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Im Zeugenstand

Am 22. November 1952 begann in Paris der Prozess gegen die Gestapo-Zentrale in der Rue de la Pompe. Zwölf französische Bürger und zwei Deutsche mussten sich wegen Kriegsverbrechen verantworten. Die Ermittlungen hatten sieben Jahre in Anspruch genommen. Nach und nach hatte man mit viel Mühe Zeugenaussagen von mehreren hundert Überlebenden gesammelt, darunter auch Catherine Dior. Doch am ersten Tag der bedeutungsschweren Verhandlungen im prächtigen Schwurgerichtssaal des Justizpalastes war die Zuschauerempore leer. Jean-Marc Théolleyre, der für Le Monde von dem Prozess berichtete, wurde schmerzhaft bewusst, dass man seine Artikel wohl weitgehend ignorieren werde. »Das interessiert keinen«, schrieb er, war aber entschlossen, dafür zu sorgen, dass kein Detail vergessen werde. Denn er selbst war während des Krieges ebenfalls bei der Résistance gewesen und mit neunzehn Jahren nach Buchenwald deportiert worden. Zwar hatte er die Folter in der Rue de la Pompe nicht erlebt, war aber empört, dass Frankreich das Übel der Kollaboration während des Krieges offenbar bereits vergessen hatte. Zumindest, so fuhr er fort, werde der Prozess »unweigerlich ein zorniges Staunen darüber auslösen, dass … in den Gefängnissen immer noch Männer sitzen, die bisher nicht abgeurteilt werden konnten«.

Gegen sieben Angeklagte wurde in Abwesenheit verhandelt, weil ihr Aufenthaltsort unbekannt war. Der wichtigste war der Bandenführer Friedrich Berger, dem es gelungen war, vor der Befreiung mit einer Gruppe von Gestapo-Offizieren und französischen Helfern aus Paris zu fliehen. Janet Flanner, die für den New Yorker von dem Prozess berichtete, schildert, wie Berger vor Gericht charakterisiert wurde: »… als eine Schreckensgestalt …, ein Sadist, Drogensüchtiger, Mörder und wahrscheinlich Geistesgestörter«. Die vierzehn Angeklagten, die vor Gericht anwesend waren, bildeten zwei Reihen unscheinbarer Häftlinge, denen ein Militärtribunal von achtzehn uniformierten Offizieren unter dem Vorsitz des zivilen Richters Robert Chadefaux in scharlachroter Robe gegenübersaß. Der Richter forderte die Zeugen auf, ihre Geschichte darzulegen und, wenn möglich, ihre Folterknechte unter den Häftlingen zu identifizieren, die nur wenige Meter entfernt von ihnen saßen. »Tag um Tag«, schrieb Flanner, »schilderten Zeugen in einem Gerichtssaal, still wie ein Krankenzimmer, was sie erlitten, gesehen oder gehört hatten – wie Männer geschlagen wurden, bis ihre Kleider und ihr Fleisch nur noch ein einziger Klumpen waren, wie man Frauen auspeitschte – splitternackt und mit den Handgelenken an die Knöchel gebunden.«

Unter den Zeugen befand sich auch Catherine Dior, die zuvor von den Ermittlern bereits mehrfach vernommen worden war. Sie sollte die Männer identifizieren, die sie bei zwei Gelegenheiten geschlagen hatten und in der mit Eiswasser gefüllten Badewanne in der Rue de la Pompe beinahe ertränkt hätten. Einer war Théodore Leclercq. Doch als Catherine auf ihn wies, erklärte sein Anwalt, sie irre sich, die Folterer seien Rachid Zulgadar und Manuel Stcherbina gewesen, beide passenderweise nicht im Gerichtssaal anwesend, weil sie spurlos verschwunden waren. Der Anwalt behauptete, sie verwechsele Leclercq mit Zulgadar, dem er ähnlich sehe. Dabei war letzterer zehn Jahre jünger und iranischer Abstammung. Da verlor Catherine die Beherrschung. Laut Théolleyre wandte sie sich dem Richter zu und erklärte: »Monsieur le président, ich weiß, was ich sage. Was dort geschah, hat Menschen das Leben gekostet, und nun streiten diese Leute hier für solche Schweinehunde!« Dieser Gefühlsausbruch passte so gar nicht zu Catherines überlegenem Auftreten während der ausgedehnten Ermittlungen. Dass sie vor Gericht die Fassung verlor, kann kaum überraschen. Da stand sie nun Auge in Auge den Menschen gegenüber, die sie und zahllose andere so entsetzlich behandelt hatten, die für den Tod ihres F2‑Kameraden Jean Desbordes und für ihre eigene Deportation nach Deutschland verantwortlich waren.

