»
H
ast du überhaupt irgendetwas im Kopf? Warum hast du mir nicht sofort Bescheid gesagt?«, donnerte Saschas Stimme über ihr. Ein neuer Schlag traf auf ihren Hinterkopf. Grelle Blitze zuckten durch ihr Sichtfeld. Der Schmerz hatte sie für mehrere Sekunden vollkommen in seinem Griff. Marina konnte sich nicht rühren, nicht atmen, nicht schreien. Irgendwann hörte sie nicht einmal mehr seine Stimme. Sie merkte nur, dass er sie auf die Füße zerrte und sie wütend anfunkelte. Seine fleischigen Lippen bewegten sich. Er schrie sie an. Ein paar Tropfen lösten sich aus seinem Mund und kamen wie in Zeitlupe zu ihr herübergeflogen. Sie war unfähig, sich wegzudrehen. Saschas Speichel landete auf ihren Wangen und ihrer Nase. Sie hatte in der Nacht die tausend Euro nicht zusammengebracht, weil Pedro nicht gekommen war. Es fehlten hundert Euro. Aber das war nicht der einzige Grund, warum Sascha durchdrehte. Er wusste, dass sie mit Irina gesprochen hatte. Jetzt wollte er erfahren, wo sie war. Doch Marina hatte keine Ahnung.
Sascha hob sie hoch in die Luft. Ihre Füße flatterten über dem Boden. Sie röchelte, als seine Hände ihren Hals umfassten. Sie schlug hilflos um sich und kratzte ihn. Aber er war zu stark. Ihre Gegenwehr machte ihm nichts aus.
»Lass mich runter«, formte sie mit den Lippen, doch es kam kein Wort heraus.
»Hilfe«, rief sie stumm, aber Sascha kannte keine Gnade.
Er ließ sie zappeln und schüttelte sie unbarmherzig. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Sascha brüllte sie nur weiter an.
»Was erlaubst du dir, du dreckige kleine Hure? War ich nicht immer gut zu dir? Habe ich dich nicht besser behandelt als alle anderen? Und was machst du?«
Endlich senkte er die Arme, sodass sie wieder den Boden unter den Zehen spürte. Gierig atmete sie ein.
»Ich habe dir vertraut, Marina. Du hast mich hintergangen.« Sascha ließ sie tatsächlich los.
Sie taumelte rückwärts und lehnte sich röchelnd gegen die Wand.
»Du hättest mir sofort Bescheid sagen müssen! Sag mir, wo Irina ist!« Er baute sich erneut vor ihr auf.
»Ich habe keine Ahnung. Ehrlich. Ich wusste nicht einmal, dass sie wirklich abhaut«, krächzte sie erstickt.
Sascha beugte sich zu ihr herunter, seine Hand legte sich abermals um ihren Hals. Er drückte noch nicht zu. Stattdessen flüsterte er: »Täubchen, wo ist sie? Du willst doch nicht, dass ich dir die Flügelchen breche?«
Tränen schossen ihr aus den Augen. Sie blickte Sascha flehend an.
»Ich weiß es nicht«, wiederholte sie verzweifelt und bereute in diesem Moment bitterlich, dass sie nicht einfach mit Irina abgehauen war. Jetzt musste sie die Suppe auslöffeln.
Saschas Faust landete hart auf ihrem Kopf. Irgendetwas in ihrem Hals knackte. Marina sackte zusammen. Alles wurde schwarz. Sie hörte Saschas Gebrüll wie aus weiter Ferne. Ein neuerlicher Schlag traf sie. Es tat gar nicht mehr weh. Die Zeit schien stillzustehen.
Irgendwann wurde sie hochgezogen. Etwas Kaltes benetzte ihre Stirn. Sie kam langsam wieder zu sich und stöhnte leise.
»Ich kümmere mich um dich«, flüsterte eine tiefe Stimme.
Sie öffnete mühsam die Augen.
»Sascha?«, wisperte sie heiser und blinzelte. Wie durch einen Schleier sah sie ihn. Plötzlich hatte er Haare.
Sie blinzelte erneut, heftiger diesmal. Dann fuhr sie hoch.
»Pedro?«
Der Mann lächelte. »Tut mir leid, dass ich unsere Verabredung vermasselt habe. Hätte ich gewusst, in welche Schwierigkeiten dich das bringt, wäre ich vorbeigekommen. Ich hatte viel zu tun. Die Arbeit.« Er seufzte und wischte ihr eine Strähne aus der Stirn. »Ich habe Sascha Geld gegeben. Er lässt dich jetzt erst einmal in Ruhe.«
Marina riss die Augen auf. »Wirklich?«
»Natürlich. Ich fühle mich deinetwegen ziemlich schuldig«, gestand er und deutete auf ihren Hals. »Hat es sehr wehgetan?«
»Ich habe keine Luft mehr bekommen. Ich dachte, ich sterbe.« Schon wieder kamen ihr die Tränen.
»Du magst also keine Schmerzen«, stellte Pedro mit seltsam belegter Stimme fest.
Marina schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Sascha war total sauer auf mich.« Sie erschrak, als sie merkte, dass sie mitten auf dem Bett lag und Pedro genau neben ihr saß. Ihr Blick flog zur Kamera.
»Keine Sorge«, sagte Pedro. »Sie ist aus. Ich habe das Kabel gezogen.«
Marina entdeckte die Leitung, die lose hinter dem Bettpfosten herunterhing. Unwillkürlich sprang sie auf und wollte es zurück in das Gerät stecken, doch Pedro hielt sie auf.
»Ich habe das mit Sascha geklärt. Hätte ich wohl gleich machen sollen. Ich kenne diese Erpresser-Masche.« Pedro zuckte mit den Achseln und lächelte sie an.
»Du solltest dich jetzt jedenfalls ausruhen. Für heute hast du frei und morgen sehe ich wieder nach dir.«
»Aber wie hast du das gemacht?«, fragte Marina ungläubig. Tausend Euro waren es, die sie Sascha jeden Tag übergeben musste. Hatte Pedro den Betrag etwa für sie bezahlt?
Er schwieg und erhob sich. Wie immer hielt er Abstand von ihr. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den sie nicht deuten konnte. Ob er sie mochte? Das Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals.
»Lass das mal meine Sorge sein.« In der Tür drehte er sich noch einmal um, dann ließ er sie allein zurück.
Nachdem sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, kehrte ihre Angst schlagartig zurück. Sie kannte Sascha. Er würde sie nicht so einfach in Ruhe lassen. Das hatte sie oft genug erlebt. Sascha versprach viel und hielt sich an nichts. Ängstlich lauschte sie, aber niemand schien sich ihrem Zimmer zu nähern. Lange blieb sie regungslos auf dem Bett liegen und horchte immer wieder in die Stille hinein. Erst Stunden später näherten sich Schritte. Marinas Herz begann zu rasen.