SECHSTER TAG

Eine Tür schlug zu. Die Wohnungstür, dem Klirren der Sicherheitskette nach zu schließen. Meine Sinne lösten sich aus der Benommenheit, die knisternde Rückkehr zur Farbe nach dem Gleißen eines Blitzlichts. Eine sterbende weißorange Sonne. Nein, nicht sterbend, sondern heller, selbstgerechter Morgen.

Die Katze und ich sahen auf, dann sah ich die Katze an. Sie lag am Fußende wie eine wachende Sphinx. Am Abend zuvor hatte ich ihr Gelegenheit gegeben, auf Streifzug zu gehen, aber statt sofort zu verschwinden, hatte sie auf eine Weise gezögert, die mich tief verunsicherte. Müde und betrunken hatte ich beschlossen, sie drin zu lassen. Und hier waren wir nun beide.

Und noch jemand. Irgendwer war in der Wohnung. Sicher die Putzfrau, und der Gedanke widerte mich an. Hatte es schon mal einen Moment gegeben, in dem wir uns stressfrei begegnet waren? Nein – jedes Mal, wenn ich sie sah, hatte ich mich schrecklich gefühlt. Erstarrt wartete ich auf das nächste Geräusch, aber es kam keins. Die Zimmertür stand einen Spalt offen. Ein Streifen vom stillen Flur war zu sehen.

Ich schlug die Decke zurück, schlich barfuß zur Tür und horchte. Die Stille sirrte mir in den Ohren. Keine absolute Stille – da war das unentwegte Atmen der Stadt. Doch in der Wohnung regte sich nichts. Die Stille war raumgreifend, sickerte ins Schlafzimmer wie Trockeneis.

Die Katze auf dem Bett hatte die Augen meditativ geschlossen. Dann öffnete sie sie plötzlich, stand auf, sprang vom Bett und lief zur Balkontür, strich am Türrahmen hin und her.

Über die kalten Holzdielen tappte ich zu ihr hinüber.

»Willst du kein Frühstück?«, fragte ich leise. »Keine leckeren Dosenhäppchen?«

Sie sah fordernd zu mir auf. Ich drehte die schmiedeeisernen Griffe der Fenstertür, die sich, etwas verquollen, gegen das Öffnen sperrte und in meiner Hand vibrierte. Die Katze sprang auf die Balkonbrüstung und schlüpfte hinüber – zuerst dachte ich, sie spränge mit einem Satz die zwei Stockwerke hinab. Ich beugte mich vor und sah, dass sie auf einem Sims gelandet war, der sich zwischen den Stockwerken hinzog. Von dort aus sprang sie auf den Balkon direkt unterhalb und dann auf den Windfang des Hauseingangs.

Der frische Windzug machte mir bewusst, dass ich nur mit Boxershorts bekleidet auf dem Balkon stand. Prompt meinte ich schon, entrüstetes Frauengeschrei und Sirenen zu hören. Ein Paar Schuhe stand auch noch da, dasjenige, das im Regen durchweicht worden war. Ich duckte mich zurück ins Zimmer und zog die Hose an, die verknittert am Boden lag, und die Socken, die aus den Hosenbeinen fielen. Dann probierte ich die Schuhe an. Sie waren trocken.

Jetzt erinnerte ich mich deutlich an den Vorabend. Ich hatte getrunken, das schon, aber moderat im Vergleich zum Abend davor. Ich hatte auf dem Sofa gesessen, CNN geguckt, Wein genippt und Reste aus dem Kühlschrank verputzt. Die Katze hatte neben mir gelegen, auf der Seite, und ihr Katzenlächeln gelächelt. Vergangene Ereignisse fügten sich jetzt zu einem überschaubaren Ablauf zusammen. Es hatte zwei Katzen gegeben. Eine hatte eine weiße Schwanzspitze, die andere nicht. Eine war die aktive, unternehmungslustige gewesen, die gerne mit Korken spielte und Wein schleckte; die andere war braver, träger. Erst jetzt, nachdem eine tot war, erkannte ich die Unterschiede in ihren Persönlichkeiten und dass sie überhaupt Persönlichkeiten hatten, auch wenn sie keine Menschen waren; sie waren mehr als Automaten. Wie die übrig gebliebene Katze da eben rausgewollt hatte – so plötzlich, dringend, zur falschen Tageszeit –, das war seltsam, und es zeugte eindeutig von Persönlichkeit.

Sobald gestern die Sonne untergegangen war, hatte ich mich todmüde gefühlt, obwohl ich mich den ganzen Tag nicht aus der Wohnung gerührt hatte. Bevor ich schlafen ging, hatte ich mich aber noch an die Pornos und die Unordnung im Schlafzimmer erinnert. Ich verbrachte einen kathartischen Moment mit einem der Hefte und räumte sie dann auf, akkurat nach Datum geordnet. Als ich das Bett an die alte Stelle zurückgeschoben hatte – exakt auf die vier Abdrücke auf dem Holzboden justiert –, war ich so erschöpft, dass ich mich sofort hineinfallen lassen, in den Schlaf flüchten wollte. Doch ich musste ja noch die Katze rauslassen, die auch mit mir zur Tür kam, dann aber nicht gehen wollte, sondern in dieser typischen Katzenart zurückwich, so entschieden, wie Magneten einander abstoßen. Ich hatte keine Lust, mich auf einen Machtkampf mit dem Tier einzulassen, das sich so schmeichelnd um meine Beine wand, und ließ es einfach gewähren.

Ich war immer noch müde, aber der Adrenalinstoß vom Türenknallen hatte sich inzwischen verflüchtigt. Meine Muskeln und Gelenke fühlten sich wie ausgehöhlt an, schwach wie Strohhalme. Aus Küche und Wohnzimmer drang nach wie vor kein Laut. Entweder war die Putzfrau gegangen, und ich hatte nur ihren Abschiedsschuss gehört, oder sie war noch da und lag auf der Lauer.

Vorsichtig trat ich in den Flur hinaus. Die Wohnung war anscheinend leer. Ich schlich weiter zum Wohnzimmer. War sie überhaupt da gewesen? Besonders geputzt sah es nicht aus – das leere Weinglas stand noch auf dem Couchtisch, neben dem Teller mit den Käserinden und Wurstpellen.

Doch irgendwas war anders – ich war gerade daran vorbeigegangen, auf der anderen Seite der gläsernen Trennwand zur Küche. Zuerst fiel mir das Zeitungspapier auf, das über die Kante von Oskars Küchentresen herabhing. Das, was darauf drapiert war, hob sich so wenig ab, dass ich es beinah übersehen hätte – die Katzenleiche. Auferstanden, wenn schon nicht aus dem Grab, so doch aus dem Müllschlucker.

In einer Art Trance trat ich an den Küchentresen. Die Katze war jetzt mindestens vierundzwanzig Stunden tot, und ich wagte nicht, allzu tief einzuatmen. Wie weit war die Verwesung schon fortgeschritten? Vorsichtig testete ich die Luft. Ein schwacher Müllgeruch.

Gut, die Katze war noch nicht zerfallen, aber sie sah auch nicht so aus, als ob sie gleich aufspringen würde. Sie war schmutzig, mit Kaffeesatz gesprenkelt, das Fell struppig und zerdrückt, der Schwanz ein armseliger Fetzen. Eins der Hinterbeine war unbequem unter dem Bauch verdreht. Augen und Schnauze standen ein wenig offen. Sie wirkte viel kleiner, als ich sie in Erinnerung hatte, irgendwie platt. Die Schulterknochen ragten deutlich hervor, und der Bruch des Rückgrats hob sich in der unnatürlichen Linie der Wirbel hervor. Das Blut um die Nase war zu kleinen dunklen Kristallen geronnen, die in den kalten Härchen hingen.

»Jesus«, sagte ich. Beklommen dachte ich an religiöse Bilder, mit ihrer penetranten Detailbesessenheit in der Darstellung des Leidens Christi oder der Märtyrerqualen. Mit dem toten Ding vor mir konnte ich diese sadistische Pedanterie besser verstehen. All die grotesken Details – die hervorstehende Schulter, die Unzulänglichkeit des Fells, das die graue, papierene Haut darunter nicht mehr verbergen konnte –, all diese augenfälligen Merkmale der Zerstörung erschwerten den Blick auf das Wesentliche.

Wahrscheinlich war die Putzfrau am Auffangkübel des Müllschluckers gewesen – eine Vorstellung, die ich mir lieber nicht weiter ausmalen wollte –, um die Katze herauszufischen. Dann hatte sie sie in Zeitungspapier gewickelt und sie mir hierhin drapiert. Warum? Um mir eins auszuwischen? Oder weil diese Art von Müll nicht in den Müllschlucker gehörte? Wenn sie mich des Katzenmordes bezichtigen wollte, wieso machte sie mir dann keine Szene? Stattdessen hatte sie die Leiche einfach abgelegt und war geflüchtet. Normalerweise waren es die Katzen, die den Leuten tote Viecher hinterließen. Wie würde es einer Katze vorkommen, selber so behandelt zu werden? Vielleicht hätte sie das genau richtig gefunden.