Diese in Le Monde geschilderte kurze Szene ist die einzige Erwähnung Catherines in den Presseberichten von diesem Prozess. Das mag überraschen, wenn man bedenkt, dass ihr Bruder zu jener Zeit einer der berühmtesten Franzosen in der ganzen Welt war. In Le Monde wird ihr Name genannt, doch nicht auf ihre Verwandtschaft mit Christian Dior hingewiesen. Der Artikel des New Yorker erwähnt Catherine nicht, ebenso wenig die Londoner Times. Die schildert die Szenen, die vor Gericht beschrieben wurden, als »ein Inferno, wie von Dante erdacht«. Auch im Nachrichtenmagazin Time erscheint Catherine nicht. Dort konzentriert man sich stattdessen auf Denise Delfau, Bergers Geliebte und die einzige Frau unter den vierzehn Angeklagten. Madeleine Marchand, die in Bergers Auftrag das Widerstandsnetz F2 unterwandert hatte, galt als zu krank und erschien erst im Juli 1954 vor Gericht. Über Delfaus Rolle in der Rue de la Pompe berichtete Time in farbigen Bildern: »Auf ihrem Sitz am Rand der Badewanne schlug die rothaarige Denise Delfau die hübschen Beine übereinander und kritzelte quietschvergnügt in einen Notizblock. Ein netter Vorgang, nur dass gelegentlich ein paar Wasserspritzer auf ihre Kleider fielen, wenn die stöhnende nackte Kreatur in der Wanne im Todeskampf um sich schlug.« Auch Janet Flanner ging bei der Vorstellung der Angeklagten am ausführlichsten auf Delfau ein: »Die Frau, Denise Delfau, die Stenotypistin und Geliebte des Chefs der Gestapo-Folterer, selbst angeklagt, Zigaretten auf dem Körper von Opfern ausgedrückt zu haben, macht mit ihrem schlaffen, gelben Gesicht den negativsten Eindruck. Die Männer wirken eher wie grobe Kleinkriminelle, und erst, was die Zeugen über sie berichten, lässt sie riesig und furchteinflößend erscheinen.«

Der Prozess dauerte einen Monat und ging erst wenige Tage vor Weihnachten zu Ende. Acht der angeklagten Franzosen wurden zum Tode verurteilt, drei zu lebenslangem Zuchthaus und Denise Delfau zu zwanzig Jahren harter Arbeit. Alfred Wenzel, der SS‑Offizier, dem Berger und dessen Bande direkt unterstanden, erhielt eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren. Walter Kley von noch geringerem Rang wurde mit der Begründung freigesprochen, er habe nur Befehle ausgeführt. Fernand Rousseau, der verräterische französische Arzt, der Berger willig gedient hatte und mit diesem im August 1944 aus Paris geflohen war, trat als Zeuge auf, weil die Ankläger eingestehen mussten, dass für eine Anklage gegen ihn nicht genügend vorlag. Die sieben Angeklagten, die man nicht hatte fassen können, darunter Friedrich Berger, von dem Gerüchte wissen wollten, er arbeite als CIA-Informant in Deutschland oder für den sowjetischen Geheimdienst, wurden sämtlich in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Am Ende wurden die Todesurteile nur gegen drei vollstreckt – Fernand Poupet, Théodore Leclercq und Georges Favriot. Sie wurden schließlich am 24. Mai 1954 von einem Erschießungskommando im Fort Vincennes hingerichtet, wo die SS vor ihrem Rückzug am 20. August 1944 26 französische Polizisten und Angehörige der Résistance erschossen und in einem Massengrab verscharrt hatte.

