24. Kapitel
Bea Hudson ist bei ihren Schwiegereltern zu einem Post-Flitterwochen-Mittagessen eingeladen.
»Adam?«, rufe ich aus dem Flur, überprüfe besorgt mein Aussehen im Spiegel und nehme die Schlüssel von dem dänischen Beistelltisch. »Bist du fertig? Wir wollen doch nicht zu spät kommen.«
»Noch eine Minute!«, ruft er aus dem Schlafzimmer.
»Okay! Aber nicht länger«, flöte ich.
Ich versuche, nicht gereizt zu sein, weil wir uns irgendwie noch immer in der Flitterwochenphase befinden und ich entschlossen bin, jedem zu beweisen, auch mir selbst, dass wir eine überaus glückliche Ehe führen werden. Bislang ist sie perfekt. Adam hat mich mehrmals überrascht, indem er zu einer anständigen Zeit Feierabend gemacht, mir meine Lieblingsblumen mitgebracht – natürlich Kosmeen – und mich zu Picknicks ausgeführt hat. Und ich habe ordentliche erwachsene Mahlzeiten gekocht und sie auf der zauberhaft beleuchteten Dachterrasse serviert, wo der Duft von Lavendel, Majoran und Geißblatt unser Essen begleitete. Dann lagen wir noch lange in der Hängematte, tranken, lachten und unterhielten uns unter dem funkelnden Sternenhimmel und den strahlenden Lichtern der Stadt. Ich weiß, dass es sich nicht anders anfühlen sollte, verheiratet zu sein, aber irgendwie tut es das. Es kommt mir so vor, als seien wir vorher einfach zwei Schnittblumen gewesen, die man zusammen in eine Glasvase gestellt hat. Jetzt sind wir zwei Pflanzen, die man zusammen so tief in die Erde gepflanzt hat, dass sich ihre Wurzeln umeinandergeschlungen haben.
Also beklage ich mich nicht, obwohl Adam erst vor zehn Minuten angefangen hat, sich fertig zu machen, weil er durch einen geschäftlichen Anruf aufgehalten wurde (an einem Sonntag). Zweifellos wird er in wenigen Minuten erscheinen und mühelos elegant und attraktiv aussehen. Wohingegen ich mich zwei Stunden lang abgemüht habe, akzeptabel auszusehen, und mich jetzt dank der Hitze fühle, als müsste ich schon wieder duschen. Es ist nicht seine Schuld, dass mich die Aussicht, seine Eltern zu besuchen, derart stresst.
Sehnsüchtig blicke ich aus dem Fenster und wünsche mir, wir könnten an diesem wunderschönen Sommertag draußen sein. Alles andere, nur nicht eine Stunde im Auto sitzen, um rechtzeitig zum Mittagessen bei Adams Eltern in Berkshire zu kommen. Und ja, wir sind zwar schon seit zwei Monaten aus Paris zurück, aber, wie George und Marion nie müde werden zu betonen, ist heute der erste Tag, an dem sie seither Zeit für uns haben. Sie sind immer beschäftigt, zu beschäftigt. Meiner Meinung nach haben sie viel zu wenig Zeit für ihren einzigen Sohn. Der einzige Lichtblick des heutigen Tages ist, dass Milly und Jay als Trauzeugen ebenfalls eingeladen sind. Ich würde ja gern glauben, dass meine Schwiegereltern das uns zuliebe getan haben. Leider bin ich mir aber ziemlich sicher, dass sie die beiden nur eingeladen haben, weil George aus dem Familientreffen heimlich ein inoffizielles Arbeitsmeeting mit Jay und Adam machen will.
Besorgt blicke ich auf meine Armbanduhr. Soll ich noch einmal nach Adam rufen? Nicht vorwurfsvoll, nur als kleine Erinnerung, dass wir uns auf den Weg machen müssen. Sofort. Marion ist unglaublich anspruchsvoll, was Aussehen und Stil angeht, ganz zu schweigen von Benehmen und Haltung. Stolz erzählt sie jedem, der es hören will, dass sie noch nie unangemessen gekleidet war, zu spät zu einer Verabredung gekommen ist oder etwas vernachlässigt hat. Für sie sind die Menschen entweder tatkräftige Personen – wie Adams Ex, Eliza – oder »Abwarter« so wie ich. Das hat mich bislang nicht gestört, aber bislang war sie auch nur die Mutter meines Freundes. Jetzt ist sie meine Schwiegermutter, und allmählich realisiere ich, dass sie für den Rest meines Lebens da sein wird. Darum bin ich entschlossen, einen Weg zu finden, irgendwie mit ihr auszukommen.
