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DHUUROUSH KRO -SABAL

Zu behaupten, dass Rammar mal wieder schlechter Laune war, wäre eine krasse Untertreibung gewesen.

Der feiste Ork hasste es, auf dem Rücken eines Drachen zu sitzen und sich krampfhaft an dessen Schuppen klammern zu müssen, um nicht herunterzufallen, während sich der mächtige Lindwurm durch die Lüfte schwang, dem Gebirge entgegen.

Aber Rammar wusste auch, dass er seinem Bruder etwas versprochen hatte … und da sich Balbok in diesem Fall ganz und gar unnachgiebig zeigte, brachte nicht einmal er es fertig, dieses Versprechen zu brechen.

Die Schlacht um Dragana war zu Ende.

Das Kristallschiff und seine Begleitjäger hatten die Drachen das Fürchten gelehrt, was vom Heer der Feuerechsen noch übrig war, flüchtete ins Gebirge – und nicht etwa in einem geordneten Rückzug, was ohnehin nicht ihrer wilden Art entsprach, sondern Hals über Kopf und in zahllose Richtungen verstreut. Es würde Monde dauern, ehe sie wieder zu einer Streitmacht zusammenfanden. Wenn es überhaupt jemals geschehen würde. Denn wenn es nun auch noch gelang, sie ihrer Anführerin zu berauben und – sozusagen – den Kopf des uchl-bhuurz abzuschlagen, so war die Niederlage der Feuerechsen vollkommen.

Aderyns Niederlage.

Rammars Schadenfreude darüber war so groß, dass er fast vergaß, dass die Wendung des Geschehens ausgerechnet durch die von ihm so verachteten Schmalaugen erfolgt war – Elfen, die mit einem ihrer Kristallschiffe gekommen waren und die sie noch nicht einmal zu Gesicht bekommen hatten. Doch wie die Kerle aussahen oder aus welchem verlassenen Winkel hinter Zeit und Raum sie gekommen waren, war dem Ork ziemlich gleichgültig. Hauptsache, er war noch am Leben. Und er konnte nur hoffen, dass das auch so bleiben würde trotz des aberwitzigen Irrsinns, in den sie sich dank seines Bruders nun schon wieder stürzten.

Inzwischen hatten sie die Berge bereits erreicht.

Rote Felsentürme und Plateaus mit flachen Gipfeln erstreckten sich Richtung Süden, so weit das Auge reichte, dazwischen lag ein unüberschaubares Gewirr von Gräben und Schluchten.

»Wie wollen wir das Drachenweib in diesem Irrgarten finden?«, rief Rammar gegen den Wind.

Ich kann ihre Gegenwart fühlen, gab Curran zurück, denn sie ist von meiner Art.

»Korr«, stimmte Balbok zu. »Ich fühle es auch.«

»Was soll das heißen?«, brauste Rammar auf, der vor ihm auf dem Rücken des Drachen kauerte. »Bildest du dir jetzt auch ein, ein Lindwurm zu sein? Oder kannst du neuerdings hellsehen?«

»Das Kind«, entgegnete sein Bruder nur. »Es ist das Kind, das ich fühlen kann.«

Rammar grunzte daraufhin nur.

Heftiger Flugwind zerrte an ihnen, als Curran tiefer ging und durch das Labyrinth der roten Türme steuerte. Rammar kniff die Augen zusammen, damit sie nicht tränten – nicht dass noch jemand dachte, er wäre am Heulen.

Curran verlangsamte seinen Flügelschlag, und schließlich spreizte er die Schwingen und setzte am Rand eines vorgelagerten Felsplateaus auf, von dem aus eine rote Felswand senkrecht in schwindelerregende Höhen stieg. Darin klaffte ein gewaltiger Riss von zwei oder drei Orklängen Breite, der den Zugang zu einer Höhle bildete. Der rote Staub, der das Plateau bedeckte, war zerwühlt, und hier und dort waren auch noch die halb verwischten Spuren von Drachenklauen zu erkennen.

Selbst Rammar, der weder Drache noch Vater war, konnte jetzt etwas fühlen … nämlich, dass Ärger in der Luft lag.