Ungeachtet der Pressespekulationen, dass Berger im beginnenden Kalten Krieg eine Anstellung als Spion gefunden hätte, war die französische Justiz in Wahrheit nicht imstande, ihn ausfindig zu machen. Er war verschwunden, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Nach Kriegsende wurde Deutschland in je eine britische, amerikanische, sowjetische und französische Besatzungszone aufgeteilt. Viele ehemalige Nazis schlüpften durch die Ruinen der zerstörten Städte und die Netze der verschiedenen Administrationen. Der Fall Friedrich Berger war nur einer von Hunderttausenden Fällen, welche die sehr unterschiedlichen Militärbehörden zu behandeln versuchten, während sie zugleich die katastrophalen Probleme der Zivilbevölkerung und der Millionen Flüchtlinge in provisorischen Lagern – Obdachlosigkeit, mangelnde Ernährung und Krankheiten – zu bewältigen hatten. Wie groß das so entstandene Chaos war, wird deutlich, wenn man sich bemüht, Bergers Weg durch die offiziellen Akten britischer und amerikanischer Geheimdienste zu verfolgen. Dieser wurde auch dadurch verwirrt, dass Berger mehrere Decknamen benutzte, darunter den unverdient glanzvoll klingenden »von Sartorius«. Immerhin ist in den Archivbeständen einiges zu finden. Nach seinem Terrorregime in Paris fuhr Berger erbarmungslos in seinen Praktiken fort, während er und sein bunt zusammengewürfeltes Gefolge von Folterern, Erpressern, Geliebten und Gestapo-Komplizen – Dr. und Madame Rousseau nicht zu vergessen – im Herbst 1944 durch Ostfrankreich zogen. Dabei machten sie sich der Entführung, Folterung und Ermordung zahlreicher unschuldiger Opfer schuldig, die sie der Zusammenarbeit mit der Résistance verdächtigten, wie geringfügig sie auch gewesen sein mochte. Sie beteiligten sich sogar an der Gefangennahme von acht britischen Fallschirmspringern, die man hinter den feindlichen Linien in den Vogesen nahe der deutschen Grenze im Rahmen einer Operation des SAS im September 1944 abgesetzt hatte. Sie wurden danach von einem SS‑Kommando erschossen.

Am 8. Mai 1945 wurde Berger schließlich in der Nähe von Mailand von alliierten Truppen festgenommen und in Rom von einem britischen Geheimdienstoffizier verhört. Während er in Italien in britischem Gewahrsam saß, soll er seine Dienste bei der Abwehr sowjetischer Spione angeboten haben, wurde aber als unzuverlässig angesehen. »Er ist ein Folterknecht und kein Geheimdienstoffizier«, schloss ein früherer Bericht. In seiner britischen Akte findet sich eine ganze Reihe weiterer, zunehmend entnervter Kommentare: »Berger redet dummes Zeug«, lautet einer; ein anderer hält fest, dass Berger wegen psychischer Labilität in ein Militärkrankenhaus überwiesen wurde, wo »er wie Hamlet unbemerkt bleiben kann, weil dort alle genauso verrückt sind wie er«.

Die Briten schienen schließlich das Interesse an Berger verloren zu haben, und im November 1946 schickten sie ihn nach Deutschland zurück. Im Februar 1947 wurde er von ihnen in Baden an die französischen Behörden übergeben, denen er im Juni wieder entkam und sich in die sowjetische Besatzungszone durchschlug. Einen Monat später wurde Berger in Ostberlin verhaftet und blieb bis 1955 in sowjetischem Gewahrsam. Er saß in mehreren sibirischen Straflagern ein. Als er im Oktober 1955 nach Westdeutschland zurückkehrte (in der Woche, als Christian Dior das Land besuchte), forderten die französischen Behörden seine Auslieferung nach Paris. Doch die westdeutsche Regierung lehnte ab, und Berger blieb in Freiheit.

