Berlin, Kröger Immobilien AG
,
Besprechungszimmer
»Wir haben keine Beweise, sind uns jedoch sicher«, sagt Dengler.
»Wie sicher?«
»Sehr sicher.«
Die Falten in Krögers Gesicht sind tiefer geworden in den letzten Tagen. Um die Augen liegt ein trauriger Zug.
»Wenn das öffentlich wird, dann ist die Kröger Immobilien AG
Geschichte. Ich war fest davon überzeugt, dass wir mit dieser Rattensache nichts zu tun haben.«
»Das ist leider nicht der Fall«, sagt Dengler.
Kröger greift zum Telefon. »Myriam, meine Tochter soll unverzüglich in mein Büro kommen … Ja, sofort. Sie soll Wenzel mitbringen.«
Dann steht er auf, schiebt an der Wand ein Gemälde zur Seite und öffnet einen kleinen Tresor. Er greift hinein und nimmt einen Stapel Bargeld heraus. Aus seinem Schreibtisch nimmt er einen Umschlag und stopft das Geld hinein. Seine Bewegungen sind müde und fahrig.
»Ich möchte dich bitten, das hier der Mutter des Babys zu überbringen. Ich weiß, ich kann es nicht wirklich gutmachen, was wir …«
Olga nimmt den Umschlag. »Das erledige ich.«
Kröger sieht Dengler nachdenklich an. »Du hast deinen Auftrag
erfüllt, Dengler. Ich hätte nicht gedacht, dass das Ergebnis so ausfällt, aber … was soll ich machen?«
Die Tür geht auf. Charlotte Kröger schlüpft herein. Hinter ihr erkennt Dengler die breite Figur von Jan Wenzel, dem Justiziar.
»Setzt euch«, sagt Kröger und deutet auf die Sessel vor dem Fenster.
»Was gibt’s denn so Dringendes, Papa?«, fragt Charlotte munter, setzt sich und streicht den Rock glatt. Wenzel setzt sich zögernd neben sie.
»Ich habe nachgedacht«, sagt Kröger. »Wir befinden uns seit dieser Rattengeschichte im freien Fall. Wir verlieren Geldgeber. Wir sind verhasst. Es gibt eine Bürgerinitiative, die uns und die Deutsche Eigentum verstaatlichen möchte.«
»Linksradikale. Die haben keine Chance«, schnaubt Wenzel.
»Falsch. Sie haben genügend Unterstützung, um einen Volksentscheid zu erreichen. Wahrscheinlich werden sie den auch gewinnen. Die Leute haben uns satt. Und wisst ihr was? Sie haben recht.«
Dengler und Olga stehen an der Wand und beobachten die Szene.
»Papa, ich weiß, es sind harte Zeiten. Für uns alle. Doch wir sollten jetzt alle mal ruhig durchatmen …«
»Und nachdenken, Charlotte. Einfach nachdenken. Das habe ich gemacht.«
Kröger lehnt sich in seinem Sessel zurück und greift sich mit der Hand an den Kopf.
»Ich bin Bauunternehmer. Ich baue Wohnungen. Das kann ich, und das habe ich mein ganzes Leben lang gemacht. Doch jetzt haben sich die Rahmenbedingungen des Geschäfts geändert. Seit einigen Jahren verdiene ich Geld mit der Wohnungsnot in den großen Städten. Die Wohnungsnot ist ein Teil meines Geschäftsmodells geworden. Je knapper das Angebot, desto mehr Spielraum haben wir für Mietpreissteigerungen. Die Leute ächzen unter den
viel zu hohen Wohnungskosten, finanziell und seelisch. All das hat ein Ausmaß erreicht … Die Leute können nicht mehr.«
Wenzel sagt: »Nun ja, die Baufläche ist nicht beliebig vermehrbar. Und wenn die Nachfrage zunimmt, steigt der Preis.«
Kröger richtet sich auf: »Es gibt noch eine Alternative. Weil Boden nicht beliebig vermehrbar ist, ist er keine Ware wie jede andere. Er müsste allen gehören.«
»Papa, es ist wirklich gerade eine schlimme Zeit für alle. Wir müssen einen klaren Kopf bewahren und uns …«
»Charlotte, ich war selten so klar wie jetzt. Ich frage dich: Was ist passiert in den letzten zwanzig Jahren? Die Politik hat den Markt dereguliert, und die Politik des billigen Geldes hat die Immobilienpreise ins Unermessliche getrieben. Der Wert aller Immobilien auf diesem Globus beträgt das Doppelte des weltweiten Bruttosozialprodukts.«
Wenzel: »Das ist doch toll.«
»Nein. Denn die Leute können die geforderten Mieten nicht mehr aufbringen. Unternehmen wie wir, groß gewordene Mittelständler, haben auf dem Markt keinen Platz mehr. Susan Miller und ihresgleichen greifen nach allem. Globale Finanzfonds machen das Geschäft. Wohnungen für Menschen sind nur noch ein Spekulationsobjekt für die Finanzindustrie. Und es muss immer mehr aus jeder einzelnen Wohnung gesaugt werden, damit die Erträge stimmen. Ich habe neulich im Spiegel
gelesen, dass Blackhill in einer Siedlung in New York die Mieten an den Börsenkurs gekoppelt hat. Deshalb schnellten sie um 30 Prozent nach oben. Die Leute dort sollten dann von einem Tag auf den anderen 90 Prozent ihres Einkommens für Miete bezahlen. Extremes Beispiel, aber vielleicht ein Blick in die Zukunft unseres Geschäfts.«
Schweigen.
