Interesse zu bekunden. »Erzähl doch mal, so von Frau zu Frau. Vermisst du Adam nicht ganz schrecklich, wenn er unterwegs ist?«

Ich nehme einen Schluck von meinem Brandy. Er brennt in meinem Hals. »Natürlich vermisse ich ihn«, erwidere ich heiser. »Jeden Tag. Aber ich weiß ja, dass es nicht für lange …«

»Oh!« Marion klatscht in die Hände und lächelt mich an, schafft es jedoch erstaunlicherweise, dabei nicht besonders vergnügt auszusehen. »Dann freust du dich also darauf, in euer neues Heim nach New York zu ziehen?«

Plötzlich schrumpft das Zimmer, die Unterhaltung erstirbt, und die Welt scheint sich in Zeitlupe zu bewegen.

»Mum!«, ruft Adam aus. »Das habe ich Bea noch nicht erzählt!« Er schießt auf dem Sofa nach vorn und streckt mir die Hand entgegen wie ein Polizist, der sich bemüht, einen Selbstmörder, der sich gerade aus dem Fenster stürzen will, zurück in die Wohnung zu locken. »Bea, ich wollte es dir in einer ruhigen Minute sagen, aber ich hatte noch keine Gelegenheit …«

Marion verschränkt die Arme und blickt uns an, als würde sie sich darauf einstellen, ein Tennisspiel zu verfolgen.

Adam starrt sie wütend an. »Könnten wir bitte einen Moment allein sein?«

»Oh, aber vielleicht können wir dir ja helfen, dieses kleine Missverständnis aufzuklären.« Sie legt Adam eine Hand auf den Arm, die dieser jedoch sofort wegstößt.

»Ich glaube, du hast schon genug getan«, entgegnet er warnend.

»Ich versuche doch nur zu helfen …«

»Würdest du bitte aufhören, dich einzumischen!«

So habe ich Adam noch nie mit seiner Mutter sprechen hören. George hat den Raum bereits verlassen, doch Marion steht noch immer mit offenem Mund da.

»Oh, wie überaus reizend! Tja, Adam, wenn du die klugen Ratschläge deiner Eltern nicht hören willst, die dir nichts als Liebe gegeben und dich bislang vorbildlich durchs Leben geführt haben, ist das vollkommen in Ordnung.« Mit diesen Worten stolziert sie hinaus.

Adam zittert, ich würde gern zu ihm gehen, kann mich jedoch nicht rühren. Ich stehe unter Schock.

Als wir allein sind, senkt sich Stille über den Raum.

»Na, das ist ja prima gelaufen«, murmelt er. Dann sieht er mich an. »Bea, es tut mir so leid. Ich schwöre, ich wollte es dir erzählen …«, sagt er und tritt auf mich zu.

»Erzählen. Das ist in diesem Zusammenhang ein interessantes Wort«, erwidere ich ruhig. »Wann genau wolltest du es mir denn erzählen, Adam? Denn fragen wolltest du mich ja ganz offensichtlich nicht.«

»Ich habe nur auf den richtigen Zeitpunkt gewartet.«

»Wie lange weißt du es schon?«, will ich wissen.

Er antwortet nicht sofort, reibt sich die Stirn und lässt sich aufs Sofa fallen. »Nicht lange.«

»Wie lange?« Ich klinge ganz ruhig, obwohl ich innerlich brodle wie ein Vulkan.

»Als Dad mich zum Geschäftsführer ernannt hat, hat er mir gesagt, dass diese Aufgabe mit einem Umzug verknüpft sei.«

Ungläubig starre ich ihn an, doch er weicht meinem Blick aus. »Das ist ein halbes Jahr her! Warum hast du mir das damals nicht gleich gesagt?«

Er sieht mich noch immer nicht an, er kann nicht. Seine grauen Augen sind auf den Boden fixiert. »Ich wollte dich nicht unnötig beunruhigen. Ich dachte, je weniger Zeit du hättest, darüber nachzudenken, desto leichter wäre es für dich. Ich weiß doch, wie ängstlich du bist.«

»Und wann wolltest du es mir sagen?«, hake ich nach und klinge nun deutlich gereizt.

Einen Augenblick rührt er sich nicht, dann zieht er einen Geschenkumschlag aus der Tasche, auf dem mein Name steht. Er reicht ihn mir, und ich blicke ihn an, bevor ich wütend den Umschlag aufreiße und zwei Flugtickets für den 5. Januar heraushole.