Im April 1956 wurde er in München von einem Offizier des CIA angesprochen, der er angeboten hatte, für sie gegen die Sowjetunion zu arbeiten. Für entsprechende Bezahlung schlug er vor, »ein Netzwerk von Agenten aufzubauen und bei der Verbesserung der Spionageabwehr zu helfen«. Dem Mann von der CIA erschien Bergers Opportunismus verdächtig. Er schloss daraus sogar, der sei möglicherweise »ein Agent des sowjetischen Geheimdienstes und in dessen Auftrag im Westen«. Damit hätte der Fall für die CIA beendet sein können, aber in ihren Akten ist eine letzte Begegnung mit Berger am 14. April 1957 festgehalten. Die fand in einer kleinen Münchener Bar namens Greta statt, die Berger gehörte. An jenem Abend habe der einem Undercover-Agenten »recht freimütig gestanden, er sei Nazi gewesen und das eigentlich immer noch … Er erzählte, er habe während des Krieges als Gestapo-Offizier in Paris gedient, und berichtete sogar von lustigen Erlebnissen, die er in Paris gehabt habe.«

Das Dossier der CIA enthält keine Einzelheiten über die genannten »Erlebnisse«, charakterisiert Berger jedoch als »widersprüchlichen Charakter, der möglicherweise von bestimmtem operativem Interesse sein könnte«. Es ist nicht überliefert, ob er als Barbesitzer erfolgreich war, jedenfalls verstarb Berger am 10. Februar 1960 im Alter von 48 Jahren als freier Mann in München.

Während in Paris der Prozess gegen die Täter von der Rue de la Pompe stattfand, war Christian Diors Terminkalender weiterhin gut gefüllt. Am 25. November 1952 wurde im Haus Dior wie jedes Jahr der Ehrentag der Heiligen Catherine gefeiert, was in der Modebranche üblich war. An diesem Tag, der bei Dior bis heute begangen wird, sollen ledige Frauen, Catherinettes genannt, sich mit lustigen Kostümen samt Hüten verkleiden. »Die Avenue Montaigne Nr. 30 muss man am Tag der heiligen Catherine sehen!«, schrieb Christian in seiner Autobiographie. »Das Fest der Schutzheiligen unseres Handwerks hat für uns noch seine große Bedeutung bewahrt. Mir ist es besonders lieb. Ich gehe dann in alle Abteilungen, und in der kleinen Ansprache, die ich an jedes Atelier richte, kann ich die ganze aufrichtige und liebevolle Zuneigung ausdrücken, die mich an alle bindet, die – ob nun an einem kleinen oder großen Platz – zum allgemeinen Gelingen beitragen. Das ist auch der Tag, an dem ich das Herz des Hauses schlagen höre … Nichts ist fröhlicher als der Catherinentag. Jedes Atelier hat sein Orchester, und das ganze Haus wird zu einem einzigen Ball.«

Paris seamstresses mobbing their boss, Dior, on St. Catherine's Day (Nov 23), the traditional spinsters holiday. (Photo By Tony Linck/The LIFE Premium Collection via Getty Images/Getty Images)

Christian Dior, von seinen Näherinnen umringt, am Tag der Heiligen Catherine.

Diors Schilderung der ausgelassenen Atmosphäre an diesem Feiertag ist ein weiterer Ausdruck dafür, wie wichtig ihm Lebensfreude war. Zwar war er als schüchtern bekannt und zog es vor, mit Freunden und Verwandten im kleinen Kreis zu Hause zusammenzukommen, doch eine Ausnahme bildeten für ihn die Kostümbälle, die von der Pariser feinen Gesellschaft vor dem Krieg mit großem Pomp gefeiert wurden. Als das Jahr 1947 kam und die Modewelt den romantischen New Look begrüßte, »begann die Nachkriegszeit mit allen ihren Bällen. Christian Bérard veranstaltete den des ›Panache‹, auf dem alles, was man überhaupt an Reiher- und Straußenfedern auftreiben konnte, die reizendsten Köpfe der ganzen Welt schmückte …« 1949 folgte Graf Etienne de Beaumonts »Ball der Könige, auf dem alle Berühmtheiten von Paris erschienen – unter Diademen aus Pappe.«

Die Themenbälle des Grafen an seinem Wohnsitz aus dem 18. Jahrhundert in der Rue Masseran waren Höhepunkte jeder Saison gewesen. Zwar reduzierte de Beaumont sein gesellschaftliches Leben während der Besatzungszeit ein wenig, erschien aber auf Empfängen im Deutschen Institut und nahm auch Einladungen des deutschen Botschafters Otto Abetz an. Doch Ende der 1940er Jahre begann er wieder eigene Unterhaltungsabende zu arrangieren.