»Papa, ich weiß nicht recht, was du uns sagen willst.«
»Nicht? Du weißt es nicht? Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Im Grunde denke ich, dass die Enteignungsforderung
gegenüber uns und der Deutschen Eigentum nichts mit Kommunismus zu tun hat, sondern mit Vernunft.«
»Das ist doch Wahnsinn …«, sagt Wenzel.
»Der Markt kollabiert und zerstört seine eigene Existenzgrundlage. Für Unternehmen wie für uns bleibt kein Spielraum. Seit die Beschaffung und Bewirtschaftung von Wohnungen von der Finanzindustrie übernommen werden, vertreiben wir die jetzigen Bewohner aus der Stadt. Nur die Langweiligen und die Reichen bleiben.«
»Die Zahlungsfähigen«, sagt Wenzel.
»Wir werden eine offizielle Erklärung abgeben, dass die Kröger Immobilien AG
die Einführung des Mietdeckels unterstützt. Dadurch werden die Mietpreise fallen, die Stadt kann wieder atmen. Berlin wird unattraktiv für die Spekulation. Besser wir verkaufen unsere Wohnungen an die Stadt Berlin als an Blackhill oder an die Deutsche Eigentum, was das Gleiche ist. Vergessen wir nicht: Der Senat hat seine Wohnungen viel zu billig verkauft, verschenkt eigentlich. Was spricht dagegen, dass sich die Stadt die Wohnungen zurückholt? Für uns mittelständische Wohnungsbauer ist es eine Chance zu überleben.«
»Sorry, das ist reiner Irrsinn«, sagt Wenzel. »Wir sind alle ein wenig gestresst und müssen …«
»Du bist gefeuert«, sagt Kröger.
»Stopp, Papa, stopp«, ruft Charlotte Kröger und springt auf. »Das geht jetzt alles zu weit.«
»Er hat einen Gangster beauftragt, die Ratten in unserem Wohnblock auszusetzen«, sagt Kröger ruhig.
»So ein Unsinn.«
»Kein Unsinn«, sagt Dengler. »Wir haben eindeutige Beweise.«
Er registriert den erstaunten Blick von Olga und hofft, dass Wenzel nicht nach diesen Beweisen fragt.
»Erklär es mir«, sagt Kröger. »Warum hast du das getan? Ohne mit mir zu reden.«
Charlotte Kröger starrt Wenzel entgeistert an.
»Ich …« Wenzel blickt nach rechts und links und sieht in Charlottes enttäuschtes, Krögers resigniertes und Denglers wütendes Gesicht.
Leugnen hat keinen Zweck. Niemand wird ihm glauben.
»Ich wollte helfen«, sagt er leise. »Sie hätten mir die Einwilligung nie gegeben. Ich wollte nur helfen.«
»Du hast die Firma ruiniert«, sagt Kröger. »Verschwinde. Charlotte, begleite ihn in sein Büro. Er kann seine persönlichen Sachen mitnehmen. Nimm ihm seinen Firmenausweis ab. Ich will ihn nicht mehr sehen.«
Wenzel springt auf. »Ich habe diese Firma ruiniert?! Das ist lächerlich. Charlotte braucht mich nicht zu begleiten. Ich gehe auch so. Und ich kenne den Weg.« Er legt seinen Firmenausweis auf den Tisch. »Andere Unternehmen werden meine Arbeit mehr zu schätzen wissen als dieser Saftladen hier.«
Er stürmt zur Tür.
»Stopp«, ruft Georg Dengler.
Wenzel dreht sich um.
»Sie kannten meinen Weg ins Hotel. Sie befürchteten, dass ich den Idioten schnappen würde, der die Ratten ausgesetzt hat. Sie haben ihn zum Überfall auf mich angesetzt. Und ich nehme an, Sie haben ihn auch umgebracht oder umbringen lassen, als er damit gescheitert ist.«
»Jetzt drehen hier alle durch«, sagt Wenzel und schlägt die Tür hinter sich zu.
»Charlotte«, sagt Kröger und steht auf. »Wir geben eine Pressemeldung raus. Ich persönlich übernehme die Verantwortung für die Taten eines Mitarbeiters, von denen ich nichts wusste. Gleichzeitig trete ich zurück. Du übernimmst die Firma.«
»Wir sind am Ende, Papa.«
»Ruf diese Amerikanerin an, diese Susan Miller. Sie bekommt, was sie will.«