Cat

 

Als Max noch klein war, hat sie es gehasst. Es gab Zeiten, da hat sie mich böse angesehen, ihre Jacke fallengelassen, die Schuhe ignoriert und sich bockig in den Flur gehockt, nur weil sie gemerkt hat, dass ich sie antrieb. Nachdem ich die Taktiken des kleinen Monsters durchschaute und per se einfach mehr Zeit einplante, hat sie das genauso gerochen und sich irgendeinen Blödsinn einfallen lassen, um das Unausweichliche zu verzögern. Sei es der Arzttermin, pünktlich zum Frühstück im Kindergarten zu sein oder eine Fahrstunde. Max war eine wahre Meisterin, wenn es darum ging, Zeit zu schinden. Mittlerweile wusste ich auch, von wem sie das Talent hatte. Vor zwei Jahrzehnten war mir das noch nicht so aufgefallen. Vermutlich weil ich jung und unwissend war und wir sowieso nur ein paar Monate miteinander verbracht hatten. Aber mit der Erfahrung einer zweifachen Mutter erkannte ich Verzögerungstaktiken zehn Kilometer gegen den Wind. Ob bei einem Kind oder … einem über fünfzigjährigen Mann.

Ich seufzte auf und blickte auf die Uhr. Das würden wir nie schaffen. Nie! »Jaakko, bitte, komm endlich«, rief ich Richtung Badezimmer, nahm meine Handtasche und bezog im Flur Stellung.

»Gleich!« Was zur Hölle machte der Kerl dadrin?

»Du bist hübsch genug, komm jetzt.«

»Gleich, raska, gleich.«

Ich verdrehte die Augen. Sein gleich konnte bedeuten, dass er sofort fertig war oder noch zwanzig Minuten brauchte. Er nahm es nie so genau mit der Zeit. Das hatte sich jedenfalls in den letzten Jahren nicht geändert.

»Wenn du nicht sofort kommst, sind wir zu spät.« Ich warf einen Blick auf die Uhr. Irrtum, wir waren bereits zu spät. »Willst du ernsthaft Scarlett Fox warten lassen?«

Ich kam nicht mehr dazu, ihm zu antworten, denn energisches Klopfen an der Zimmertür unterbrach meinen Gedankengang. Wunderbar, eine weitere Verzögerung. Ich ließ meine Tasche auf der Anrichte zurück und stöckelte zur Tür. Als ich sie öffnete, staunte ich nicht schlecht. Ein Kerl, so groß wie der Türausschnitt, blickte hinter seiner Sonnenbrille auf mich herunter. Er trug einen schwarzen Anzug mit passender Krawatte. Sein ganzes Auftreten schrie förmlich: Security!

»Ähm?« Irritiert trat ich einen Schritt zurück.

»Mike, jetzt erschreck die arme Frau nicht!«, tadelte ein zartes Stimmchen den Schrank. Ich blinzelte verwirrt und versuchte, erst rechts, dann links an dem Mann vorbeizuschielen. Ein blonder Lockenkopf schob sich rechts hinter ihm vor und winkte mir fröhlich zu.

»Ms. Fox, Sie sollten niemals als erste einen Raum betreten«, erklärte sich der Mann und streckte den Arm so aus, dass er sie aufhalten konnte. Die junge Frau kicherte verhalten und tauchte einfach unter seinem Arm hindurch.

»Ach was. Haben Sie da drinnen eine Bombe, Terroristen oder Nervengift versteckt?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Gut«, wandte sich die junge Frau an Mike. »Siehst du, ich geh da jetzt rein und du wartest hier draußen. Wir sind gleich bei dir.« Sie trat an mir vorbei ins Zimmer und blickte sich suchend um, während ich Mike einen entschuldigenden Blick zuwarf und die Tür hinter ihr schloss.

»Ähm.« Verlegen lief ich hinter ihr her. »Wer sind Sie, wenn ich fragen darf?«

Der Blick der jungen Frau ruhte auf dem zerwühlten Bett, auf unseren auf zwei Stühlen verteilten Kleidungsstücken, den halbvollen Gläsern und einem angebissenen Sandwich. Jaakko hätte es eigentlich essen sollen. Ich erwartete, dass sie die Nase rümpfte, als sie sich mir zuwandte, doch sie strahlte mich einfach nur an. »Scarlett.« Sie streckte mir ihre Hand entgegen und lächelte mich freundlich an. »Du musst Jaakkos Frau sein.«

Ich verzog das Gesicht. »Wir sind nicht verheiratet, aber ja, ich bin Cathia.« Ich ergriff ihre Hand. Wow, dass ich mal die Hand eines Superstars schütteln würde. Insgeheim war ich furchtbar dankbar, dass mein Englisch so hervorragend war, dass ich mich problemlos mit ihr verständigen konnte.

»Entschuldige, dass ich so einfach reinplatze.« Sie nickte lächelnd und umschloss das im Zimmer befindliche Chaos mit einem Blick. »Ich bin nur so aufgeregt, dass ich es nicht mehr ausgehalten habe und dachte, ich hole euch ab. Dann müsst ihr euch nicht mit dem Taxi durch den Verkehr quälen. Wo ich schon so eine große Limousine habe, macht es doch viel mehr Spaß, gemeinsam zu fahren, oder?«

Verwirrt sah ich sie an. Sie plapperte unaufhörlich und ich hatte alle Hände voll damit zu tun, ihr zu folgen. Auch wenn ich nur die Hälfte von dem verstand, was sie sagte, weil sie viel zu schnell sprach, machte Scarlett auf mich einen sehr sympathischen Eindruck. »Oh, Verzeihung, ich hätte nicht so reinplatzen dürfen. Ihr wart gar nicht auf mich vorbereitet.«

Ich winkte ab. »Kein Problem.« Sie erinnerte mich ein wenig an Max, wenn sie aufgeregt war. Wie ein Kaninchen auf Speed, nur dass Scarlett viel zu verkrampft war, um in unserem Hotelzimmer herumzuhüpfen.

