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Ein paar Stunden zuvor
E s war ein Segen, dass die meisten Frauen Angst vor Spinnen hatten. Sie fürchteten sich so sehr, dass ihre Sinne verrücktspielten. Das Gehirn war ein merkwürdiges Organ. Versetzte man es in Panik, konnte es die Sinnesübertragung der Augen nicht mehr objektiv umsetzen. So wie kleine Kinder in jedem Schatten ein Monster sahen, glaubten die Frauen, eine echte Spinne zu sehen. Auf diese Weise hatte er leichtes Spiel, denn bisher hatte keine seiner Gefährtinnen bemerkt, dass die Spinne an der Decke nichts anderes als die Tarnung einer Kamera war. Sie klebte über dem Loch, in dem die Linse steckte.
»Bitte, bitte mach die Tür nicht auf«, flüsterte er, als Eva mit dem Schlüssel in der Hand durchs Zimmer spazierte.
Er konnte immer noch nicht fassen, dass diese wunderhübsche Frau nun ihm gehörte. Unwillkürlich lächelte er. Er konnte sich gar nicht an ihr sattsehen. Hätte er nicht die Polizei am Hals, würde er viel mehr Zeit mit dieser Schönheit verbringen. Doch er musste vorsichtig sein. Gerade jetzt, wo er feststellte, wie wunderbar Eva zu ihm passte, durfte er nichts vermasseln. Er hatte lange nach ihr gesucht. Schließlich war er wählerisch und gab sich nicht mit der Erstbesten zufrieden. Seine Frau sollte äußerlich, aber auch innerlich perfekt sein. Wenn er nur an Lena oder die anderen dachte, krümmten sich seine Eingeweide. Er hatte wirklich alles gegeben und nichts zurückbekommen. Jede dieser Begegnungen war rückblickend eine einzige Enttäuschung gewesen. Mit Eva schien alles ganz anders zu sein. Zwar hatte sie schon zweimal versucht wegzulaufen, doch in ihren Augen hatte er danach echte Reue gesehen. Diese zurückhaltende, vorsichtige und kluge Frau eroberte nach und nach sein Herz. Es klopfte schneller, wenn er sie nur ansah. Ihren zarten Hals, die großen Augen. Er mochte ihr Wesen. Sie war keine Draufgängerin, sondern beobachtete die Dinge zuerst und traf dann ihre Entscheidungen. Das gefiel ihm.
Zugegeben, die Sache mit dem kaputten Badezimmerfenster hatte ihn wahnsinnig aufgeregt. Er stand kurz davor, sie in den Keller zu sperren. Dass sie nicht mit ihm tanzen wollte, entsprach auch nicht seinen Vorstellungen. Aber er musste wohl akzeptieren, dass Eva sich halt nicht jedem sofort an den Hals warf. Sie war nicht leicht zu haben. Im Grunde musste er ihr das hoch anrechnen. Er hatte sich vorher genauestens über sie erkundigt. Sie war treu, obwohl ihr angeblicher Freund sie wie den letzten Dreck behandelt hatte, und das, wo sie Tag für Tag in diesem heruntergekommenen Drogeriemarkt für ein paar lumpige Euros schuftete. Er würde nie so mit ihr umgehen. Seine Maßnahmen dienten lediglich dazu, sie vor Fehlern zu schützen. Es hätte ihr klar sein müssen, dass sie nicht einfach weglaufen durfte. Die Welt da draußen war grausam. Das hatte sie bestimmt inzwischen begriffen. Hier bei ihm war sie sicher. Natürlich hatte sie immer noch Angst vor ihm. Das sollte sie auch. Es war wichtig, dass Frauen vor Männern zurückschreckten. Die meisten hatten nichts Gutes im Sinn.
»Bleib stehen«, bat er, als Eva sich unaufhaltsam der Zimmertür näherte. Ihr perfekt gerundeter Po reckte sich in die Kamera, weil sie sich bückte, um durch das Schlüsselloch zu sehen. Rasch streckte er den Finger aus und strich auf dem Bildschirm über die Rundung. Bald, dachte er, bald gehörst du mir. In seinen Adern pulsierte es. Diese Frau verlangte ihm wirklich einiges ab. Er hielt sich in ihrer Nähe so gut es ging zurück. Doch wenn sie noch länger so dastand, wüsste er allmählich nicht mehr, was er tat.
Endlich richtete sie sich auf.
Er atmete auf.
Eva machte einen winzigen Schritt rückwärts.
Abermals atmete er auf, weil er davon ausging, dass sie sich wieder auf ihr Bett setzen würde. Sie wusste, dass er sie bestrafen musste, sobald sie das Zimmer aufschloss. Sie war ein kluges Mädchen.
Hatte er bis eben geglaubt. Doch jetzt steckte sie tatsächlich den Schlüssel in das Schloss. Er blinzelte, als könnte er sie dadurch aufhalten.
»Lass das sein!«, rief er und schlug mit der flachen Hand auf den Monitor. Die Wut erfasste ihn wie ein rasendes Tier. Er sprang auf und rannte zur Tür. Ein letzter Blick auf den Bildschirm zeigte Eva, wie sie aus dem Zimmer schlich.