Beim Ball der Könige trat Christian Dior als der König des Dschungels auf. Dafür schlüpfte er in ein Löwenkostüm, das der junge Pierre Cardin für ihn entworfen hatte – ein scharfer Kontrast zu Diors gewohnter Erscheinung in sorgfältig gearbeiteten grauen Maßanzügen. Christian Bérard erschien als Heinrich VIII. von England, Jacques Fath in einer Weste aus Leopardenfell als Karl IX. von Frankreich, begleitet von seiner Ehefrau als österreichische Kaiserin Sissi. Bérard starb bald nach dem Ball der Könige am 11. Februar 1949 im Alter von 46 Jahren. Bettina Ballard, die ihn seit den 1930er Jahren kannte, als sie gemeinsam für Vogue gearbeitet hatten, wusste von seiner zerstörerischen Opiumsucht und von seinem ausschweifenden Leben, das ihn daran gehindert hatte, seiner Berufung als großer Künstler gerecht zu werden. »Er wurde in derselben eleganten, oberflächlichen Pariser Atmosphäre begraben, in der er gelebt hatte«, schrieb sie nach der Trauerfeier. Dabei vergaß sie auch nicht Bérards enge Freundin, die Gesellschaftsdame Marie-Louise Bousquet unter den Trauergästen zu erwähnen, »in deren Salon er geglänzt und deren Porträt er mit ungewohnter Ehrlichkeit gemalt hatte, so dass hinter der gespielten Nonchalance die Tristesse zu erkennen war«.

3823098 Elégante au bal (gouache, w/c & India ink on paper) by Berard, Christian (1902-49); 39.6x29.7 cm; Private Collection; Photo © Christie\'s Images; French, .

Christian Bérard, Elegante Dame auf einem Ball.

Der Ball der Könige war die letzte opulente Party, die Etienne de Beaumont veranstaltete. Danach gab es noch einen prunkvollen Kostümball für die feine Welt, zu dem der superreiche Don Carlos de Beistegui am 3. September 1951 in seinen Wohnsitz, den Palazzo Labia von Venedig, einlud. Der Palast am Canal Grande stammte aus dem späten 17. und frühen 18. Jahrhundert. Der Ballsaal war mit Tiepolo-Fresken von unschätzbarem Wert geschmückt, welche die Geschichte von Antonius und Kleopatra darstellten. Im Zweiten Weltkrieg hatte das Gebäude sehr gelitten. Sein Fundament war von der Explosion eines mit Munition beladenen Bootes beschädigt worden.

Beistegui (oder Charlie, wie ihn seine Freunde, darunter der Herzog und die Herzogin von Windsor, nannten) war Erbe eines Vermögens aus dem mexikanischen Silberbergbau und hatte die Kriegsjahre vor allem auf seinem Landgut Groussay, etwa 50 Kilometer westlich von Paris, verbracht. Durch den Diplomatenstatus als Attaché der spanischen Botschaft geschützt, lebte Beistegui dort in großem Luxus, denn sein Schloss blieb von Plünderungen während der Okkupation verschont. 1948 kaufte Beistegui den Palazzo Labia. Nach dessen kostspieliger Restauration lud er 1200 Gäste zu einem Event ein, das die Presse als »die Party des Jahrhunderts« titulieren sollte. Nach dem Bericht des Magazins Life »versammelten sich bei dieser Gelegenheit die meisten blaublütigen und/oder reichsten Bewohner dieser Welt«, und die zügellose Verschwendung löste Debatten aus. Susan Mary Patten räumte ein, sie und ihr Ehemann hätten sich »unwohl gefühlt, hin und her gerissen zwischen unserem puritanischen Gewissen und der großen Neugier, diese Party zu erleben«. Die Neugier siegte, denn »so etwas hätten wir wohl nie wieder gesehen«.