»Vier Tage?«, sage ich leise, und meine Stimme bebt. »Du wolltest mir vier Tage geben, um mein Leben hier komplett aufzulösen und in ein anderes Land umzuziehen? Um den ersten Job aufzugeben, der mich glücklich macht? Um mich von meiner Familie und meinen Freunden zu verabschieden? Und inwiefern dachtest du, würde es mir das leichter machen?«

»Ich hab nicht gedacht, dass es leicht würde.« Adam sieht mich mit flehendem Blick an. »Aber mir war klar, dass du anders damit nicht zurechtkommen würdest. Ich wusste, du würdest dich weigern wegzugehen. Du hast noch nie gern Entscheidungen getroffen, du konntest noch nie mit Veränderungen umgehen. Unsere Beziehung hat immer funktioniert, weil ich alles organisiert, weil ich die Entscheidungen getroffen habe und dich dann mit den Tatsachen …«

»Genauso, wie du dafür gesorgt hast, dass mein derzeitiger Job mir in den Schoß fällt?« Das ist ein böser Seitenhieb, und Adam blickt mich vorwurfsvoll an. Doch dahinter sehe ich, dass er am Boden zerstört ist. Habe ich ihm das angetan?

»Ich wollte dich immer nur glücklich machen, Bea«, sagt er resigniert. »Du weißt, dass ich alles für dich tun würde, aber manchmal liegt es nicht in meiner Hand, weil ich keine Wahl habe.« Er schlägt mit der Faust auf die Sofalehne, legt sie dann an die Stirn und schließt die Augen. »Ich muss nach New York ziehen. Dad hat mir deutlich gemacht, dass ich sonst aus dem Job und aus der Firma fliege und seine Gunst verliere.« Beunruhigt fährt er fort: »Ich dachte, es würde uns guttun, Bea. Ein Neuanfang …«

Einen Augenblick wirkt er so durcheinander und aufgelöst, so ungewöhnlich verletzlich, dass ich mich in seine Arme schmiegen und ihm sagen möchte, dass ich ihm vertraue und mit ihm bis ans Ende der Welt gehe. Aber das kann ich nicht. Offenbar hat er gemerkt, dass ich schwanke, denn er steht vom Sofa auf.

»Es würde dir dort drüben gefallen, Bea. Da bin ich mir sicher«, lockt er und kommt mit ausgestreckten Armen auf mich zu. »Ich weiß doch, wie sehr du Milly vermisst, und ich weiß auch, wie viele neue Möglichkeiten sich dort für dich auftun werden …«

Nun hat der »Business-Adam« die Führung übernommen, der Typ, der es gewohnt ist, Probleme zu lösen, Menschen zu führen, kreative Entscheidungen zu treffen, Leuten ein Produkt zu verkaufen. Jetzt merke ich, wie viel Business-Adam ich in letzter Zeit zu Hause gehabt habe, und mir wird klar, dass ich diesen Adam nicht sonderlich mag.

»Die Stadt würde dir gefallen«, fährt er übergangslos fort. Es ist, als wäre er bei einer seiner Präsentationen. »Der Central Park … Es gibt sogar ein Greenwich Village, Bea! Du hast immer gesagt, dass du es vermisst, dort zu wohnen – jetzt kannst du das wieder tun, nur dass es in New York liegt! Und sei mal ehrlich, was hält dich denn hier?«

»Wie wäre es mit meiner Arbeit Ich blicke ihn ungläubig an. Da er das Problem anscheinend nicht versteht, wächst meine Verzweiflung. Er versteht nicht, dass ich nicht einfach auf und davon gehen kann. Ich will nicht

»Du kannst doch dieselbe Arbeit in New York machen!«, ruft er aus. »Du kannst dort im neuen Büro arbeiten. Ich könnte mit James reden und ihn fragen, ob du von dort aus an dem Projekt weiterarbeiten kannst «

»Hör auf, alles kontrollieren zu wollen!«, schreie ich, und er weicht wie von einer Kanonenkugel getroffen zurück. Ich drücke die Finger an meine Schläfen, um meine Ängste zu beruhigen. »HÖR AUF!« Ich breche in Tränen aus. »Du meinst, du könntest alles steuern, oder? Du hast gedacht, du könntest mich steuern? Tja, das kannst du aber nicht! Warum gehst du denn nicht einfach? Geh doch nach New York, hau ab, wie alle anderen auch! Es sieht aus, als hättest du seit unserer Hochzeit zielstrebig darauf hingearbeitet.« Er kommt auf mich zu und will mich in die Arme nehmen, doch ich stoße ihn zurück wie so oft in den letzten Jahren. Die Mauer ist wieder errichtet, und die Ängste, die ich so hartnäckig ignoriert habe, stürzen auf mich ein. Ich wusste, dass ich es nicht verdiene, glücklich zu sein.