Absteigen, wies Curran seine Nachkommen an und spreizte einen Flügel so Richtung Boden, dass die Orks daran hinabgleiten konnten. Mit Axt und saparak bewaffnet, traten sie auf den Höhleneingang zu – Balbok mutig voraus, Rammar im Schatten Currans, der sich ebenfalls schwerfällig in Bewegung setzte.

Aderyn, rief er lautlos und doch so, dass es in den Köpfen der Brüder nur so dröhnte, komm heraus und zeig dich!

Prompt regte sich etwas im dunklen Eingang der Höhle.

Aber es war nicht die Drachenfrau, die ihnen im nächsten Moment aus dem Inneren des Berges entgegensprang, sondern zwei Wyvernen, vermutlich ihre Leibwächter.

Der erste Wyvern beging den Fehler, seinem sehr viel größeren Gegner zu nahe zu kommen – Curran empfing ihn mit gleißendem Feuer, das dem kleineren Drachen zwar nichts anhaben konnte, ihn jedoch für einen Moment ablenkte. Currans stachelbewehrter Schweif traf ihn daraufhin und fegte ihn aus der Luft wie ein lästiges Insekt. Der Wyvern schlug auf dem Boden auf und überschlug sich mehrmals im roten Staub, der rings um ihn aufstieg. Als er sich wieder legte, war die Echse bereits tot, verblutet an zahlreichen Stichwunden.

Ihr Artgenosse hatte sich ohne Vorwarnung auf die Orks gestürzt. Während sich Balbok unter ihrem Angriff duckte, bekam der weiter hinten stehende Rammar ihn mit voller Wucht ab. Das Biest spie Feuer, während es ihm in wildem Zorn entgegenflatterte. Rammar hatte keine Zeit mehr, um der Attacke auszuweichen. Er roch den Gestank seiner eigenen verbrannten Borsten, während er in einer instinktiven Bewegung den saparak nach oben stieß – und ihn geradewegs in die nur schwach gepanzerte Bauchseite des Wyvern rammte, als dieser dicht über ihm hinwegziehen wollte.

Durch die Wucht, mit der sich die Echse auf den Ork gestürzt hatte, schlitzte sie sich selbst den Bauch auf – und Rammar, der eigentlich nur dastand und den saparak hochhielt, senkrecht wie eine Standarte, bekam die gesammelte Ladung ihrer Eingeweide ab. Einige von ihnen glühten und brannten noch, sodass es nicht nur Ekel war, der den dicken Ork hell aufschreien und wie einen Ball davonspringen ließ. Den saparak ließ er fallen, klopfte sich stattdessen mit den kurzen Armen ab, worauf die kleinen Flammen zischend verloschen. Der Drache hingegen, als hätte er sein eigenes Ende nicht mitbekommen, schlug noch ein, zwei Mal mit den Flügeln und schoss über den Rand des Plateaus hinaus. Dann stürzte er flatternd in die Tiefe, die jenseits davon klaffte und ihn nicht wieder hergab.

»Wa-was für ein shnorshor «, stieß Rammar hervor, keuchend und mit brüchiger Stimme. »Da-dachte der doch tatsächlich, er könnte es mit Ra-Rammar dem schrecklich Rasenden a-aufnehmen …«

Aderyn, rief Curran noch einmal, der sich wieder dem Höhleneingang zugewandt hatte. Zeige dich endlich! Oder bist du neuerdings zu feige dazu?

Ob es an der Provokation lag oder an der Tatsache, dass ihre Leibwächter schmählich versagt hatten – als sich diesmal im Dunkel der Höhle etwas regte, schien es tatsächlich die Drachenfrau zu sein.

Was willst du?, verlangte sie zu wissen – auch ihre Stimme war plötzlich in den Köpfen der Orks

Mit dir reden, erwiderte Curran gelassen.

Natürlich, kam es mit vor Sarkasmus triefender Stimme zurück. Ich bin überzeugt davon, dass du nur mit mir reden willst, mein alter Hauptmann und Freund …

Ein rot glühendes Augenpaar erschien im Dunkel der Höhle, das erahnen ließ, dass Curran die Wahrheit gesagt hatte: Aderyn war nicht mehr in ihrer alten Gestalt, nicht mehr in jener zerfallenden Hülle, sondern hatte sich einen neuen Körper gesucht, der ungleich stärker war und ihrer ungezügelten Gier und Bosheit weit mehr entsprach: Ein ausgewachsener Drache schälte sich aus den Schatten des Höhleneingangs – ein großes Exemplar, Curran selbst kaum nachstehend und schrecklich anzusehen, von pechschwarzen, glänzenden Schuppen überzogen.