Eine Pause entstand. Scarlett starrte mich an, als ob sie drauf wartete, dass ich ihren Redefluss aufnahm. Als ich nichts weiter erwiderte, sah sie sich noch mal um. »Wo ist eigentlich Jaakko?«

Ich verzog das Gesicht und deutete Richtung Flur. »Bad«, erklärte ich einsilbig. »Ich sollte mal … Jaakko?«, rief ich, den Superstar nicht aus den Augen lassend.

Scarlett nickte verstehend.

»Brauchst du noch lange?«

Die Tür des Badezimmers ging auf und Jaakko stapfte heraus. »Ernsthaft, Cat, wenn du nicht so drängeln würdest, wäre ich schon dreimal fertig. Dieser Gürtel macht mich wahnsinnig. Warum erfindet man solche Schnallen? Welcher normale Mensch soll damit zurechtkommen?« Er hielt die beiden Enden seines Gürtels planlos in der Hand und funkelte die beiden Ringe, die die Schnalle bildeten, böse an.

»Jaakko«, murmelte ich leise, versuchte, etwas Dringlichkeit in meine Stimme zu geben, und sah Scarlett an. Ihre Mundwinkel zuckten amüsiert.

»Was, Cat, was? Das Po-Sternchen wird schon noch warten können, bis ich diesen Gürtel bezwungen habe.« Jaakko blickte auf und starrte an mir vorbei zu Scarlett. Die junge Frau hob zaghaft eine Hand und winkte grinsend. Jaakkos Miene entgleiste.

»Po-Sternchen?«, erwiderte sie in perfektem Deutsch mit schwerem, amerikanischen Akzent. »Was bitte ist ein Po-Sternchen?«

»Sie sprechen deutsch«, stammelte ich. Scarlett zuckte mit den Achseln.

»Ich wusste nicht, ob Sie Deutsche sind, wo Jaakko aus Finnland stammt …« Scarlett hielt irritiert inne. Jaakko starrte sie immer noch perplex an.

»Was macht sie denn hier?« Der Gürtel war vergessen.

»Sie hat geklopft, nein, falsch, ihr Mike hat geklopft und da hab ich sie reingelassen.«

»Ihr Mike?«

»Security. Was ist ein Po-Sternchen? Ich sollte vielleicht wissen, mit was für Spitznamen du mich betitelst, wenn wir zusammenarbeiten.«

»Ein Stern auf dem Hintern.« Jaakkos Gesichtsfarbe wechselte in peinliches Rot. Fasziniert blickte ich von Jaakko zu Scarlett. Ihre Reaktion wollte ich mir auf gar keinen Fall entgehen lassen. Ich hatte Jaakko gewarnt, dass sein Hang zu seltsamen Spitznamen irgendwann wie ein Boomerang zurückkommen würde. Et voilà.

»Wessen Hintern?« Scarletts Augen funkelten amüsiert. Ich schnappte nach Luft. Vor meinem inneren Auge flimmerte eine ganze Reihe von möglichen Antworten vorbei, aber diese war definitiv nicht dabei. Gespannt wandte ich mich wieder an Jaakko. Seine Mundwinkel zuckten.

»Deiner?«

Scarlett japste. »Und welche Farbe sollte er haben?«

Jaakkos Grinsen wurde breiter. »Rot, was sonst. Etwas anderes käme bei deinem Namen überhaupt nicht in Frage.«

Scarlett prustete laut. »Po-Sternchen, so hat mich auch noch keiner genannt.«

»Es gibt für alles ein erstes Mal.«

»Sehr witzig. Wollen wir?« Scarlett warf einen Blick auf ihr Handydisplay. »Ich glaube zwar nicht, dass man Scarlett Fox‘ Reservierung einfach so canceln würde, aber wir sollten vielleicht nicht zu spät auftauchen.«

Jaakko griff nach seinem Gürtel und blickte mich hilflos an. Energisch schüttelte ich den Kopf. »Du hast dir dieses Ding selber gekauft, also ich habe keine Ahnung, wie man mit dieser Schnalle umgeht.«

Jaakko rollte mit den Augen, zog an einem Ende des Gürtels und beförderte ihn mit einem kräftigen Ruck aus seiner Hose. Autsch. Na hoffentlich rutschte ihm das Kleidungsstück nicht von den viel zu schmalen Hüften. »Fertig«, krähte er, trat zur Seite und deutete Richtung Flur. »Wollen wir dann?«

 

*

 

Eine gute halbe Stunde später saßen wir in einem feinen Stuttgarter Restaurant in einem separaten Hinterzimmer, abgetrennt von den üblichen Gästen und unterhielten uns ungezwungen mit Scarlett. Ihre beiden Security-Schränke bezogen vor der Tür Stellung und scannten ständig die Lage. Sie erzählte von den Anfängen ihrer Karriere, davon, wie sie bereits als Zwölfjährige in einer TV-Show aufgetreten war. Ihren ersten Agenten hatte sie mit vierzehn. Kurz darauf folgte ein Plattenvertrag bei einem großen amerikanischen Label und die erste No. 1 Platzierung. Jaakko lauschte kopfschüttelnd ihrer Erzählung. Natürlich kannte ich Scarletts Musik. Ihre Songs waren aus dem Radio gar nicht mehr wegzudenken. In schöner Regelmäßigkeit erschien ein neues Album auf dem Markt und zu Weihnachten brachte sie immer einen winterlichen Hit. Selbstredend, dass jedes Album einschlug wie eine Bombe. Insgeheim war ich froh, dass Max ihre Musik erst so spät entdeckt hatte und ein ganz normaler Teenager gewesen war. Scarlett schien mir bodenständig geblieben zu sein, aber es gab genug Beispiele aus der Boulevardpresse, die den Bezug zum echten Leben vollständig verloren hatten.

