Der gute Enok.
Balbok zu verstehen (oder auch nur den Versuch zu unternehmen), war noch nie Rammars Stärke gewesen. Und natürlich hatte der feiste Ork auch diesmal nicht begriffen, worum es Balbok ging und warum er gar nicht anders konnte, als nach Süden aufzubrechen und nach Aderyn und ihrem Kind zu suchen.
Enok dagegen hatte es sofort verstanden und auf sein kaiserliches Geheiß hin umgehend eine Expedition ausrüsten lassen, die Balbok auf seinem gefahrvollen Weg begleiten sollte. Oder vielleicht, dachte Balbok, ging es Enok auch mehr darum zu erfahren, was aus Aderyn geworden war; ob sie tatsächlich noch am Leben war, obwohl das apiron sie doch samt Haut und Schuppen verschlungen hatte, und ob sie noch immer eine Bedrohung darstellte … was ziemlich wahrscheinlich war.
Einen solch harten Knochen wie die Drachenfrau hatte Balbok noch nie kennengelernt.
Sie war rachsüchtig und voller Bosheit und dabei so durchtrieben, dass es jedem Ork zur Unehre gereicht hätte. Und nicht zuletzt hatte sie mehrfach versucht, Rammar und ihn zur Strecke zu bringen, sodass es durchaus Sinn ergeben hätte, sie mit dem saparak zu erschlagen. Aber wann immer sich dazu die Gelegenheit bot, hatte Balbok es dann doch nicht getan, denn er hatte gespürt, es förmlich an ihr gerochen, dass da etwas war … dass sie etwas an sich hatte, das es verdiente, am Leben zu bleiben.
Seit mehreren Tagen waren sie bereits unterwegs.
Das Vorgebirge, die sich südlich der Hauptstadt erstreckte, hatten sie bereits passiert und waren nun dabei, sich durch die karge Landschaft der Roten Berge zu kämpfen, Pass für Pass, Schlucht um Schlucht. Die Soldaten, die Enok ihnen mitgegeben hatte – er hatte zehn seiner besten Kämpfer ausgewählt –, waren dem Kaiser treu ergeben. Sie waren es gewohnt, Befehle auszuführen und keine Fragen zu stellen, aber Balbok merkte, wie sie ihn mit verstohlenen Blicken bedachten. Und der große Ork konnte es ihnen nicht verdenken.
Denn erstens konnte er ihnen nicht erklären, wohin genau die Reise ging – es war mehr ein Gefühl, dem er folgte, eine innere Stimme, die ihn rief (und von der Rammar ganz sicher gesagt hätte, dass er sie sich nur einbildete). Und zweitens war Aderyn die Sorte Kreatur, vor der man eher bis ans andere Ende der Welt floh, als nach ihr zu suchen.
Dennoch äußerten die oltorr’hai kein Wort der Furcht oder der Klage, sodass Balbok beim besten Willen nicht verstand, wieso Rammar stets über sie spottete. Denn immerhin waren sie hier und halfen ihm, genau wie Drel, Gully und Evan, während sein Bruder es vorgezogen hatte, ein Schiff zu besteigen und zurück zu ihrer Insel zu fahren, damit er endlich wieder König sein und schüsselweise bru-mill futtern konnte.
Zugegeben, ein wenig neidisch war Balbok schon. Nicht so sehr wegen der Königswürde, sondern vor allem wegen des bru-mill .
Er dachte an Rammar. Natürlich wäre es ihm lieber gewesen, wenn sein Bruder in Anwar geblieben wäre und ihm dabei geholfen hätte, seinen Spross zu finden und vor Aderyn zu retten. Aber Rammar der schrecklich Rasende hatte seinen eigenen Dickschädel, das war schon immer so gewesen … und Balbok der Brutale eben auch.
Sie ritten auf Echsen aus den kaiserlichen Stallungen – zähe, ausdauernde Tiere, deren Haut von gelblich braunen Schuppen bedeckt war und die aufrecht auf ihren Hinterbeinen gingen. Nicht nur dass die Echsen ein erstaunliches Tempo vorlegten, dank ihrer Klauen waren sie sogar in der Lage, sich auf felsigem und steilem Gelände fortzubewegen – und das war gut so, denn die unsichtbare Spur, der Balbok folgte, führte geradewegs in die Berge, die am südlichen Horizont wie eine rote Mauer aufragten, und diesmal ging es noch weiter und tiefer hinein als bei ihrem letzten Vorstoß ins Gebirge.
Damals war Rammar an seiner Seite gewesen, und sie hatten auf die Hilfe der Elfin Alannah zählen können – und wären trotzdem um eine Borste dabei draufgegangen. Welche Chancen hatte Balbok da ohne die Unterstützung durch seinen Bruder und die einst so mächtige Königin der Elfen?
Der große Ork zwang sich selbst dazu, nicht über diese Dinge nachzudenken, während er den anderen vorausritt, den schmalen Pfad hinauf, der sich an den roten Felsen emporwand, einem ungewissen Ziel entgegen.
Aber er wünschte sich stärker denn je, dass sein Bruder bei ihm gewesen wäre.