E
s war bereits zwei Uhr nachts und sie hockten immer noch bei Simon Fischer in der Küche.
»Will einer von euch einen Energydrink?«, fragte der Computer-Experte und kippte eine ganze Dose auf einmal hinunter.
»Du liebe Güte«, entgegnete Laura, »wird dir davon nicht allmählich schlecht?« Simon hatte schon zwei dieser Drinks zu sich genommen. Nach dem ersten hatte er Laura und Taylor das Du angeboten. Laura mochte Simon. Er war klug, flink und scheute sich auch nicht davor, zu den unmöglichsten Zeiten zu arbeiten.
»Mich haut so schnell nichts aus den Socken. Energydrinks sind so etwas wie mein Lebenselixier.« Er grinste verschmitzt und zwinkerte Laura zu.
Sein Notebook gab mehrere schrille Pieptöne von sich.
Sofort drückte er ein paar Tasten. »Sorry, dass das so lange dauert, aber mein Laptop hat nicht so viel Power wie unsere Rechner im Büro.« Simons Blick verharrte gespannt auf dem Bildschirm, bis er unvermittelt aufsprang.
»Treffer«, verkündete er lauthals. »Es ist derselbe Kerl. Hundertprozentig. Schaut euch das an.« Er drehte den Laptop so herum, dass Laura und Taylor etwas sehen konnten.
Der Monitor war in zwei Hälften geteilt. Links sahen sie eine Aufnahme aus der Überwachungskamera des Krankenhauses, rechts eine, die vor einem Supermarkt gemacht worden war. Dieses Foto stammte aus Taylors Revier. Sein Kollege bearbeitete zurzeit einen Fall, bei dem fast auf den Tag genau vor drei Wochen eine ermordete Frau vor den Mülltonnen eines Discounters abgelegt worden war. Der Täter war von der Überwachungskamera gefilmt worden und hatte, ebenso wie in ihrem Fall, eine Schubkarre benutzt. Bis heute hatte die Kripo weder Spuren des Täters sichergestellt noch die Identität des Opfers ermittelt. Der Mordfall schlummerte seit ein paar Tagen vor sich hin, weil es keine neuen Ermittlungsansätze gab. Die ungefähr sechsundzwanzigjährige Tote hatte lange braune Haare und grüne Augen. Der Kleidung nach zu urteilen könnte es sich um eine Prostituierte handeln. Nachforschungen in diesem Umfeld hatten allerdings zu keinem Ergebnis geführt.
Auf beiden Aufnahmen war ein Mann zu sehen, der eine Schubkarre vor sich herschob. Statur und Größe schienen identisch.
»Es ist mit ziemlicher Sicherheit derselbe Typ, denn er trägt ähnliche Kleidung. Die Schuhe und die Baseballmütze scheinen mir dieselben zu sein. Sogar die Schubkarre ist gleich. Es könnte sich natürlich nur um dasselbe Modell handeln, aber das halte ich für unwahrscheinlich.« Simon schob zum Beweis die isolierte Aufnahme von der rechten Schubkarre über die linke und skalierte sie entsprechend.
»Unser Täter hat wohl eine Affinität zu Mülltonnen«, stellte Taylor fest.
Laura seufzte. »Sieht so aus. Jetzt haben wir schon zwei tote Frauen und eine Entführte. Wer weiß, wie viele Opfer er insgesamt bereits auf dem Gewissen hat.«
»In der Falldatenbank ist jedenfalls keine weitere Leiche vor irgendwelchen Müllcontainern registriert«, sagte Simon, der die Augen bereits wieder auf den Bildschirm heftete. »Ich weiß natürlich nicht, wie gründlich die Kollegen die Datenbank mit ihren Fällen gefüttert haben, aber in den letzten sechs Monaten war da nichts.«
»Je nachdem, wie hektisch die Zeiten gerade sind, nehmen meine Kollegen es nicht so genau«, erwiderte Taylor. »Das gilt jedenfalls für die Kriminalpolizei. Keine Ahnung, wie das bei euch im LKA gehandhabt wird.«
Laura zuckte mit den Achseln. »Ich schätze, ganz ähnlich. Es wäre also gut möglich, dass es weitere Opfer gibt.« Sie stieß einen leisen Fluch aus. Eva Hengstenberg war seit drei Tagen verschwunden, hoffentlich erhöhte der Täter sein Tempo nicht. In ihrem Magen rumorte es. Sehr oft war das Gegenteil der Fall. Hatte ein Täter erst einmal Gefallen am Morden gefunden, dann suchte er rasch den nächsten Kick. Die Zeitabstände verkürzten sich wie bei einem Süchtigen immer mehr, denn mit jedem neuen Mord verflüchtigte sich der darauffolgende Rausch umso schneller.
Laura schlug die Akte auf, die sie aus Taylors Dienststelle mitgenommen hatten. Der Obduktionsbericht ähnelte dem von Lena Reimann bis auf einen Punkt. Die Tote schien in den Wochen vor ihrem Tod nicht misshandelt worden zu sein. Zwar hatte sie hie und da ein paar ältere Prellungen, jedoch keine dramatischen Verletzungen. Die Zeigefinger des Opfers sagten allerdings etwas anderes. Sie waren genauso mit einem Hammer malträtiert worden und beide gebrochen. Nach Ansicht des Rechtsmediziners waren die Brüche ungefähr drei bis fünf Tage vor ihrem Tod entstanden. Dabei waren, ähnlich wie bei Lena Reimann, keine Gelenke beschädigt worden. Gestorben war die junge Frau ebenfalls an einer Zyankalivergiftung.
Laura blätterte weiter. Niemand schien die Tote zu vermissen. Ein Abgleich des Zahnstatus hatte nichts gebracht. Das Gebiss wies keinen Zahnersatz auf, nur ein paar Füllungen und starke Karies. Laura betrachtete nachdenklich die ebenmäßigen Gesichtszüge der Frau, die auch im Tod noch attraktiv waren.
»Ob er sie ebenfalls in einem Krankenhaus aufgegabelt hat?«, fragte sie und machte sich eine Notiz. Sie würde am nächsten Tag mit Dr. Gebauer sprechen. Vielleicht suchte der Täter seine Opfer ausschließlich im selben Krankenhaus aus.
»Das wäre gut möglich«, erwiderte Taylor. »Wir sollten aber jetzt nach Hause fahren. Du brauchst Schlaf.« Er deutete auf seine Uhr. »Es ist gleich drei.«
Laura nickte.
»Kannst du versuchen, das Opfer im Netz ausfindig zu machen?«, fragte sie an Simon gerichtet und legte eine Fotografie neben ihn.
»Klar. Mal sehen, was meine Software herausfiltert. Die Gesichtserkennung dauert aber bestimmt vierundzwanzig Stunden.«
»Danke. Schlaf schön.«
Laura und Taylor verabschiedeten sich von Simon und gingen zusammen zum Auto.
»Kommst du mit zu mir?«, fragte sie und lächelte müde.
Taylor küsste sie. »Nichts lieber als das.«
Keine dreißig Minuten später schlief Laura sanft in seinen Armen ein.