Ich glaube, dass ich einen ziemlich guten Anfang gemacht habe. Schließlich habe ich jetzt eine vernünftige Stelle, und ich habe gelernt, was man in ihrer Gegenwart nicht sagen und nicht tun sollte. Von jetzt an werde ich ein Musterbeispiel an Klasse und Eleganz sein. Ich werde noch immer ich sein, aber eine neue und verbesserte Version meiner selbst. Eine pragmatischere, erwachsenere, tatkräftigere Bea. Mehr eine Hudson. Cool, ruhig, gefasst und … pünktlich.
»ADAAAAM!«, brülle ich die Treppe hinauf. »Mach schon – wir kommen zu spät!« Ich halte inne und räuspere mich. »Bitte!«
Das ist nicht Meckern. Nein.
»Okay, okay!« Er lacht, während er aus dem Bad kommt und wie immer smart und cool den Flur hinunterschreitet. Er steckt Schlüssel und Brieftasche ein, dann küsst er mich und tritt zurück, um mich anzusehen.
»Wow. Du siehst … anders aus«, stellt er fest und hebt eine dunkle Braue, sein Mundwinkel zuckt.
»Ist das zu viel?« Ich lege den Kopf schief und blicke ängstlich im Spiegel auf den geblümten Bleistiftrock, den ich mit einer weißen Seidenbluse mit Puffärmeln, einer opulenten Halskette sowie meinen Pumps kombiniert habe. Meine langen Haare habe ich im Nacken zu einem Knoten zusammengesteckt – und ich trage eine der vielen schrecklichen Spießige-Ehefrauen-Handtaschen, die Marion mir im Lauf der Jahre vermacht hat.
»Nein, es sieht hübsch aus!«, sagt Adam und küsst mich auf den Hals. »Nur nicht … wie du. Ich mag dich irgendwie lieber in Jeans und T-Shirt.« Er zupft meine Bluse heraus, und ich schlage seine Hand weg.
»Das mache ich Marion zuliebe, nicht für dich.« Ich streiche im Spiegel mein Haar glatt und versuche, Adams Avancen zu ignorieren. »Ich möchte ihr beweisen, dass ich eine perfekte Ehefrau sein kann.«
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihre Vorstellung einer perfekten Ehefrau stark von meiner abweicht«, murmelt Adam, legt einen Arm um meine Taille und lässt seine Hand dann an meinem Körper nach oben gleiten.
»Beherrsch dich«, tadele ich ihn spielerisch, schiebe seine Lippen fort und drehe eine Pirouette. »Sonst bekomme ich Ärger mit Marion.«
»Vergiss meine Mutter. Du hast gesagt, dass wir uns in letzter Zeit nicht genug gesehen haben …«, raunt Adam. »Wie wäre es, wenn wir jetzt etwas dagegen unternehmen …« Mit diesen Worten entwindet er mir die Tasche, lässt sie auf den Boden fallen und führt mich nach oben.
Zwei Stunden später fahren wir mit etwas unordentlicheren Haaren, als ich es geplant hatte, durch das beeindruckende elektrische Tor und die enorm lange Auffahrt hinauf, dann halten wir vor dem georgianischen Herrenhaus von Adams Eltern.
Milly und Jays waldgrüner Mini Cabrio steht schon dort, außerdem parken noch einige andere Wagen in der Auffahrt – was übrigens nicht heißt, dass viele Gäste da sind. George kauft Oldtimer wie andere Leute Klamotten.
In dem Moment schwingt die Haustür auf, und Marion erscheint in einem Wickelkleid, das irgendwie einen lässigen Schick ausstrahlt, den mein Outfit vermissen lässt.
»Endlich!«, sagt sie mit Nachdruck und wirft die Arme um Adam, während ich heftig schwitzend die Orchidee vom Rücksitz hervorbefördere, die ich ihr mitgebracht habe, und sie ihr mit einem Lächeln darreiche. Marion blickt mich über Adams Schulter hinweg an.