Christian Dior nahm als Gast teil und war auch für viele der Kostüme verantwortlich, daher die Szene, die Susan Mary Patten und Ehemann auf dem Weg nach Venedig beobachteten. »Die erste Berührung mit der Party hatten wir auf dem Hof des Hotels Beau Rivage in Lausanne, wo wir übernachteten. Um neun Uhr morgens war er voll von Chauffeuren, die vor der Fahrt über den Simplonpass die Dior-Schachteln auf den Dächern ihrer Rolls-Royces festzurrten …«

Daisy Fellowes traf an Bord ihrer Privatjacht in Venedig ein und erschien auf dem Ball in einem Kostüm, das den Geist von »Amerika um 1750« darstellen sollte: eine Robe von Dior aus gelbem Satin und Chiffon im Leopardenmuster, mit Leierschwanzvogel-Federn im Haar. Sie ließ sich von einem ebenfalls bei Dior eingekleideten Gefolge begleiten, darunter ihre Tochter Emmeline, die nach ihrer Gefängnishaft wegen Kollaboration in der Kriegszeit wieder voll in die Gesellschaft integriert war, und mehrere halbnackte junge Männer in passenden Leopardenmuster-Kostümen.

Mrs. Reginald Fellowes wearing a Dior gown and James Caffery holding parasol inside the Palazzo Labia's Tiepolo room, in Venice. (Photo by Cecil Beaton/Condé Nast via Getty Images)

Daisy Fellowes in ihrem Kostüm von Dior auf dem prunkvollen Ball im Palazzo Labia von Venedig, 3. September 1951. Foto: Cecil Beaton.

Auch Winston Churchill hatte eine Einladung zu dem Ball erhalten, aber entschieden, dort nicht zu erscheinen. Ebenso Nancy Mitford. »Ich denke, es wirkt ziemlich merkwürdig, nicht zu diesem Ball zu gehen«, schrieb sie in einem Brief aus jenen Tagen. »Aber das billigste Kostüm wäre nicht unter zweihundert Pfund zu haben … Das ist es kaum wert.« Doch Nancys Schwester Diana Mosley ging hin, ebenso Duff und Diana Cooper, Churchills Gattin Clementine und seine Nichte Clarissa, die während des Zweiten Weltkriegs als Chiffreurin im Foreign Office gearbeitet und 1952 den Politiker Anthony Eden geheiratet hatte. »Der Ball im schönen Palazzo Labia von Venedig schien so begehrt zu sein wie ein Königsempfang in Versailles«, erinnert sich Clarissa in ihrer Autobiographie. »Leute flippten aus, weil sie keine Einladung erhalten hatten. Einige Amerikaner kamen in ihren Jachten und ankerten am Lido, weil sie hofften, irgendwie doch noch hineinzugelangen. Meiner Meinung nach lohnte das nicht. Der Palazzo Labia war so schwach beleuchtet, dass all die herrlichen Kostüme, die sich die Gäste gehorsam hatten anfertigen lassen, fast farblos erschienen. Allein Diana Cooper glänzte als Kleopatra in einer Art Historienspiel im großen Vestibül vor dem Hintergrund der Tiepolo-Fresken …«

Einen weiteren großen Auftritt hatte Jacques Fath, der ganz in Gold als der Sonnenkönig aus dem 18. Jahrhundert erschien, begleitet von seiner Gattin in einem glitzernden Kostüm als Sonnenkönigin. Wenn man Susan Mary Patten glaubt, sah sie aus »wie ein überzuckertes Dessert«. Gastgeber Beistegui überragte seine Gäste, weil er bei seiner Körpergröße von nur 1,70 Metern Schuhe mit superdicken Plateausohlen trug und in einer Perücke aus dem 18. Jahrhundert und scharlachrotem Talar als Prokurator der Republik Venedig auftrat.

Carlos de Beistegui, host of the Venetian Ball at the historic Palazzo Labia, looking into the camera and dressed in costume as the Procurator of Venice with a silk damask robe and curled wig. (Photo by Cecil Beaton/Condé Nast via Getty Images)

Carlos de Beistegui, der Besitzer des Palazzo Labia und Gastgeber des Balls, im Kostüm eines Prokurators der Republik Venedig. Foto: Cecil Beaton.

