Der Stein der Worte …
Anfangs war sich Aderyn nicht sicher gewesen, ob es eine gute Idee gewesen war, Kelon am Leben zu lassen – schließlich hatte auch er sich schon gegen sie gestellt und sie schmählich im Stich gelassen, und vermutlich wäre es besser gewesen, ihm dieselbe Behandlung angedeihen zu lassen wie Hirulon, dessen aufgespießter Schädel seither den Eingang des Tempels schmückte, zur Warnung für all jene, die es wagten, an der Echtheit der verheißenen Göttin zu zweifeln.
Doch inzwischen war sie sich sicher, richtig entschieden zu haben, als sie Kelon sein lausiges Leben schenkte. Denn auch wenn er ein rechthaberischer Intrigant war, dem man nicht über den Weg trauen konnte, verfügte er doch auch über einiges Wissen, das nützlich sein konnte. Und er hatte ein Talent dafür, Dinge aufzuspüren, die eigentlich verborgen bleiben sollten …
»Seid Ihr mit meinen Diensten zufrieden, Mathora?«, erkundigte er sich beflissen.
Aderyn seufzte – dies war eine weitere Eigenschaft von ihm, die sie nicht besonders schätzte: Um seine vermeintliche Unentbehrlichkeit zu demonstrieren, brachte er fortwährend den Wert seiner Mitarbeit zur Sprache.
»Jedenfalls«, entgegnete sie, »habe ich meine Entscheidung, dich nicht zu töten, noch nicht bereut. Sorge dafür, dass es auch so bleibt.«
»Das werde ich, Mathora«, versprach er. Offenbar hatte er kein Problem damit, sie bei ihrem neuen, gewissermaßen göttlichen Namen zu nennen, auch wenn er selbst wohl nicht daran glaubte – das starre Antlitz Hirulons, das vom Portal des Tempels heruntergrüßte, motivierte ihn sicherlich täglich aufs Neue dazu.
Sie waren in das Gewölbe zurückgekehrt, in dessen Mitte der Stein der Worte stand – allerdings war Aderyn es diesmal gründlicher angegangen. Ein Vorauskommando von Tempelwächtern hatte zunächst die sterblichen Überreste entfernt, die den Boden übersäten – Taithas entsetzten Einwand, dass dies ein Frevel an den Gebeinen der Ahnen wäre, hatte sie mit dem Argument beiseitegewischt, dass sie als Mathora zu entscheiden hätte, was ein Frevel sei und was nicht. Außerdem hatte sie das Gewölbe mit Fackeln und Feuerkörben beleuchten und bis in den letzten Winkel durchsuchen lassen, nur für den Fall, dass sich dort noch mehr Fanatiker verbargen, die ihr ans Leben wollten. Doch wie sich zeigte, war die alte Gwarshyra offenbar die letzte in einer langen Kette von Hüterinnen und Hütern gewesen, deren Aufgabe es war, die Kristallpforte zu bewachen.
Wer ihnen diesen Auftrag gegeben hatte, wusste Aderyn nicht, und es war ihr auch gleichgültig. Aber es stand fest, dass die alte Mutantin und ihre Vorgänger in ihrem Ansinnen gescheitert waren. Nach all der Zeit, die seit der letzten Öffnung der Pforte verstrichen war, war das Geheimnis nun doch wieder ans Licht gekommen – und sie, Mathora die Verheißene, würde die uralte, verbotene Magie wieder entfachen können.
In der alten Zeit, zur Spätzeit der Elfenkönige und des Rates der Zauberer, hatten die Kristallpforten die Lebensader des Reiches gebildet: durch Elfenmagie betriebene Tore, die das Reisen von einem Ort an einen anderen im Bruchteil eines Augenblicks ermöglichten – und somit auch die Verlegung von Soldaten und ganzen Heeren in jene Regionen des Reiches, deren Grenzen jeweils von äußeren Feinden bedroht wurden. In alter Zeit hatte man angenommen, dass der serentir, der »Dreistern«, der die großen Metropolen des Reiches miteinander verband, die einzigen existierenden Kristallpforten beinhaltet hatte; erst sehr viel später hatte sich herausgestellt, dass es noch weitere gab, und das war letztlich nicht verwunderlich. Denn der Entdecker der magischen Pforten war kein anderer als Qoray gewesen, jener abtrünnige Zauberer, der als Dunkelelf Margok Furcht und Schrecken verbreiten sollte … Mit Lug und Täuschung gelang es ihm, seine wahren Absichten zu verhüllen, bis er die Kristallpforten schließlich als Waffen einsetzte, um seine Heere des Chaos ins Elfenreich zu entlassen. Und im Geheimen hatte er offenbar weitere Verbindungen erschlossen und magische Tore geöffnet.