»Meine Güte, hast du dich schick gemacht! Es ist doch nur ein ganz entspanntes sonntägliches Mittagessen im Kreis der Familie. Ist dir nicht ein bisschen … heiß?« Sie wartet gar nicht erst meine Antwort ab, sondern wendet sich an Adam und hebt eine schmale geschwungene Braue. »Du hast ihr doch nicht etwa gesagt, was ich dir gesagt habe, oder? Das sollte unter uns bleiben …«
»Mum«, tadelt er und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu, ehe sie ihn ins Haus scheucht. In der Eingangshalle dreht er sich nach mir um und überzeugt sich davon, dass es mir gut geht. Ich nicke. Er wirft mir einen Kuss zu und geht in Richtung Salon, wo George sich bestimmt Cricket ansieht. Adam sehnt sich nach Situationen, in denen er sich mit seinem Vater wie sein Sohn fühlt, nicht wie sein Angestellter. Leider kommt das nicht häufig vor.
Ich lächle Marion wie eine pflichtbewusste Schwiegertochter an und warte, dass sie mich umarmt oder mich zumindest willkommen heißt. Stattdessen steht sie in der Auffahrt und mustert mich, als ob sie noch immer darüber nachdächte, ob sie mich reinlassen sollte oder nicht.
»Eine Orchidee«, sagt sie schließlich und nimmt mir endlich die Blume ab. »Wie reizend! Ist die von Tesco?«
Tesco? Ganz sicher kennt sie mich gut genug, um zu wissen, dass ich wohl kaum meine Blumen im Supermarkt kaufe. Ich bemühe mich sehr, das Lächeln auf meinem Gesicht zu bewahren, während ich ihr unsicher auf meinen klackernden Absätzen in die riesige schachbrettartig geflieste Eingangshalle folge. Obwohl ich schon oft hier gewesen bin, studiere ich erneut die Umgebung, wie ein Tourist, der eine stattliche Villa besichtigt. Überall an den Wänden und an der Treppe hängen Poster von den vielen berühmten Werbekampagnen, die George geleitet hat, sowie Urkunden von Branchenpreisen und anderen Ehrungen. Daneben gibt es Fotografien von großen gesellschaftlichen Ereignissen, an denen er und Marion teilgenommen haben. Erneut betrachte ich das Foto, auf dem George von der Queen zum Ritter und zum Botschafter der britischen Wirtschaft ernannt wird. Jedes Mal wenn ich hier bin, wundere ich mich, dass es kein einziges Foto von Adam gibt. Ich denke an Loni, bei der in jedem Zimmer so viele Fotos von Cal und mir hängen, dass sie fast wie Tapeten wirken. Es gibt sogar ein paar Fotos von Dad – weil sie uns nie das Gefühl geben wollte, dass wir nicht an ihn denken oder über ihn reden durften. Und sie wollte nicht, dass wir vergessen, wie er aussieht. Aber dieses Haus hier fühlt sich wie eine Erweiterung von Georges Büro an. Ich denke an Adams – ich meine an unsere – Wohnung, die funktionalen Möbel, die wenigen Fotos und die beeindruckende »Arbeitsecke«, die mit einem riesigen Mac-Bildschirm einen Großteil des Wohnzimmers einnimmt. Er ist fast so groß wie der Flatscreen an der Wand, die Regale sind voll mit Büchern über Marken und das Geschäft – dort steht kein Roman oder so etwas. Manchmal wirkt Adam ganz anders als George, und dann wieder …
Ich trete in den Salon und werde von einer Wand aus Männern begrüßt, die auf einen Plasmafernseher starren. Milly sitzt bequem auf einer Chaiselongue. Sie trägt ein kurzes dunkelblaues Etuikleid und dazu braune Sandalen. Irgendwie wirkt sie darin lässiger und zugleich gepflegter als ich.
»Bea!«, ruft sie und umarmt mich. »Da bist du ja!«, freut sie sich. Dann flüstert sie: »Gott sei Dank.«
»Ja, endlich«, fügt Marion lachend hinzu, während hinter ihr ein Bediensteter mit einem Tablett Pimm’s das Zimmer betritt.
»Du siehst sensationell aus«, stellt Milly fest, und George dreht sich um und zwinkert mir zu. Er ist nicht unattraktiv. Ich sehe, woher Adam sein gutes Aussehen hat. Aber die Jahre harter Arbeit und guten Lebens – Essen in den besten Restaurants, die ständigen Gesellschaften und die Trinkkultur der Werbebranche – haben eindeutig ihre Spuren hinterlassen. Er ist rotwangig, hat ein aufgedunsenes Gesicht und ist aus der Form geraten – aber das scheint er selbst nicht zu bemerken.
