17

KAPITEL

Sie wurden noch vor Tagesanbruch vom leisen Muhen einer Kuh geweckt, die an dem Indianerhügel vorbeigetrieben wurde. Sie entwirrten ihre warmen Gliedmaßen und setzten sich im Schutz des Nebels auf. Ingersoll erhob sich, sammelte Dixie Clays feuchte Kleidung ein und drehte sich um, damit sie sich anziehen konnte, doch da stieß sie einen kleinen Schrei aus. Ihr weißes Gesicht war von weißem Nebel umkränzt, als sie vergeblich versuchte, den geschienten Arm in die Bluse zu schieben. Ingersoll beugte sich über ihre blauen Finger, aber sie trat einen Schritt zurück.

»So schlimm ist es gar nicht«, sagte sie.

»Du lügst. Es tut höllisch weh.«

»Nein, der Arm kann warten. Lass uns aufbrechen.«

Er wusste, sie hatte Angst davor, dass er den Bruch richtete, aber es musste sein. Er schob die Hände in die Schiene, schloss die Finger um ihren Unterarm und fühlte den Bruch, die Schwellung, wo der Knochen schief stand, und mit einem beherzten Ruck und einem flüchtigen Blick in ihr ahnungslosen Gesicht ließ er ihn in die richtige Position zurückschnappen. Er hatte vergessen, wie entsetzlich das Knirschen von Knochen auf Knochen klang, noch viel entsetzlicher als ihr Schrei. Dixie Clay stürzte in seine Arme, womit er gerechnet hatte, doch sie wurde nicht ohnmächtig. Sie stand eine Sekunde lang gegen ihn gelehnt, beugte sich dann vor und versuchte, die Balance wiederzugewinnen. Er stützte ihren unversehrten Arm, und sie richtete sich auf, wenn auch mit geschlossenen Augen.

»Du hast mich nicht vorgewarnt. Kein bisschen!«

»Ich weiß«, sagte er. »Tut mir leid.«

Endlich öffnete sie die Augen. »Nein, das war gut so. Aber wenn du das noch mal versuchst«, sagte sie und lächelte, »bringe ich dich um.«

»Okay. Wie fühlt es sich an?«

Sie wackelte zaghaft mit den Fingern. »Besser, ehrlich gesagt. Viel besser.«

Ingersoll schleppte das Boot den Hang hinunter, schob es ins schaumschlierige Wasser und hielt es fest, damit Dixie Clay einsteigen konnte. Er stieß sie ab, wobei seine Stiefel wadentief in den Schlamm sanken, kletterte hinein, setzte sich auf die Heckbank, griff über das Heck und riss an der Schnur, aber der Außenbordmotor blieb stumm. Er versuchte es erneut: nichts. Er spürte Dixie Clays Blicke, als er sich vorbeugte und die Schnur ein drittes Mal zog. Und der Motor, Gott sei Dank, stotterte kurz und fing dann an zu tuckern.

»Was ist los?«, fragte sie.

»Kaum noch Benzin.«

Auf dem kabbeligen Wasser nahmen sie Kurs auf Greenville, und vor der ersten Biegung verspürte Ingersoll den Drang, einen letzten Blick auf den Indianerhügel zu werfen. Er drehte sich um und betrachtete das prähistorische Fleckchen Erde, auf dem sie sich geliebt hatten. Er erinnerte sich, wie er sich in sie ergossen hatte und wie sie ihm in einer Mischung aus Qual und Erlösung die kleine Faust dreimal an die Brust geschlagen hatte. Ihr Gesicht über seinem war der einzige Himmel, den er jetzt noch sehen wollte. Als der Hügel aus seinem Blickfeld verschwunden war, drehte er sich wieder um und sah in Dixie Clays Augen. Sie hatte sich ebenfalls umgedreht. Sie lächelte scheu, er lächelte weniger scheu zurück, und da grinste sie, breit und unverhohlen. Dixie Clay. Was für eine Frau.

Danach hatten sie nur noch Augen für die mit Bäumen gespickten Stromschnellen und die heimtückischen Fallen, zu denen die überschwemmten, in gefährlichen Nebel gehüllten Ufersiedlungen geworden waren. Der Motor war fünfzehn PS stark und konnte sechzehn Kilometer pro Stunde schaffen, doch Ingersoll drosselte das Tempo auf die Hälfte. »Zu Fuß wären wir schneller«, knurrte er, obwohl das nicht ganz stimmte. Dixie Clay spielte den Ausguck und suchte die Wasseroberfläche nach ineinander verkeilten Baumstämmen, Strudeln, Hausdächern und Alligatoren ab, wobei Letztere wahrscheinlich die geringste Gefahr darstellten. Wenn sie den Arm hob und zeigte, geschah es sehr behutsam – er sah, wie sie sich verstohlen eine Hand an die Seite legte, und tippte auf gebrochene Rippen. Er wünschte, er könnte ihr einen vernünftigen Druckverband anlegen. Vor dem Einschlafen, als sie ruhig dagelegen und leise geredet hatten, musste sie sich beim Niesen an seiner Hand festhalten, als wäre es schmerzhaft.

