Berlin-Wannsee, Villa Kunterbunt
Dem Politbüro liegen die neuesten Berichte des Berliner Verfassungsschutzes vor. Die Einschätzung der dortigen Kollegen ist eindeutig. Die Unterschriftenkampagne der Bürgerinitiativen wird aus deren Sicht ein voller Erfolg werden. Holger Carsten Ebersheim, der stellvertretende Chef des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, gibt einen kurzen Überblick: »Wir haben einzelne Unterschriftensammler überwacht und die Zahl der Leute, die unterschreiben, hochgerechnet. Wir gehen davon aus, dass die Extremisten innerhalb von drei Wochen genügend Unterschriften zusammenhaben, um ein Volksbegehren in ihrem Sinn durchzusetzen.«
Fuhrmann lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schließt die Augen. Der Ebersheim trägt keine Brille, denkt er. Der hatte doch immer so ein dickes Horngestell auf der Nase. Hat er heute nicht auf. Trägt er jetzt Kontaktlinsen? Hat er sich die Augen lasern lassen? Scheint eitel zu sein, der Ebersheim. Er wird sich diesen Charakterzug merken. Falls Ebersheim die Sache mit Harry Nopper unterstützt, wird diese Beobachtung vielleicht nützlich sein.
Dann sagt er mit geschlossenen Augen. »Wir müssen diese Geschichte richtig einordnen. In der gesamten Geschichte Deutschlands gab es seit 1926, als die Kommunisten die Fürsten enteignen wollten, nichts Vergleichbares. Ein Volksbegehren für Enteignung! Ein klassisch kommunistisches Programm. Enteignung! Das muss man sich mal vorstellen! Und es wird von der irregeleiteten Bevölkerung in Berlin unterstützt. Es ist eine der größten Herausforderungen, vor der wir je standen.«
»Sie wollen nur die Immobilienkonzerne enteignen«, wirft Nikolaus Abt ein, der stellvertretende Chef der Koordinationsstelle für Geheimdienste im Kanzleramt.
»Was heißt ›nur‹?«, sagt Fuhrmann leise und gefährlich.
Er öffnet die Augen und fixiert Abt. Der klingt schon wieder so nasal. Kriegt der seine Erkältungen eigentlich nie in den Griff? Jetzt greift er zu seinem Taschentuch und schnäuzt sich, als hätte er Fuhrmanns Gedanken gelesen.
Fuhrmann sagt: »Wenn die Extremisten mit dem Volksbegehren durchkommen, setzen sie den Senat unter Druck. Der wird dann einen Mietendeckel verhängen, um den Extremisten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und schon haben sich die politischen Koordinaten in Deutschland wieder nach links verschoben.«
»Wir wissen von ähnlichen Bestrebungen in München«, näselt Abt vor sich hin.
»Wir müssen die Sache unterbinden. Und zwar schnell«, sagt Lutz Koch, der Verbindungsmann zum Bundesnachrichtendienst. Fuhrmann schätzt ihn wegen seines messerscharfen Verstandes. Außerdem ist das Politbüro bei Operationen einer gewissen Größe auf die Unterstützung des BND angewiesen. Wenn es irgendwann einmal einen Nachfolger geben wird, dann wäre Koch der geeignete Mann. Er kennt den Betrieb der Geheimdienste und ist innerlich gefestigt und entschlossen genug, Schaden von Deutschland abzuwenden. Seine einzige Charakterschwäche: Er ist Kettenraucher.
»Das wird nicht einfach«, sagt Ebersheim. »Wir haben bis jetzt immer noch kein Gegenmittel für die Fridays-for-Future -Kids gefunden. Unsere Hoffnung, dass sich das totläuft, hat sich bis jetzt noch nicht erfüllt.«
Fuhrmann sagt: »Die sind gefährlich. Das stimmt. Aber sie stellen keine Forderung nach Enteignung. Was da in Kreuzberg aufflackert, kann schnell ein Steppenbrand werden.«
»Wir müssen es austreten. Schnell und gründlich«, sagt Koch, der kluge Analytiker.
»Ich stimme zu«, sagt Abt und putzt sich die Nase.
»Wie?«, fragt Heinz Scherben vom Bundesamt. »Neuauflage der Operation Breitscheidplatz?«
Koch schüttelt den Kopf. »Wir müssen uns hier etwas ganz anderes einfallen lassen.«
Plötzlich ärgert sich Fuhrmann. Verhält sich Koch jetzt schon so, als wäre er der Chef?
»Wir müssen das genauer analysieren«, sagt er. »Ich mache auf der nächsten Sitzung des Direktoriums einen Vorschlag.«
»Ich helfe Ihnen dabei«, sagt Koch.
Wut steigt in Fuhrmann auf. Was bildet der sich eigentlich ein? Der will meinen Job. Daraus wird nichts, Freundchen!
Er sagt: »Kommen wir zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Es liegt ein Antrag mit drei Bürgschaften vor. Es betrifft die Aufnahme von Harry Nopper ins Direktorium und seine Ernennung als mein Stellvertreter.«
Abt meldet sich sofort.
Natürlich, das hätte er sich denken können.