Nachtgedanken sind nie hell,
am besten, man vergisst sie schnell.
von mir
Wir, Emma und ich, führten wirklich ein Leben, so ruhig und gemütlich, wie vernünftige Katzen es lieben. Von mir aus hätte es gern so weitergehen können. Wir hätten uns wohl nicht überarbeitet, sondern wären womöglich noch ein bisschen fauler geworden. Vermutlich hätten wir das eine oder andere Kilo zugelegt, wie das so ist, wenn man sich gern den Magen vollschlägt und sich nur ungern viel bewegt. Meine ganze Arbeit hätte höchstens darin bestanden, mit der Pfote eine fette Fliege zu verjagen, die sich, unsensibel, wie diese hirnlosen Insekten nun mal sind, unbedingt auf meine Nase setzen wollte. (Auch Fliegen lieben Feuchtigkeit. Das ist mir egal, ich gönne ihnen das Vergnügen, solange sie meine Nase in Ruhe lassen. Meine Nase gehört mir.)
Es ging uns also gut, Emma und mir. Meistens jedenfalls. Manchmal ärgerte ich mich über sie, wenn sie meinen Fressnapf nicht rechtzeitig aufgefüllt hatte oder mir nur eine halbe Scheibe Räucherschinken abgab, kein Fitzelchen mehr. Oder wenn sie mich aus dem Fernsehsessel vertrieb, weil sie sich unbedingt selbst draufsetzen wollte. Über mich hat sie sich allerdings nie beklagt, wieso auch, ich gab ihr keinen Grund dazu, ich war die bravste Katze der Welt.
Von meinen geheimen Treffen mit Bruno erzählte ich ihr kein Wort, natürlich nicht, auch die bravste Katze der Welt hat ein Recht auf Geheimnisse. Vielleicht hätte Emma ja auch gesagt, eine anständige Katze treibt sich nachts nicht herum. Emma wusste immer genau, was eine anständige Katze tut und was nicht. Und außerdem trafen Bruno und ich uns nur nachts, wenn Emma schlief. Bruno wusste inzwischen, wo ich wohnte, und rief vor dem Haus nach mir. Sobald ich seine Stimme hörte, lief mir ein Schauer über den Rücken und es trieb mich unwiderstehlich zu ihm hin.
Wir redeten nicht viel, wir durchstreiften die Gegend und genossen es, zusammen zu sein.
So ging es über zwei Jahre lang, bis ich spürte, dass sich etwas veränderte. Emma klagte immer öfter über Schmerzen in den Knochen, und es sah aus, als würde sie jeden Tag eine Falte mehr bekommen. Sie konnte manchmal auch nicht mehr einkaufen gehen, dann rief sie an, und die Sachen wurden ihr von Fabi, dem Sohn des Lebensmittelhändlers, gebracht. Der bekam dann immer ein Geldstück zur Belohnung.
Emma tat mir leid, aber das war alles, nicht mehr und nicht weniger. So ist es eben bei alten Menschen, dachte ich, sie halten mit ihrem einzigen Leben nicht viel aus.
Unsere Tage verliefen ruhig und gleichmäßig bis zu einem Abend, als wir schon im Bett lagen. Ich hatte es mir zu Emmas Füßen gemütlich gemacht und war kurz vor dem Einschlafen, als ich sie plötzlich eine eintönige Melodie singen hörte: »Eulenvater, Uhu du, schenk mir endlich meine Ruh. Du siehst doch, ich bin alt geworden, ich hab genug von Schmerz und Sorgen.«
Ehrlich gesagt, verstand ich nicht, was sie meinte, und überlegte schon, ob das »metaphysisch« war. Und außerdem war ich auch ein bisschen beleidigt und dachte: Warum spricht sie mit diesem Kerl und nicht mit mir? Wer weiß, was das für einer ist und wo er sich herumtreibt, und ich bin hier, zu ihren Füßen. Was will sie von diesem Uhudu? Bin ich ihr etwa nicht mehr gut genug?
Doch dann hob ich den Kopf und sah, dass ihr eine Träne über die Wange lief, und meine gekränkte Eitelkeit war sofort verflogen. Ich stieg vorsichtig über sie hinweg, um ihr nicht wehzutun, schmiegte mich an ihr Gesicht, leckte ihr so sanft wie möglich die Tränen von der Wange und fing leise an zu schnurren. Und es hat gewirkt. Bald hatte sie sich beruhigt und wir konnten endlich einschlafen.