Sie hatten fast zwei Kilometer zurückgelegt, als sie ein weiteres Boot entdeckten, das nach Greenville unterwegs war. Ein Mann paddelte eine Frau und zwei Kinder über den Fluss. Er hob das Ruder und wollte anscheinend Nachrichten austauschen, aber Ingersoll nickte nur und tippte sich dorthin, wo seine Hutkrempe hätte sein sollen. Sie hatten nichts zu bieten, keine Neuigkeiten, kein Essen, sie hatten nichts als das dringende Bedürfnis, schnell weiterzukommen.

Nach einem weiteren Kilometer passierten sie zwei tief im Wasser liegende Ruderboote, beide mit Truhen und Koffern von Leuten beladen, die die Sirene der Feuerwache rechtzeitig gehört hatten. Nur einmal sahen sie ein Fahrzeug, das in die entgegengesetzte Richtung unterwegs war, ein sieben oder acht Meter langes Stahlmotorboot, das mit Vorräten beladen war und nach Steuerbord zog. Ingersoll winkte zu dem Mann am Ruder hinüber, offenbar ein Prediger, und sie stellten die Motoren ab. Der Prediger erzählte, er sei nach Greenville gefahren, um in der Zeltstadt eine Kirche einzurichten.

»Die Weißen, die es sich leisten konnten, sind weg. Die Schwarzen hatten keine Wahl und sitzen jetzt in ihren Zelten und packen die Vorräte aus, die das Rote Kreuz gebracht hat. Die haben ihre eigenen Prediger, einen ganzen verrückten Haufen«, sagte er und spuckte braunen Tabaksaft in das tabakbraune Wasser. »Die brauchen mich nicht, deswegen bringe ich alles zurück zu meiner Gemeinde in Semmesville.«

Ingersoll musterte das Boot des Predigers, die Plane, unter der sich Kisten und Kartons abzeichneten. »Das Rote Kreuz teilt Vorräte aus? Gott sei Dank«, sagte er. »Wir brauchen dringend Benzin. Mit dem, was wir haben, werden wir es nicht bis nach Greenville schaffen. Haben Sie was übrig?«

Der Prediger antwortete: »Benzin ist knapp und wird bald noch knapper.«

»Jede Wette«, sagte Ingersoll. »Deswegen sind wir so froh, Sie zu treffen. Könnten Sie vierzig Liter aus dem Kanister da entbehren?« Er nickte zu dem roten Tankstutzen hinüber, der von unter der Plane herausragte.

Der Prediger schwieg und starrte in den Wipfel einer Ulme, die im Wasser dümpelte, übersät von aufgeregt tschilpenden Lerchenstärlingen mit schwarzer Brust. »Sehen Sie sich die Rotkehlchen an«, sagte er, »alle krakeelen: ›Wo sind die verdammten Würmer?‹« Er kicherte.

»Wo Sie doch Benzin übrig hätten und so weiter. Und Sie können weiterfahren und noch mehr besorgen.«

Der Prediger wandte sich lächelnd von dem Baum ab, schob sich die Finger in den weißen Kragen und lockerte ihn. Ingersoll sah den roten Streifen, wo das Kollar zu eng saß. Nie im Leben war das ein Mann Gottes. Ingersoll sah zu Dixie Clay hinüber und wusste, dass sie es ebenfalls wusste.

»Was wollen Sie dafür?«, fragte Ingersoll, ein leises Knurren in der Stimme.

»Für vierzig Liter? Vierzig Liter sind eine ganze Menge, egal ob in einem Hut oder in einem Kanister.«

»Für so was habe ich keine Zeit.« Ingersoll richtete sich zu seiner vollen Größe auf, was den Gesprächsverlauf manchmal veränderte. »Was wollen Sie dafür?«

»Was haben Sie zu bieten?«

Sehr wenig, wie sich herausstellte. Dixie Clay hatte nichts in den Taschen als einen dünnen, mit Wasser vollgesogenen Gedichtband von Longfellow. In Ingersolls Brieftasche steckten acht Dollar. Der Prediger lachte.