Auf jeden Fall war diese neue Entwicklung wohl kaum als wohlmeinender Akt seitens der Putzfrau zu interpretieren. Sicher hatte sie mir keinen Dienst erweisen wollen (»Sie haben das hier fallen lassen«). Nein, das war ganz klar eine Rüge – entweder für den Mord an der Mieze oder für die pietätlose Entsorgung oder für irgendeine Missachtung der hiesigen Abfallbeseitigungsvorschriften. Allerdings lenkten all diese Überlegungen nur von der Tatsache ab, dass eine tote, aus der Mülltonne gefischte Katze auf Oskars Küchentresen lag. Und ich hatte so meine Zweifel, was die Herkunft und Sauberkeit der Zeitung betraf, auf der das Viech ausgebreitet war, ganz zu schweigen von ihrer Eignung als Unterlage. Und wenn da nun etwas … durchsickerte? Die Edelstahlplatte hatte zwar etwas Autopsietaugliches, aber so aseptisch sie auch wirken mochte, es war einem doch nicht ganz wohl dabei, sein Essen auf einem Sektionstisch zuzubereiten.

Keine Frage, der Kadaver musste verschwinden. Und das schnell. Natürliche Fäulnisprozesse, die Mikroben und Gase und Flüssigkeiten freisetzten, schritten unerbittlich voran. Zweifellos waren diese Prozesse faszinierend, vielleicht sogar ästhetisch, wenn von einem BBC-Team gefilmt und mir in mein Wohnzimmer gesendet, aber man konnte ihnen nicht erlauben, ihre Magie in Oskars Küche zu entfalten. Einen Moment lang war ich versucht, das Ding einfach noch mal in den Müllschlucker zu werfen, doch ich entschied mich dagegen, denn ich wollte es keinesfalls riskieren, dass die tote Katze hier noch einen weiteren Auftritt hinlegte. Diese Wiederkehr war schlimm genug, eine zweite durfte es nicht geben. Es galt, eine endgültige Lösung zu finden, außerhalb des Einflussbereichs der Putzfrau.

Zunächst einmal musste das Viech von der Arbeitsfläche runter. Ich holte eine Mülltüte aus dem Schrank und breitete sie am Boden aus. Dann packte ich die Zeitung an den Seiten, hob die Katze wie auf einer Trage an und setzte sie auf der Mülltüte ab. Dort wirkte sie auch nicht besser aufgehoben, die arme, vernichtete Kreatur, aber wenigstens musste ich kein Nässen mehr befürchten.

Was tun? Eine dunkle Gasse vielleicht, in der ohnehin schon genug Unrat herumlag und ein weiterer Müllsack nicht groß auffallen würde. Aber diese Gasse war vorerst rein abstrakt – ich kannte nur einen solchen Ort hier, die Seitengasse an der pockennarbigen Museumsmauer, doch die tote Katze bis ins Stadtzentrum zu tragen, kam gar nicht infrage. Ich hatte sowieso keine Lust, sie irgendwohin zu tragen, geschweige denn, lange mit ihr herumzuwandern, auf der Suche nach einem geeigneten Abladeplatz. Eigentlich kannte ich ja noch recht wenig von der Stadt, hatte noch kaum ihr öffentliches Gesicht erforscht, geschweige denn ihre verschwiegenen Winkel. Meine Exkursionen waren bisher immer eher hastige Angelegenheiten gewesen, ohne die Muße, alles zu beobachten und zu entdecken.

Abgesehen von meinem Spaziergang zum Kanal. Der Gedanke an den Kanal war wie das Anheben eines Riegels: eine Tür schwang auf. Der Kanal. Wie viele tote Katzen er wohl schon aufgenommen hatte? Und Hunde und Ratten und vermutlich auch Menschen. Ein Platsch, ein langsames Umwälzen, und dann hinab in das erinnerungslose dunkle Nass, mit ein paar kleinen Wellen zum Abschied. Ja, der Kanal erschien mir vielversprechend. Ich freute mich darauf, ihn wiederzusehen.

Ich nahm noch eine Mülltüte, um die Katzenleiche aufzuheben, ohne das leblose Fellbündel zu berühren. Seine schwere Kälte war noch durch das Plastik zu spüren. Dann stülpte ich die Tüte – sehr geschickt, wie ich fand – über den kleinen Körper. Vor lauter Selbstzufriedenheit ob dieses hygienischen Manövers unaufmerksam geworden, quetschte ich die Tüte zu, um die Luft hinauszulassen, und bekam einen vollen Schwall Müllschluckergestank direkt ins Gesicht, ein Gestank, dem jetzt noch etwas zusätzlich Ekliges anhaftete … Oder bildete ich mir das nur ein? Wie auch immer, es drehte mir den Magen um und trieb mir die Tränen in die Augen.

Die Tüte haftete jetzt dicht am Rückgrat der Katze – mit einem Knick an der Stelle, wo die Wirbel vom Klavierdeckel zerschmettert worden waren, einem Klavierdeckel, der nicht hätte offen stehen dürfen. Das war meine Schuld gewesen. Aber genau da hatte Oskar angerufen – ein bisschen früher oder später, und der Deckel wäre zu gewesen. Ich knotete die Tüte fest zu. Dann sprühte ich eine großzügige Menge Reinigungsschaum auf die Arbeitsplatte und wischte sie blitzblank. Es kam mir vor, als hätte ich immer noch den schrecklichen Geruch aus der Tüte in der Nase, und ich war froh über die scharfen Zitrusdünste, die mir kribbelnd bis in die Nebenhöhlen stiegen. Wenn ich vom Kanal zurückkam, würde ich hier volle Kraft voraus mit der chemischen Keule über den Boden gehen, mit absolut allem, was Oskars Arsenal zu bieten hatte. Der Gedanke an Ausmerzung war tröstlich. Die Katze, die sachte ins Wasser glitt, der Fleck, der sich aufschäumend vom Holz löste, dank irgendeiner magischen Eigenschaft der Chemie.

Ich blickte auf die Tüte hinab. Konnte man von außen erkennen, was sie enthielt? Diese Rückgratkrümmung – sagte sie deutlich: »Katze«? Oder genauer: »Tote Katze«? Für mich sah es nach Katze aus, aber ich wusste ja schon, was drin war. Die Kopfform zeichnete sich nicht ab … Ich sah, dass ich die Tüte halb auf dem Weinfleck abgesetzt hatte, sodass der bläulichrote Fleck wie eine Blutlache wirkte – ein bisschen wie eine Szene aus einem Mafiafilm, komplett mit schwarzem Leichensack, in dem das Opfer geduldig auf die gemächliche Fahrt zum Leichenschauhaus wartete, während Experten die Blutspuren und die Flugbahnen der Kugeln begutachteten. Tja, Spuren: Sie würden die Vergangenheit aufleben lassen, die flüchtigen Momente zurückholen, das Geschehen anhand der Überbleibsel rekonstruieren. Die Vorstellung, reinen Tisch zu machen, war pures Wunschdenken, irgendetwas blieb immer zurück, irgendein sprechendes Detail, das nicht aufhören würde zu reden, bis die Wahrheit ans Licht kam. Wenn man diese Bahnen zurückverfolgte, erwartete man stets einen Schuldigen am anderen Ende. Selbst wenn es keinen Schuldigen gab.

Verrückt, dachte ich, während mir diese Dinge im Kopf herumgingen. Vielleicht war ich verrückt geworden vor Einsamkeit, heimgesucht von dem kleinen, pelzigen Schauergespenst des Todes. Auch dieser Gedanke zeugte nicht gerade von geistiger Gesundheit – wer wurde denn schon verrückt nach weniger als einer Woche Alleinsein? Und nicht mal vollkommen allein. Die tote Katze war es, die mir so morbide Gedanken eingab. Ihre Anwesenheit erfüllte den Raum mit einer Art karmischer Radioaktivität, welche die ganze Wohnung bis in die letzten Winkel durchdrang. Kein Wunder, dass die andere Katze so eilig geflüchtet war, als sie Wind davon bekam, was die Putzfrau hereingebracht hatte.

Ich holte tief Luft, doch es schnürte mir die Kehle zu, und das Ausatmen klang wie ein Winseln. Dann hob ich die Tüte an ihrem verknoteten schwarzen Hals auf und spürte wieder ihr eigenartiges Gewicht, nicht direkt schwer und doch bleiern, zu Boden ziehend. Noch einmal atmete ich durch, packte die Tüte, marschierte zur Tür hinaus, schlug sie hinter mir zu und hastete die Treppe hinab. Nicht noch einmal würde ich den Fehler machen, zu lange zu warten und den richtigen Moment zu versäumen. Wenn ich mich beeilte, würde ich aus dem Haus heraus sein, bevor die Putzfrau mich abfangen und die Tüte sehen konnte – die ich, wie mir erst jetzt einfiel, ebenso gut in meiner Reisetasche hätte verstecken können. Aber nun war ich schon draußen, auf dem abgetretenen Gehsteig, und die Haustür fiel hinter mir ins Schloss, während die Tüte mir in widerlicher Weise gegen die Beine schwang. Von der Putzfrau keine Spur. Sie hatte mich verpasst, oder ich sie. Es war ein strahlender Tag, die lackierte Tür glänzte in der Sonne, die Messingklinke blitzte, selbst das stumpfe graue Metall der Klingelanlage schimmerte wie die Knöpfe auf der Livree eines Hotelpagen.

Die Straße war momentan menschenleer, und doch spürte ich einen Anflug von Verfolgungswahn. Was stand ich hier herum? Erneut war ich ins Träumen geraten, anstatt zügig zu handeln. Je eher diese unerfreuliche Angelegenheit erledigt war, desto besser. Ich machte mich auf den Weg zum Kanal, und hin und wieder pendelte mir die Tüte seitlich ans Knie.

