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Ich saß über meine Froot Loops gebeugt am Tisch und schob meine in Milch schwimmenden Frühstückszerealien lustlos in der Müslischale hin und her. Mels Frühstück, bestehend aus einem perfekt gebackenen Omelette mit einer Scheibe knusprigem Speck, stand unangetastet vor dem Barhocker neben meinem.

Das Frühstück war mein Friedensangebot an sie. Offenbar hatte ich am Vorabend im Parish an kurzzeitiger Amnesie gelitten. Ich hatte gewusst, dass Mel nicht ernsthaft in Gefahr war. Himmel, ich hatte mich im Laufe des vergangenen Monats umfassend über Diabetes informiert. Und in jedem Artikel zum Thema hatte klar gestanden, dass ein gelegentlicher übermäßiger Alkoholkonsum einem stabil eingestellten Diabetiker nicht groß schadete.

Ich hatte wie unter Zwang gehandelt, und das war ein echtes Problem.

Ehrlich gesagt machte ich mir die ganze Zeit Sorgen um Mel, und das nicht nur wegen ihres Diabetes. Wenn sie später als üblich aus der Bibliothek kam, malte ich mir aus, sie sei in eine Massenkarambolage auf dem Highway verwickelt. Und wenn sie so in ihre Arbeit versunken war, dass sie die Zeit vergaß und nicht anrief, schickte ich ihr eine Textnachricht, um zu erfahren, wo sie steckte.

Das Handy, das ich früher kaum beachtet hatte, war zu meinem ständigen Begleiter geworden. Und das, obwohl wir nicht einmal richtig zusammen waren.

Oder?

Ich schob mir noch einen Löffel Loops in den Mund und ließ deprimiert den Blick durch den Raum schweifen. Überall lag Zeug von Mel herum. Kleine ordentliche Bücherstapel auf dem Tisch. Eine Packung ihres Lieblingskakaos neben der Kaffeekanne. Sogar in der verdammten Recycling-Tonne befanden sich mehr leere Cola-Light-Dosen als Bierflaschen.

Ich ging zum Spülbecken und kippte den Rest meines Frühstücks in den Ausguss. Die bunten Ringe schwammen auf einem Milchstrom ins Becken und um die Tasse mit dem Logo der University of Texas auf der Vorderseite herum.

Übellaunig drehte ich das Wasser auf und gab Spüli in Mels Tasse. Sie selbst spülte sie immer nur mit Wasser aus. Würde ich die Tasse nicht für sie spülen …

Ich hörte auf zu schrubben und stellte die Tasse zurück in die Spüle.

Immer noch düsteren Gedanken nachhängend, blickte ich zur Tür, als Mel hereinkam, einen Armvoll gefalteter Wäsche an die Brust gedrückt.

»Ich habe dir Frühstück gemacht«, sagte ich und griff wieder nach ihrer Kaffeetasse, um sie fertig zu spülen. »Möchtest du Kakao oder Kaffee?«

Als sie nicht antwortete, begann mein Kiefer vor Verärgerung zu pochen.

Seufzend wandte ich mich der Kaffeekanne zu. »Kaffee oder Kakao, Melody?«

»Weder noch.«

Ich fuhr herum und starrte auf den Kleiderstapel, der in dem Müllbeutel in ihrer Hand verschwand.

»Was machst du da?«

Ich rechnete mit einem zornsprühenden Blick und war völlig verdattert, als ich ihr trauriges Lächeln sah. »Ich gehe, Christian.«

Ich lehnte mich an die Arbeitsfläche und umklammerte Halt suchend mit beiden Händen den Rand der Platte.

»Wohin gehst du? Du hast doch den Vormittag nichts vor, hast du gesagt.«

Mein aggressiver Tonfall ließ sie aufhorchen, und sie setzte sich auf den Barhocker vor ihrem Teller.

