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O
kay. Folgen Sie ihm trotzdem weiter«, beschloss Laura und legte entnervt auf. Wie viele Rückschläge musste sie eigentlich noch verkraften? Sie rieb sich müde die Augen und blätterte zum hundertsten Mal durch die Akten. Milan Zapke war nach seinem Friedhofsbesuch schnurstracks zurück in seine Wohnung gefahren. Seitdem hockte er dort vor dem Fernseher. Hatte er sie etwa bemerkt und agierte deshalb nicht weiter? Es ging auf Mitternacht zu. Hoffentlich machte er sich bald erneut auf den Weg. Oder war Zapke am Ende gar nicht der Gesuchte? Hatte sie etwas übersehen und war der Schlüssel am Fundort von Paulas Leiche ein bisher nicht erklärbarer Zufall? Zapke trug jedenfalls keine Schuld an den Verletzungen von Frau Kohlmeier. Der alten Dame war auf der Treppe schwindlig geworden. Sie hatte das Gleichgewicht verloren und war gestürzt. Das hatte sie Dr. Gebauer berichtet, nachdem sie im Krankenhaus aufgewacht war.
Laura gähnte, ohne den Blick von den Satellitenfotos zu nehmen. Max war längst nach Hause gefahren. Auch das Team von Martina Flemming hatte Feierabend gemacht. Zwölf Gebäude waren durchsucht worden, sie hatten nicht einen Hinweis auf Eva Hengstenberg oder die anderen Opfer gefunden. Im Gebäude des Landeskriminalamtes herrschte eine gespenstische Stille. Laura gehörte mit dem Sicherheitsdienst vermutlich zu den einzigen Menschen, die um diese Uhrzeit noch arbeiteten. Sie konnte jedoch jetzt nicht Feierabend machen. Ihre Sorge um Eva Hengstenberg wuchs von Minute zu Minute. Sie schaute auf ihr Handy und überprüfte, ob es auch wirklich auf laut gestellt war. Keinesfalls wollte sie den Anruf der Streife verpassen. Wieder betrachtete sie die übrigen möglichen Unterschluüpfe. Ob Eva in einem dieser Häuser gefangen gehalten wurde?
Eine Nachricht von Taylor erschien auf ihrem Display.
»Lass mich rein. Ich helfe dir.« Sie lächelte und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie nahm die Treppe ins Erdgeschoss und öffnete Taylor die Tür.
»Dir raucht der Kopf«, stellte er fest und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Zeit für Unterstützung. Ich wette, alle Akten liegen ausgebreitet auf deinem Tisch.«
»Ich weiß wirklich nicht mehr weiter«, berichtete Laura auf dem Weg ins Büro und fasste kurz die Ermittlungsergebnisse zusammen. »Nachdem ich festgestellt habe, dass der Schlüssel vom Fundort der letzten Leiche zum Lager des Juweliers passt, stand Milan Zapke für mich als Täter fest. Doch jetzt hockt er schon seit Stunden vor dem Fernseher. Dabei müsste er langsam mal in seinen Unterschlupf fahren, um sein Opfer zu sehen.«
Taylor dachte nach. Auf seiner Stirn breitete sich eine schmale Falte aus. Schließlich deutete er auf die Dokumente auf ihrem Tisch.
»Was davon hast du dir noch nicht angeschaut?«
Laura zuckte mit der Schulter. »Eigentlich bin ich alles durchgegangen. Manches mehrfach. Das kennst du ja.« Ihr Blick wanderte über die Akten zum Bildschirm. Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Warte mal. Die E-Mails der letzten beiden Toten habe ich noch nicht angesehen.« Laura öffnete Simons Nachricht, in der er die E-Mails aus den vergangenen zwei Wochen im Leben der Opfer zusammengestellt hatte.
»Ich nehme Tamara Abaza und du schaust dir Paula Maaßen an«, schlug Laura vor. Sie druckte Taylor die Nachrichten aus, weil er hier keinen Computerzugang hatte. Sie arbeiteten hochkonzentriert.