Jaakko lehnte sich zurück und schob den leeren Teller von sich. Zufrieden lächelte ich. Leere Teller kamen in letzter Zeit nicht sehr häufig vor. »Und wie war es bei dir? Ich meine, Moonstuck ist erst in den letzten Jahren so berühmt geworden. Ihr habt sicher auch schon vorher Musik gemacht.«

Jaakko beugte sich vor, griff nach seinem Wasser und nahm einen tiefen Schluck. »Ein wenig.« Jaakkos Mundwinkel kräuselten sich. Scarlett hatte mit keiner Silbe eine musikalische Ausbildung erwähnt. »Ich mache, wenn du es sehen willst, seit 45 Jahren Musik. Ich habe eine klassische Ausbildung genossen mit einer Million Übungsstunden am Cello, später Kontrabass, bin auf ein Musikgymnasium gegangen, habe eine Ausbildung zum Tontechniker und Mixing Engineer und kann dir, wenn du es willst, ein komplettes Bühnensetup einrichten, das Soundsystem hochziehen und die Feinjustierung nahezu aller Instrumente vornehmen. Nur meine Drummerfähigkeiten lassen arg zu wünschen übrig. Aber einen sixtyfour Beat kriege ich noch hin.« Jaakko grinste unverschämt.

Scarletts Augen wurden groß. »Wow, also ganz von unten?«

Jaakko nickte. »Mit allen Untiefen, die dazu gehören. Mein Rücken ist nicht ohne Grund hinüber.« Scarlett seufzte.

»Irgendwelche Tipps? Ich will den Job schließlich mindestens genauso lange machen wie du.«

»Kein Alkohol. Finger weg von den Drogen. Glaub mir, du bereust es bitterlich. Es gab Zeiten, da hat der Alkoholpegel in meinem Blut ausgereicht, um manch einen ins Koma zu bringen.« Er hob den Finger und deutete auf sie. »Pfoten weg von dem Zeug und du kannst das eine ganze Weile machen. Und zieh klare Grenzen. Nimm dir Auszeiten. Jetzt bist du jung und denkst, dass das alles schon geht. Aber irgendwann wird der Punkt kommen, wo es eben nicht mehr geht und dein Körper dir unmissverständlich sagt, dass es genug ist. Und wenn du es dann erst bemerkst …«

»… ist es eigentlich schon zu spät«, beendete Scarlett Jaakkos Satz. Er presste die Lippen zusammen und nickte verkniffen. »Ist es bei dir schon zu spät? War das in Atlanta …«

»Es wird langsam wieder.«

»Tut mir leid, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich nie eine Anfrage gestellt. Aber euer Management …«

»… sah nur deinen Ruhm. Jorma und Jesse wollten immer nur das Beste für die Band. Dabei haben sie aber das Wesentliche aus dem Blick verloren. Dass wir eigentlich immer nur Musik machen und unsere Kreativität ausleben wollten. Ich behaupte mal, sie ließen sich von dem Musikzirkus anstecken und andere bestimmen, wann sie Männchen zu machen haben.«

Scarlett atmete tief durch. »Du wolltest gar nicht …«

»Absolut nicht.«

»Und warum bist du jetzt hier? Warum hast du doch noch zugestimmt?«

Jaakkos Mundwinkel zuckten. »Hättest du locker gelassen?« Scarlett schüttelte den Kopf.

»Aber ich wollte nicht …«

»Keine Sorge«, mischte ich mich in das Gespräch ein. Jaakko brauchte die Musik wie die Luft zum Atmen, doch das würde er niemals zugeben. Er vermisste Moonstuck und das Bandleben, seine Freunde und die Musik. Scarlett gab ihm genau das in wohldosierten Portionen. »Jaakko würde es nicht zugeben, aber er genießt das hier wirklich.«

Jaakko verzog das Gesicht. »Toll, ich wollte sie gerade davon überzeugen, uns wieder heimzuschicken.« Zärtlich griff ich nach seiner Hand und schenkte ihm ein Lächeln.

»Das willst du doch gar nicht, du alter Esel.« Jaakko schnitt eine Grimasse. Scarlett lachte.

»Okay, aber ich will wirklich nicht, dass du dich zu irgendetwas genötigt fühlst. Wirst du, wenn es dir besser geht, zu Moonstuck zurückkehren?«

Jaakko wurde wieder ernst. »Damit du weißt, wie weit du mich verplanen kannst?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Zack hat bereits versucht, mit Jorma darüber zu reden. Aber Moonstuck ist zu keiner Aussage bereit. Ich würde gerne mehrere Songs mit dir ausprobieren und vielleicht auch den ein oder anderen Auftritt«, tastete sich Scarlett vorsichtig an ihn heran. Jaakkos Miene verhärtete sich.

»Deshalb das Essen, ja? Um herauszufinden, wo ich stehe? Ist das nicht ein wenig hinterlistig?«

Abwehrend hob sie ihre zierlichen Hände. »Nein, ich wollte dich richtig kennenlernen. Ohne einen Manager, der dir oder mir im Nacken sitzt. Immerhin werden wir ein paar Tage ziemlich eng miteinander zusammenarbeiten.«

Jaakko beugte sich vor. »Ist das nicht ein wenig spät? Wir haben die Verträge bereits unterzeichnet.«

»Ich habe einen Vertrag mit Moonstuck unterzeichnet.«

»Und ich bin kein Teil der Band mehr.«

»Kein aktiver Teil«, betonte Scarlett. »Du bist noch immer drin.«

Jaakko knurrte leise. »Haarspalterei. Um auf deine Frage zurückzukommen, nein, ich werde Moonstuck nicht wieder aktiv begleiten.« Erleichtert atmete ich aus, woraufhin Jaakko mir einen grimmigen Blick zuwarf.