Ingersoll trat an die Reling, der Prediger hörte abrupt auf zu lachen und warf den Bootsmotor an.

Wie Ingersoll es hasste. Er rief dem Prediger hinterher: »Warten Sie!«

Der Prediger blickte über die Schulter, ohne das Tempo zu vermindern.

»Ich habe noch was für Sie«, schrie Ingersoll.

Der Prediger stellte den Motor ab. »Hoffentlich was Gutes.«

»Eine Dienstmarke.«

»Zeigen Sie her.«

Ingersoll griff in seine Hosentasche und zog das weiße Futter heraus. Er stützte einen Fuß auf die Bank, neigte den Kopf, löste die Nadel, stopfte das Taschenfutter zurück in die Hose und schüttelte das Bein, und heraus fiel seine Dienstmarke und landete mit einem Platscher auf den Planken. Er bückte sich nach dem silbernen Abzeichen und hielt es in die Höhe. Der Prediger tuckerte wieder heran.

»Werfen Sie es rüber«, sagte er.

»Erst das Benzin.«

Der Prediger drosselte den Motor und hob mit einem Fuß die Plane an, unter der alle möglichen Kanister und Büchsen zum Vorschein kamen. Er hob einen kleinen Kanister an und hielt ihn Ingersoll hin. »Werfen Sie das Abzeichen rüber.«

»Sie zuerst.«

»Gleichzeitig.«

Ingersoll nickte.

»Eins, zwei, drei!«

Ingersoll warf das Abzeichen und fing im gleichen Zug den Kanister auf. Die Marke prallte von der Hand des Predigers ab und fiel klappernd zu Boden. Er ging in die Hocke, hob sie auf und drehte sie lächelnd in der Hand.

»Wir brauchen auch was zu essen.«

Der Prediger steckte die Dienstmarke ein und stand auf. »Das Geschäft ist vorbei«, sagte er und zog die Plane herunter, »also, ähm … Gott segne Sie.« Er legte die Hand ans Ruder.

»Warten Sie.«

Der Prediger blickte interessiert drein, sog die Lippen zwischen die Vorderzähne und schaute zu, wie Ingersoll die andere Hosentasche herauszog, daran herumnestelte und dann das Bein schüttelte. Er hielt eine tropfende kleine Bronzescheibe in die Höhe.

»Was ist das?«

»Meine Tapferkeitsmedaille. Aus Verdun.«

»Lassen Sie sehen.«

»Zuerst das Essen.«

Der Prediger trat die Plane wieder hoch, stöberte herum und stapelte ein paar Pakete auf seinem Sitz. »Salzcracker … Büchsenfleisch … eine Dose Pfirsiche … Weizenkleie.« Er stand auf. »Jetzt geben Sie die Medaille her.«

Ingersoll schüttelte den Kopf. »Erst das Essen.«

Der Prediger warf die Lebensmittel hinüber, Ingersoll fing sie und übergab sie an Dixie Clay. Nachdem sie die letzte Kiste abgestellt hatte, sah sie zu Ingersoll auf, der die Medaille in seiner Hand drehte. Er legte sie sich auf den Daumennagel und schnippte sie in die Höhe. Die Medaille segelte durch die Luft und drehte sich dabei ein paarmal um die eigene Achse. Alle drei legten den Kopf in den Nacken und verfolgten ihre Flugbahn. Am höchsten Punkt funkelte die Bronze trotz der Wolken kurz auf, und dann fiel sie abwärts und landete mit einem Klatschen auf der Handfläche des Predigers, der die Faust darum schloss und johlend in die Höhe reckte.

Ingersoll warf den Motor an und richtete die Bootsnase nach Greenville aus, doch die schlechte Aussprache des Predigers ging nicht ganz im Tuckern unter: »À la gloire des héros de Verdun«, rief er und noch etwas anderes, doch da waren sie glücklicherweise schon um eine Insel aus Baumstämmen herum und außer Hörweite.

»Ingersoll?« Dixie Clay drehte sich im Sitzen um, aber er blickte fest über ihren Kopf hinweg, auf den Fluss und die Stromschnellen.

