Kapitel 12

»Es ist so laut hier«, sagte Jojo mit einem Gähnen, spießte ein Stück Rührei auf ihre Gabel und hob sie zum Mund. »Wieso sind wir nicht in Tante Paiges Restaurant gegangen?« Sie zog die Nase kraus und warf einen bösen Blick zu einem Tisch voller lauter Collegekids, die vermutlich immer noch von gestern Nacht betrunken waren.

»Weil Tante Paiges Bistro heute geschlossen hat, Süße«, sagte Emmett und nahm einen tiefen, dringend nötigen Schluck von seinem Kaffee. Nachdem Zara und er sich geküsst hatten, um das hawaiianische Neujahr einzuläuten, hatten sie sich ins Schlafzimmer zurückgezogen, und er hatte sich noch eine gute Stunde lang ausführlich bei ihr entschuldigt. Dann war er zurück zu Riley und Daisy gegangen, wo die Party langsam zu Ende ging, und war in die obere Koje des Stockbetts geklettert, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Was jedoch nicht ansatzweise genug war.

Jojo war nur ein paar Stunden später durch den Lärm im Haus wieder aufgewacht.

Daisy und Riley, die Armen, waren dank ihrer Kinder schon früh wach. Baby Chelsea war besonders quengelig nach der langen Nacht, und Nick hatte eine übrig gebliebene Partytröte gefunden, in die er beinahe unablässig blies.

Emmett und seine Tochter waren also mit müden Augen und zerknitterten Klamotten zu Zaras Haus hinübergefahren, um sie und Nolan abzuholen. Dann waren sie zu viert – alle mit schweren Lidern und zahlreichen Gähnern – zu Denny’s gefahren, um zu frühstücken.

»Ich habe nichts gegen Denny’s«, sagte Nolan, der sich eine Riesenportion Pancakes bestellt hatte und schon erstaunlich viel davon verputzt hatte. »Ich liebe die Pancakes hier.« Er hob einen ganzen Teigfladen mit der Gabel hoch und machte Anstalten, ihn komplett in seinen Mund zu schieben.

»Ah, ah, ah«, machte Zara und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Erst schneiden, bitte. Du weißt, wie man ein Messer benutzt, Mister, also tu es.«

Nolan verdrehte die Augen, legte die Gabel wieder ab und griff nach seinem Messer. »Naaa gut.«

Emmett verbarg sein Grinsen hinter seiner Serviette. Sie waren in einem gut besuchten Diner in der Innenstadt, mit großen Portionen, genießbarem Kaffee und einer Einrichtung wie in einem alten Soda-Shop: schwarz-weiße Fliesen, mit türkisem Plastik bezogene Bänke und eine große polierte Juke Box in der Ecke. Sie hatten nur fünfundvierzig Minuten auf einen Tisch warten müssen, was für dieses Diner echt nicht schlecht war, erst recht am Neujahrsmorgen.

Das neue Jahr fing auf jeden Fall schon mal gut an.

Es schien endlich bergauf zu gehen.

»Was ist denn dein guter Vorsatz fürs neue Jahr, Nolan?«, fragte Emmett, der sein Frühstück schon aufgegessen hatte. Er legte eine Hand auf das Plastik der Sitzbank und schon sie unauffällig vor, bis er unter dem Tisch Zaras Oberschenkel fand.

Nolan hob den Kopf, den Mund noch voller Pancake. »Was ist denn ein guter Vorsatz?« Er zog verwirrt die Nase kraus.

»Kauen, runterschlucken, dann erst sprechen, bitte«, sagte Zara und legte ihre bandagierte Hand wieder auf Nolans Arm. »Wir sprechen nicht mit vollem Mund.«

Nolan grummelte, kaute, schluckte dann übertrieben dramatisch und nahm einen tiefen Schluck von seinem Kakao. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und stieß ein zufriedenes Ah aus, bevor er sich wieder Emmett zuwandte. »Was ist ein guter Vorsatz?«

Emmett grinste. »Ein guter Vorsatz ist etwas, was du dieses Jahr gern tun würdest und was du letztes Jahr nicht getan hast. Etwas, was du erreichen oder in dem du besser werden möchtest. Zum Beispiel, wenn du letztes Jahr nur zwanzig Bücher gelesen hast, könnte dein guter Vorsatz sein, dieses Jahr dreißig zu lesen. Oder vielleicht willst du dieses Jahr öfter die Treppe nehmen statt immer den Aufzug.«

»Wie wäre es damit: Letztes Jahr habe ich die ganze Fußballsaison nur drei Tore geschossen, dieses Jahr will ich fünfzig schaffen?«, fragte Nolan und schob sich mit dem Finger einen kleinen Berg Sahne in den Mund.