»Hallo, Mr. Hudson«, begrüße ich ihn.
»Alles klar, Kleines? Dein Anblick ist wie immer eine Augenweide.« George schlingt seinen Arm um Adams Hals. »Ich hoffe, du gibst ihr, was sie braucht, hm?«
»Wenn du meinst, ob er mich liebt, ehrt und mir gehorcht, dann tut er das voll und ganz!« Ich lache. Ich weiß, dass George einschüchternd wirken kann, aber zum Glück bin ich immer gut mit ihm klargekommen. Nichtsdestotrotz nehme ich ein Glas Pimm’s und leere es mit einem Schluck bis zur Hälfte. Etwas sagt mir, dass ich das brauchen werde, um dieses Mittagessen zu überstehen.
Eine gefühlte Ewigkeit später falte ich die Hände auf dem Tisch, nachdem man meinen Dessertteller abgeräumt hat. Ich lehne mich auf meinem Stuhl zurück und blicke mich in dem muffigen, dunklen, holzvertäfelten Esszimmer um. Wie schön wäre es gewesen, an einem so herrlichen Sommertag draußen zu essen. Ich frage mich, wie lange wir wohl noch bleiben müssen.
Der Bund meines Rocks beengt mich zunehmend, und ich wünsche mir sehnsüchtig, ich würde so etwas Lockeres tragen wie Milly. Sie sieht toll aus. Ich meine, sie sieht immer toll aus, aber heute ganz besonders. Ihre braunen Augen glänzen wie Knöpfe unter ihrem dunklen Pony, und ihre dunkle olivenfarbene Haut leuchtet.
»Na, ist das nicht schön?«, sagt George, füllt die Gläser nach und strahlt uns alle an. Er merkt, dass ich ihn beobachte, und zwinkert mir zu, als sei er ein Filmstar und nicht mein Schwiegervater. Dann füllt er mein Glas bis zum Rand. George scheint zu denken, dass ein Essen nur erfolgreich ist, wenn man mindestens ein halbes Dutzend Weinflaschen aus seinem geliebten Keller geleert hat.
Als George ihr gerade nachschenken will, legt Milly eine Hand auf ihr Glas, was dazu führt, dass er ein bisschen Wein auf dem Tischtuch verschüttet. Er flucht, beugt sich zu ihr hinüber und betupft mit einer Serviette den roten Fleck auf der Tischdecke. Ich bemühe mich, die Tatsache zu ignorieren, dass er dabei versucht, einen Blick in den Ausschnitt ihres Kleids zu erhaschen. Er ist unverbesserlich.
»Nun«, sagt Marion förmlich, die mit Diamanten beringten Finger vor sich gefaltet, »wir haben euch alle heute nicht ohne Grund zum Mittagessen hergebeten.«
»Sondern um unsere äußerst glückliche Ehe zu feiern?«, bemerkt Adam und stößt mit mir an. Milly, Jay und George beugen sich vor und tun es ihm gleich.
»Oh. Ja«, erwidert Marion mit einem Lächeln, das nicht ihre Augen erreicht. »Natürlich, mein Lieber. Aber George hat noch andere Neuigkeiten, nicht wahr …« Sie sieht über den Tisch zu ihrem Ehemann, der gerade einen Schluck Wein trinkt.
Daraufhin lässt er den Blick in die Runde schweifen, steht auf und wischt sich dabei mit dem Taschentuch den Mund ab. Adam lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und schlägt die Beine übereinander. Er wirkt neugierig, aufgeregt. Plötzlich werde ich nervös.
»Ihr wisst ja alle, dass Hudson & Grey den aufregenden Schritt wagen, in die USA zu expandieren, und dass ich kürzlich Friedman’s, eine mittelgroße New Yorker Agentur, übernommen habe«, beginnt George. Trotz seines Alkoholkonsums ist er fähig, sofort in den Geschäftsmodus zu wechseln, das Rot seiner Wangen ist verblasst, und seine wassergrauen Augen wirken stählern. In diesen Momenten sehe ich Adam in ihm. Wenn es um geschäftliche Entscheidungen geht, sind beide wie ehrgeizige, entschlossene Revolverhelden.