In meiner Erinnerung war der Kanal schwarz wie eine Pechsträhne in einem Kohleschacht. Jetzt, auf den zweiten Blick, sah das Wasser heller aus, aber nicht frischer – milchig grau, ungesund, gesäumt von regenbogenfarbenen Ölschlieren. Trotz des schönen Wetters war niemand auf dem Saumpfad – keiner der Jogger, Radler oder optimistischen Angler, die einen englischen Kanal beleben würden. Langsam ging ich den Pfad entlang und versuchte so zu tun, als wäre ich einfach nur ein Spaziergänger. Der Schweiß brach mir aus und ließ den schwarzen Plastikknoten in meiner Hand rutschig werden. Das einzig Lebende weit und breit waren die ruppigen Unkrautbüschel, die aus dem bröckelnden Mauerwerk und den geborstenen Steinplatten quollen, und der unbegreiflich algige Schaum, der sich am Ufer abgesetzt hatte. Ich suchte den Boden vor mir nach irgendetwas ab, mit dem ich den Sack beschweren könnte. Wenn ich mir vorstellte, wie ich ihn ins Wasser warf, sah ich ihn mit einem Platsch landen und sich langsam um sich selbst drehen, während er sich allmählich in seine neue Umgebung einfügte, seinem Gewicht nachgab und versank, von kleinen Wellen verschluckt … Dann wieder sah ich ihn auf der Oberfläche dahintrudeln, ein neues, schwarzes Inselchen, das in dem grauen Wasser schaukelte, ein Auswuchs der Schuld, der sich meiner Kontrolle entzog, ein Indiz … Natürlich waren die Chancen gering, dass jemand darauf stoßen könnte, doch ich verließ mich nicht auf mein Glück. Nein, der Sack musste sinken, ganz und gar abtauchen. Ich brauchte ein Gewicht.

Je länger ich dem Kanal folgte, desto klarer wurde mir, dass ich ihn in meiner Erinnerung idealisiert hatte. Ich dachte, der Pfad wäre mit Steinen übersät, stattdessen lag aber nur allerlei Unrat herum, nichts davon schwer genug, um den Sack zu versenken. Holzsplitter, altersbraune Styroporklümpchen, Joghurtbecher, Limodosen, gebrauchte Kondome. Der Arm einer Schaufensterpuppe, mit fingerloser Hand. Ein wurmstichiges Taschenbuch ohne Deckel.

Nach einiger Zeit stieß ich auf ein kurzes, rostiges Eisenrohr, das mir zweckdienlich schien. Es war sicher schwer genug, und es ließ sich leicht am Plastiksack festbinden. Kaum war das getan, konstatierte ich überrascht, dass alle Vorbereitungen abgeschlossen waren und diese Stelle sich so gut wie jede andere für den letzten Akt eignete. Schnell sah ich mich um, ob auch keiner zuschaute. Der Pfad war in beiden Richtungen leer, und die wenigen Fenster, die darauf hinabblickten, waren traurige tote Höhlen, vergittert, teils mit ausgeschlagenen Scheiben, wie Schachbretter des Ruins. Ich schleuderte die Eisenstange mit dem Sack in hohem Bogen in die Mitte des Kanals. Sie trafen mit einem größeren Platsch auf, als ich erwartet hatte, und der Sack versank, tauchte prompt als hässliche schwarze Blase wieder auf, ganz genau, wie ich es mir vorgestellt hatte, und wurde dann von der Eisenstange hinabgezogen. Ich sah zu, wie die konzentrischen Ringe sich auf dem Wasser ausbreiteten, und dachte an einen ekelhaften schwarzen Frosch mit einem auf- und abschwellenden Kropf unter dem Maul. Diese Blase war ein kleines Stückchen Atmosphäre, das im Kanal gefangen war. Wie lange würde es dauern, bis das Plastik sich zersetzte, die Luft heraussickerte und das kleine Tauchobjekt bis auf den Grund sank?

Ich hätte den Sack ja auch anstechen können, fiel mir ein, damit die Luft schneller austrat, aber damit hätte ich Geruch riskiert, und das ging gar nicht. Trotzdem befielen mich nun Zweifel, ob die Katzenleiche, allzu lange vor dem Wasser geschützt, überhaupt ordentlich verwesen würde. Oder würde sie vielleicht mumifizieren, wie ein ägyptisches Tempeltier in einem kleinen Haushaltshygienesarkophag? Doch so lange würde es wohl nicht dauern, bis das Wasser sie erreichte … Möglicherweise war der Kanal aber auch so vergiftet, dass er wie Einbalsamierungsflüssigkeit wirkte, sodass die Katze doch noch um die Chance betrogen würde, sich geruhsam in Mikrobenschleim aufzulösen.

All das Grübeln über den weiteren Fortgang der Katze erfüllte mich mit nagenden Schuldgefühlen. Besser, das ganze Debakel jetzt erst mal zu vergessen – die Katze war weg, keine Katze mehr, überhaupt nichts mehr, nur noch abstrakt vorhanden, als Erinnerung. Meine rechte Hand war immer noch feucht vom Umklammern der Tüte. Die Wellen hatten sich geglättet, der Kanal hatte seine stagnierende Ruhe wieder. Man konnte nicht mehr sehen, an welcher Stelle der Sack versunken war. Alles war still. Selbst das Hintergrundrauschen der Stadt war verstummt.

Ich gelobte mir, den Kanal nie wieder aufzusuchen. Ende, aus, amen. Für immer würde ich ihm den Rücken kehren. Weiter vorn erspähte ich eine Treppe in der Kanalmauer, die zur Straße hinaufführte. Obwohl ich am Kanal entlang zurückgehen würde – gezwungenermaßen, da ich mich sonst unweigerlich verlaufen würde –, brauchte ich wenigstens nicht mehr dem Saumpfad zu folgen.

Oben auf Straßenhöhe war keine Straße. Die Stufen führten hinauf zu einer ausgedehnten Brachfläche, auf der das Unkraut spross. Einen schrecklichen Moment lang dachte ich, die Stadt wäre verschwunden – wäre durch irgendeine Katastrophe von der Erde gefegt worden, während ich unten am Kanal war. Wie lange hatte ich mich dort aufgehalten? Wie weit war ich gelaufen – etwa bis jenseits der Stadtgrenze? Doch in der Ferne sah ich Gebäude, einen lang gestreckten, fabrikartigen Backsteinbau, dunkel und verfallen, dahinter eine Reihe Güterwagen. Weitere niedrige Gebäude verschwammen im Sommerdunst am Horizont. In der Richtung, aus der ich gekommen war, stand noch eine öde Industrieruine mit zerbrochenen Fenstern und wucherndem Grünzeug in den Rinnsteinen. Stille und Staub erfüllten die Luft.

Ich schlug den Rückweg ein, dem Lauf des Kanals folgend, ein Patchwork verschiedenster Materialien unter den Sohlen: wacklige Ziegel im Fischgrätmuster, Kopfsteinpflaster, schiefe graue Betonplatten, festgestampfte nackte Erde. Die Substanz der Stadt hatte sich verändert, während ich am ewig gleichen Kanal entlangwanderte, und ich hatte nichts davon gemerkt. Die Augen gesenkt, auf der Suche nach ballasttauglichem Abfall, hatte ich den Wandel der Stadtsilhouette verpasst.

Nichts bewegte sich, außer mir und den Staubwölkchen, die ich im Gehen aufwirbelte. Die Sonne stand im Zenit. Auf der anderen Seite des Kanals ragten drei Kräne auf, die Arme erhoben, als wollten sie die Augen vor dem grellen Licht abschirmen. Der alte Backsteinbau vor mir, sechs Stockwerke ausgeschlachtete Fabrik, von einem rohen Betongerippe abgestützt, reichte bis an den Kanal, sodass ich nicht weiter am Wasser entlanggehen konnte, ohne auf den Saumpfad abzusteigen. Die Alternative, für die ich mich entschied, bestand darin, vom Kanal abzubiegen und tiefer ins Industriegebiet vorzudringen. Eine Art Durchgang, parallel zum Kanal, öffnete sich in kurzer Entfernung; ich befürchtete nur, den Wasserlauf aus den Augen zu verlieren und damit die Orientierung einzubüßen. Aber die Sonne schien hell, und die Stille hier wirkte wenig bedrohlich – Angreifer würden sich doch wohl einen Platz aussuchen, an dem es Leute anzugreifen gab. Und hier gab es niemanden.

Der parallele Durchgang war breit genug, um als Straße gelten zu können, nur dass das Wort »Straße« eine Art Leben oder Zielstrebigkeit voraussetzte, die hier gänzlich fehlten. In der Mitte verliefen Gleise, in das Kopfsteinpflaster eingelassen wie Trambahnschienen, aber völlig versandet, sicher jahrzehntelang nicht mehr in Betrieb. Die nüchternen Mauern der Gebäude waren mit Botschaften in mannshohen, abblätternden weißen Lettern verziert, die unterhalb der Dachtraufe entlangliefen. In England wären das die Namen der Firmeneigentümer gewesen – hier aber waren es vermutlich sozialistische Parolen, ihrer Bedeutung beraubt durch das Hinschwinden der Arbeiterschaft und der Produktion. Massenhaft Müll war zu beiden Seiten an den Wänden aufgestapelt – unidentifizierbare rostige Maschinenteile, zerbrochene Paletten, amorphe Haufen von Aktenordnern, die sich in zahllosen Regenfällen aufgelöst hatten. Ein Drehstuhl mit zerfetzter Polsterung lag mir quer im Weg wie ein Vergewaltigungsopfer. Vor weniger als einer Stunde noch hatte ich nichts anderes im Sinn gehabt, als einen passenden Ort zum Entsorgen der Katze zu finden. Und kaum war ich den Sack losgeworden, stellte sich heraus, dass diese Einöde die ganze Zeit da gewesen war, unweit von Oskars Wohnung. Endlose Hektar Brachland, auf denen eine tote Katze sich wie zu Hause gefühlt hätte.