»Nach Hause.« Sie wandte die geröteten Augen ab und machte einen zittrigen Atemzug. »Es tut mir leid, wenn ich dich gestern Abend in Verlegenheit gebracht habe. Ich … ich war nicht ich selbst.«

Mir wurde flau, und ich fürchtete, die Loops in meinem Magen könnten das gleiche Schicksal erleiden wie jene, die ich vorhin in den Ausguss gekippt hatte.

Frustriert rieb ich mir den Nacken. »Hör zu, Mel. Ich … also … ich habe gestern Abend überreagiert. Ich war nur …«

»Ich weiß.« Sie sackte in sich zusammen und kniff die Augen zu. »Du hattest Angst, ich könnte umfallen.«

»Ja. Auch.«

Nachdem ich erkannt hatte, dass Mel keine Unterzuckerung bevorstand, hatte ich mich den Rest der Nacht rastlos hin und her gewälzt und sie mir zusammen mit Mitch the Bitch vorgestellt.

Ich setzte mich auf den Barhocker neben ihrem. »Warum hast du mir das mit Mitchell nie gesagt?«

Mel neigte den Kopf zur Seite. »Was meinst du?«

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musterte sie mit zusammengekniffenen Augen. »Dass ihr miteinander ausgegangen seid.«

»Ich sagte doch, dass wir uns schon sehr lange kennen.«

»Du hast auch gesagt, er wäre dein Labor-Partner. Ich habe damals nicht nachgefragt, weil ich dachte, er wäre nicht dein Typ. Ich hätte nie gedacht …« Ich atmete geräuschvoll aus. »War es etwas Ernstes?«

Sie zuckte halbherzig mit den Schultern. »Nicht wirklich. Ich glaube, er wollte mehr, und genau deshalb habe ich mich von ihm getrennt. Ich dachte, er hätte mich aufgrund seiner Kenntnisse der Materie so behandelt.«

Ich versteifte mich angesichts ihrer Worte und ihrer Apathie. »Wie hat er dich denn behandelt?«

»Wie ein Forschungsprojekt«, entgegnete sie dumpf. »Er hat kontrolliert, was ich esse, und mich ständig daran erinnert, zu spritzen. Zum Schluss hat er mich dann nicht einmal mehr angefasst.« Sie lachte bitter, den Blick auf ihre Hände gerichtet. »Außer um meinen Blutzucker zu messen.«

»Ich würde niemals …«

Mel sah mich an, und Resignation verdunkelte das sonst so leuchtende Jadegrün ihrer Augen.

»Doch, wirst du. Du hast es bereits getan.« Sie holte tief Luft, wie um Kraft zu schöpfen, und fuhr fort. »Ich versuche, mein Leben so zu leben, als wäre mit mir alles in Ordnung. Als wäre ich normal. Ich habe gestern Abend versucht, mich normal zu benehmen. Um dir zu beweisen, dass ich mich anpassen kann.« Sie stand schwerfällig auf. »Aber ich schätze, ich habe mir etwas vorgemacht. Ich will nicht diese Frau sein.«

Ich nahm ihre Hand, um sie daran zu hindern, etwas Dummes zu tun, wie beispielsweise davonzulaufen. »Welche Frau?«

Stirnrunzelnd betrachtete sie unsere ineinander verschränkten Finger. »Die kranke Frau.« Mit einem unendlich traurigen Lächeln sah sie zu mir auf. »Als ich zwölf war, lag ich nach einer gewöhnlichen Pyjama-Party eine Woche im Krankenhaus, weil ich zu viel Eis gegessen und Gummibärchen genascht hatte.«

»Warum hast du …«

»Weil ich wie die anderen sein wollte.« Sie schien einen Moment über dieses Eingeständnis nachzudenken. »Als ich klein war, habe ich immer wieder mal eine Spritze ausgelassen, einfach um zu sehen, ob sich der Diabetes vielleicht zwischenzeitlich wie durch ein Wunder in Luft aufgelöst hatte.«