Alle nicken, außer mir. Ich habe keine Ahnung. Kann sein, dass Adam etwas von der Übernahme einer amerikanischen Agentur erwähnt hat, bevor wir in die Flitterwochen gefahren sind, aber ich war zu sehr mit der Hochzeit beschäftigt und dann mit Paris, um dem weitere Beachtung zu schenken. Ich spüre Übelkeit in mir aufsteigen, als würde das, was George uns sagen wird, Adams und meine Zukunft in fundamentaler Weise verändern.
»Und ihr wisst auch«, fährt er fort, »dass Friedman’s ein großer Player in der New Yorker Werbeszene ist, was Hudson & Grey bisher nie geschafft haben. Aber das will ich jetzt ändern. Mit der Übernahme von Friedman’s wollen wir in diesen spannenden Markt vordringen, einige ihrer Seniormanager in unsere Geschäftsleitung aufnehmen und einige von unseren erfolgreichsten Leuten aus der Londoner Agentur rüberschicken. Dadurch sorgen wir dafür, dass Hudson, Grey & Friedman, wie wir uns von nun an nennen werden, eine große Welle in den Staaten machen. Und …« Er trommelt mit den Fingern auf den Tisch, Adam rutscht nervös auf seinem Stuhl hin und her. »… ich muss ein paar Spitzenleute auswählen, die uns in dieses neue Kapitel der Agenturgeschichte führen.«
George wendet sich an Adam, der sich eifrig vorbeugt, und schenkt ihm ein gütiges Lächeln. »Aber wer könnte das sein, habe ich mich gefragt. Wer kennt die Firma genauso gut wie ich und würde mit seinem natürlichen Instinkt immer genau wissen, was ich will, schon bevor ich es selbst weiß? Kenne ich jemanden mit dem unerbittlichen Ehrgeiz der Hudsons, der unermüdlich daran arbeiten wird, dass diese Übernahme gelingt? Wer würde sein Privatleben und seine Seele opfern, um diese Firma auf die nächste Ebene zu führen …?«
Er hält inne, um Luft zu holen, und ich merke, dass ich selbst kaum noch atme. Ich stelle mir gleichzeitig vor, was passiert, wenn Adam befördert wird – und was, wenn nicht. Ich weiß nicht, was schlimmer wäre.
»Adam, mein Sohn, ich ernenne dich zum Geschäftsführer der Holding. Du hast bei der Übernahme die Leitung über London und New York!«, verkündet George. »Das bedeutet mehr Arbeit, mehr Reisen und mehr Verantwortung. Dafür wirst du natürlich entsprechend entlohnt.« Ich blicke zu Adam. Er ist glücklich. Natürlich ist er glücklich. Für diese Anerkennung, diese Beförderung, diese Art von Partnerschaft und Respekt hat er sehr hart gearbeitet.
»Wow, Dad, ich weiß nicht, was ich sagen soll …« Adam steht auf, um George zu umarmen, doch im selben Moment verlässt dieser den Tisch, um noch mehr Wein zu besorgen. Einen Augenblick steht Adam etwas verloren mit ausgestreckten Armen neben Georges Stuhl. Dann setzte er sich wieder neben mich. Als George zurückkommt, versucht Adam es erneut. »Ich bin so froh, dass du meinst, ich wäre so weit … Ich werde dich nicht enttäuschen.«
George unterbricht ihn, indem er die Hand hebt und sich über den Tisch hinweg an Jay wendet. Ganz offensichtlich genießt George es, bei diesem Mittagessen die Strippen in der Hand zu halten.
»Und was dich angeht, mein kleiner Rotschopf …«
Ich sehe, dass Milly kaum merklich die Zähne zusammenbeißt. Ihr Blick zuckt zu mir, und ich weiß, dass sie George am liebsten anschreien würde. Milly findet Adams Vater nicht besonders amüsant. Für sie verkörpert er all das, was sie an den Leuten hasst, mit denen sie es tagtäglich bei ihrer Arbeit zu tun hat. Obwohl sie selbst gut damit umgehen kann, von frauenfeindlichen Männern zurückgesetzt oder gönnerhaft behandelt zu werden, will sie Jay vor so etwas schützen. Er ist sensibler als sie, und obwohl er hervorragende Arbeit leistet und mit seiner Kreativität große Etats für die Agentur einstreicht, tut er sich mit Georges altmodischem, in gewisser Weise tyrannischem Führungsstil schwer. Manchmal denke ich, Milly geht mit den Leuten, die sie liebt, genauso um wie mit ihren Hedgefonds. Sie sieht unser Potenzial, entwickelt eine Strategie, um uns vor Risiken zu schützen, und findet heraus, wie wir unter wirtschaftlich schwierigen Bedingungen wachsen können. Menschen wie Jay und ich brauchen Menschen wie Milly, die uns in unserem Leben voranbringen.