»Mehr als genug Platz, um eine Katze zu schleudern«, murmelte ich vor mich hin und lachte laut auf, was sich in dieser Leere seltsam ungebärdig anfühlte, als ließe man die Klotür auf, wenn man allein zu Haus war.

Weiter vorn bewegte sich etwas. Ich erstarrte. Ein Mann in einem Plastikmantel erhob sich aus einem der Haufen – nein, es war ein großes Stück Plastikplane, das vom Wind aufgeweht worden war und sich träge umfaltete. Der gleiche Windstoß strich mir kalt über die Stirn.

Am Ende der Passage lag eine weitere leere Fläche, größtenteils mit brüchigen Betonplatten bedeckt, die aussahen, als wären sie aus großer Höhe herabgestürzt. Gigantische Unkrautbüschel machten sich in der Sonne breit. Zu beiden Seiten erstreckten sich Wellblechschuppen, das Profil der Dachkanten wie Sägeblätter im Gegenlicht. Das Blech war so von Rost durchsetzt, dass es förmlich zu sirren schien vor Verfall. Ich dachte an Asbest, an herumschwirrende Toxine, und sogleich schnürte es mir die Kehle zu. Dennoch war ich erleichtert zu sehen, dass es jenseits dieser offenen Fläche eine Reihe Backsteinmauern gab, durchsetzt mit Fenstern und mit schwarzen Abflussrohren gestreift. Die Rückseite einer Häuserzeile und damit die Rückkehr zum halbwegs vertrauten Stadtbild. Von jener Straße an, dachte ich, würde es mir unschwer gelingen, zu Oskars Wohnhaus zurückzufinden.

Ich blieb stehen. Der Beton unter meinen Füßen buckelte wie eine unter ihrer eigenen zunehmenden Masse immer kompakter werdende Eisscholle. Ich stand auf der Oberkante einer in Schräglage geratenen Platte, und von dort aus hatte ich einen guten Überblick auf das vor mir liegende Terrain.

Es war voll von streunenden Hunden. Vielleicht waren es weniger als ein Dutzend, aber sie trabten in so weiten Bögen durchs Gestrüpp, dass sie locker die gesamte Fläche einnahmen. Ihre Magerkeit, ihre nervöse Energie und ihr stumpfes Fell ließ auf den ersten Blick erkennen, dass sie herrenlos waren. Doch abgesehen davon warnte mich auch irgendein atavistischer Instinkt, dass von diesen Tieren eine unverkennbare Bedrohung ausging. Wenn ich in direkter Linie zu den Häusern am Rand des Kanals gelangen wollte, musste ich mitten durch ihr Revier hindurch.

Nachdem ich ein paar Sekunden dort gestanden und die Lage gepeilt hatte, wurde mir bewusst, dass die Hunde mich ebenso gut sehen konnten wie ich sie, und ich zog mich von meinem Aussichtspunkt zurück. Natürlich konnte ich nun den gleichen Weg einschlagen, den ich gekommen war, aber vielleicht war das Gebiet, das ich schon durchquert hatte, ebenfalls von Hunden verseucht, nur hatte ich sie eben noch nicht bemerkt. Der Gedanke, von Hunden umzingelt in dieser Industriebrache festgenagelt zu sein, war alles andere als ermutigend. Strategischer Rückzug aber würde bedeuten, zu der Stelle am Kanal zurückzukehren, an der ich die Katze versenkt hatte, und ihr womöglich noch einmal in ihrem schwarzen Leichensack zu begegnen. Vor mir dagegen lag eine überschaubare, relativ freie Strecke.

Entschlossen steuerte ich also auf die Reihe von Wellblechschuppen zu, die sich zwischen mir und dem Kanal befand. Direkt am Ufer entlangzugehen war anscheinend nicht möglich, aber wenigstens konnte ich mich am Rand des Geländes bewegen und hoffen, dass die Hunde mich entweder nicht bemerkten oder sich nicht für mich interessierten. Meine Gangart, hoffte ich, ähnelte weder dem Räuber noch der Beute, während ich mich mit angemessener Eile fortbewegte. Der Betonboden war braun gesprenkelt vom rostigen Wasser, das von den Schuppen tropfte; Rostflocken knirschten unter meinen Sohlen. Aus Sorge, zu viel Lärm zu machen, ging ich langsamer und blickte auf. Die Dächer der Schuppen waren nur noch schemenhaft vorhanden, wie das Gerippe eines Blattes, das die gleiche Fläche mit einem Bruchteil der Substanz auszufüllen strebt. Das Atmen fiel mir schwerer als sonst. Auf keinen Fall wollte ich zu den Hunden hinschauen – mir war, als würde allein mein Blick sie schon wachsam machen, als wäre Augenkontakt das, was sie anspringen ließ. Allerdings gab es wohl kein Tier, das seinen Räubern durch Nichtanschauen entkam. Hatte ich mich denn schon mit der Rolle des Beutetiers abgefunden? Konnte ich nicht einfach ein Passant sein, weiter nichts? Ich versuchte, einen unauffälligen Blick in Richtung der Hunde zu werfen.

Sie hatten mich gesehen. Sie beobachteten mich, hatten ihr träges Umhertrotten unterbrochen und schauten alle wachsam zu mir hin. Ich merkte, dass ich über die Schulter sah, um sie im Blick zu haben – sie waren schon ein Stück hinter mir, einen Großteil der Meute hatte ich bereits überholt. Der Boden war uneben, voll rostiger Wellblechstücke und Glasscherben, und ich musste den Blick von den Hunden lösen, wenn ich nicht stolpern wollte – stolpern wäre sicher keine gute Idee. Wie würden sie einen Angriff ankündigen? Mit Bellen? Alles, was ich hören konnte, war mein eigener keuchender Atem.

Ein Flackern in meinem Augenwinkel. Ich blickte zurück. Die Hunde hatten sich in Bewegung gesetzt. Drei oder vier von ihnen trabten parallel zu meinem Pfad, die Köpfe in meine Richtung gewandt. Sie hatten offenbar keine Sorge zu stolpern. Ihr entspannter Trab wirkte unverschämt, wie eine Verhöhnung meiner zunehmenden Angst. Mit trockener Kehle und einem sauren Geschmack im Mund beschleunigte ich den Schritt. Die Hunde passten sich meinem Tempo an, und ich merkte jetzt, dass sie nicht parallel zu mir liefen, sondern den Abstand zwischen uns unmerklich verringerten. An Rückzug war nicht mehr zu denken. Ich verfluchte mich dafür, dass ich nicht zum Kanal zurückgekehrt war, als ich noch die Gelegenheit dazu hatte, verfluchte mich dafür, dass ich banale Sentimentalität über jahrtausendealten Instinkt hatte triumphieren lassen.

Mein Fluchtweg lag klar vor mir. Die Häuserzeile weiter vorn war von einer schmalen Gasse durchbrochen, aus der es hin und wieder verlockend aufblitzte, wenn das Sonnenlicht sich auf dem Lack vorbeifahrender Autos spiegelte. Eine ungeheuer verheißungsvolle Aussicht, von der mich allerdings noch ein breiter Abgrund trennte. Mein Problem war jetzt nicht mehr so sehr die Entfernung, sondern das Verhältnis von Zeit und Geometrie. Die Hunde, vier an der Zahl, schwarz und braun, näherten sich mir in einer halbkreisförmigen Linie. Sie waren nur noch drei Meter entfernt, eine Leinenlänge, und wenn ich jetzt stehen blieb, würden sie in einer Sekunde über mich herfallen. Behielten wir unser gegenwärtiges Tempo bei, würde ihre Route die meine an irgendeinem Punkt in der unmittelbaren Zukunft kreuzen. Meine Sorge war, dass sie vor mir die rettende Gasse erreichen und mir den Weg abschneiden könnten. Ich beschleunigte meinen Schritt mehr und mehr, so schnell es eben ging, ohne zu rennen. Die Hunde blieben an meiner Seite. Die Gasse war nur noch zehn Meter entfernt, aber die Gleichung sah nicht vielversprechend aus. Meine Gangart wurde immer absurder, das reinste Renngehen, steifbeinig, an den Gelenken zerrend, doch ich vermied es immer noch, in Trab zu fallen. Es war quälend; ich wusste, wenn ich losrennen würde, könnte ich die restliche Strecke blitzschnell bewältigen. Aber meine Körpersprache würde Flucht bedeuten, und diese Sprache setzte sich unschwer über die Grenzen der Gattungen hinweg. Die Hunde würden die Botschaft verstehen, die da lautete: Angst, nackte Angst. Sicher wehte sie schon hinter mir her wie Signalflaggen. Was für eine Witterung schnappten sie von mir auf? Hafteten meinem Geruch noch Spuren von toter Katze an? Machte diese Todesaura mich als Beute eher mehr oder weniger begehrenswert?

Der Leithund, eine abenteuerliche Promenadenmischung mit drahtigem dunkelbraunem Fell, stumpfer Schnauze, runden Augen und grau meliertem Pennerbart, war mir um anderthalb Schritte voraus. Im Laufen sah er sich nach mir um. Seine Miene war gar nicht mal unfreundlich, eher forschend, fast mitfühlend. Aber dann verengten sich seine Augen, und er zeigte die Zähne. Seine Schnauze war feucht.