»Das Biest kennen wir doch«, raunte Rammar seinem Bruder zu.

»Korr«, stimmte Balbok grimmig zu. »Es kam als Allererstes aus dem Eis.«

»Sag, steckst du da wirklich drin, Weib?«, rief Rammar – weniger weil er zweifelte, sondern um seine wachsende Unruhe zu verbergen.

Ich weiß, es überfordert deinen Verstand, fetter Ork – aber genauso ist es, beschied ihm die Aderyn-Echse frech. Ich begann mich bereits zu fragen, wo ihr Unholde abgeblieben wart. Doch ich hätte mir denken können, dass wir einander wiedersehen würden. Das war wohl unvermeidlich.

»Wo ist das Kind?«, wollte Balbok wissen.

Balbok, mein Geliebter … du wirst doch nicht zu mir gekommen sein, um mich noch ein letztes Mal zu umarmen?

Sie schnaubte, was wohl ein Lachen sein sollte, und blies dabei giftigen Dampf aus ihren Nüstern. Dann wandte sie sich nach dem Höhleneingang um.

Kommt, befahl sie nur, worauf zwei von Alter und Gram gebeugte Gestalten erschienen, Frauen in dunklen Kutten. Sie waren von derselben Art, der auch Taithas und seine Leute angehört hatten und der Aderyn als falsche Göttin so übel mitgespielt hatte. Zu zweit trugen sie einen Korb mit einem kleinen Kind darin, das von allem nichts zu ahnen schien. Die winzigen Klauen zu Fäusten geballt, wedelte es mit den kurzen Armen und babbelte dabei vor sich hin.

»Orkling!«, rief Balbok aus – wenn er seinen Spross erblickte, schien wirklich nichts seine Vaterfreude trüben zu können.

Fast nichts …

Wage es nicht, dich dem Kind zu nähern, warnte Aderyn ihn eindringlich. Wenn du es doch tust, genügt ein einziger Feuerstoß von mir, um alles zu beenden.

Du würdest dein eigenes Kind töten?, fragte Curran mit unverhohlenem Zweifel. Dein eigenes Fleisch und Blut?

Und Fleisch und Blut von diesem da, konterte sie mit einem verächtlichen Seitenblick auf Balbok. Das sollte Grund genug sein, es dennoch zu tun.

»Schmarren«, widersprach Rammar. »Jedem hier, selbst Balbok, ist klar, dass du das auf gar keinen Fall tun wirst. Das Kind ist alles, was dir noch bleibt. Nachdem deine Feuerwürmer als jämmerliche Funzeln verendet sind, ist Balboks Spross deine allerletzte Hoffnung, in dieser Welt noch irgendwas zu reißen. Denn es ist zugleich Currans Erbe …«

Meine Niederlage schmerzt mich, das gebe ich zu, gestand Aderyn ein. Ich hatte große Pläne …

»… und jetzt sind sie Gnomenschiss«, konstatierte Rammar unbarmherzig. »Also komm mal von dem hohen Thron runter, auf den du dich selbst gesetzt hast, und sieh, was aus dir geworden ist. Und dann gib verdammt noch mal das Kind her, das der lange Lulatsch so unbedingt haben will. Ich kann’s zwar nicht verstehen, aber mir tun langsam die kluas’hai weh von seinem Gejammer!«

Der Aderyn-Drache sah zuerst ihn, dann Balbok und schließlich das Kind an.

Nein, erwiderte sie dann. Das Kind gehört mir.

Niemand gehört irgendjemandem, widersprach Curran. Das solltest du im Lauf deines langen Lebens gelernt haben.

Du meinst, so wie du, mein Geliebter?

