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» H ören Sie, wir können auf Ihren Anwalt warten.« Laura krempelte in aller Ruhe die Ärmel ihrer Bluse hoch, stützte die Ellenbogen auf den Tisch des Verhörraums und blickte Erik Krüger gespielt gleichgültig an. »Es ist zwei Uhr nachts. Wir bringen Sie also erst einmal bis morgen in einer Zelle unter. Ihr Anwalt kommt dann irgendwann im Laufe des Tages, vielleicht auch später.« Sie zuckte mit den Schultern und lehnte sich über den Tisch. »Sie können allerdings auch mit uns kooperieren. In diesem Falle ersparen Sie uns eine Menge Zeit und das wird sich garantiert auch positiv auf Ihren Verbleib in der Haft auswirken.«
Erik Krüger schob trotzig die Unterlippe vor und starrte Laura feindselig an.
»Sie können mich nicht wegen einer Handtasche hier festhalten«, murmelte er, klang dabei jedoch schon wesentlich unsicherer als zu Beginn des Verhörs.
»Warum sind Sie weggelaufen, wenn Sie mit dem Verschwinden der Frauen nichts zu schaffen haben?«, fragte Laura versöhnlich. Sie konnte spüren, dass Krüger nicht mehr lange durchhielt. Er war völlig überrascht gewesen, als sie ihn am Teufelsberg aufgegriffen hatten. Auf der gesamten Fahrt zum LKA hatte er protestiert. Langsam schien ihm die Luft auszugehen. Er wusste, dass er in der Zwickmühle steckte. Laura sah es in seinen Augen, die permanent zwischen ihr und Max hin und her sprangen.
An der Tür klopfte es kurz. Ein Kollege sah herein und schüttelte den Kopf. Sie hatten sofort nach Krügers Festnahme eine Streife zur Adresse auf dem Ausweis aus der Handtasche geschickt. Die Beamten sollten prüfen, ob die Frau zu Hause war oder ans Telefon ging. Aber sie hatten offensichtlich niemanden erreicht.
Der Beamte zog die Tür zu und sie waren wieder allein. Krüger schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
»Ich habe Ihnen doch gleich gesagt, dass Sabrina Habich nicht da ist. Was für einen Sinn hätte denn sonst mein Treffen mit dem Journalisten gehabt.« Er hielt kurz inne und schnaubte verächtlich. »Wenn ich den erwische, mache ich Hackfleisch aus ihm«, knurrte er und funkelte Laura wütend an.
»Herr Winkelmann kann nichts dafür. Wir haben ihn observiert. Sie brauchen Ihren Zorn also nicht an ihm auszulassen«, sagte Max, noch bevor Laura etwas erwidern konnte.
Sie sah Max dankbar an. Denn diesen Satz hätte sie nicht herausgebracht.
»Wenn Ihnen diese Frau so am Herzen liegt, warum haben Sie uns dann nicht informiert?«, fragte Laura freundlich, obwohl ihr danach nicht zumute war.
Erik Krüger rollte mit den Augen. »Sie haben doch alles mitgehört. Die Kleine ist heiß, kapiert? Ich wollte sie flachlegen. Mehr nicht.«
Laura ballte die Faust unter dem Tisch. Was bildete sich dieser Typ bloß ein? In ihrem Kopf ratterte es. Erik Krüger war vor ihnen abgehauen, weil er nicht nur die Handtasche von Eva Hengstenberg gestohlen hatte, sondern offenbar eine ganze Reihe von Dingen. Kreditkarten, Portemonnaies, Schmuck, Medikamente. Alles, was sich zu Geld machen ließ. Sollten sie herausfinden, wem er das Zeug verkaufte, bekam er mit Sicherheit Probleme. Russen oder andere Osteuropäer, die in mafiösen Strukturen organisiert waren, gingen mit ihren Lieferanten nicht gerade zimperlich um. Insbesondere dann nicht, wenn sie von ihnen an die Polizei verraten wurden. Sie musterte Krügers Miene. Er wirkte extrem angespannt. Lag das an den Diebstählen oder hockte hier am Tisch ein Serienkiller, der Eva Hengstenberg irgendwo in Berlin gefangen hielt?
Laura beschloss, etwas auszuprobieren. Krüger würde in dieser Nacht nicht viel reden, sondern auf seinen Anwalt warten. Aber vielleicht konnte sie ihm ein paar unbewusste Reaktionen entlocken.
Sie legte das vergrößerte Ausweisfoto von Sabrina Habich auf den Tisch.
»Diese Frau entspricht also dem Typ, der Ihnen gefällt?«
Krüger schaute sie verwundert an, richtete seinen Blick auf das Foto und nickte dann zögerlich. Seine Augen bewegten sich kurz nach links oben. Er erinnerte sich an Sabrina Habich.