Eines davon, so hatte sich herausgestellt, führte in die Neue Welt, die der Dunkelelf als Rückzugsraum nutzte – warum also sollte es hier in Cartral nicht eine solche Pforte geben? War dieser unterirdische Hort weit im Süden des Roten Gebirges womöglich mehr als nur eine zufällige Aneinanderreihung von Höhlen und Gewölben, in die Margoks verstoßene Kreaturen sich geflüchtet hatten? Und warum war das Wissen um die Pforte der Allgemeinheit verloren gegangen? Weshalb hatten Generationen von Wächtern es so eifersüchtig gehütet?
All diese Fragen gingen Aderyn durch den Kopf, während Kelon und sie den Monolithen im Licht der Fackeln weiter untersuchten. Und zugleich wusste sie auch, dass all jene Tabus und Verbote, die andere sich auferlegt haben mochten, für sie keine Gültigkeit besaßen. Und nicht nur weil sie in diesen düsteren Katakomben eine Göttin war.
Sondern auch weil sie sich noch nie um bestehende Regeln geschert hatte …
»Und?«, erkundigte sie sich bei ihrem Archivar, der auf krummen Echsenbeinen um den Monolithen herumschlich. »Hast du einen Weg gefunden, wie sich die Pforte öffnen lässt?«
»Nein«, gestand Kelon, wobei er in einer Unschuldsgeste die Arme hob. »Was womöglich hier darüber geschrieben stand, wurde sämtlich entfernt. Vielleicht hättet Ihr die alte Wächterin doch noch eine Weile am Leben lassen sollen …«
Aderyn lachte verächtlich. »Diese Närrin hat nicht mehr gewusst als das, was sie in ihrer Pein preisgab. Sie hat nur in fanatischer Blindheit Befehle ausgeführt, die sie von ihrem Vorgänger erhalten hatte, der sie wiederum von seinem Vorgänger hatte … Die Sterblichen sind so, das solltest du inzwischen verstanden haben. Sie fragen nicht, wenn sie dafür gehorchen dürfen, denn das verleiht ihnen das Gefühl, dass ihre sinnlosen kleinen Leben einem höheren Zweck dienen. Außerdem denke ich nicht, dass es diesen selbst ernannten Wächtern darum gegangen ist, diese Pforte zu öffnen .«
Kelon ließ von den Runen ab und blickte zu ihr auf. »Ihr meint …?«
»Hast du die Furcht in der Stimme der Alten nicht vernommen?«
»Natürlich habe ich das. Aber da sie dem Tod ins Auge sah, nahm ich an …«
»So lange weilst du unter den Sterblichen – und hast doch nichts über sie gelernt. Natürlich hatte sie Angst vor dem Feuer – aber da war noch mehr als das. Etwas, das noch viel tiefer saß. Was diese Frau antrieb, Kelon, war blanker Fanatismus. Und ein solcher kennt stets nur eine Quelle, die ihn nährt, nämlich Furcht. Die Angst davor, dass diese Pforte jemals wieder geöffnet werden könnte. Oder warum, glaubst du, ist dieser Ort den Nevathani verboten?«
»Weil es ein Ort der Toten ist«, gab Taithas zur Antwort, der ein Stück abseits stand und bislang geschwiegen hatte. Doch offensichtlich konnte er das nicht länger.
Sein Unbehagen darüber, dass sie die Gebeine hatte fortschaffen lassen, war Aderyn nicht verborgen geblieben, und sie wusste, dass sie sich vorsehen musste – nicht des halbgesichtigen Mutanten wegen. Sondern wegen der anderen Nevathani, bei denen sein Wort neuerdings wieder großes Gewicht hatte. Aderyn konnte keine Unruhen gebrauchen.