»Geliebter?« Der Blick von Rammars gelben Augen pendelte zwischen beiden hin und her. »Ist hier außer mir eigentlich irgendjemand, mit dem sie es nicht getrieben hat …?«

Ich hätte nicht geglaubt, dass wir uns noch einmal wiedersehen würden, fuhr Aderyn unbeirrt fort, und gewiss nicht auf diese Weise … und in dieser Gestalt.

Ich ebenfalls nicht, gab Curran zu.

Du weißt, dass dies kein Zufall ist, oder? Der Kosmos hat diese Begegnung gewollt …

Curran schnaubte nur. Du bist immer sehr großzügig gewesen, wenn es darum ging, das Wirken des Kosmos auf deine Weise zu deuten, Aderyn.

So wie du – doch in diesem Fall ist das nicht notwendig. Wir beide sind wieder zusammen, nach all den Jahrtausenden, die in der sterblichen Welt verstrichen sind. Und sieh uns an, wir sind einander wieder ähnlich geworden, genau wie damals, teilen dieselben Erinnerungen und Erfahrungen …

Aber wir haben nicht dasselbe daraus gelernt, widersprach Curran. Und wir teilen nicht dieselben Wünsche.

Ist es nicht auch dein Wunsch, dieser Welt Einheit zu schenken? Den Frieden, den die Sterblichen so nötig brauchen, um sich zu entfalten, zumal jetzt, da die Kontinente nicht mehr voneinander getrennt sind? Du weißt, was diese Narren daraus machen werden, oder? Sie werden sich niemals einigen. Sie werden um Land und Rohstoffe kämpfen und gegeneinander blutige Kriege führen, und sie werden dazu nicht einmal mehr dunkle Magie benötigen. Aus eigener Kraft sind sie schon dabei, die Lüfte zu erobern und Waffen zu bauen, die über weite Entfernung hinweg zu töten vermögen – wie lange wird es da noch dauern, bis ihr Irrsinn die ganze Welt erfasst hat und sie daran zugrunde gehen?

Ihre glühenden Augen sahen Curran durchdringend an, und er hielt ihrem Blick stand. Wenn es so kommen mag, erwiderte er, dann ist es ihre Entscheidung gewesen.

Aber die Sterblichen sind nicht in der Lage, solche Dinge zu entscheiden, widersprach Aderyn. Ihre Stimme klang jetzt sanfter als zuvor, beinahe einfühlsam. Wir müssen dies für sie tun, Geliebter. Du und ich, so wie wir es immer wollten …

»Vorsicht«, raunte Rammar seinem Ahnen zu. »Wenn mein asar mich nicht täuscht, versucht sie, dich einzuwickeln!«

Was schlägst du vor?, fragte Curran, der Warnung ungeachtet.

Verbünden wir uns wie einst! Es kann kein Zufall sein, dass wir uns nach all den Zeiten hier begegnen und dasselbe Schicksal teilen. Der Kosmos will uns etwas damit sagen – nämlich, dass wir damit aufhören sollen, uns zu bekämpfen, und unsere Kräfte vereinen. Wir beide, du und ich, sind die mächtigsten Wesen von ganz Erdwelt, Curran! Schließen wir uns zusammen …

Und die Elfen? Du hast gesehen, dass sie immer noch über große Macht verfügen …

Die Söhne und Töchter Sigwyns haben kein Interesse daran, auf dieser Welt zu bleiben, längst sind sie aufgebrochen zu anderen, erinnerte Aderyn ihn. Wenn wir eine neue Ordnung errichten, so werden sie keinen Grund mehr haben, nach amber zurückzukehren, wie sie Erdwelt einst nannten …

Curran zögerte.

»Vorfahr«, ächzte Rammar, »du wirst doch wohl nicht …?«

Denk darüber nach, bohrte Aderyn weiter, die ihre Chance sah, das Ruder des Schicksals noch einmal herumzureißen. Überlege dir, ob du lieber mit mir verbündet sein willst oder mit diesen niederen Kreaturen hier. Gemeinsam können wir bewirken, was uns einzeln versagt blieb, nämlich über ganz Erdwelt zu herrschen und den Sterblichen Frieden zu bringen …

Curran nickte nur, langsam und nachdenklich.