»Der Stress tut dir nicht gut«, erklärte ich mich.

»Wie viel Stress verträgst du denn? Zack will mich seit Wochen davon abbringen, mit dir auftreten zu wollen. Er meint, du wärst zu alt dafür und würdest es gesundheitlich gar nicht mehr hinkriegen.«

Jaakko verzog das Gesicht. »Der nächste, der mein Alter als Begründung heranzieht, den kastriere ich. Noch vor dem Nachtisch.« Er brummte grimmig. »Ich habe bereits Musik gemacht, da warst weder du noch du«, er deutete erst auf Scarlett, dann auf mich, »geboren. Weder Zack noch einer von euch entscheidet, ob ich etwas kann oder nicht kann. Das mach ich ganz alleine.«

»Ach wirklich?« Ich hatte da so meine Zweifel.

»Cat … ich kann das.«

»Du willst das«, formulierte ich seine Aussage um. »Ob du es wirklich kannst, wird sich zeigen.«

»Also … wärst du bereit für ein paar Auftritte, wenn es sich ergeben sollte? Ich weiß, es ist sehr zeitig, aber wir kriegen bereits jetzt Anfragen in sechs oder acht Monaten. Du musst auch keine Kisten schleppen, keinen Soundcheck machen, und nie wieder vorsingen.«

Jaakko verschränkte die Arme vor der Brust. »Kein Vorsingen? Bist du sicher? In eurem Business scheint das ja so üblich zu sein.«

»Nein, nein. Zack hat sich bei der Anfrage vermutlich total falsch ausgedrückt.«

Jaakko lachte. »Keine Ursache. Es geht, und ja, du darfst mich gerne einplanen.«

Scarlett lächelte. Die Erleichterung war ihr deutlich anzusehen. »Super, dann können wir ja endlich zum Nachtisch übergehen.«

 

*

 

Irgendwann würde ich diesen Mann noch umbringen. Oder ich kaufte ihm eine Uhr. Eine richtig Große, die ihm schön auf die Nerven ging, zwei Beine hatte und ihm überall hinterherlief. Das Frühstück hatten wir noch im Zeitplan hinter uns gebracht, aber dann ging es schon wieder los. Hier noch mal Nachrichten anschauen, Zähne putzen, sinnlos im Koffer herumwühlen, Gitarre suchen, dreimal drüberstolpern und immer noch nicht finden. Es war zum Haareraufen. Ich war fast so weit und hätte ihn allein ins Tonstudio geschickt. Aber andererseits fürchtete ich, dass Jaakko sich erneut übernehmen würde, wenn ich nicht dabei war. Natürlich war er ein erwachsener Mann und selbstverantwortlich. Nein, Moment, wir redeten von Jaakko Salmela, Chaosprinz in Person. Dieses Mal würde ich mitgehen und mir die Aufnahmen ansehen, wenn alles glatt lief, dann konnte ich beruhigt shoppen. Aber so fühlte ich mich einfach noch nicht wohl, ihn mit seinem vor wenigen Wochen operierten Rücken arbeiten zu lassen.

»Jaakko, ich geh jetzt runter und halte den Fahrer auf. Entweder du kommst jetzt oder …«

Die Badezimmertür ging auf und er strahlte mich an. »Bin schon fertig. Kommst du jetzt?« Mit einem Schritt stand er im Flur und streckte die Hand nach dem Türgriff aus. »Los, Cat, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.«

»Echt jetzt?« Ich griff nach meiner Tasche und folgte ihm. »Ehrlich, Jakko, ich weiß schon, warum ich sonst nie mitkomme.« Irritiert hielt ich inne. »Sag mal, machst du das mit Absicht? Damit ich so genervt bin, dass ich dich nie wieder begleiten will?«

Er drehte sich zu mir um und lachte mir ins Gesicht. »Vielleicht.«

»Jaakko Salmela, du kannst mich nicht manipulieren.« Rückwärts gehend grinste er mich an.

»Funktioniert doch super, oder? Du bist genervt. Das nächste Mal fahre ich alleine.«

Ich schüttelte energisch den Kopf. »Noch vor drei Monaten bist du in den Hausflur gekrochen. Du konntest nicht mal stehen.« Jaakko hielt inne, wartete, bis ich ihn erreicht hatte.

»Hey«, machte er und zog mich in seine Arme. »Mach dir keine Sorgen. Ich krieg das hin, wirklich.« Ich vergrub meine Nase an seinem Hals und schob meine Hände unter seine graue Lederjacke. Ich hatte definitiv Angst um ihn, verdammt.

»Mache ich mir aber. Was, wenn dir wieder so etwas wie in Atlanta passiert? Dann bin ich nicht da. Ich könnte nicht mal zu dir kommen und dich abholen. Du müsstest da ganz alleine durch.«

»Machst du dir deshalb Gedanken?«

Ich blickte auf und nickte. »Irgendwie schon.« Monatelang hatte ich dieses Gefühl nicht einordnen können, doch allmählich ließ es sich greifen. Ich hatte tatsächlich Angst, dass ihm etwas passieren konnte und ich nicht da war.