Die ausgefallensten Kostüme dieses Abends waren sicher die von Salvador Dalí, Christian Dior und Marie-Louise Bousquet. Alle drei kamen in langen, weißen Roben und schwarzen Masken als »Phantome von Venedig«. Auf einem Foto vom Ball sind sie nicht zu erkennen, doch mit den völlig bedeckten Gesichtern sind es unvergessliche Figuren, echte Gespenster auf einem Fest. Diors eigene Erinnerung an den Ball war höchstes Entzücken. »Der venezianische Ball … war das schönste Fest, an dem ich je teilnahm und das ich wohl auch je sehen werde«, schrieb er in seiner Autobiographie und ließ eine begeisterte Verteidigung dieses Events folgen. »Ich werde nicht verbergen, dass ich glücklich bin, die Erinnerung an den Beistegui-Ball zu besitzen. Feste solcher Schönheit sind wahre Kunstwerke. Ihr Prunk mag irritieren, aber sie sind wünschenswert, notwendig, wichtig sogar, weil sie den Sinn für authentische Belustigungen wiederbeleben … Europa, der Bomben müde, schien Feuerwerke zu wünschen … Aber es war doch beruhigend, dass auf den Prunk der Neureichen aus der Schwarzmarkt-Szene nach und nach wieder die raffiniertere Pracht der Großen Welt folgte.«

Wenn ich heute Diors Autobiographie lese, bin ich verwundert über seine Bemerkung zu Bomben und dem Schwarzmarkt, denn keines von beiden war nach dem Krieg wirklich verschwunden. Die Verwüstung der Wirtschaft vieler europäischer Länder, die zum Mangel an Lebensmitteln, Brennstoffen und Medikamenten führte, ließ den Schwarzmarkt weiter blühen, besonders in Deutschland und Österreich. Man kann sich gut vorstellen, wie jene Gestapo-Täter aus der Rue de la Pompe, die der Justiz entgangen waren, erneut auf dem Schwarzmarkt mit rationierten Waren Geschäfte machten. Diese Schattenwelt von Betrug und Korruption hat Carol Reed in seinem klassischen Film noir Der dritte Mann lebensecht wiedererstehen lassen. Er wurde im Winter 1948 auf den Straßen und in der Kanalisation des zerbombten Wiens gedreht. Orson Welles, der in dem Film den skrupellosen Gangster Harry Lime spielt, war ein Stargast auf Beisteguis Ball. Graham Greene, der den Roman Der dritte Mann verfasste, konnte dafür von eigenen Erlebnissen als britischer Spion beim streng geheimen Handel mit Staatsgeheimnissen profitieren, die im Mittelpunkt der Spionagedramen des Kalten Krieges standen. Vielleicht war es kein Zufall, dass Greenes Freund und früherer Vorgesetzter beim britischen Geheimdienst MI6, der Doppelagent Kim Philby, in den 1950er Jahren als »der echte dritte Mann« verurteilt wurde.

Das gefährlichste aller geheimen Manöver war die Entwicklung der Atomwaffen, denn am 29. August 1949 fand zum Schrecken des Westens auf einem Testgelände jenseits des Eisernen Vorhangs die erste Atombombenexplosion der Sowjetunion statt. In dem Maße, wie die internationalen Spannungen wuchsen, schritt auch das Wettrüsten voran. Sowjetunion und Vereinigte Staaten führten eine ganze Reihe erfolgreicher Versuche mit atomaren Sprengköpfen durch und bauten ihr Arsenal von Massenvernichtungswaffen aus. Am 13. August 1953 vertraute Jean Cocteau seinem Tagebuch die Verwunderung darüber an, dass die Zeitungen Diors »Kürzung der Röcke um vier Zentimeter« ebenso viel Raum einräumten wie der Entwicklung einer Wasserstoffbombe durch die Sowjetunion: »Ich glaube, hier ist jedes Gefühl für das rechte Maß verlorengegangen«, schrieb er verärgert. In derselben Woche erschien auf der Titelseite von Paris Match ein Bild von Christian Dior, der ein Bandmaß an das Foto eines Models in einem etwas kürzeren Rock hält. In einem Artikel dieses Hefts hieß es: »Dior hat die Schlacht der Röcke eröffnet«, während ein Artikel desselben Hefts von Protesten gegen Lebensmittelknappheit und Preissteigerungen in Ostberlin berichtete. (Diese Demonstrationen wurden von sowjetischen Truppen mit Panzern niedergeschlagen.)