Jetzt, meine Nachfahren, raunte er den Orks zu – und offenbar konnten nur Balbok und Rammar es in ihren Köpfen hören, denn Aderyn schien es nicht wahrzunehmen.

Wir können eine Dynastie begründen, schwelgte sie weiter in ihren Visionen, ein Geschlecht von Drachenkaisern, die das Beste beider Arten in sich vereinen und so mächtig werden, dass selbst Elfen ihnen irgendwann nicht mehr das Wasser reichen können …

Sie war so damit beschäftigt, die Zukunft in bunten Farben zu malen, dass sie gar nicht bemerkte, wie sich die beiden Orks an der Felswand entlang in Bewegung setzten, auf die Ammen und das Kind zu, die am Höhleneingang warteten …

Das hohe Alter und die Weisheit, die es bedingt, verleihen mir mitunter die Gabe, auf Dinge zu blicken, die kommen werden, erwiderte Curran schließlich. Und ich sehe, dass das, von dem du sprichst, nicht unmöglich zu erreichen ist …

Dann lass es uns tun!, stimmte Aderyn euphorisch zu. Schon einmal bin ich die Gefährtin an deiner Seite gewesen, lass es mich wieder sein, Geliebter!

Die Ammen sahen die beiden Orks näher kommen. Ihre nervösen Blicke gingen zu der Drachin, und für einen Moment hatte es den Anschein, als ob sie Alarm schlagen wollten …

Aber sie taten es nicht.

Gemeinsam könnten wir so viel Großes bewirken, fuhr Aderyn fort. So viel Gutes …

Du … willst Gutes tun? Curran legte das mächtige Haupt schief. Nun war er es, der sie durchdringend ansah.

Ich kann vieles sein, das weißt du. In ihren Glutaugen spiegelte sich etwas von der alten Verführungskunst.

Ich weiß. Curran nickte. Denn dein Herz, Aderyn, ist so leer wie die Worte, die du sprichst. Du warst noch nie in der Lage, etwas für jemand anderen zu empfinden als für dich selbst, du bist für dich das Maß deiner Dinge – daran hat sich in all den unzähligen Jahrhunderten nichts geändert, und es wird sich auch nichts ändern.

Das ist nicht wahr!, widersprach sie heftig. Du kannst …

Plötzlich schien sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung zu bemerken. Schnaubend warf sie ihren schwarzen Echsenkörper herum, erblickte die Orks und die beiden Ammen.

Balbok hielt das Kind bereits im Arm …

Du!, kreischte sie, außer sich vor Überraschung und jäher Wut. Eine Täuschung!

Hast du wirklich geglaubt, deine alten Tricks würden noch einmal wirken?, fragte Curran nur. Nach allem, was du getan hast? Ich musste dich nur ablenken, damit du nicht merkst, was tatsächlich in den Köpfen meiner Nachkommen vor sich ging …

Einen Augenblick stand der Aderyn-Drache wie versteinert. Dann entbrannte er plötzlich in so unbändigem Zorn, als würde er selbst in Flammen stehen. In Aderyns Augen loderte es, giftiger Dampf drang aus ihren Nüstern.

Dafür werdet ihr bezahlen, alle!, kündigte sie an und sog Luft in ihre Lungen, bog das Haupt zurück, um brennendes Verderben auf die Ammen, die Orks und das Kind zu speien und sie alle damit zu verzehren.

Doch der Anblick des Vaters mit dem Kind ließ Aderyn für einen Augenblick zögern …

Ein Augenblick, in dem sie ahnte, was hätte sein können, schon vor Tausenden von Jahren.

Ein Augenblick, den Balbok nutzte, um mit der freien Klaue die Axt zu schwingen und sie nach der ungeschützten Brust der Drachin zu werfen.

Die Waffe überschlug sich einmal in der Luft – und traf Aderyn mit voller Wucht.

Die Drachin fuhr zusammen, als das messerscharfe Axtblatt den Schutz der Schuppen durchdrang und tief in ihre Brust schlug, ihr eine klaffende Wunde beibrachte. Flüssiges Feuer sickerte daraus hervor und troff an ihr herab zu Boden, wo es weiterbrannte und an ihr emporzüngelte.

Was hast … du getan …?