Jaakko legte seine Hände an meine Wangen und liebkoste mit den Daumen meine Kinnpartie. »Ich hab dich gern um mich, aber nicht bei der Arbeit. Du bist für mich Zuhause. Das hier ist mein Job.«

»Aber warum hast du nichts gesagt?«

Jaakko zuckte mit den Schultern. »Vielleicht wegen meinem Rücken? Weil ich nicht sicher war, was ich wirklich schaffe.«

»Soll ich fahren?«

Er schüttelte heftig den Kopf. »Du kannst mich ruhig begleiten, gegen deine Gesellschaft im Bett habe ich ja auch nichts einzuwenden.« Er schob einen Arm über meine Schulter. Gemeinsam gingen wir Richtung Fahrstuhl. Ich tätschelte seinen nicht vorhandenen Bauch.

»So, so. Fürs Bett bin ich gut genug.«

Jaakko lachte. »Das und für noch so vieles anderes.«

Eine gute halbe Stunde später stiegen wir vor dem Tonstudio in einem Stuttgarter Industriegebiet aus. Die Halle wirkte unscheinbar, ein großes Gebäude mit Blechfassade auf einem heruntergekommenen Parkplatz hinter einem elektrischen Tor, das gerade geschlossen wurde. Nur die SUVs auf dem Vorplatz, die deutlich nach Security schrien, deuteten daraufhin, dass vor Ort jemand Wichtiges war.

»Kommen Sie.« Der Sicherheitsmann, der uns vom Hotel abgeholt hatte, hielt uns die Tür auf. Jaakko trat hinter mir ein. Wir standen in einem kleinen Flur. Eine Treppe führte ins Obergeschoss. Ich stieg hinauf, Jaakko folgte mir. »Okay, vergiss, was ich vorhin gesagt habe. Ich bin froh, dass du dabei bist. So muss ich mich dem ganzen Trubel nicht alleine stellen.«

Meine Mundwinkel zuckten. »Tatsächlich? Störe ich nicht?« Seine Hand legte sich auf meinen Hintern. »Hey.«

Jaakko lachte. »Überhaupt nicht. Dort oben ist nicht ein bekanntes Gesicht.«

»Scarlett wird da sein.«

»Und ein Haufen unbekannter Leute. Sonst bin ich nie alleine unterwegs gewesen. Jesse und die anderen waren immer dabei, und noch eine ganze Crew. Meistens jedenfalls.«

»Aber doch nicht im Tonstudio?« Ich warf einen Blick hinter mich. Jaakkos Züge versteinerten, während er sich schwungvoll Stufe für Stufe hochzog. Treppensteigen bekam ihm noch überhaupt nicht. Ich drehte mich um und streckte die Hand nach seiner Fender aus. »Gib her.«

Widerwillig reichte er mir das Instrument. Bis wir die fünfzehn Stufen hinaufgeklettert waren, war er völlig außer Atem. Er stützte die Hände auf die Oberschenkel und pumpte Luft in seine Lungen. »Blöde Idee?«

Jaakko schüttelte den Kopf. Zum Antworten fehlte ihm schlicht die Atemluft. Während er atmete, sah ich mich um. Hinter einer Tür erstreckte sich ein getäfelter Innenbereich. Ich konnte durch den Lichtausschnitt in der Tür sanftes Licht erkennen, sowie einen mit Teppichboden ausgelegten Fußboden. Die Raummitte dominierte ein großes braunes Ledersofa und weitere Türen gingen von dem Bereich ab. Über einer Tür prangten Leuchtbuchstaben. On Air stand dort, allerdings waren die Buchstaben unbeleuchtet. Ah, das musste das Tonstudio sein. Ein junger Mann trat aus einer Tür und sah sich suchend um. Ups. Ich wich einen Schritt zur Seite und verschwand damit hoffentlich aus seinem Sichtfeld. Offensichtlich wurden wir bereits erwartet.

Gerade in dem Moment, als der Mann durch die Tür sah, erhob sich Jaakko und stemmte die Hände in den Rücken, streckte sich und gab ein schmerzvolles Stöhnen von sich. »Treppenlift, vielleicht sollten wir zu Hause einen Treppenlift einbauen.«

»Wie alt bist du?«, erinnerte ich ihn. Der Mann entdeckte ihn und kam auf uns zu. Toll. »Wir kriegen Besuch.« Ich trat neben Jaakko, den Gitarrenkoffer mit beiden Händen vor mich haltend. Jaakko erspähte den Mann und hob grüßend die Hand.

Der Typ öffnete die Tür und steckte den Kopf zu uns hinaus auf den Flur. »Jaakko Salmela?«, fragte er mit englischem Akzent.

»Joo«, antwortete Jaakko die finnische Variante eines Jas. Der Mann nickte, öffnete die Tür vollständig und bat uns herein.

»Scarlett wartet schon. Wo seid ihr denn geblieben?«

»Der Verkehr«, log Jaakko und stapfte verbissen einen Fuß vor dem anderen setzend in das Tonstudio. Der Mann neigte den Kopf zur Seite und beobachtete seinen Gang.

»Alles in Ordnung?«

Jaakko drehte sich um und winkte ab. »Alles bestens.«

»Okay, wenn du meinst. Ich bin übrigens Andy, Scarletts Sound Engineer. Alle sind schon im Studio. Kommt.« Andy ging an uns vorbei und nahm eine Tür links vom On Air Zeichen. Jaakko rollte mit den Augen und humpelte hinter ihm her. Er zog das Bein ein wenig nach.

»Hast du Schmerzen?«, fragte ich ihn auf Deutsch. Andy hatte Englisch gesprochen, so dass ich davon ausgehen konnte, dass er uns – hoffentlich – nicht verstand. Um auf Nummer sicher zu gehen, senkte ich meine Stimme.