»Egal«, sagte er schroff. »Ich brauche keine Medaille, um mich zu erinnern.«

»Und die Dienstmarke?«

Er zuckte mit den Achseln. »Mit diesem Leben habe ich abgeschlossen.« Dann senkte er den Blick auf sie, auf ihr argloses, blasses Gesicht mit den vielen Sommersprossen. Er wiederholte den Satz, weicher diesmal: »Mit diesem Leben habe ich abgeschlossen.«

Ihre Zusammenarbeit fand zu einem eingespielten Rhythmus. Sie sagte ihm, wann er nach rechts oder links steuern oder das Tempo drosseln sollte – Ingersoll, die Strömung da vorn sieht gar nicht gut aus. Einmal sah er etwas Großes im Wasser dümpeln und steuerte darauf zu, um es Dixie Clay zu zeigen, aber da merkte er, dass es eine Leiche war, ein toter Mann in einem karierten Hemd, der sich im Schilf verfangen hatte. Ingersoll versuchte, sie für das andere Ufer zu interessieren, aber es war zu spät, sie hatte ihn bereits gesehen.

»Sollten wir …«, fragte sie und gab sich die Antwort selbst: »Nein.« Sie kamen an vier weiteren Leichen vorbei und an einem zertrümmerten Kanu, das in einem Strudel kreiste.

Sie waren nicht in der Lage, sich viel zu unterhalten, aber er spürte ihre Verbundenheit. Wenn er die Wasseroberfläche absuchte, blieb sein Blick immer wieder an Dixie Clays Gestalt hängen, die im Bug stand. Einzelne Strähnen lösten sich aus dem Zopf, den sie einhändig geflochten hatte und der wegen der Kopfwunde lockerer saß als sonst, und angesichts des dicken Zopfs zwischen den zarten Schulterblättern empfand er eine Art Beschützerinstinkt.

Es war zu eigenartig. Er war ein Mann von achtundzwanzig Jahren, hatte den Ozean überquert, im Krieg gekämpft, hatte geschossen und war angeschossen worden; er war über den Ozean zurückgekehrt, um einen anderen Krieg zu führen, und wieder wurde auf ihn geschossen, und wieder schoss er; und oft war er dem Tod in letzter Minute von der Schippe gesprungen. Und doch hatte er erst jetzt und zum ersten Mal das Gefühl, er hätte etwas zu verlieren. Ja, er war – es klang zu albern, aber das machte es nicht weniger wahr – ein neuer Mensch.

Wenn er sie nur früher kennengelernt hätte. Was, wenn er sie nicht mit achtundzwanzig getroffen hätte, sondern mit sechzehn? Dann wäre sie, hm, zehn Jahre alt gewesen. Also gut, vielleicht nicht mit sechzehn, vielleicht ein wenig später. Er wünschte sich, sie wäre früher in sein Leben getreten, denn er fühlte sich so geerdet und stabil wie nie zuvor. Er hätte ihr viel Leid ersparen können, er hätte sie geheiratet, bevor sie jemals in Jesses zweifarbige Augen geblickt hätte, bevor sie eine Schwarzbrennerin geworden wäre, und Willy wäre ihr leibliches Kind.

Lächerlich. Nicht nur das mit Willy, sondern auch der ganze Rest. Denn wenn sie sich in jüngeren Jahren begegnet wären, hätte Dixie Clay ihn nicht gemocht. Auf gar keinen Fall. Ein so hübsches und kluges Mädchen würde sich immer für die Jesses dieser Welt entscheiden. Für die charismatischen, charmanten, eloquenten Männer. Vielleicht hatte sie ihren Traum erst verwirklichen müssen, um zu erkennen, dass es der falsche war. Vielleicht konnte sie einen Mann wie Ingersoll erst dann wahrnehmen. Erschrocken merkte er, dass er unwillkürlich eine Hand gehoben und die Stelle unter seinem Auge berührt hatte, wo das knubbelige Ding – das Hämangiom – gewesen war. Er ließ die Hand fallen. Das Feuermal war schon lange verschwunden, aber er hielt sich immer noch für hässlich. Kümmerte sich nicht um seine Kleidung. Und er war schüchtern – ohne Waffe und ohne Gitarre wusste er kaum, was er mit seinen Händen anstellen sollte, und in seinen Sätzen klafften zu viele stumme Lücken.

Und das war noch nicht alles. Er war irgendwie distanziert. Immer schon hatte er sich gefühlt wie auf der Durchreise. Wenn er irgendwo war, dann immer nur vorübergehend, zeitweise, vorläufig. Manchmal fragte er sich, ob alle Menschen so empfanden. Anscheinend nicht. Andere Menschen waren immer so bemüht umeinander. Er hatte sie nie dafür verachtet, er konnte bloß nicht daran teilnehmen. Warum hatte er sich nie einem anderen Menschen verbunden gefühlt? Hätte er sich anders entscheiden können, besser? Schwer zu sagen. Er war mit Nonnen aufgewachsen, die glaubten, er könne jeden Moment adoptiert werden. Später kämpfte er an der Seite von Männern, die glaubten, er könne jeden Moment getötet werden. Dann nahm er einen Job an, der ein ständiges Herumreisen erforderte, zweiwöchige Aufträge und zweiwöchige Freundschaften. Andere hielten ihn für mutig, aber er selbst kam sich nie mutig vor, weil er die eigene Existenz nicht wertschätzte. Er war nur ein Provisorium. Sogar sein Name. Teddy, so hatten die Nonnen es ins Formular eingetragen. Nicht einmal Theodore, denn schließlich müsste der Name nur drei Tage halten, und seinen richtigen würde er nach der Adoption bekommen.