Adam weicht zurück, tritt zum Kamin und lehnt die Stirn gegen die Wand. »Ich versuche nicht, dich zu steuern, Bea«, sagt er leise. »Ich liebe dich. Aber ich … ich weiß auch, was du durchgemacht hast … mit, du weißt schon, deiner … Krankheit. Und dass du Angst hast. Nein, dass du starr vor Angst bist, wenn es darum geht, ein Risiko einzugehen und ins Ungewisse zu springen. Aber ich bin für dich da, Bea. Ich werde immer für dich da sein … egal, wie sehr du auch versuchst, mich zurückzustoßen.«

Er verstummt, und ich schließe die Augen und atme tief ein, wie Loni es mir beigebracht hat. Ich versuche, meine Panik und meine Verwirrung unter Kontrolle zu bekommen. Alles um mich herum bricht zusammen. Alles, was ich meinte mir aufgebaut zu haben. Erneut stehe ich am Rand jenes Piers und möchte in den eiskalten Fluten verschwinden. Ich öffne die Augen und blicke Adam an, als würde ich ihn zum ersten Mal sehen.

»Ich lasse dich nicht im Stich.« Adam kommt auf mich zu und streckt erneut die Hand nach mir aus. »Du kannst mir vertrauen.«

Ich hebe die Hände, um ihn aufzuhalten. »Das ist das Problem, Adam. Ich habe mich die letzten sieben Jahre bemüht, so zu tun, als würde ich nicht glauben, dass du mich eines Tages verlässt. Und es ist so unglaublich anstrengend.« Ich denke daran, wie sehr ich mich bemüht habe, mich nicht in ihn zu verlieben, nicht mit ihm zusammenzuziehen, ihn nicht zu heiraten. Jedes Mal wenn ich wieder einen Schritt getan hatte, hoffte ich, das würde meine Unsicherheit vertreiben. Aber es klappte nicht. Ich weiß, dass Adam ein guter Mensch ist und dass er mich nicht absichtlich verletzen würde. Aber jeder Mann, den ich geliebt habe, hat mich verlassen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis Adam es auch tut. Es ist so sicher, wie die Blätter im Herbst von den Bäumen fallen.

»Ich bin nicht wie dein Dad, Bea«, sagt er vorwurfsvoll.

»Nein«, bestätige ich, doch dann kommt mir ein anderer Gedanke. »Aber ich vielleicht.«

Langsam wächst die Sicherheit in mir, während sich mein Herz zusammenzieht und schrumpelt wie die Haut, wenn man zu lange im Wasser war. Dann weiche ich von dem Rand zurück, an dem ich so lange gestanden habe.

Es liegt nicht an Adam, es liegt an mir.

Erneut tritt er auf mich zu. »Ich weiß, dass du Angst hast. Dass es dir schwerfällt, Entscheidungen zu treffen, einen Schritt voranzugehen, aber das ist okay. Ich bin da, Bea. Ich bin da, und ich will dich glücklich machen. Ich weiß, dass ich dich glücklich machen kann«, erklärt er entschieden. »Wenn du mich nur lässt.«

»Nein, Adam«, sage ich tonlos. Ich fühle mich leicht, als würde ich über diesen Augenblick hinwegschweben – die Schwerelosigkeit vor dem Aufprall. »Du weißt nicht, was du willst. Jeder einzelne Schritt in deinem Leben ist bislang davon bestimmt gewesen, was deine Eltern für dich wollten. Du bist mit deiner Arbeit verheiratet, nicht mit mir.« Ich halte inne, hole tief Luft und gehe in Richtung Tür.

Bei jedem Schritt zwinge ich mich, mich nicht umzudrehen. Ich habe das Gefühl, gegen den Strom anzuschwimmen, und egal, wie sehr ich paddle, ich werde immer wieder von der Strömung zurückgezogen. Aber ich weiß, dass ich weitermachen muss. Als ich endlich die Tür erreiche, klammere ich mich an den Knauf, als würde ich mich am Ufer festkrallen, während die Wellen weiter an mir zerren. Ich muss loslassen. Ich muss ihn gehen lassen.

»Das ist nicht das Leben, das ich führen will, Adam. Und weißt du was? Ich glaube, du willst dein Leben eigentlich auch nicht mit mir teilen. Meinst du nicht, dass du sonst härter an uns gearbeitet hättest?« Ich hebe die Hand. »Sag nichts. Ich weiß, dass du es nicht zugeben wirst, weil du nicht wahrhaben willst, dass die einzige Entscheidung, die du selbst getroffen hast, falsch war. Dort draußen hat ein anderes Leben auf dich gewartet, in dem du hättest glücklich werden können. Ein Leben mit einer anderen Frau …«

Adam schüttelt den Kopf, Tränen steigen ihm in die Augen. »Wenn du das wirklich denkst, Bea, dann kennst du mich überhaupt nicht.« Er stützt sich mit der Hand an der Wand ab und senkt den Kopf. An seinem Finger glänzt sein Ehering, der plötzlich überhaupt nicht zu ihm zu passen scheint. Als hätte er nie dorthin gehört.

»Und darum muss ich gehen«, erwidere ich. »Es tut mir leid, Adam, aber ich kann das nicht mehr.«

Als ich aus der Tür verschwinde, blicke ich mich nicht noch einmal um.

Ich kann nicht. Es würde zu sehr wehtun.