Berlin, Ernst-Reuter-Platz,
Kröger Immobilien AG
»Die reinste Marmorhölle …«, sagt Olga.
Die Zentrale der Kröger Immobilien AG liegt in der Nähe des Ernst-Reuter-Platzes. Über dem Eingang spannt sich ein großes Transparent, auf dem in roten Buchstaben steht: Wir sind alle Kröger . Georg Dengler und Olga sitzen auf schwarzen Ledercouches in einer weitläufigen Lobby, in deren Boden sich das Licht spiegelt. Er wirkt so glatt, als könnte man darauf Schlittschuh laufen. In einer Vitrine dreht sich ein beleuchteter goldener Fußballschuh. Dengler steht auf und sieht ihn sich an. Mit schwarzem Filzstift hat Vedad Ibišević sein Autogramm darauf hinterlassen, ein Spieler von Hertha BSC .
»Jetzt schießt er ein Tor nach dem anderen. Beim VfB Stuttgart war er auch nicht schlecht, aber hier in Berlin legt er so richtig los«, sagt Dengler.
Olga zuckt mit der Schulter. »Ging das nicht vielen Spielern so? Blühen auf, wenn sie nicht mehr in Stuttgart sind?«
Dengler nickt. »Ich sage nur: Timo Werner.«
In die Wände der Lobby sind Bildschirme eingelassen, auf denen Ansichten verschiedener Bauprojekte aufpoppen, dazwischen Baupläne, Modelle, und immer wieder lächelt ihnen trotzig und selbstbewusst Sebastian Kröger mit hochgerecktem Kinn entgegen, gefolgt von dem Spruch Wir sind alle Kröger . Dann weitere Fotos: Kröger mit dem Oberbürgermeister, Kröger mit Helm auf einer Baustelle, Kröger Arm in Arm mit Ibišević in der Lounge von Kröger Immobilien im Berliner Olympiastadion.
»Da ist jemand sehr von sich überzeugt«, sagt Dengler.
»Wenn jemand etwas so dringend beweisen muss, versucht er meist das Gegenteil davon zu verbergen«, sagt Olga.
Dengler kommt nicht mehr dazu, über diesen Satz nachzudenken, weil eine junge Frau sie begrüßt.
»Mein Name ist Myriam Jung. Herr Kröger ist heute nicht im Haus. Ich bin seine Assistentin. Vielleicht können Sie mir Ihr Anliegen mitteilen?«
Sie hält Denglers Visitenkarte in der Hand und schaut stirnrunzelnd drauf.
»Sie sind … Privatermittler?«
»Herr Kröger sollte mit uns sprechen, bevor wir die Presse einschalten. Jemand hat Ratten in einem Wohnblock ausgesetzt, der von Kröger Immobilien gekauft wurde. Wir nehmen an, dass dies eine neue Methode ist, die Mieter zu vertreiben. Nun hat eine Ratte allerdings ein Baby angegriffen und ihm die Fingerkuppe angefressen … Schauen sie sich bitte einmal diese Fotos an.«
Dengler steht auf und zeigt ihr einige Fotos auf seinem Mobiltelefon.
Myriam Jung hebt schützend die Hand vor den Mund. »Das ist ja schrecklich!«
»Allerdings, noch schrecklicher wäre es, wenn dies auf Anweisung Ihres Chefs geschehen wäre.«
»Bestimmt nicht. Ich bin seine Assistentin. Ich kenne alle seine …«
»Am Schrecklichsten für Herrn Kröger wäre es bestimmt, wenn die Presse von dieser Sache Wind bekäme und Ihr Unternehmen für diesen Anschlag verantwortlich machen würde.«
»Die Presse?« Myriam Jung zögert einen Augenblick. Dann sagt sie: »Wie gesagt, Herr Kröger ist heute nicht im Haus. Doch warten Sie bitte einen Augenblick.«
Sie verschwindet und kommt nach einigen Minuten zurück.
