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D er Mann an der Theke nickte unmissverständlich mit dem Kopf. Sie hätte es am liebsten ignoriert. Ihr Körper schrie nach Schlaf. Sie war die ganze Nacht auf den Beinen gewesen. Hatte über zwanzig Männer mit auf ihr Zimmer genommen und jetzt sollte sie schon wieder einen Freier bedienen. Sie warf Sascha einen unterwürfigen Blick zu, weil er sie immer noch mit hochgezogenen Augenbrauen anstarrte. Er duldete keinen Widerspruch. Sie gehörte ihm und hatte zu tun, was er von ihr verlangte. So viel hatte sie inzwischen gelernt.
Sie setzte ein falsches Lächeln auf und klimperte mit den ebenso falschen Wimpern. Der Freier, ein dürrer, alter Mann mit faltigem Gesicht, grinste lüstern. Er griff ihr um die Taille und presste sie grob an sich. Anschließend schob er sie die schmalen Stufen in die obere Etage hinauf. Dort befanden sich die Zimmer. Mitten am Tag waren die meisten frei. Nachts konnte es schon mal eng werden. Dann waren die Mädchen angewiesen, sich zu beeilen. Länger als dreißig Minuten durfte kein Besuch dauern.
Doch Marina hatte sowieso nicht vor, sich Zeit zu lassen. Wofür auch? Der Alte würde ohnehin nicht lange brauchen und sie musste endlich schlafen. Wenigstens machte es ihr inzwischen nichts mehr aus, wenn Fremde sie berührten. Wenn sie in sie eindrangen und sich an ihr befriedigten, als wäre sie nichts weiter als ein Objekt. Die meisten kannten nicht einmal ihren richtigen Namen. Sie nannten sie Ilona. Der Name klang fremd in ihren Ohren, genauso wie die deutsche Sprache, die sie sich in den letzten Monaten mühsam angeeignet hatte. Sie nahm das erste Zimmer auf der rechten Seite und ließ den Freier eintreten.
Der hockte sich gleich aufs Bett und musterte sie gierig.
»Wie heißt du?«, fragte er und lehnte sich zurück.
»Ilona«, flüsterte sie und schlüpfte aus ihrem Kleid. Sie wollte es möglichst schnell hinter sich bringen. Sie stolzierte mit eingezogenem Bauch zum Bett und nahm ein Kondom vom Nachttisch. Dann setzte sie sich rittlings auf ihn und begann an seiner Hose zu nesteln.
Der Alte schloss die Augen. Sein aufdringliches Parfüm kroch ihr in die Nase. Sie verzog das Gesicht und zerrte seine Hose ein Stück herunter, eben weit genug, um ihre Dienste zu verrichten. Sie rutschte auf ihm vor und zurück, zehn, höchstens fünfzehn Mal. Seine dürren Finger packten ihren Hintern und gruben sich schmerzhaft in ihr Fleisch. In dem Moment, als sie es nicht mehr aushielt und seine Hände wegstoßen wollte, ließ er glücklicherweise von selbst los und sackte wie ein schlaffer Sack in die Matratze. Sie stieg hastig von ihm herunter und wartete, bis er endlich die Augen öffnete.
»Kondom«, sagte sie und deutete auf den Eimer neben dem Bett.
Der Alte grinste zufrieden, zog den Gummi ab und warf ihn in den Müll. Er holte ein paar Geldscheine aus der Tasche und steckte sie tief in ihr Dekolleté. Dann biss er ihr sanft in den Hals.
Sie hatte Mühe, sich nicht abzuwenden. Angewidert hielt sie die Luft an.
»Du warst gut«, brummte er und ließ von ihr ab.
Marina atmete auf und sah zu, wie der Alte den Raum verließ. Hastig zählte sie das Geld nach. Einhundertzwanzig Euro kostete der Geschlechtsverkehr mit ihr. Sie nannte es so und nicht anders, denn das verschaffte ihr Distanz. Noch vor acht Monaten hätte sie sich nie vorstellen können, ihren Körper für Geld anzubieten. Doch die ersten zwei Monate gefangen in Saschas Hand und eingesperrt mit den anderen Mädchen in einem dunklen Keller hatten sie eines Besseren belehrt. Sie wurden geschlagen, hatten gehungert und es war kalt gewesen. Ihr Stolz war dahin. Aber nun fror sie nicht mehr, sie hatte genügend zu essen, und sie verdiente Geld, wovon sie ein wenig behalten durfte. Den größten Teil bekam natürlich Sascha. Dafür schlug er sie kaum. Im Vergleich zu anderen Zuhältern war er einigermaßen nett. Die meisten Mädchen bei ihm überlebten, und wenn sie ein gewisses Alter erreicht hatten, dann ließ er sie gehen.
Marina stammte aus einem kleinen Dorf in der Mitte Rumäniens. Irgendwo im Nirgendwo. Ihre Mutter hatte sie mit fünfzehn Jahren nach Deutschland geschickt. Sie war eines von sechs Kindern und es war eine große Chance für sie. Ein entfernter Cousin hatte ihr in dem fremden, wohlhabenden Land einen Job besorgt. Sie sollte als Kellnerin arbeiten und sich mit dem Geld ein unabhängiges Leben aufbauen. Sie war mit wehenden Fahnen aus ihrem Zuhause aufgebrochen, mit einer Naivität, die ihr inzwischen völlig abhandengekommen war. Mit ihren sechzehn Jahren hatte Marina bereits so tief in den Abgrund geblickt, dass sie nichts mehr schockieren konnte.
Ein Piepton auf ihrem Handy ließ sie hochschrecken. Es war der Alarm. In letzter Zeit kam er häufiger vor. Sie schnappte ihre Sachen und stürmte aus dem Zimmer, den Flur entlang und dann die Treppe hinauf.