»Du warst noch ein Kind. Kinder sind nun einmal nicht vernünftig.« Es gelang mir, zu lachen, obwohl meine Kehle wie zugeschnürt war vor Mitgefühl für das kleine Mädchen, das sich nichts mehr wünschte, als so zu sein wie alle anderen. »Falls es dich tröstet: Ich habe mich mal mit Windströmungen beschäftigt und bin mit Flügeln, die ich aus einer Plane gebastelt hatte, aus dem zweiten Stock gesprungen.« Ich hob den Arm. »Ich habe mir die Elle gebrochen. Der gesplitterte Knochen hat die Haut durchstoßen.«

Sie strich mit den Fingern über die erhabenen Ränder der Narbe. »Aber dein Arm ist wieder geheilt, während ich mein ganzes Leben Diabetikerin sein werde«, sagte sie tonlos. Eine Träne glitt über ihre Wange und tropfte auf meinen Arm. Es kam mir vor, als brenne sie sich wie Säure durch alle Gewebsschichten. »Ich dachte … ich meine … du und ich … ich dachte, wir würden eine schöne Zeit haben, mehr nicht.«

»Und? Findest du nicht, dass wir eine schöne Zeit haben?« Ich beugte mich zu ihr hinab und schaute ihr tief in die Augen. »Ich finde die Zeit mit dir sogar sehr schön.«

Sie musterte mich durchdringend aus ihren jadegrünen Augen.

»Auch gestern Abend?«, fragte sie mit bebender Unterlippe. »Hattest du Spaß, als du auf dem iPad gecheckt hast, ob ich auf einen Anfall zusteuere?«

»Das hast du mitbekommen?«

Sie verdrehte die Augen. »Ich war betrunken, nicht blind. Obwohl Alkoholmissbrauch über einen längeren Zeitraum bei Diabetikern zur Erblindung führen kann.«

Nach dieser erbaulichen Bemerkung entzog sie mir ihre Hand und ging zum Esstisch hinüber, um ihre Bücher zu holen.

»Ich war ein Idiot, Mel.« Ich trat hinter sie und lehnte mich an sie. »Ich habe mir grundlos Sorgen gemacht. Das ist mir jetzt klar.«

Sie wirbelte herum und musterte mich ernst. »Was den Alkohol betrifft, vielleicht. Aber es gibt da noch andere Dinge. Ich habe in puncto Erbgut nicht unbedingt das große Los gezogen. Was, wenn ich krank werde? Ich meine, ernsthaft krank?« Sie schluckte, und Tränen schossen ihr in die Augen. »Das wäre dann schon eine völlig andere Hausnummer, oder?«

Als ich nicht antwortete, wandte sie sich wieder ab und fuhr fort, ihre Bücher in den Rucksack zu stopfen. »Ich weiß, dass ich gesagt habe, ich glaube nicht an die Liebe. Das ist so nicht richtig. Genau genommen glaube ich nur nicht an ein Happy End. Zumindest nicht für mich selbst.«

Sie schob mich beiseite, ging zurück zum Küchenblock und packte ihre letzten Sachen ein. Meine Füße dackelten wie von allein hinter ihr her.

»Was willst du mir sagen, Mel?«

Sie warf sich den Rucksack über die Schulter und wich vor mir zurück.

»Dass du ein liebenswerter Mensch bist. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte nicht damit gerechnet … Himmel, ich hatte keinerlei Erwartungen, Christian. Ich sollte endlich damit aufhören, so zu tun, als wäre es mehr, als es ist, damit du in dein altes Leben zurückkannst.«

»Was soll das heißen?«, fragte ich verletzt und fügte sarkastisch hinzu: »Ich habe mein Leben weitergelebt, Baby. Nur für den Fall, dass du es nicht bemerkt haben solltest.«

Mel musterte mich abschätzend, als sähe sie mich das erste Mal. Als wäre ich der Typ auf dem Foto an der Wand des Burgerladens, in dem sie gearbeitet hatte.