»Ja«, raunte Jaakko mir zu und schob mich vor sich her. »Aber das wird schon. Mir geht es gut, ich freu mich auf die Aufnahmen.«

Ich stieß einen ergebenen Seufzer aus. »Genau das hab ich befürchtet.« Er stellte seine Gesundheit zurück – wie immer. Ich hätte ihn darauf hinweisen können, dass er vor lauter Musik nicht auf die Signale seines Körpers achtete, dass er sich zu viel zumutete und es heute Abend bestimmt bereuen würde. Aber gerade wenn es um Musik ging, konnte ich mir vernünftige Argumente sparen. Ich hätte genauso gut mit der Wand diskutieren können. Die hätte mir sogar zugehört. Jaakko hingegen war ein hoffnungsloser Fall. Statt etwas zu sagen, nickte ich sein Grinsen und Schulterzucken einfach nur ab. Ich würde ihn ja doch nicht umstimmen können. Jetzt wusste ich auch, warum ich tatsächlich mitgekommen war: Um ihn anschließend, wenn er stundenlang gejammt und gesungen hatte, wieder zusammenzuflicken.

 

*

 

»Jaakko! Cat! Da seid ihr ja endlich!« Die zierliche Scarlett Fox stieß sich vom Mischpult ab, rollte mit dem Drehstuhl zurück und hüpfte von der Sitzfläche, nur um Jaakko wie ein hyperaktives Eichhörnchen anzuspringen. Mein Mann lachte und schloss die zappelnde Sängerin in die Arme.

»Um nichts in der Welt hätte ich das verpasst.« Scarlett ließ Jaakko los und umarmte mich mit der gleichen Herzlichkeit. Nachdem sie sich wieder von mir gelöst hatte, stellte sie uns die Runde vor. Andy, den Sound Engineer hatten wir ja bereits kennengelernt. Im Studio befanden sich noch Zack, der Jaakko mit einem kräftigen Handschlag begrüßte, Flynn, der Audio Designer des Studios sowie Martin Landy, der sich als Produzent vorstellte und Jaakko hinter seiner schwarzen Hornbrille kritisch musterte. In der Ecke des Raumes auf einem Sofa lümmelte ein junger Mann herum, der nur kurz die Hand hob, als Scarlett ihn als Isaac vorstellte. Hinter vorgehaltener Hand murmelte sie, dass Isaac einige Songs komponiert hatte.

»Du warst auch nicht unbeteiligt!«, warf Isaac ein und sah von seinem Smartphone auf. Scarlett winkte ab.

»Ich kann gar nicht komponieren.«

»Doch.« Isaac erhob sich und gesellte sich zu uns. »Sie hat das richtige Gespür. Ich empfehle ihr ständig, eine entsprechende Ausbildung zu machen. Sie könnte Großartiges zustande bringen.«

Jaakko verschränkte die Arme vor der Brust. »Hab ich ihr auch gesagt. Nichts ersetzt eine fundierte Ausbildung. Gar nichts.« Isaac blinzelte.

»Wo hast du studiert?«

»Tampere, 85 bis 90.«

»Was?«

»Bass, klassische Gitarre und Musiktheorie.«

Isaac nickte. »Wusste ich, kann man bei Moonstuck alles nachlesen. Ich wollte nur wissen, ob es auch stimmt.«

Jaakko verzog das Gesicht. »Na, besten Dank auch.«

»Es gibt viele, die sich mit fremden Lorbeeren schmücken, gerade in unserer Branche«, wandte Martin Landy ein.

Darauf sagte Jaakko nichts. Der Produzent musterte ihn von oben bis unten. »Bist du dir wirklich sicher, Scarlett? Er mag vielleicht auf dem Album gut klingen, aber live?«

Scarlett hakte sich bei Jaakko unter. »Live ist er noch viel besser. Komm, ich zeig dir alles. Hast du geübt?«

Jaakko hob eine Augenbraue. »Ich übe nicht.«

»Nicht? Okay …«

Andy nahm hinter seinem Pult Platz und scheuchte Flynn auf seinen Stuhl. »Geht schon mal rein, singt euch ein, wir machen gleich mal ein paar Probeaufnahmen.«

Während Jaakko und Scarlett in den Aufnahmeraum gingen, machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich, zog mein Smartphone aus der Tasche und scrollte die Nachrichten durch.

»Zack, das kann nicht ihr Ernst sein. Der Kerl ist mindestens doppelt so alt. Das krieg ich nie durch.« Ich hob den Kopf. Offensichtlich nahmen sie mich nicht einmal wahr, denn Zack fuhr ungehindert fort.

»Sie ist fest von ihm überzeugt. Schlag ihr mal etwas aus. Sie ist Scarlett Fox, sie bestimmt, mit wem sie singt.«

»Aber nicht, mit wem sie auftritt. Das wirkt doch wie die Schöne und das Biest. Hast du seine Haare gesehen? Ja, ich weiß, wer er ist und ich kenne die Schlagzeilen der letzten Monate. Der ist doch nicht umsonst bei Moonstuck rausgeflogen. Da hat es doch mächtig gebrodelt. Und jetzt versucht er sich hier einzuschleichen, weil die ihn nicht mehr wollen.Zack, Scarlett braucht niemanden, der ins Altersheim gehört. Sie sollte sich einen jungen, knackigen Sänger suchen, der …« Martin verstummte, sein Blick klebte an der Szene, die sich hinter der Scheibe abspielte. Jaakko nahm in der Zwischenzeit einen Hocker in Beschlag. Etwas ungelenk suchte er sich eine geeignete Position und stellte das Mikrofon auf seine Größe ein. Scarlett reichte ihm einen Kopfhörer und nahm sich selbst einen.

»Noten?«, hörte ich sie über den Lautsprecher fragen. Jaakko hob eine Augenbraue.