»Fünfzig sind echt viele«, sagte Jojo, die sich Rührei, Speck und einen Erdbeer-Milchshake bestellt hatte. Emmett war viel zu müde, um irgendwelche Frühstücksregeln durchzusetzen. Solange seine Tochter einen vollen Magen hatte, glücklich war und nicht vor Müdigkeit ausrastete, war er zufrieden. Außerdem, Erdbeeren waren doch Obst, oder? Wen kümmerte es, ob sie in einem Milchshake waren?

Nolan wandte sich Jojo zu. »Stimmt, aber das ist mein guter Vorsatz. Was ist deiner, Josie?

Emmetts Tochter nahm ein Stück extrakrossen Speck von ihrem Teller und runzelte nachdenklich die Stirn. Emmett konnte die Rädchen in ihrem Kopf regelrecht rattern sehen. Sie aß den Speck auf, schleckte dann ihren Zeigefinger ab und hielt ihn in die Luft. »Mein guter Vorsatz ist, dass ich jeden Tag etwas Nettes für jemanden tue.«

Emmetts Herz explodierte beinahe in seiner Brust.

Er drückte Zaras Oberschenkel. Sie legte ihre Hand auf seine und drückte zurück. Ihr Blick wanderte langsam von den Kindern zu Emmett, bis ihre Blicke sich fanden.

Ihre Lippen zuckten, dann auch seine.

»Ohh«, sagte Nolan. »Das ist ein toller Vorsatz. Kann ich den auch nehmen?« Er drehte sich zu Zara und Emmett, die sich nun tief in die Augen sahen, ohne ein Wort zu sagen. »Kann ich zwei gute Vorsätze haben?«

»Klar«, erwiderte Jojo. »Du kannst bestimmt fünfzig haben oder so.«

»Ist Jojos Dad jetzt dein neuer Freund, Mom?«, fragte Nolan und wechselte damit mal wieder schneller die Spur als ein Formel-Eins-Fahrer.

Zaras Körper begann zu beben, was den Bann zwischen ihr und Emmet durchbrach. Er hob den Blick von der Frau, der er so sehr verfallen war, obwohl sie sich wortwörtlich erst seit vierundzwanzig Stunden kannten, und sah, dass ihr Sohn sie an der Schulter schüttelte.

»Mom, ist er dein neuer Freund?«

Emmett konnte Zara schlucken hören. Ihre Hand auf seiner spannte sich an.

»Nein, ist er nicht. Neue Freunde von Mommys sind nämlich beknackt«, sagte Jojo. »Der neue Freund von meiner Mom ist sooo beknackt.«

Wo zur Hölle hatte sie dieses Wort gelernt?

»Josephine«, rügte Emmett. »Solche Wörter benutzen wir nicht. Wir sagen nicht, dass jemand beknackt ist.«

Seine Tochter senkte den Blick auf ihren Teller. »Tut mir leid, Daddy. Aber ich mag Huntley nicht. Und du bist viel besser als Huntley.«

»Der Typ heißt Huntley?«, fragte Zara leise. »Heißt so nicht auch der Hund aus Coco der neugierige Affe

»Der Hund heißt Hundley«, erwiderte er ebenso leise. »Den Fehler habe ich das erste Mal auch gemacht.«

Zara nickte knapp. »Oh.«

»Aber Shane, der neue Freund von meinem Dad, war gar nicht beknackt. Und jetzt ist er mein Papa«, warf Nolan ein. »Ich glaube nicht, dass alle neuen Freunde beknackt sind. Nur der von deiner Mom.« Er sah Jojo an, beide Kinder trugen viel zu ernste Mienen für ihr Alter. »Ich bin mir sicher, dass dein Dad nicht so sein wird wie Huntley.« Er runzelte verwirrt die Stirn. »Ist das nicht der Dackel aus Coco der neugierige Affe

»Du meinst Hundley, Liebling«, korrigierte Zara.