»Was ist mit den Partys und Klubs? Alles, was du früher gemacht hast, anstatt in der Bibliothek abzuhängen.«

Vor Mel waren Klubs und Partys definitiv Teil meines Alltags gewesen. Eine Abwechslung zur Bibliothek. Aber auch wenn ich all das sagte, was mir im Kopf herumging, alles, was ich in diesem Augenblick fühlte, würde es das Unausweichliche nicht aufhalten. Früher oder später, wenn meine Gefühle nachließen, würde ich sie verletzen, viel schlimmer als jetzt.

Ich vergrub die Hände tief in den Taschen und fühlte den silbernen Anhänger. Ich steckte den Daumen durch den Ring und zog den Schlüssel hervor.

»Vermutlich hast du recht, Engelchen«, sagte ich mit belegter Stimme und drückte ihr den Schlüssel in die Hand. »Ich kann nicht ewig in der Bibliothek abhängen.« Die Lüge kam mir überraschend leicht über die Lippen. »Alles Gute.«

Ich werde dich vermissen.

Ich verkniff mir das Eingeständnis, trat einen Schritt zurück und nahm eine betont lässige Haltung ein, während Mel dastand und den Schlüssel in ihrer Hand anstarrte. Als sie schließlich zu mir aufblickte, wappnete ich mich innerlich für das, was sie sagen würde.

Sag es, Engelchen. Ich habe es verdient.

Obwohl ich das alles zu ihrem Besten tat, fühlte ich mich hundeelend. Ich wollte, dass Mel mich anschrie und mich mit Vorwürfen überhäufte, weil ich sie einfach so gehen ließ. Stattdessen trat sie auf mich zu und schmiegte sich an mich, als wäre mein Körper ihr Eigentum.

Sie umfasste mein Gesicht mit ihren kleinen Händen und lächelte trotz der Tränen, die ihr in Strömen übers Gesicht liefen. »Dir auch, Rockstar.«

Dann war sie fort, und nur das Quietschen ihrer Gummisohlen auf den Fliesen war zu hören, als sie den Flur hinunterging.

Als die Tür mit einem Klicken hinter ihr ins Schloss fiel, blieb ich noch minutenlang reglos auf der Stelle stehen und wartete darauf, dass der Himmel sich auftat und die Sonne auf mich herabschien.

Aber je weiter Mel sich von mir entfernte, desto kälter wurde es.

Ich stürzte zur Tür, rannte hinter etwas her, das mir nicht zustand.

»Mel, warte!«, rief ich, als ich auf die Veranda hinausstolperte.

Meine Rufe gingen im Motorengeräusch ihres Wagens unter, als sie davonraste. Ich lief ihr nach, aber sie bog auf die Straße ab, ohne anzuhalten. Dann verschwand der Wagen aus meinem Blickfeld.

Es kam mir vor, als würde mich eine tonnenschwere Last erdrücken, sodass ich die Worte nur mit Mühe hervorbrachte.

»Ich liebe dich.«

Es war kein Aufschrei, kein episches Versprechen. Nur eine Laune des Augenblicks. Heute liebte ich sie. Das war die nackte Wahrheit. So flüchtig das Gefühl auch sein mochte, hatte Melody diese Worte verdient, auch wenn sie sie nicht hören konnte. Und sie hatte einen Mann verdient, der sie ganz leicht über die Lippen brachte.

Ich steckte die Hände in die Taschen und versuchte, die Kälte abzuschütteln, die mir tief in die Glieder gefahren war, während ich über das raschelnde Laub der Auffahrt zum Haus zurückging.

In ein paar Wochen würde der Winter den Herbst verdrängen und mit ihm die Erinnerung an das Mädchen, das roch wie frisches Laub. Die Logik sagte mir, dass es so kommen würde, aber der Schmerz, der mein Herz mit eiserner Faust umschloss, weckte Zweifel in mir. Ich sagte mir, dass es nur Einbildung war, genauso wie die Vorstellung, Liebe könne ein Dauerzustand sein.

Aber wenn das alles nur Lug und Trug war, warum tat es dann so weh, dass es mir die Luft abschnürte?