»… nun«, fährt George fort, »ich ernenne dich zu meinem neuen Kreativdirektor, womit eine erhebliche Gehaltserhöhung verbunden ist, und ich verdopple dein Personalbudget.« Jay und Milly blicken einander schockiert an, und George grinst. »Stell die besten kreativen Köpfe ein, damit das Londoner Büro ganz oben bleibt. Ich will, dass sich das Regal mit den Preisen und Auszeichnungen nächstes Jahr um diese Zeit unter seiner Last biegt.«
Jay räuspert sich, dann hustet er. Milly stößt ihn an und flüstert ihm etwas zu. Als er nichts sagt, spricht sie.
»Die Sache ist die, George, wir haben auch Neuigkeiten für euch«, verkündet Milly energisch. »Vom nächsten Monat an werde ich für unbestimmte Zeit in New York gebraucht. So lange, dass ich dort hinziehen muss.« Mir fällt die Kinnlade herunter, ungläubig starre ich Milly an. Ich habe nicht damit gerechnet, auf diese Weise zu erfahren, dass meine beste Freundin in eine andere Stadt zieht … auf einen anderen Kontinent. Sie sieht mich an und bemüht sich, mir mit ihren ausdrucksstarken, intelligenten Augen zu vermitteln, dass es ihr leidtut, dass sie mir diese einschneidende Veränderung nicht früher mitgeteilt hat.
»Für unbestimmte Zeit? Ich verstehe nicht. Was hat das mit dir oder mit meinem Geschäft zu tun?«, wendet sich George wieder an Jay, ohne auf Milly einzugehen.
»Nun ja, Sir …«, hebt Jay an und rückt nervös die Brille zurecht.
»Es hat etwas damit zu tun, dass wir verheiratet sind«, erwidert Milly an seiner Stelle und stellt ihr Glas auf dem Tisch ab. Sie holt tief Luft und blickt bei ihrem nächsten Satz zu mir. »Wenn ich dorthin ziehen muss, geht Jay mit mir.«
George nimmt sein Weinglas und starrt sie an. »Sag ihnen ab«, entgegnet er schließlich ungerührt und schenkt sich noch mehr Wein nach. »Die finden schon jemand anders.«
Milly fixiert eine Stelle auf dem Tischtuch. Mir ist klar, dass sie sich bemüht, ihre Wut zu beherrschen, weil wir in seinem Haus sind. Ich möchte mir nicht vorstellen, was sie jetzt sagen würde, wenn wir uns in einem Restaurant befänden.
»Willst du dir wirklich von dem kleinen Nebenjob deiner Frau deinen nächsten Karriereschritt diktieren lassen, Jay?«, kichert George.
Milly kocht sichtlich vor Wut, doch dann lächelt sie nur, legt ihre Hand auf Jays und sagt: »Nur um eins klarzustellen: Ich bin Geschäftspartnerin in einer der größten internationalen Vermögensgesellschaften. Das bedeutet, es gibt niemand anders. Und außerdem, George«, fügt sie hinzu, »verdiene ich mit meinem kleinen ›Nebenjob‹ mehr als das Doppelte von Jay – einschließlich der Gehaltserhöhung, die du ihm gerade offeriert hast.«
Wenn ich nicht so aufgewühlt wäre, weil die beiden wegziehen, würde ich applaudieren.
George bekommt große Augen, dann setzt er sich zurück auf seinen Stuhl, verschränkt die Arme und mustert Milly mit einem Anflug von Bewunderung.
»Sieht aus, als müssten wir das dann wohl am Montag besprechen, Jay.« Er bedeutet Adam aufzustehen. »Trinken wir einen Cognac in der Bibliothek, mein Sohn.«
Adam schiebt seinen Stuhl zurück, wirft Jay einen entschuldigenden Blick zu und folgt George, der den Arm um seine Schultern legt, aus dem Zimmer.