Ich rannte los. Die Hunde zögerten nicht, es mir gleichzutun. Mein Rennen war eine fuchtelnde, panische, atemlose Angelegenheit, ihres eine geschmeidige, fließende Bewegung mit minimalem Energieaufwand. Ich war jetzt in der Gasse, setzte über Müllsäcke, die dort großzügig verstreut lagen, und konnte nur hoffen, dass der Durchgang zu eng für die Meute um mich her wäre. Doch der Leithund blieb an meiner Seite, die Augen feurig, die Zunge heraushängend wie der grellrosa, faulig-klebrige Köder einer tropischen Blüte. Er hatte mich schon, wir wussten es beide. Er sprang mich an, stieß die Schnauze mit den Reißzähnen vor, wie ein Gangster seine Waffe zückt, und ich spürte einen Schlag an der Wade. Schwere Kiefer gruben sich in den Muskel oberhalb meines Knöchels, mit der gnadenlosen Wucht einer Maschine. Ein Zupacken und Reißen in einem, und vor lauter Verblüffung, dass der Hund mich tatsächlich gebissen hatte, wäre ich fast stehen geblieben, um nachzusehen, was passiert war (Nicht stehen bleiben!). Mit letzter Kraft warf ich mich nach vorn und spürte das Gewicht des Hundes wie einen Klotz am Bein, doch plötzlich brach das Gewicht weg, mein Bein war frei, aber irgendwas gab nach und riss beim Loslassen. Die ganze Zeit wartete ich schon auf den Schmerz, auf das Gefühl von rinnendem Blut, das von meinem hämmernden Herzen durch ein zerfetztes Loch am Schienbein hinausgetrieben wurde und auf den dreckigen Asphalt tropfte, doch ich merkte nichts, und als ich mit dem gebissenen Bein wieder auftrat, fühlte es sich ganz unversehrt an.

Ich riskierte einen schnellen Blick über die Schulter und sah, dass der Hund zurückblieb und in einem widerstrebenden, irgendwie majestätischen Halbkreis umkehrte, als hätte seine Zielrichtung sich gar nicht geändert. Der Rest der Meute hatte sich verzogen. Ich stand jetzt auf einer normalen Straße, mit Verkehr und Passanten in Sicht. Sie hatten ihre Chance verpasst. Nur wenige Meter trennten ein Gebiet, in dem einen streunende Hunden anfallen konnten, von einer Alltagswelt, wo so etwas undenkbar war, zumindest bei Tag. Oder ging von mir etwa eine Aura besonderer Verletzlichkeit aus, etwas, das mich zu einer Beute oder einer Bedrohung machte, während jemand anders, ein Hiesiger, unbehelligt durch die Brachlandschaft hätte wandern können?

Die dunklen Silhouetten der Hunde bewegten sich zum Ende der Gasse hin, verschmolzen zu einer einzigen geduckten Gestalt, ausgeblendet vom blauen Strahlen des Himmels im hohen Rahmen der Mauern.

Erst jetzt merkte ich, wie erschöpft ich war. Mir zitterten die Beine, meine Lunge brannte, ich war schweißgebadet. Ich schämte mich der Schweißflecken auf meinem Hemd – man meint ja immer, kühl und locker auftreten zu müssen. Ich lehnte mich an eine Straßenlaterne, um zu verschnaufen. Ein paar Passanten warfen mir verwunderte Blicke zu – ich war nicht zum Joggen angezogen. Mein linkes Hosenbein war zerrissen, und ein Stofffetzen hing herab. Ich bückte mich, um den Fetzen ganz abzureißen. Das Stück Jeansstoff fühlte sich feucht an, entweder vom Geifer des Hundes oder von meinem eigenen Schweiß. Ich warf es zu dem restlichen Müll in die Seitengasse.

Nahebei überbrückte die Straße den Kanal und kreuzte die Uferstraße, in die ich einbog. Der Kanal und die hohen, schmalen Häuser an seinem Rand verliehen der Straße etwas Holländisches, außerdem war sie von Bäumen gesäumt, die willkommenen Schatten spendeten. Die lauschige Allee schien Welten entfernt von dem verseuchten Graben, in dem ich die Katze entsorgt hatte, doch es war der gleiche Wasserlauf. Schockierend, wie lange her mir das Versenken des Müllsacks schon wieder vorkam. Die ganze Sache schien kaum noch wahr, vielleicht würde ich mich doch noch aus der Situation herauswinden können. Inzwischen aber pochte mir der Schädel vor Dehydrierung, und meine Beine waren noch immer nicht sonderlich standfest. Ich brauchte Wasser.

Über die nächste Brücke führten Trambahngleise – hier entlang ging es zurück zu Oskars Wohnung. An der Ecke befand sich ein kleiner Supermarkt, ein verirrter Keil aus Glas und Neonlicht in der monotonen grauen Stuckfassade, mit fluoreszierenden Sternchen gespickt, auf denen mit schwarzem Filzmarker hingekrakelte Preise standen. Ich brauchte Wasser, und der Kühlschrank in der Wohnung war leer.

Hinter den automatisch aufgleitenden Ladentüren lief die Klimaanlage auf vollen Touren, trocknete mir den Schweiß und kühlte mich bis auf die Knochen. Das Neonlicht sirrte wie die Radiowellenortung des Urknalls. Ich nahm einen Drahtkorb und belud ihn mit Mineralwasser, Käse, Tomaten, Salami, einem verdächtig kompakten, dunklen Brotlaib. Dann noch zwei Flaschen Wein – ich zögerte, stellte eine zurück, legte sie dann doch wieder in den Korb. Der Supermarkt machte einen seltsam provisorischen Eindruck – laminiertes Sperrholz, handgeschriebene Preise –, aber das Angebot war üppig. Ich nahm Spaghetti und ein Glas Pastasauce. Meine Einkäufe füllten zwei Tüten. Wieder spürte ich den Zug der Mülltüte an den Fingern. Ich dachte an die Katze, still und kalt in ihrem Kanalbett, wo der Schlick sich in den schwarzen Falten ihres Leichensacks absetzte.

Vom Kanal zu Oskars Wohnung war es nur ein kurzer Weg – jetzt, beim zweiten Mal, kam er mir sogar noch kürzer vor. Dieser schmale Ausschnitt der Stadt schien mir nun ein bisschen schärfer konturiert als der Rest. Details in den Straßen hatten sich mir eingeprägt – ein handgemaltes Ladenschild, ein Balkon, der überschäumte vor rankenden Pflanzen. Ein Ort der Wohnblocks und Routen wurde langsam zu einem Ort der Erinnerungen. Wie lange dauerte es, bis ein Ort einem vertraut wurde? Ich fragte mich, wie lange ich wohl noch hierbleiben würde. Sicher würde ich mich hier nie heimisch fühlen. Die Putzfrau wusste von dem Weinfleck und von der Katze – hatte sie die Möglichkeit, Oskar anzurufen und es ihm zu petzen? Hatte sie es schon getan? Was würde Oskar tun? Anrufen oder gar zurückkommen? Ich war mir sicher, dass er mich zur Rede stellen würde, genau deshalb, weil ich es so unbedingt vermeiden wollte. Aber jetzt war die Katze weg, und bald würde der Weinfleck auch weg sein.

Beide Hände voller Einkäufe, schob ich die Haustür mit der Schulter auf und wäre fast mit der Putzfrau kollidiert. Der Fliesenboden des Hausflurs glänzte frisch gewischt, und sie fuhrwerkte gerade vor der Tür mit dem Mopp herum. Ihre Miene erstarrte zu einer Maske des Missmuts, als sie mich sah. Ich lächelte, ein hilfloser, automatischer Reflex, und spannte schon die Muskeln an, um an ihr vorbei die Stufen hinaufzueilen, als mir einfiel, dass meine Schuhe schmutzig waren. Um das Verhältnis zu dem alten Drachen nicht noch mehr einzutrüben, putzte ich sie auf der Matte ab, wobei ich mir peinlich meines zerrissenen Hosenbeins bewusst war.

»––!«, blaffte sie mich an. »––!«

»Hören Sie«, versuchte ich, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen, noch immer wie ein Depp auf der Matte scharrend, »Sie wissen doch, dass ich nur Englisch spreche. Ich habe gesehen, dass Sie die Katze gefunden haben … Ich hatte nichts damit zu tun … Ich habe sie nur, ähm, zur letzten Ruhe gebettet … Ich werde Oskar alles erklären, also warten Sie doch einfach …«

Es hatte keinen Zweck. Nicht nur, dass sie mich nicht verstehen konnte, sie hörte auch gar nicht zu. Stattdessen starrte sie auf die Tüten in meinen Händen, mit Entsetzen, wie mir schien. Unsicher, was ihre Aufmerksamkeit erregt haben könnte, hob ich eine der Tüten hoch. Ich konnte nichts Besonderes an ihnen erkennen, abgesehen davon, dass sie aus schlichtem weißem Plastik waren, ohne irgendein marktschreierisches Emblem, wie es in England üblich war. Aber die Umrisse des Brots und der Salami in der Tüte – dachte sie vielleicht, die Katze wäre da drin? Dass ich ihr die Tüte entgegenstreckte, fachte ihre Aufregung nur noch mehr an.

»Das sind nur Einkäufe!«, sagte ich zu hastig, mit überkippender Stimme. »Sehen Sie doch!«

Ich setzte eine der Tüten ab – die Flaschen klirrten – und griff in die andere, löste die katzenartige Form auf, indem ich die Salami herauszog. »Hier, bitte!«

Sie wich zurück, mit unbeschreiblich entsetztem Gesichtsausdruck. Plötzlich wurde mir bewusst, dass dieses Herumgefuchtel mit der Wurst keineswegs beruhigend war, sondern mich eher wie einen Sittenstrolch wirken ließ.