»Nicht für mich.« Scarlett rollte mit den Augen, doch ich konnte ihr ansehen, dass sie es nicht ernst meinte, sondern sich wahnsinnig auf die gemeinsamen Aufnahmen freute.

»Ich hätte sie ja separat einsingen lassen«, murrte Flynn. Isaac nahm neben dem dunkelhaarigen Audio Designer Platz und schlug ein Notizbuch auf. Daneben platzierte er sein Handy, wo eine seltsame Musikapp lief. Ich hatte sie schon ein paar Mal bei Jaakko gesehen. Sie diente ihm dazu, den richtigen Ton zu finden.

»Wir fangen mit Nothing Left an. Singt einfach mal ein, wir schauen dann, wie es klingt. Ist nur ne Probeaufnahme. Also alles ganz chillig«, sprach Andy durch ein Mikrofon, das direkt mit der Aufnahmekammer verbunden war. Jaakko und Scarlett nickten, zeigten einen Daumen hoch.

»Okay«, murmelte Andy. »Dann schaun wir mal, was die beiden draufhaben.« Ich schmunzelte in mich hinein und gab vor, wieder auf meinem Smartphone zu lesen. Da Jaakko nicht sehr häufig sang, war die Überraschung immer besonders groß, sobald er den Mund aufmachte. Bei Moonstuck übernahm er nur in wenigen Stücken einen Teil des Gesangsparts. Häufig unterstützte er im Background. Backgroundsänger wurden meistens unterschätzt. Sie mussten ein besonders gutes Ohr für Harmonien haben und sich immer dem Lead anpassen. Seine Fähigkeiten lagen vor allem darin, Merja noch besser klingen zu lassen, sich unter ihre Stimme zu legen und ihr Volumen zu verleihen, um beispielsweise einen Refrain intensiver klingen zu lassen. Die ganze Bandbreite von Jaakkos Talent kam nur selten zum Tragen. Insgeheim freute ich mich für ihn. Scarletts Songs boten ihm genug Raum, sich vollkommen zu verausgaben, als zweiter Lead. Ich war gespannt.

Schwere Beats erfüllten die Aufnahmekammer. Ein starker Bass, darüber lag eine hauchzarte Melodie. Jaakko wippte den Takt mit, Scarlett strahlte. Die Beats verklangen und ein Piano setzte ein. Scarlett lockerte ihre Schultern, schloss die Augen und sang sehr hoch die ersten Liedzeilen. Ihre Stimme schwebte über der Melodie, während das Piano sie untermalte. Aus den schweren Bassklängen vom Anfang war eine Ballade geworden. Ein paar Takte später wurde Scarletts Stimme drängender, sank eine Oktave tiefer und die Bässe setzten wieder ein. Scarlett rutschte von Kopfstimme in eine Mixed voice. Nicht, dass ich besonders viel Ahnung hatte, aber wenn man seit Jahren mit zwei Musikern unter einem Dach lebte, schnappte man so einiges auf. Problemlos glitt Scarlett von Head zu Mixed und wieder zurück. Jaakko hatte mir mal erklärt, dass nur die wenigsten Sängerinnen solche Wechsel problemlos schafften. Ein Blick in sein zufriedenes Gesicht zeigte mir, dass er durchaus von ihren Fähigkeiten angetan war. Okay, dazu hätte ich sie nicht singen hören müssen. Wenn er sie nur als durchschnittlich eingestuft hätte, wären wir nicht hier.

Scarletts Stimme wurde drängender, die Bässe schwerer und Jaakko stimmte ein. Ihr Gesang bildete einen Kontrast, gegenseitig spielten sie sich die Bälle zu. Dabei war Jaakkos Stimme deutlich höher als Scarlett. Ich riskierte einen Blick zu den Jungs an den Mischpulten. Gebannt starrten sie in den Aufnahmeraum.

»Das ist perfekt«, murmelte Flynn und drehte an ein paar Reglern, während Jaakkos Stimme sich in die Höhe schraubte und den ersten Höhepunkt im Song ankündigte. Scarlett übernahm wieder mit hauchzartem Gesang und der Pianomelodie. Ein paar Takte später schickte sich Jaakko an, so hoch zu singen, dass man das Gefühl hatte, er würde schreien. Er hielt den Ton unglaublich lange. Scarlett trat einen Schritt zurück, grinste und feuerte ihn an. Jaakko setzte noch einen drauf und endete mit dem für ihn typischen kräftigen Nachklang, so dass man annahm, er hätte noch für mehrere Takte Luft in den Lungen. Pah, dachte ich, aber bei ein paar Treppenstufen außer Atem kommen.

Zack keuchte. »Okay, ich nehm alles zurück. Die müssen zusammen auf die Bühne. Das ist Hammer.«

Mein Blick glitt zu Martin, während Jaakko und Scarlett im Aufnahmeraum so perfekt harmonierten. Martin verzog das Gesicht.

»Und wo? Scarlett hat unglaublich viele Auftritte.«

»Die Fernsehschows auf alle Fälle«, meinte Zack. Sein Blick glitt zu mir. Jaakko und Scarlett sangen mittlerweile den Refrain gemeinsam und rockten danach bei dem Gitarrensolo ab. Der Song war so gar nicht das, was ich von Scarlett gewohnt war. Klar, es war auch kein Metal, eher harter Rock, genau das, was Jaakko auch hören würde. Die zarte Pianomelodie lockerte die harten Sounds auf, der Kontrast spiegelte sich in den beiden Sängern wieder. Ich fand‘s perfekt.

»Cat?«, wandte sich Zack mir zu. Ich hob den Blick, mir erst jetzt wieder bewusst werdend, dass man mich doch nicht vergessen hatte.

»Ja?«

»Wie schaut es terminlich bei euch aus? Für wie viele Termine hat er Zeit?«, hakte Zack nach.