»Dr. Wenzel, unser Justiziar, empfängt Sie. Wenn Sie mir bitte folgen würden …«
*
Der Justiziar ist überraschend jung. Dengler schätzt Dr. Wenzel auf Anfang dreißig, vielleicht Mitte dreißig. Der graue Maßanzug und das weiße Hemd können seine kräftige Statur nicht verbergen. Eine mutig gestreifte Krawatte in Rot und Blau. Ein breites, waches Gesicht zeigt eine tiefe Narbe auf der linken Seite, die sich vom Wangenknochen fast bis zum Mundwinkel zieht. Dünne hellbraune Haare, sorgfältig nach hinten gekämmt, um die kahlen Stellen auf dem Hinterkopf zu verdecken. Große schwarze, viereckige Brille.
Wenzel schiebt Denglers Visitenkarte von einer Hand in die andere, als könne er nichts damit anfangen.
»Servus! Ein Privatermittler! Das sind Sie?«, sagt Wenzel. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen weiterhelfen kann.«
»Das können Sie ganz sicher«, sagt Dengler. »Wir möchten Herrn Kröger sprechen.«
»In welcher Angelegenheit?«
Olga sagt: »Das hat Ihnen Frau Jung sicher verraten, aber wir wiederholen es gern: Jemand hat in der Nacht Ratten in einem Plattenbau in Kreuzberg ausgesetzt. Das Haus gehört Herrn Kröger.«
Wenzel überlegt und kontert: »Herr Kröger befasst sich sicherlich nicht mit der Befolgung der hygienischen Vorschriften durch die Mieter seiner Immobilien. Aber ich kann Ihnen gerne die Telefonnummer der zuständigen Hausverwaltung raussuchen lassen.«
»Eine Ratte hat ein Kind verletzt. Das Kind einer guten Freundin.«
Wenzel sieht kurz auf. »Das ist sicherlich schlimm. Aber Herr Kröger …«, er zuckt mit den Schultern, »er … er kann sich nicht mit jeder Kleinigkeit befassen, die in seinen Immobilien geschieht …«
»Und sei sie noch so unangenehm«, schiebt er schnell hinterher.
»Vielleicht wird sich Herr Kröger die Mühe machen und sich mit dieser Kleinigkeit befassen, wenn sie in der Zeitung steht«, sagt Dengler. »Wenn wir nämlich hier und jetzt keinen Termin bekommen, werden wir die Öffentlichkeit über diese Kleinigkeit informieren. Ich sehe die Schlagzeile schon vor mir: Immobilienkonzern setzt Ratten aus, um Mieter zu vertreiben. Kleinkind verstümmelt.«
Auf Wenzels Gesicht erscheint ein seltsames Lächeln, das wie eingefroren wirkt. Denglers Visitenkarte wandert noch schneller von einer Hand in die andere.
Dengler steht auf. »Gut, Sie wollen es nicht anders.«
»Warten Sie! Okay, okay. Ich helfe natürlich, wo ich kann.«
Wenzel legt die Visitenkarte vor sich auf den Schreibtisch und tippt auf der Tastatur eines Laptops.
»Ich sehe gerade: Da wäre noch ein Zeitfenster. In zwei Tagen. Um 14:00 Uhr? Passt das bei Ihnen? Hier bei uns.«
»Geht doch«, murmelt Olga.
»Perfekt!«, sagt Dengler und steht auf.
Als Dengler die Bürotür des Justiziars hinter sich geschlossen hat, gibt er Olga ein Zeichen, sie solle stehen bleiben. Dann zählt er bis zehn und drückt die Tür zu Wenzels Büro mit einem schnellen Ruck auf.
Der Justiziar steht hinter seinem Schreibtisch und sieht zum Fenster hinaus, ein Telefon am Ohr.
»Ja, Dengler heißt er. Privatermittler. Aus Stuttgart«, hört er Wenzel sagen.
Der Justiziar dreht sich um und erstarrt mitten in der Bewegung.
»Ja, was gibt es noch?«, sagt er.
»Ich wollte nur sicher sein, dass unser Gespräch Ihnen wichtig genug war, es sofort Herrn Kröger zu melden«, sagt Dengler, schließt die Tür und geht.