»Sind nur Einkäufe«, brummelte ich vor mich hin, während ich die Salami in die Tüte zurückschob. Die Putzfrau hatte sich von ihrem Schrecken erholt und keifte erneut auf mich ein. Ich hob die zweite Tüte auf und hastete die Treppe hoch, wie gejagt von der zornig hallenden Stimme.

Zurück in Oskars Wohnung, legte ich gleich die Kette vor. Genug der Unterbrechungen. Meine Geduld mit dieser Stadt, diesem Haus, dieser Wohnung war langsam erschöpft. Ich ließ die Tüten in der Küche stehen und holte den Plastikkorb mit den Putzutensilien aus der Kammer. Oskars Zettel steckte noch immer unter dem Bienenwachsbarren.

Das sind Putzmittel für die Wohnung und den Boden, hatte Oskar geschrieben. Ja, Oskar, das war offensichtlich. Es gibt da ein Buch über die Pflege von Holzböden auf dem Regal bei den Architekturbänden. Das war schon hilfreicher.

Das Buch stand am hinteren Ende des untersten Bretts, fast unsichtbar neben den dicken Monografien über europäische und amerikanische Architektur. Auf der Schutzhülle war ein Mann abgebildet, der mit einer Miene von zenmäßigem Gleichmut ein Dielenbrett einsetzt. Allein schon das Buch in der Hand zu halten, wirkte ermutigend. So ein solides altes Handbuch wusste bestimmt, was zu tun war. Ich schlug es auf. Natürlich steckte ein Zettel von Oskar vorne drin – mehr als eine Notiz, ein richtiger Brief diesmal, der fast eine ganze DIN-A4-Seite füllte, in großzügigerer Schrift als auf den Notizzetteln, darüber eine Zeile in Großbuchstaben, die vielleicht hinterher angefügt worden war.

WENN NICHTS MIT DEM BODEN PASSIERT IST,
DANN IGNORIERE BITTE DIESE BOTSCHAFT.

Darunter stand:

Mein lieber Freund,

WENN DU GERADE ETWAS VERSCHÜTTET HAST, WISCH ES SOFORT MIT EINEM NASSEN LAPPEN AUF! LASS ES NICHT EINTROCKNEN!

Aber wenn Du diese Botschaft findest, hast Du auch das Buch gefunden, also ist es wahrscheinlich schon zu spät. Du hast es mit Wasser versucht, und es hat nicht funktioniert. Der Boden hat einen Fleck. Vielleicht kann dieses Buch Dir helfen, aber ich glaube nicht, dass Du den Schaden reparieren kannst.

Mein Magen krampfte sich zusammen, und mein Gesicht wurde heiß. Ich biss mir auf die Lippen. Hallo? Ich glaube nicht, dass Du den Schaden reparieren kannst? So eine Frechheit! Ich kannte Oskars Arroganz, sein hochmütiges Abqualifizieren, aber jede neue Kostprobe davon konnte noch immer verletzen. Am liebsten hätte ich zwei Flaschen Roten auf dem Boden zerschlagen und meinen Namen mit dem Flaschenhals in den Boden geritzt.

Aber das kam natürlich nicht infrage. Ich würde den Schaden beseitigen, spurlos, und ungeschoren davonkommen. Es würde ein geheimer Triumph werden, doch die Genugtuung wäre mir sicher. Und was die Katze betraf, würde ich standhaft lügen. Sie war eben einfach nicht zurückgekommen. Vielleicht wegen Oskars langer Abwesenheit, würde ich ihm noch ein bisschen schlechtes Gewissen machen. Wenn die Putzfrau mir widersprach, würde ich sie für verrückt erklären. Meine Geschichte war viel glaubwürdiger als die ihre. Keine Leiche, kein Verbrechen.

Der Brief ging weiter:

Der Boden war teuer. Die beste Art, so etwas zu pflegen, besteht darin, es nicht zu beschädigen. Wenn mit dem Boden etwas passiert ist, ruf mich bitte an und lass es mich wissen.

Wieso? Wozu wollte er es denn wissen, wenn alle Vorsicht nichts genützt hatte und der leider entstandene Schaden nicht mehr zu beheben war? Was konnte er mir dann noch raten, was nicht schon auf einem seiner zahllosen Zettel stand? Was wollte er dann tun? Nach Hause kommen, um das Desaster zu inspizieren und Vergeltung zu üben? Undenkbar war das nicht. Aber wahrscheinlich entsprang der Wunsch, angerufen zu werden, nur seiner üblichen Kontrollsucht. Abgesehen davon, dass er sich nicht die Gelegenheit entgehen lassen würde, mal wieder wen abzukanzeln.

Ich las weiter, innerlich kochend, verwundert über die Länge der Botschaft.

Wenn es eine Chance auf Abhilfe gibt, findest Du sie in dem Buch, doch es könnte mehr Schaden als Nutzen bringen. Es ist wirklich wichtig, dass Du mich anrufst, bevor Du irgendwas versuchst. Ich könnte Dir vielleicht helfen.

Jetzt wiederholte er sich nur noch.

Der Boden bedeutet mir viel. Als ich die Wohnung kaufte, entschied ich als Erstes, den neuen Boden verlegen zu lassen. Dazu musste alles umgemodelt werden: neuer Boden, neue Küche, neue Möbel, alles nach meinen Vorgaben ausgeführt. Es gab alte Holzdielen, knarzig und abgetreten. Viele Leute mögen das, Du bestimmt auch, aber ich wollte neue Dielen. Alles sollte vollkommen sein, ich konnte eine Insel der Vollkommenheit schaffen, und von da an würde der Rest des Lebens auch vollkommen werden. Ich weiß, man sagt immer gern: »Nichts ist vollkommen.« Aber das ist nicht wahr. Der Boden ist, war, vollkommen. Die Wohnung ebenso. Und das Leben auch. Vollkommenheit zu schaffen, bedarf einiger Mühe und weiterer, sie zu erhalten. Ich erinnere mich an unser Gespräch damals im Pub – dass ich zu viel von den Menschen erwarte. Seitdem steckt es wie ein Pfeil in mir. Ich bin Enttäuschungen gewohnt und glaubte, ich würde irgendwann Leute treffen, die mich nicht enttäuschen, und die anderen würde ich mir schon in meinem Sinne erziehen. Du sagtest, ich solle meine Erwartungen an die Menschheit herabschrauben. Du sagtest, ich solle weniger gut von den Menschen denken! Dabei ist es so einfach, eine Beschädigung der Böden zu vermeiden. Vielleicht gelingt es Dir. Doch ich schreibe diesen Brief, weil ich es für möglich halte, dass Dir ein Missgeschick passiert, also schraube ich wohl schon meine Erwartungen herab. Vielleicht ist es ein Test.

Im Buch gibt es Reparaturanweisungen, aber ruf mich auf jeden Fall vorher an.

Dein Freund Oskar.

Hatte Oskar sie nicht mehr alle? Die Botschaft war vor mehr als einer Woche verfasst worden. Ich versuchte ihn mir in der Wohnung vorzustellen, ein oder zwei Tage, bevor er nach Kalifornien aufbrach, um von Scheidungsanwälten gedemütigt und vielleicht auch ruiniert zu werden. Seine schöne Wohnung, seine vollkommene Zuflucht, hatte er in der Obhut von jemandem zurücklassen müssen, dem er nicht vertraute, und so hatte er sich alle möglichen Katastrophenszenarien ausgemalt und Anweisungen ersonnen, wie man sie zu verhindern oder damit umzugehen hätte. Er wollte die Dinge unter Kontrolle halten. Wie lange hatte er gebraucht, um das alles zu Papier zu bringen? Einen Tag? Zwei? Ich hatte Dutzende von Zetteln gefunden, und es gab sicher noch mehr davon.

Ich drehte den Zettel um, in der Absicht, mit dem Buch anzufangen, und fand noch mehr Text auf der Rückseite.

Wenn irgendwas schiefgeht, kann man es bis zu dem Moment zurückverfolgen, an dem es anders hätte laufen können, wo ein Wort oder Schweigen oder Agieren oder Stillhalten alles hätte ändern können.

Ich denke jetzt an die Böden und an dieses Buch.

Dieses Buch ist voller Tipps, wie man Dinge »korrigieren« könnte, die schiefgelaufen sind, aber das stimmt alles nicht. Richtig ist vielmehr: »Tu von vornherein nicht das Falsche.« Wenn die falsche Taste auf dem Klavier angeschlagen worden ist, kann man es nicht mehr »korrigieren« – man kann sie nicht mehr un-angeschlagen machen. Man wird es immer merken.

Das war alles – kein Gruß, keine Unterschrift. Nachdem ich mir ein Glas Mineralwasser eingeschenkt hatte, nahm ich das Buch mit aufs Sofa. Neben mir prangten die Kratzspuren der verstorbenen Katze. Waren sie wirklich von der toten Katze oder von der lebenden? Die war noch nicht wieder aufgetaucht – sie musste doch hungrig sein? Der Tag ging schon zur Neige, und am Boden hatten sich die Rauten aus Licht, das durch die hohen Fenster fiel, zu langen, spitzen Dreiecken verengt.

Wieder schlug ich das Buch auf, nahm Oskars Brief heraus und legte ihn auf den Couchtisch. Die Einleitung war in großer, angenehmer Type gedruckt und mit einem Foto des Autors geschmückt, auch er eine große, angenehme Type, entspannt auf einem seidig schimmernden Boden hockend, der perfekt mit seinen goldenen Locken harmonierte.