Irgendwann sagte Taylor: »Wenn ich es richtig sehe, dann kennen Eva, Paula und Lena sich aus dieser Yogagruppe. Aber Tamara passt nicht, da sie Einzelstunden bekam.«
Laura nickte. »Das Yogastudio scheint trotzdem die Verbindung zwischen den Opfern zu sein.«
»Verstehe«, murmelte Taylor nachdenklich und sah sie an. »Dem Kursleiter lässt sich jedoch nichts nachweisen. Haben vielleicht alle vier beim selben Versandhändler Sportsachen bestellt? Ich hatte mal einen Fall, da war es am Ende ein Dienstleister, der Adressen von Frauen gesammelt hat.«
Laura prüfte sämtliche E-Mails der vier Teilnehmerinnen auf Bestellungen. Doch sie stellte keine Gemeinsamkeiten fest. Eva Hengstenberg schien überhaupt keine Internetkäufe zu tätigen. Paula Maaßen kaufte bei einem Discounter. Lena Reimann in einem Fachgeschäft und bei Tamara Abaza fand sie diverse Online-Käufe, die jedoch keine Relevanz hatten. Laura nahm abermals den Bericht von Martina Flemming zur Hand.
»Das Team hat sich gründlich umgeschaut. Sie besuchten verschiedene Friseure, Supermärkte, Restaurants, sie trugen unterschiedliche Alltagskleidung. Es gibt bis auf das Yogastudio keine Verbindung, und das, obwohl die Frauen nicht weit voneinander entfernt wohnten. Sämtliche Nachbarn und die anderen Yoga-Teilnehmerinnen wurden befragt. Nichts.«
»Es muss etwas geben. Yoga kann es nicht sein, das wäre inzwischen aufgefallen. Ich glaube auch nicht, dass dieser Vehling der Täter ist. Warum sollte er seine eigene Kursgruppe dezimieren?« Taylor stand auf und tigerte vor ihrem Schreibtisch auf und ab.
Laura zermarterte sich das Hirn. Vermutlich hatte Taylor recht. Sie musste weg von diesem Yogastudio. Das war eine Sackgasse. Sie blieb auf einer Seite im Bericht hängen, auf der Martina Flemming die Kontobewegungen der letzten vier Wochen von Eva Hengstenberg aufgelistet hatte. Laura ging jeden einzelnen Posten durch. Miete, ein Zeitschriftenabo, Bargeldabhebungen, die Überweisung für einen Strafzettel und eine Abbuchung von einer Apotheke. Laura seufzte. Damit konnte sie nichts anfangen. Sie blätterte weiter und überprüfte die Daten von Tamara Abaza. Sie hatte Unmengen an Geld für Kleidung, Kosmetik und Friseurbesuche ausgegeben. Daneben fanden sich EC-Kartenzahlungen vom Supermarkt, Überweisungen an einen Internethändler für Nahrungsergänzungsmittel sowie die üblichen Daueraufträge für Miete, Abos und Mitgliedschaften. Die letzte Abbuchung für das Yogastudio lag nicht lange zurück, obwohl sie seit Wochen nicht mehr dort aufgetaucht war. Laura wollte gerade weiterblättern, als ihr eine kleinere Summe von fünfzehn Euro ins Auge sprang. Sie merkte sich die Buchung und machte bei Lena Reimann weiter. Ihr brannten die Augen vor Anstrengung. Trotzdem prüfte sie Position für Position. Auch bei Lena Reimann entdeckte sie eine entsprechende Abbuchung.
Seufzend studierte Laura die Unterlagen von Paula Maaßen.
»Vermutlich nichts«, murmelte sie nachdenklich, wollte allerdings noch nicht aufgeben. Sie klickte abermals die E-Mails der Opfer an und suchte nach Apotheke
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Sofort erschienen drei Treffer auf ihrem Bildschirm. Nur Tamara fehlte, doch die hatte der Täter höchstwahrscheinlich auf einem anderen Weg kennengelernt. Laura war auf einmal hellwach. Sie kannte diese Apotheke. Dort arbeitete Milan Zapke. Aber warum hockte er jetzt teilnahmslos vor dem Fernseher? Sie las sich die einzelnen Bestellungen genau durch und fasste sich plötzlich an die Stirn.
»Verdammt. Ich habe einen Fehler gemacht.«