Und in dieses Leben waren jetzt ein Baby und eine Mutter getreten. Die beiden waren federleicht, aber auf einmal hatte sein Leben Gewicht. Er erinnerte sich an die Gefängniszelle in Hobnob, an die leere Zelle gegenüber und an das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen und unsichtbar zu sein. Bis er Willy und Dixie Clay traf – das wurde ihm jetzt klar –, hatte sich sein ganzes Leben so angefühlt.

Ein ruhiger Flussabschnitt, rechts und links davon Bäche, die in die gleiche Richtung flossen wie Strähnen einer Pferdemähne, durch die ein Kamm gezogen wurde. Es war ein guter Zeitpunkt, um Rast zu machen, aber sie konnten nirgendwo anlegen. Dennoch hatten auch ihre Körper gewisse Bedürfnisse. Ingersoll schaltete den Motor ab. Dixie Clay eilte zum Bug, drehte sich um und hockte sich aufs Dollbord, aber sie hatte nur eine Hand, um ihre Röcke zu raffen und sich gleichzeitig am Bughaken des schwankenden Bootes festzuhalten. Es war zu gefährlich. Ingersoll stieg über die vordere Sitzbank, schlang einen Arm um sie, hielt sie fest und lauschte, während sie Wasser ließ. Er blickte über ihren Kopf hinweg zu einem kleinen Haus hinüber, das ebenso schwankte wie sie. Auf dem Dach saß ein Huhn.

Er zog Dixie Clay zurück ins Boot, hielt kurz inne, duckte sich unter einem Ast weg, der aus einem Chaos aus Baumstämmen aufragte, und kletterte wieder auf seinen Platz am Ruder.

»Ingersoll?«

»Ja?«

»Es tut mir leid, was ich gesagt habe. Dass du ein Krimineller bist und dich bestechen lässt.«

»Ach, ist schon in Ordnung.«

»Nein, ist es nicht. Es tut mir leid, dass ich so was gesagt habe.«

»Wir vergessen das, okay?«

Sie nickte.

Vor Greenville begegneten ihnen immer mehr Boote. Was aussah wie Trittsteine über den Fluss, entpuppte sich als eine Reihe ertrunkener Gänse, die rücklings im Wasser trieben. Sie entdeckten die Pfähle eines verschobenen Docks, Ingersoll fuhr langsamer und drehte bei.

»Sieh mal«, sagte Dixie Clay.

Er hob den Kopf und sah, worauf sie zeigte. Die Wyatt-Brücke hing dicht über dem Wasser und trug ein Schild: Greenville, 15 Kilometer.

Sie würden es schaffen.

Er begann zu summen, und dann wuchsen dem Summen Konturen, und es wurde zu einem Text:

Let me in, please, Charlie: no one here but me;

I’m speaking easy: give me a pint of stingaree.

Er brach den kehligen Gesang ab und fragte: »Kennst du das, Dixie Clay?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Solltest du aber. ›Blind Pig Blues‹ von Barbecue Bob.«

»Sing weiter.«

Blind pig, blind pig, sure glad you can’t see me

For if you could, it would be too tight for me.

»Gefällt es dir?«

»Ja.«

I’m slipping slipping slipping, trying to dodge United States law

I’m loaded down with bootleg, like to make them yammies bawl.

Er verstummte, beugte sich über das Dollbord, um sie von einer Baumkrone abzustoßen, und setzte sich wieder hin.

Dixie Clay drehte sich um. »Weißt du, was?«

»Was?«

»Ich wusste, dass du kommen würdest. Keine Ahnung, woher, aber ich wusste es. Als ich in dem Baum saß und dachte, ich kann nicht mehr, habe ich mir gesagt: Halt durch. Er wird dich finden.«

»Und jetzt finden wir Willy. Wir sind nicht mehr weit entfernt.«

Sie nickte und wandte sich wieder dem Wasser zu. »Wirf eine Packung von den Crackern rüber, Ingersoll. Wir finden unseren Willy.«