Jetzt noch nicht …
»Mein Freund«, wandte sie sich mit wölfischem Lächeln an ihren Hohepriester, »du verstehst das Handeln der Götter nicht. Jener Ort war nicht verboten, weil er ein Friedhof war … Was weißt du über die Vergangenheit dieses Ortes?«
»Nicht viel.« Taithas schüttelte den Kopf. »Nur dass die Ersten von uns hier siedelten. Und dass später Nevathani zum Sterben hierherkamen.«
»In der Tat – klingt nicht nach einem Ort, den man besuchen möchte, nicht wahr?«
»I-Ihr denkt, das ist der Grund, warum dies ein Friedhof wurde? Damit keiner mehr herkommt?«
»Keiner außer denen, die für immer bleiben«, bestätigte Aderyn mit müdem Lächeln. »Die Toten können kein Geheimnis verraten.«
»Aber warum die ganze Mühe?«, wandte Kelon ein. »Warum sollte die Pforte um jeden Preis verschlossen bleiben?«
Aderyn wandte sich zu ihm um. Der Blick, mit dem sie ihn ansah, war Aufforderung und Warnung zugleich. »Ich schätze, die Antwort auf diese Frage bekommen wir nur auf der anderen Seite. Und du wirst es möglich machen, diese zu erreichen, mein Archivar.«
»Euer Vertrauen in meine Fähigkeiten ehrt mich, Mathora«, gab der andere zurück, »jedoch solltet Ihr euch das nicht zu einfach vorstellen. Eine Kristallpforte wird nicht geöffnet, indem man einen Schlüssel in ein Schloss steckt oder einen Hebel betätigt …«
»… es kommt allein auf das Wissen und die Fähigkeiten dessen an, der den Zugang zu öffnen wünscht«, vervollständigte Aderyn. »Ich weiß, Kelon. Und ich weiß auch, dass mein Rivale Dufanor dazu in der Lage war, und er war weit weniger gebildet als du in diesen Dingen. Worauf wartest du also?«, fragte sie, während sie sich drohend zu ihm vorbeugte. »Oder willst du doch noch das Schicksal des unglücklichen Hirulon teilen?«
»Nein«, versicherte der Echsenmann rasch und wandte sich wieder dem Monolithen zu, den er mehrmals umrundete und hier und dort befühlte. »Der Kristall«, mutmaßte er, »muss im Inneren des Gesteins verborgen sein. Möglicherweise gelingt es mir, ihn anzurufen.«
»Nur zu«, forderte Aderyn ihn auf – und bedeutete Taithas mit einem Wink, ihr einen der Tempeldiener zu schicken … keinen Zweifler, sondern einen wahrhaft Überzeugten, einen Fanatiker, der bereit war, für die Sache Mathoras in den Tod zu gehen.
Taithas’ Wahl fiel auf einen jungen Mann, dessen Arme ungewöhnlich lang waren und ihrer eigenartigen Krümmung nach zusätzliche Gelenke aufwiesen – Aderyn war immer wieder fasziniert zu sehen, wie sich Margoks Experimentierfreude nach all der Zeit noch immer auswirkte. Wie alle anderen Tempeldiener trug auch er Kutte und Kapuze und hatte das Haupt ehrerbietig gesenkt.
»Bist du bereit?«, fragte Aderyn.
»Ja, mächtige Mathora. Bereit, Euch zu dienen.«
Aderyn nickte nur und bedeutete ihm, zu Kelon zu gehen, der ihn unmittelbar vor dem Monolithen postierte und ihm einschärfte, sich nicht zu bewegen, ganz gleich, was geschehen würde.
Der junge Tempelwächter nickte etwas nervös, dann schloss er die Augen und begann leise vor sich hin zu murmeln – ein Gebet, eine Beschwörung, was auch immer. Aderyn war es gleichgültig, solange er nur seinen Zweck erfüllte.
Kelon schickte einen fragenden Blick in Aderyns Richtung, so als wäre er sich unschlüssig, ob er es tatsächlich tun sollte. Jedoch gab sie ihm mit einem entschlossenen Nicken zu verstehen, dass es kein Zurück für ihn gab.