Holz, so stand da zu lesen, ist ein magisches Material. Und munter-launig ging es weiter.

Anders als andere Bodenmaterialien hat echtes Holz ein echtes Eigenleben. Buchstäblich gelebt hat es einmal als Baum, bevor es zu Ihrem Boden wurde. Wenn Sie einen Holzboden aussuchen, bringen Sie etwas von diesem Leben in Ihr Zuhause. Als Handwerker kann ich Ihnen versichern, dass kein anderes Material so flexibel in der Bearbeitung ist und so angenehm zu handhaben. Jeder Baum, und jedes Stück Holz, ist einzigartig. Und jeder Holzboden erzählt seine eigene Geschichte. Sachgerecht gepflegt, wird Ihr Holzboden Ihnen jahrzehntelang Freude machen und ein Schatz sein, den Sie an die nächste Generation weitergeben.

Das ist der Schlüssel zur größtmöglichen Freude an Ihrem Holzboden: Pflege. Sie sollten Ihren Holzboden pflegen, wie Sie ein kostbares Möbelstück pflegen würden – vielleicht das wichtigste, das Sie besitzen. Behandeln Sie den Boden liebevoll, und er wird vor Liebe strahlen.

Oskars Boden war sicher wunderschön, aber strahlte er vor Liebe? Ich widerstand dem Impuls, zu dem Weinfleck am Sofa hinzusehen, und betrachtete die makellose Bodenfläche vor dem Bücherregal. Ein Hauch von Wachspolitur ließ das blasse Holz schimmern und hob die zarte Struktur der Maserung hervor. Wenn es Liebe ausstrahlte, dann auf einer Wellenlänge, die nur höher entwickelten Naturen zugänglich war. Atavistische Gewaltfantasien schwirrten mir durch den Kopf. Wie destruktiv konnte ich sein? Wie viel Tinte gab es in der Wohnung? Wein gab es genug, aber den brauchte ich selber. Wenn das Holz so schlecht vor Flecken geschützt war, dann war es wohl erst recht nicht feuerfest? Ich konnte natürlich auch einfach abreisen. Ich dachte an den Flughafen, die unendlichen Möglichkeiten, in die Freiheit zu entkommen, die er bot. Sicher gab es noch einen späten Flug nach London. Ich dachte an die endlosen Hektar von Terrazzoboden, dazu bestimmt, die Schritte von Millionen auszuhalten, ohne sich abzunutzen. Einfach nur die Tür abschließen und den Schlüssel in den Briefkasten werfen. Aber da war noch die Katze zu bedenken – selbst wenn ich mich der Wohnung gegenüber nicht mehr verpflichtet fühlte, war ich doch für die überlebende Katze verantwortlich. Wo sie auch sein mochte – hoffentlich immer noch am Leben.

Jeder Holzboden wird mit der Zeit Abnutzungsspuren aufweisen. Diese Patina ist Teil seines Charakters – sie zeugt vom lebendigen Geist des Holzes.

Ja, Holz besitzt Geist! Vor der christlichen Ära glaubten die Kelten in Europa, dass die Bäume von Geistern bewohnt wären. Dieser Glaube ist heute noch bei vielen Volksstämmen überall auf der Welt anzutreffen. Und Spuren davon finden sich auch in unserer modernen Kultur wieder. Klopft man nicht auf Holz, um Unglück abzuwenden? Das ist der Glaube an die spirituelle Kraft des Holzes. Für die Heiden waren Baumgeister oder Dryaden …

Das Buch sank in meiner Hand herab. Dieser esoterische Mumpitz war ganz und gar nicht, was ich erwartet hatte, was ich brauchte, nämlich eine nüchterne Gebrauchsanweisung, keinen so wolkigen New-Age-Blödsinn. Mit sinkendem Mut überflog ich die nächsten Seiten.

… Judentum und Christentum sprechen vom Baum der Erkenntnis, und der Buddhismus hat den »Bodhi«-Baum, den Feigenbaum, unter dem Siddhartha Gautama der Erleuchtung teilhaftig wurde …

… Yggdrasil, der nordische »Weltenbaum« …

… die Totempfähle aus Zedernholz der amerikanischen Urvölker im Nordwesten …

… Heilende Eigenschaften: Acetylsalicylsäure, besser bekannt als Aspirin, entstammt der Birkenrinde …

… Druiden und Mistelzweig …

… Der Goldene Ast, den Aeneas und die Sybille dem Torwächter der Unterwelt gaben …

… Splitter des Kreuzes von Golgatha …

Irgendwer hatte da ganz klar einen an der Waffel. Ich blätterte zurück zum Foto des Autors – das lockige Blondhaar, der mystische Schimmer in den Augen, das breite Lächeln voll strahlend weißer Zähne. Es sah Oskar gar nicht ähnlich, in Sachen Bodenpflege auf den Rat eines solchen Spinners zu vertrauen. Höchst untypisch für Oskar. Aber was war das nur mit diesem Autor, diesem langatmigen Gefasel, diesen Zähnen … dieser klebrigen Volkstümelei, dem anbiedernden Stil, der Potpourri-Philosophie. Auf der Rückseite stand:

ÜBER DEN AUTOR: Chandler Novack ist Handwerker, Ausbilder, Schriftsteller und Lebensberater. Er ist der Verfasser von 20 Büchern, darunter Pflege von Ehefrauen, Pflege von Ehemännern, Pflege von Kindern, Pflege des inneren Selbst, Pflege von Gemälden, Pflege von Oldtimern, Pflege von Antiquitäten und Pflege von Schwimmbädern. Durch seine Bücher und Beratertätigkeit hat er seine einzigartige Lebensperspektive der ganzheitlichen Persönlichkeitspflege 10 Millionen Lesern weltweit nahegebracht. Chandler lebt in Kalifornien mit seiner Frau und fünf Kindern.

Kalifornien. Auf der Rückseite stand auch: »$ 21.95«. Kein Preis in Pfund oder Euro. Dieses Buch war in den USA gekauft worden, und zwar, darauf hätte ich mein ganzes Hab und Gut wetten können, nicht von Oskar. In Oskars Wesen gab es nicht den leisesten Anflug von diesem bescheuerten Brimborium, er würde nicht mal Räucherstäbchen tolerieren. Oskar war Empiriker – er beschäftigte sich mit dem, was sichtbar, messbar und verifizierbar war. Nein, dieses Buch musste von Laura sein, dieser unbekannten Größe. Ein Geschenk also, das allerdings einen atemberaubenden Mangel an Einfühlung in das Wesen ihres Mannes verriet. Die Gründe für die Scheidung zeichneten sich jetzt schon klarer ab – die gut gemeinten Versuche, Oskars Chakren zu stimulieren, waren auf kalte Ironie gestoßen, eine Flut von Yoga und Joghurt war an diesem steinernen Hochmut abgeprallt. Aber nach dem wenigen zu schließen, was ich von Laura wusste, passte das auch nicht so recht zu ihr. War es vielleicht ein zufälliges Mitbringsel, im Vorbeigehen am Flughafen erworben? Ein Witz, den ich nicht nachvollziehen konnte, wo man sich bei Wein und gedämpftem Licht kichernd einzelne Passagen vorlas? Vielleicht hatte Laura Mr. Novack in einer anderen Sache konsultiert – Pflege von Gemälden? Pflege von Ehemännern? Pflege von ordnungsfanatischen europäischen Pianisten? – und bei ihm Trost oder Hilfe gefunden. Auf Dauer aber nicht genug.

Kein Wunder, dass Oskars Botschaft so entmutigend war. Mit neu gestärktem Selbstvertrauen blickte ich ins Inhaltsverzeichnis und schlug das Kapitel über Flecken auf:

Unfälle passieren eben! Wir sind ja alle nur Menschen.

Etwas in mir, das Oskar am nächsten war, krampfte sich abwehrend zusammen.

Ich weiß noch, als ich mein erstes Haus mit Allegra baute …

Ein weiterer Tsunami von wattigem Gewaber, gefolgt von der onkelhaften Ermahnung, vorbeugen sei besser als heilen. Novacks selbstironische Art, seine Anekdoten zu erzählen, konnte seltsamerweise nicht über sein olympisches Ego hinwegtäuschen. Schließlich aber, im praktischen Teil seiner Ausführungen, wurde er doch noch konkret. Da gab es Punkt für Punkt aufgelistete Anweisungen, Skizzen, farblich abgesetzte Tipps.

Wenn der Fleck eingetrocknet ist, muss man ihn mit Scheuerpulver entfernen. Das feinkörnigste ist »Tripoli«, das auch zum Polieren von Steinen benutzt wird. Mischen Sie etwas Tripoli mit Leinöl zu einer glatten Paste und entfernen Sie damit den Fleck, indem Sie vorsichtig in Richtung der Maserung reiben.

Mit dem Buch in der Hand ging ich in die Küche, wo ich den Korb mit den Putzmitteln gelassen hatte. »Tripoli«, murmelte ich vor mich hin. »Dann wollen wir doch mal sehen.«

Eine schnelle Bestandsaufnahme förderte ein paar Lappen zutage, eine Spraydose mit Poliermittel, einige Blätter Sandpapier, drei Scheuerschwämmchen (eins davon abgenutzt), ein Paar Gummihandschuhe, zwei saubere Pinsel, eine Dose Bohnerwachs und ein kleines, unheimliches braunes Fläschchen mit kristallinem weißem Pulver und Totenkopfaufkleber. Nur von Tripoli keine Spur. Vielleicht war es bloß ein ausgedachter Name. Ich traute der Sache nicht. Novack würde sich schon etwas mehr einfallen lassen müssen.