Doch Nolan schien mit den Gedanken schon wieder woanders zu sein, er nahm einen Schluck von seinem Schokomilchshake und beobachtete den Schneepflug draußen vor dem Fenster.

Jojo hingegen machte immer noch einen verwirrten Eindruck, sie spielte geistesabwesend mit ihrer Gabel herum.

»Was ist los, Jojo-Maus?«

Sie hob den Kopf und blinzelte Emmett aus müden blauen Augen an. »Ich will nicht, dass du so wirst wie Huntley.«

Er legte ihr einen Arm um die Schultern und lachte leise. »Oh, Süße. Darüber brauchst du dir überhaupt keine Sorgen zu machen. Ich werde niemals so sein wie Huntley.«

»Versprochen?« Sie streckte ihm ihren kleinen Finger hin.

Er verschränkte seinen Finger mit ihrem. »Versprochen.«

Sie verzog die Lippen zu einer schmalen Schmollschnute. »Hoffentlich denkst du diesmal an dein Versprechen. Du hast mir nämlich auch versprochen, mich für den Countdown zu wecken, und das hast du einfach vergessen.« Sie hielt seinen kleinen Finger noch fester und sah ihn böse an. »Du hast versprochen, mich aufzuwecken, und hast es nicht getan.«

Ja, mit dem Thema schlug er sich schon den ganzen Morgen herum. Jojo ließ ihn nicht so leicht damit davonkommen.

Er hielt den kleinen Finger seiner anderen Hand hoch und Jojo hakte auch den sofort unter. »Das tut mir wirklich leid, Jojo-Maus. Du hast einfach so friedlich geschlafen.«

»Ich wette, ein Stück Schokotorte würde mir dabei helfen, dir schneller zu verzeihen«, sagte sie, wobei sich ihre Schnute in ein breites Grinsen verwandelte.

»Oh, der Plan gefällt mir«, mischte sich Nolan ein. »Mom, ich bin auch immer noch enttäuscht, dass ich nicht bis zum Countdown wach bleiben durfte. Krieg ich auch ein Stück Torte?«

Emmett und Zara schnaubten beide und lächelten ihre frechen Kinder an.

»Schokotorte, hm?«, fragte Emmett, die kleinen Finger noch immer mit Jojos verschränkt.

Sie nickte eifrig mit großen Augen. »Ja!«

Passenderweise kam genau in diesem Moment der Kellner an ihrem Tisch vorbei, und Emmett winkte ihn zu sich. »Können wir bitte zwei« – er warf Zara kurz einen fragenden Blick zu, woraufhin sie nickte – »ja, können wir bitte zwei Stücke von der Schokotorte bekommen?«

Die Kinder schnappten begeistert nach Luft und brachten Zara damit zum Lachen.

»Mit einer Extraportion Sahne, bitte.«

Der Kellner nickte und verschwand dann Richtung Küche.

Nolan reckte die Faust in die Luft, und Jojo ließ Emmetts kleinen Finger los, hüpfte in ihrem Sitz auf und ab, ein gigantisches Strahlen im Gesicht. »Okay, ich verzeihe dir. Und du darfst auch der neue Freund von Nolans Mommy sein.«

Emmett hob den Kopf und sah über den Tisch hinweg zu Zara. Er wusste schon jetzt, dass er nie genug von ihren lebhaft funkelnden Augen bekommen würde. »Danke, Süße.« Dann wandte er den Kopf, um Nolan anzusehen. »Was meinst du, Nolan? Darf ich der neue Freund deiner Mom sein? Wäre das okay für dich?«

Nolan runzelte kurz die Stirn und nickte dann mit einer Coolness, die Emmett einem Kind in dem Alter nie zugetraut hätte. »Klar, das ist cool.«

Zara kicherte, und Emmett musste sich beherrschen, nicht in ihr Lachen einzufallen. Stattdessen lächelte er den Jungen an und wandte seinen Blick dann der schönsten Frau im ganzen Restaurant zu. »Ich fände das auch ziemlich cool.«