Dem Archivar, der einst zum Rat der Ewigen gehört und über das Wohl oder Wehe vieler Kreaturen befunden hatte, war nur zu klar, was dies bedeutete.
Er war zum Erfolg verurteilt …
Vorsichtig trat er an den jahrtausendealten Stein und legte die vor Aufregung bebenden Klauen darauf. Dann schloss auch er die Augen und konzentrierte sich. Doch auch wenn es für Taithas und die anderen Tempeldiener so aussehen mochte, war es keine Beschwörung, die Kelon vorzunehmen suchte. Vielmehr wollte sein Geist in Kontakt mit dem Elfenkristall treten, der sich im Inneren des Monolithen befinden musste. Uralte Energie erfüllte ihn, die in graue Vorzeit zurückreichte, zum ersten aller Kristalle …
Außerlich ungerührt sah Aderyn ihm dabei zu. In ihrem Inneren jedoch herrschte heller Aufruhr, denn der Gedanke an alte Elfenmagie weckte in ihr viele vergessen geglaubte Gefühle und verschüttete Erinnerungen. Und ihr war klar, dass Elfenkristalle nicht nur die Grenzen des Raumes zu überwinden vermochten, sondern noch weit mehr Erstaunliches bewirken konnten. Man konnte sie als Waffe einsetzen, wie Margok es einst getan hatte, zum Tod und zur Zerstörung … aber auch zur Heilung, sofern man die nötigen Kenntnisse dazu besaß …
Einmal mehr eilte Aderyn in ihren Gedanken weit voraus.
Sie schalt sich eine Närrin dafür und zwang sich, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren, auf das, was in diesem Augenblick vor sich ging – und es war interessant genug, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln.
Ganz offenbar waren Kelons Fähigkeiten ausgeprägter, als er zugeben wollte, denn allem Anschein nach war es ihm gelungen, die Kraft im Inneren des Kristalls anzurufen. Jene Runen, die in das Gestein des Monolithen gemeißelt und nicht entfernt worden waren, begannen in unirdischem Licht zu leuchten.
Taithas und die Tempeldiener stießen Laute des Entsetzens aus und warfen sich zu Boden, die Augen mit den Händen gegen das sich intensivierende Leuchten schirmend – das von den Runen zunächst auf die Kanten des Monolithen übergriff und im nächsten Moment den ganzen Stein erfasste! Ein lautes Summen lag plötzlich in der Luft, das von ungeheurer Energie zeugte, die im Inneren des alten Gesteins zu wirken schien …
Nun wich auch Aderyn zurück, brachte zur Sicherheit noch ein paar Schritte mehr zwischen sich und die Macht des Kristalls, die Kelon kraft seiner Gedanken entfesselte.
»Das Tor!«, wies sie ihn mit lauter Stimme an, die wie ein Messer durch das Summen schnitt. »Öffne das Tor …!«
Kelons echsenhafte Gesichtszüge verzerrten sich. Er war kein dwethan, kein Zauberer der alten Zeit, die Aktion schien ihn seine ganze Kraft zu kosten – und womöglich auch seinen Verstand. Aderyn scherte es nicht.
»Weiter! Weiter!«, verlangte sie – und Kelon gab sein Äußerstes. Das Summen verstummte plötzlich, und eine zischende Entladung zuckte vom Monolithen aus zu Boden, die den reglos abwartenden Tempeldiener erfasste.
Im nächsten Moment war er verschwunden.
Die Entladungen erloschen ebenso wie das Leuchten, das den Stein umgeben hatte, und es hatte den Anschein, als würde das Gewölbe in völliger Dunkelheit versinken – dabei dauerte es nur einen Moment, bis sich die geblendeten Augen wieder an das vergleichsweise spärliche Licht gewöhnten, das die Feuerkörbe und Fackeln verbreiteten.
»Kelon«, sprach Aderyn in die Stille. Mit zu Schlitzen verengten Augen suchte sie das Halbdunkel zu durchdringen, aber es gelang ihr noch nicht. Mehr als den kantigen Schemen des Monolithen vermochte sie nicht vor sich auszumachen.