Wenn Sie kein Tripoli haben, tun es auch gemahlener Bimsstein oder feines Sandpapier.

Sandpapier – das war wenigstens etwas Reelles, kein Parfümerie-Chichi. Ich holte ein sauberes Blatt Sandpapier aus dem Plastikkorb und sah mir den Fleck näher an. Am besten, ich probierte es erst einmal an einem der kleineren Spritzer.

Scheuern Sie den Boden sanft, aber nachdrücklich, mit gleichmäßigen Strichen in Richtung der Maserung.

Die Behandlung ließ den Fleck sofort blasser werden, aber auch den Boden drum herum. Der Fleck war nur noch ein rosa Schatten, der geisterhaft in einem beängstigend hellen Oval aus nacktem Holz schwebte. Dieser hellere Fleck fiel einem gleich ins Auge, im matten Glanz des Bodens ein stumpfes Intervall, das auch ohne den Farbunterschied aufgefallen wäre. Und wie verletzlich die Stelle jetzt aussah – ohne schützende Politur war sie ein Magnet für Staub, schutzlos gegen weitere Unfälle. Und der Fleck war zwar vermindert, aber keineswegs verschwunden. Ich scheuerte so lange daran herum, wie ich es wagte, wohl wissend, dass ich die Substanz des Bodens damit angriff, aber eine rosa Spur blieb trotzdem zurück. Im Licht, das durch das Fenster einfiel, kam es mir manchmal vor, als hätte ich den letzten Hauch von Rosa endlich beseitigt – nur um ihn wiederzusehen und wieder wegzuzwinkern, denn was ich sah, war ein rötlicher Fleck hinter den Augen, ein Eindruck auf der Netzhaut, nachdem ich zu lange ins Helle gestarrt hatte. Mein Kopf wummerte. Die Literflasche Wasser, die ich gekauft hatte, war schon leer. Mit der Vorsicht eines Nukleartechnikers, der spaltbares Material handhabt, öffnete ich eine Flasche Wein und schenkte mir ein Glas ein. Es war höchst willkommen. Ich stellte es auf der Abtropffläche der Spüle ab – woanders wollte ich es lieber nicht riskieren – und konsultierte Novack noch mal.

Ein Fleck, der schon tief ins Holz eingezogen ist, wird sich vielleicht nicht allein durch Scheuern entfernen lassen. Lösen Sie Oxalsäurekristalle in Wasser auf, weichen Sie ein sauberes weißes Tuch darin ein und legen Sie es für etwa eine Stunde auf den Fleck. Hier ist ÄUSSERSTE VORSICHT geboten! Oxalsäure darf nicht mit der Haut in Berührung kommen. Tragen Sie während der ganzen Zubereitung und Anwendung Gummihandschuhe. Zum Schluss neutralisieren Sie die Säure mit Haushaltsessig.

Novack, du herrlicher kalifornischer Spinner, du hast’s voll drauf. Dieser Vorschlag ersparte einem den Trip zum Baumarkt, es reichte schon ein Blick ins Periodensystem. Oxalsäure – das war die Art von unverfälschter Substanz, die mir Vertrauen einflößte. Mit neuer Zuversicht griff ich mir das braune Giftfläschchen aus Oskars Putzmittelkorb und warf einen Blick auf das Etikett – Oxalsäurekristalle.

Früher einmal hätte ich an diesem Punkt wohl den einen oder anderen Gedanken an die Umwelt verschwendet. Der Ozean oder die Wasserpflanzen hätten sich selbstsüchtig in den Vordergrund gedrängt. Jetzt aber nicht mehr. Wenn ich einen Knopf hätte drücken können, der gleichzeitig jeden Fleck auf dem Boden und jeden lebenden Panda auslöschen würde, hätte ich ihn ohne Zögern gedrückt. Mir war es sehr ernst mit der Säuberung des Bodens.

In Gummihandschuhen fertigte ich die empfohlene Lösung an und goss sie auf ein neues Spültuch aus dem Schrank. Dann drückte ich das Tuch fest zusammengeknüllt auf den Fleck, um möglichst wenig unbeschädigten Boden mit der Säure in Berührung zu bringen. Es gab kein dramatisches Zischen oder Flammenzüngeln, keinen beißenden Geruch – der Boden sah aus wie vorher, nur mit einem zerknautschten blauen Lappen drauf. Ich nippte vorsichtig am Wein und sah auf die Uhr. Inzwischen war es Abend geworden. Eine Stunde schien wie eine lange Zeit, die bleierne Wartezeit zwischen mehreren Gängen zum Herd, um ein kompliziertes Supermarktcurry aufzuwärmen.

Ich spülte die Handschuhe unterm Wasserhahn ab, zog sie aus und ging in die Vorratskammer, um nach dem Essig zu suchen. Als ich kurz darauf mit der passenden Flasche wiederkam, sah irgendetwas nicht ganz so aus, wie es sein sollte.

Ich kniete mich hin und sah mir das Tuch am Boden an. Es hatte ein schlichtes blaues Karomuster, wie jedes Spültuch, das ich je gesehen hatte. Aber das Muster hatte sich verändert. Die Streifen sahen seltsam verschwommen aus, und der Schatten am Rand des Tuchs war kein Schatten mehr, sondern ein Ring aus blauer Farbe. Der verdammte Lappen färbte auf den Boden darunter ab.

»Scheiße!«, schrie ich. »Scheiße! Scheiße!« Schon zuckte meine Hand vor, um das Tuch vom Boden zu reißen, als mir die Säure wieder einfiel. In fliegender Hast zog ich die Handschuhe an, schnappte mir das Tuch, schmiss es in die Spüle und drehte den Wasserhahn auf.

Auf dem Boden prangte ein marmorierter blauer Kreis, außen dunkler als innen, wo der Überrest des Weinflecks immer noch zu sehen war. Wieder spülte ich mir die Hände ab und zog die Handschuhe aus. Essig, Essig, jetzt musste dringend Essig her. Die Verschlusskappe saß stramm; meine Finger schienen alle Kraft verloren zu haben. Die Flasche rutschte mir fast aus der Hand. Ich hielt sie krampfhaft umklammert, während ich ihren Inhalt über die blaue Lagune schüttete. Hellblau überschwemmte es die Dielen. Fluchend feuchtete ich ein weiteres Spültuch an und wischte die ganze Sauerei auf.

Was auf dem nassen Boden zurückblieb, war ein bläulicher Fleck von der Größe eines Untersetzers, anstatt eines fast schon verblichenen rosa Schattens, nicht größer als ein Daumennagel. Mit benommenem Interesse registrierte ich die vielen Eigenschaften dieser neuen blauen Präsenz im Raum – ihr dunklerer Rand wie bei einer Qualle, das blaufleckige Innere, wo die Farbe in das frisch gescheuerte Holz eingesickert war, und das violette Mal in der Mitte, wo das Blau den rötlichen Weinfleck überlagerte, den die Säure noch nicht hatte auflösen können. An manchen Stellen konnte man sogar das Gittermuster des Spültuchs erkennen, das sich auf den Boden übertragen hatte.

Novack, dachte ich, du Mistkerl, warum hast du mich nicht gewarnt? Das hatte er natürlich – schließlich hatte er eigens betont, dass es ein weißes Tuch sein sollte, nur nicht erklärt, weshalb das wichtig war. Der Boden musste noch mal geschrubbt und mit Sandpapier bearbeitet werden – diesmal auf einer größeren Fläche –, dann noch mal mit Säure behandelt, und endlich, wenn kein weiteres Missgeschick mehr passierte, käme dann noch Wachsen und Polieren. Der Abend würde lang werden. Ein Glück, dass ich diese zweite Flasche gekauft hatte, sagte ich mir, während ich zum Glas griff.

Später würde ich die ganze Kette von Ereignissen noch mal gewissenhaft zurückspulen, um herauszufinden, wann genau ich das Weinglas mit Handschuhen angefasst hatte, an denen noch Säure klebte. Das Glas hatte kaum ein Drittel des Weges zwischen Spüle und Mund zurückgelegt, als Daumen und Zeigefinger zu kribbeln anfingen und immer heißer wurden. Ich hatte kaum Zeit, das seltsame Phänomen zu bemerken, als das Brennen schon zu einem unerträglichen Schmerz wurde.

Instinktiv tat ich das, was mir das einzig Richtige schien, und ließ das Glas fallen. Ließ es nicht nur fallen, sondern schleuderte es von mir wie eine giftige Schlange. Der Inhalt beschrieb einen schönen Bogen in der Luft, und das Glas zerbarst auf den Dielen. Es war noch fast voll gewesen.

Aber das war momentan nicht das Wichtigste in meinem Leben. An drei Stellen meiner linken Hand war die Haut feuerrot angelaufen und fing an zu schrumpeln. Ich stöhnte laut auf und stürzte zur Spüle.

Natürlich – wie das spätere Zurückspulen logisch ergab – musste man zum Abspülen der Gummihandschuhe erst den Hahn aufdrehen, sodass die Säure am Handschuh sich nun auch am Hahn befand. Und dort blieb sie, es sei denn, man wäre schlau genug gewesen, ihn abzuwischen. Sobald das Wasser meine linke Hand gekühlt hatte, war es just dieser Hahn, den ich mit meiner unverbrannten rechten Hand anlangte.

Inzwischen tröpfelte überall Rotwein über Glasscherben.