»Lass … das Kind … in Ruhe!«, knurrte Balbok grimmig, während er zusammen mit den anderen in den Schutz des Höhleneingangs zurückwich, den Orkling auf dem Arm.

Aderyn wankte, die Glut in ihren Augen flackerte wie in einer erlöschenden Esse, als sie sich zu Curran umwandte.

Warum?, fragte sie mit ersterbender Stimme.

Weil es nicht anders sein kann, erwiderte er. Weil unsere Zeit zu Ende geht und wir nichts dagegen tun können.

Werde … zurückkehren …

Nicht dieses Mal, entgegnete Curran, und eine furchtbare Endgültigkeit lag dabei in seiner Stimme.

Er trat vor und breitete die Flügel aus, schlang sie wie in einer Umarmung um die Drachin, die nur wenig kleiner war als er selbst – und nur einen Herzschlag später stürzte er sich mit ihr vom Rand des Plateaus und in die alles verschlingende Tiefe.

Balbok und Rammar wechselten entsetzte Blicke, eilten zum Rand des Abbruchs – um atemlos mitanzusehen, wie die beiden Drachen in dem dunklen, bodenlosen Abgrund zwischen Wänden aus schroffem Gestein verschwanden.

Aderyns grässlichen Schrei konnten sie noch lange in ihren Köpfen hören.

Von Curran nicht einen einzigen Laut.

Eine ganze Weile warteten sie deshalb noch ab, hoffend, dass ihr Vorfahr sich irgendwie gerettet, dass er im letzten Moment noch seine Flügel ausgebreitet und sich so vor dem tödlichen Absturz bewahrt haben könnte.

Doch Curran kam nicht zurück.

Sein Dasein auf dieser Welt war zu Ende gegangen, gleich dem der Drachenfrau, die er in mancher Hinsicht selbst erschaffen hatte – so wie sie ihren Teil dazu beigetragen hatte, ihn zu erschaffen.

Niemals wieder würde Aderyn Furcht und Schrecken verbreiten, in keiner der Rollen und Gestalten, die sie im Lauf ihres langen Lebens angenommen hatte.

Die Gefahr war vorüber.

Balboks Kind war gerettet.

Klein und grün kauerte es auf seinem Arm und krähte, hatte von alldem wohl nichts mitbekommen.

»Hm«, machte Rammar. »Das ist es also.«

»Das ist es«, bestätigte Balbok.

Rammar brummte etwas Unverständliches. Dann beugte er sich vor und schnupperte an dem Orkling. »Es stinkt«, stellte er fest, »vermutlich hat es sich in die … Aua! «, schrie er plötzlich und zuckte zurück.

»Was?«, fragte Balbok.

»Es hat mich in den Rüssel gebissen!«

Balbok grinste. »Es ist eben ein Ork aus echtem Tod und Horn.«

Da musste auch Rammar der schrecklich Rasende grinsen. »Und wie«, fragte er dann, »kommen wir jetzt von hier weg, nachdem unser Urahn beschlossen hat, sich in den Abgrund zu …?«

Die Antwort erfolgte als ein Schatten, der auf sie fiel. Blinzelnd sahen sowohl die Orks als auch die beiden Nevathani-Frauen nach oben – das Kristallschiff der Elfen schwebte über ihnen. Lautlos hatte es sich am grauen Himmel genähert, offenbar war es Curran gefolgt.

Wie von unsichtbarer Hand in der Luft gehalten, ging das Kristallschiff tiefer, und eine Luke öffnete sich an der Unterseite, in der ein Elfenkrieger erschien, weiß gekleidet und in glänzender Rüstung, die auf fast unwirkliche Weise von Licht erfüllt zu sein schien.

»Kommt an Bord«, rief er ihnen zu. »Oder wollt ihr lieber den ganzen Weg zurück zu Fuß gehen?«

Zumindest Rammar brauchte das nicht zweimal gesagt zu werden – nach all der Anstrengung war er für eine bequeme Rückreise sogar bereit, sich an Bord eines Elfenschiffes zu begeben, auch wenn es dort sicher fürchterlich hell und reinlich war und für Ork-Begriffe geradezu bestialisch stank.

Außerdem war da schließlich noch eine weitere Rechnung, die er zu begleichen hatte …