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E va hielt die Wasserflasche in der Hand. Der Durst brachte sie beinahe um. Doch sie hatte etwas in den Augen ihres Entführers gesehen. Ein dunkles Funkeln. Sie kannte das von Frank. So sah er sie an, kurz bevor er zuschlug. Der Fremde hatte nichts Gutes mit ihr vor und deshalb trank sie nicht aus der Flasche. Vielleicht war gar kein Wasser darin. Außerdem musste sie nach wie vor im Dunkeln hocken. Das Licht war wieder ausgefallen, nachdem er gegangen war. Sie dachte an Paula und daran, dass immer noch keine Hilfe eingetroffen war. Bestimmt würde sie in diesem Keller elendig verhungern und verdursten. Irgendwann, viele Jahre später, würde jemand durch Zufall auf ihre verrotteten Knochen stoßen. Vermutlich könnte man sie nach all der Zeit nicht einmal mehr identifizieren. Sie bekäme nicht mal ein anständiges Grab. Hätte sie sich die Pulsadern vor ein paar Tagen bloß viel tiefer aufgeschnitten, dann wäre es längst vorbei gewesen und ihr wäre das alles hier erspart geblieben. Jeder wüsste Bescheid und sie würde einen Platz auf dem Friedhof erhalten.
Doch jetzt wollte Eva gar nicht mehr sterben. Noch nie in ihrem Leben hatte sie so sehr leben wollen. Sie weinte, ohne dass auch nur eine einzige Träne aus ihren Augen floss. Ihr ausgedörrter Körper verkrampfte sich vor Kummer. Still wimmerte sie vor sich hin.
Plötzlich jedoch vernahm sie ein Geräusch ganz in ihrer Nähe. Sie hob den Kopf und versuchte die Dunkelheit zu durchdringen. Doch sie konnte nicht mal die Hand vor Augen sehen.
Abermals hörte sie etwas. Jetzt deutlicher. Waren das Schritte?
Eva stellte die Wasserflasche ab und tastete sich vorwärts. Das Geräusch kam von draußen. Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte sie dort ein verbarrikadiertes Kellerfenster gesehen. Sie kroch in die Richtung und lauschte. Plötzlich war es still.
Sie verharrte noch eine Weile und spitzte die Ohren. Dann kehrte sie zurück in ihre Ecke und kämpfte gegen den unerträglichen Durst an.