Dass Christian Dior die Weltpolitik nicht ignorierte, zeigt sein Engagement für Versöhnung und die Einheit Europas in der Nachkriegszeit. Als junger Künstler hatte er Anfang der 1930er Jahre eine Studienreise in die UdSSR unternommen, die er in seiner Autobiographie beschreibt als »verzweifelte Suche nach einer neuen Lösung, da diese Krise des Kapitalismus beängstigend war«. Dort wandelte sich sein jugendlicher Idealismus zu wachsender Betroffenheit über die Zensur, die Unterdrückung und die »äußerste Armut«, die ihm begegneten. Und bei allem Entzücken über Kostümbälle war sich Dior durchaus bewusst, dass sich die Mode auf politische Veränderungen einstellen musste. »Das Jahr 1952 begann ernst«, schrieb er. »Der Eiserne Vorhang hatte sich schwer auf die westliche Welt niedergesenkt; man versuchte, Europa zu ›schaffen‹, beunruhigte sich über die in Indochina und Korea entzündeten Feuer, das Erwachen des arabischen Nationalismus kündigte sich an … Vorbei war die Euphorie des New Look, vorbei auch dessen Torheiten. Das Neue in der Mode war nun, dass sie vernünftiger wurde.«

Solche Worte von dezenter Kleidung scheinen gar nicht zu Dior zu passen, denn nach wie vor entwarf er weiter dramatisch rote Abendroben oder Cocktailkleider aus geblümtem Chiffon, da zu seiner Kundschaft auch weiterhin Gesellschaftsdamen gehörten, für die Politik bedeutete, Gästelisten aufzustellen und nicht, sich für Maßnahmen der Regierung zu interessieren. Doch Diors Hingabe an die Kunst der Mode entsprang der ehrlichen Überzeugung, dass sie die besten Aspekte einer zivilisierten französischen Identität repräsentierte. Darüber schrieb er in seiner Autobiographie: »Wahrer Luxus verlangt das richtige Material und echte handwerkliche Arbeit. Er hat nur Sinn, wenn er tief wurzelt und Tradition atmet.« In diesem Sinn konnte ein frivol erscheinendes Partykleid Ausdruck eines unverfälschten, wichtigen Bestrebens sein. Und von Outfits für heitere Gelegenheiten abgesehen, boten Diors Kollektionen stets beispielhafte Schneiderkunst: 1952 entwarf er zum Beispiel auch ein gediegenes graues Dinner-Kleid, Wollmäntel aus Stoff mit Fischgrätenmuster und Nachmittagsensembles aus dunklem Tuch oder schwarzem Jersey.

Im Dezember jenes Jahres – Catherine sagte als Zeugin im Prozess gegen die Täter aus der Rue de la Pompe aus – steckte Christian mitten in den Arbeiten für seine Frühjahr/Sommer-Kollektion 1953. Die nannte er die Tulpenlinie. Darin fand sich auch ein maßgeschneidertes Tageskleid aus grauem Wollstoff mit korrektem Kragen und gegürtetem Rock – ein elegantes und sehr zurückhaltendes Outfit, das man vor Gericht oder in diplomatischer Mission bei einer ausländischen Botschaft tragen konnte. Doch wie stets zauberte Diors Phantasie auch beim Zeichnen seiner Figuren mitten im Winter Blumen hervor: ein exquisites Kleid aus himmelblauem Organza schmückten die zarten Knospen von Frühlingsblumen, und der Star der Kollektion, das umwerfend schöne Ballkleid namens Mai, war mit zierlichen Ornamenten aus grünem Blattwerk zwischen rosa- und lilafarbenen Blüten bestickt. Ich frage mich, bei welchen dieser hervorragenden Beispiele seiner Kunst er an Catherine gedacht haben mag. Das Original des Kleides Mai wird im Dior-Archiv aufbewahrt, und einer der Nachlassverwalter, der es wissen muss, meint, es sei von Catherine inspiriert gewesen – ein weiterer Tribut an ihre Liebe zu Blumen. Ich hingegen stelle mir Catherine in einem zeitlosen grauen Kleid vor, wie sie im Justizpalast standhaft ihre Sache vertritt.