»Ja …«, drang es leise von der anderen Seite des Monolithen. Sein Leben hatte der Archivar also offenbar nicht bei dem Versuch verloren. Und seinen Verstand wohl auch nicht …
»Du … hast es geschafft«, stieß Aderyn hervor. »Die Pforte … für einen kurzen Augenblick war sie …«
Sie verstummte, als sie das Geräusch vernahm.
Es war ein Keuchen, ein heiseres Stöhnen … aber es klang fremdartiger als alles, was Aderyn je vernommen hatte. Unendliche Qualen schienen sich darin zu brechen und abgrundtiefe Verzweiflung …
»Kelon?«, fragte sie wieder, während sie sich dem Monolithen näherte. Rauchschwaden lagen in der Luft und ein Gestank, dessen Herkunft sie sich nicht erklären konnte.
»Ich … bin hier«, kam es kleinlaut von der anderen Seite, und Aderyn umrundete den uralten Stein – nur um verblüfft festzustellen, wie dessen Umriss sich im Halbdunkel wider jede Natur bewegte.
»Was bei allen Welten …?«
Aderyn trat näher – und dann sah sie, was das grässliche Geräusch zu bedeuten hatte und warum der Stein so aussah, als wäre er plötzlich lebendig geworden.
Es war der Tempeldiener.
Der junge Kerl, der sich freiwillig gemeldet hatte … zwar hatte der Lichtstrahl des Kristalls ihn erfasst und tatsächlich wohl auch eine Pforte geöffnet, wie Aderyn vermutet hatte – jedoch nicht lange und nicht weit genug.
Denn der Tempeldiener war zur einen Hälfte außerhalb des Monolithen, zur anderen steckte sein Körper fest im massiven Gestein, so als wäre er damit verschmolzen.
Aderyn wandte sich zu Kelon um, der noch immer nicht aufrecht stehen konnte, so sehr schien ihn das Ritual angestrengt zu haben. »Was soll das bedeuten?«, fragte sie.
»Es … es hat nicht funktioniert«, stieß ihr Archivar mühsam und mit ängstlich verzerrten Zügen hervor.
»Was du nicht sagst.«
Während die rechte Körperhälfte des Tempeldieners im Inneren des von Runenzeichen übersäten Steins verschwunden war, ragte der linke Arm hervor und stocherte hilflos umher. Auch ein Bein ragte aus der Quaderseite sowie die vordere Hälfte des Kopfs mit dem Gesicht, das Aderyn in namenlosem Grauen ansah, während fremdartige Laute aus seiner Kehle kamen …
»Ma-thorr-ahhh«, brachte er mühsam hervor.
Sein Blick wurde flehend.
Aderyn kümmerte es nicht, was für eine Hilfe er sich von ihr versprach – alles, was sie beschäftigte, war, dass ihr Versuch, die Macht des Kristalls zu entfesseln und die Pforte zu öffnen, schließlich doch fehlgeschlagen war. Ein wütender Aufschrei entrang sich ihrer Kehle – dann zückte sie die Klinge an ihrer Seite und bohrte sie ohne Zögern in die Kehle ihres Dieners.
Nicht um ihn von seinen Leiden zu befreien.
Sondern weil ihr danach war.
Doch das Los des Tempeldieners, der elend vor ihr verendete, konnte den Zornesanfall nicht aufhalten, der sie im nächsten Moment befiel. Wie von Sinnen gebärdete sich Mathora die Verheißene, während sie ihre Frustration und ihre Wut laut hinausbrüllte – und auch ihre Angst davor, dass es möglicherweise doch keine Lösung für sie gab und sie in diesem zerstörten Körper verbleiben müsste.
»Mathora«, ächzte Kelon entsetzt, »ich bitte Euch, schont Eure Kräfte …«
Aber Aderyn dachte nicht daran.
Sie schrie und tobte, bis die Stimme ihr versagte und sie am Fuß des Monolithen niedersank, erschöpft und verzweifelt und der Ohnmacht nahe.
Doch in diesem Moment, als die Niedergeschlagenheit am größten war und die Dunkelheit sie zu verschlingen drohte, kam ihr ein neuer Gedanke.
Vielleicht, dachte sie, war ihre Reise doch noch nicht zu Ende.