»Was ist mit dieser?«, fragte Laura und schob das Foto der unbekannten Toten zu ihm hinüber.
»Die ist auch nicht zu verachten«, brummte Krüger. Sein Blick wanderte für den Bruchteil einer Sekunde in die entgegengesetzte Richtung.
Laura versuchte es weiter mit dem Bild von Eva Hengstenberg. Sie wusste, dass er sie erkennen würde und dass seine Augen demnach wieder nach links schauen müssten, doch Krüger schaltete auf stur.
»Was, verdammt noch mal, soll das? Ist das irgend so ein Psychoscheiß?« Er schob die Fotos von sich und drehte demonstrativ den Kopf zur Seite.
»Ich sag jetzt gar nichts mehr ohne meinen Anwalt. Länger als bis morgen Abend können Sie mich sowieso nicht festhalten. Ich wette, Sie kriegen keinen Haftbefehl.« Er verschränkte die Arme und kniff die Lippen zusammen.
»Nun kommen Sie doch zur Vernunft«, appellierte Max noch einmal, aber Krügers Miene blieb verschlossen.
Er sagte kein weiteres Wort.
»Also gut, Herr Krüger. Wir sehen uns in ein paar Stunden wieder.« Laura erhob sich und musterte den Mann ein letztes Mal unauffällig. Sie hatte ohnehin nicht vor, ihn länger als einen Tag festzuhalten. Wenn er Eva Hengstenberg in seiner Gewalt hatte und sie noch lebte, dann würde er sie vermutlich früher oder später aufsuchen. Die Frau brauchte Nahrungsmittel und Wasser. Laura würde jeden seiner Schritte überwachen und vielleicht brachte er sie direkt zu seinem Opfer.
Max folgte ihr hinaus aus dem Raum und blickte gähnend auf seine Armbanduhr. »Ich muss jetzt wirklich ins Bett«, murmelte er. »Soll ich dich nach Hause fahren?«
Laura schüttelte den Kopf. »Taylor wartet unten auf mich. Danke.« Sie blieb kurz stehen. »Ich hoffe, du bekommst wegen der heutigen Aktion keinen Ärger mit Hannah. So lange warst du schon ewig nicht mehr im Dienst.«
Max grinste. »Du wirst es kaum glauben, aber ich habe diesem schrägen Jonas Winkelmann wirklich einiges zu verdanken.«
Laura verzog das Gesicht. Sie verstand kein Wort.
»Hannah hat seinen Artikel gelesen über die verschwundenen Frauen aus dem Krankenhaus. Seit sie weiß, dass ich an dem Fall dran bin, drängelt sie nicht mehr, dass ich nach Hause kommen soll. Sie will, dass wir den Kerl einbuchten.« Max’ Gesicht leuchtete regelrecht. »Wer hätte das gedacht?«
Laura runzelte die Stirn. Was er da erzählte, wollte nicht so richtig zu Hannah passen. Doch es ging sie im Grunde nichts an. Also drückte sie Max flüchtig und verabschiedete sich von ihm. Während er den Fahrstuhl in die Tiefgarage nahm, lief sie die Treppen hinunter. Sie hatte sich den ganzen Tag viel zu wenig bewegt und sehnte sich nach einer Joggingrunde. Aber es war einfach zu spät. Wenn sie jetzt nicht schlief, wäre sie morgen früh erledigt. Unten angekommen, sprang sie zu Taylor ins Auto.
Er lächelte sie an, zog sie in die Arme und ließ sie den anstrengenden Tag auf der Stelle vergessen.
»Ich fühle mich hundeelend«, gestand Laura nach einer Weile. »Wir haben vermutlich schon wieder eine vermisste Frau.«
Taylor startete den Motor. »Du hattest ja bereits vermutet, dass der Kerl ein Serienkiller ist. Tut mir echt leid.« Er sah sie von der Seite an und strich ihr eine Strähne aus der Stirn. »Du siehst wirklich müde aus«, flüsterte er. »Aber ich helfe dir gerne, falls du heute Nacht noch recherchieren willst oder so.«
Laura lächelte. Sie liebte Taylors unaufdringliche Art und vor allem seine Toleranz. Er verstand sie und würde sie niemals von ihrem Job abhalten. Seufzend lehnte sie den Kopf an seine Schulter.
»Ich würde am liebsten ohne Pause weitermachen. Es gibt so viel zu tun. Aber ich bin wirklich erledigt.«
»Dann fahren wir zu mir«, bestimmte Taylor. »Ich massiere dich, bis du eingeschlafen bist.«