»Na, eigentlich müsste er doch frei sein, oder? Moonstuck ist ja nicht mehr.« Ich mochte Martin überhaupt nicht.

»Ich weiß nicht, Zack«, antwortete ich Scarletts Manager und ignorierte Martin absichtlich. Der Typ hatte doch keine Ahnung und ich nicht die geringste Lust, ihn über Jaakko und Moonstuck aufzuklären.

»Ja, bist du jetzt seine Managerin oder nicht?«, blaffte mich Martin an. Super, jetzt reichts. Ich packte mein Telefon weg und erhob mich.

»Martin, sie ist nicht seine Managerin. Sie ist seine Frau«, erklärte Zack. Martins Augen wurden groß.

»Oh. Also, ähm. Entschuldige.« Martin rieb sich den Nacken und wandte sich wieder dem Geschehen im Aufnahmeraum zu.

»Danke, Zack. Nein, ich weiß nicht, wie viel Zeit er wirklich hat. Vielleicht schauen wir einfach mal, wie ihm die Aufnahmen bekommen.« Mein Blick glitt zu Martin, der sich interessiert nach mir umdrehte.

»Ist er krank?«

Ich atmete tief durch. »Ja, ist er. Und nein, er hat Moonstuck zwar verlassen, ist aber weiterhin für sie tätig.«

Martin erwiderte ungerührt meinen Blick. »Das tut mir leid. Was …?« Eigentlich wollte ich ihm sagen, dass ihn das absolut nichts anginge, doch wenn Jaakko wirklich mit Scarlett zusammenarbeiten sollte, war es vielleicht nicht gerade förderlich, mich mit dem Produzenten zu verkrachen. Nur weil er ein paar Bemerkungen fallen gelassen hatte, die nicht für meine Ohren bestimmt waren.

»Eine Arthrose in den Lendenwirbeln«, erklärte ich. »Er kann nicht wirklich lange stehen, laufen, Treppensteigen ohne Schmerzen zu haben.« Martin starrte mich an.

»Fuck«, machte er schlicht. Ich nickte. Ja, ganz genau. Fuck.

 

*

 

»Er ist verdammt gut«, murrte Andy nach drei Songs, die innerhalb kürzester Zeit im Kasten waren. Für jeden Song brauchten Jaakko und Scarlett maximal vier Aufnahmen. Manche Parts ließen sie die Techniker noch zwei, dreimal einsingen, aber alles in allem waren wir gegen Mittag fertig. Für den morgigen Tag waren noch zwei Songs geplant. Scarlett bestand darauf, Jaakkos Parts auf zwei Tage aufzuteilen. Nach meiner kleinen Ansprache bezüglich seiner Erkrankung drängelte weder Martin noch Zack.

»Wir haben das Studio sowieso für zwei Tage gebucht.« Martin blickte unsicher zu mir. »Die Songs sind großartig. Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass die beiden so gut harmonieren. Danke.«

»Vielleicht überdenken Sie Ihre Meinung bezüglich seines Alters noch mal.« Martin verzog das Gesicht, als ob er eine äußerst bittere Pille zu schlucken hatte.

»Ich behaupte glatt das Gegenteil.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Okay, ich sollte das Friedensangebot einfach annehmen, doch bevor ich etwas erwidern konnte, wurde meine Aufmerksamkeit in den Aufnahmeraum gelenkt. Jaakko rutschte steif wie ein Brett vom Hocker, richtete sich stöhnend auf und drückte den Rücken durch. Gespannt hielt ich den Atem an. Ein leiser Schmerzenslaut entwich ihm, doch dann stakste er – zwar etwas ungelenk, aber ohne zu stolpern – zur Tür und war wenige Augenblicke später ihm Kontrollraum.

»Und?« Fragend sah er mich an. Ich seufzte.

»Sag du es mir.«

»Geht schon.« Ich schüttelte den Kopf, erhob mich vom Sofa und deutete nachdrücklich auf die Sitzfläche. Jaakko rollte mit den Augen, gehorchte aber und ließ sich seufzend in die Polster sinken. Die Blicke der Anwesenden folgten ihm, inklusive Scarlett, die hinter ihm den Aufnahmeraum verlassen hat.

»Und, wie war‘s?«

»Die Aufnahmen waren klasse, aber so könnt ihr nicht auftreten. Das funktioniert nicht. Wir können ihm doch keine Couch auf die Bühne stellen«, erklärte Martin und verspielte damit die gewonnenen Sympathiepunkte.

Jaakko hatte sich den Unterarm über die Augen gelegt und konzentrierte sich nur aufs Atmen. »Das wird schon noch. Die OP ist grad zwei Wochen her.«

»OP?« Scarlett starrte ihn entsetzt an. »Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte doch niemals den Termin angesetzt, wenn ich gewusst hätte, dass …«

»Süße, es ging um Schmerzreduktion. Die haben die Nervenenden in meinem Rücken verödet.«

»Und hat‘s funktioniert?«

Jaakko lachte, verzog allerdings kurz darauf wieder das Gesicht. »Ja, hat es. Aber ich bin noch relativ schnell erschöpft. Das wird schon. Mach dir keine Sorgen.«

»Für wann sind denn Auftritte geplant?« Ich wandte mich an Zack.

»Zwei, drei Monate.«

Jaakko richtete sich auf, schob die Beine von der Couch und lehnte sich in die Polster. »Das ist kein Problem. Oder, Cat? Kein Problem?«

Ich schüttelte zweifelnd den Kopf. »Du hast keine Ahnung, wie es sich entwickelt.«

»Doch, hab ich. Das wird werden. Plant mich ein.« Jaakko schluckte. »Bitte.« Er warf mir einen Blick zu, der mir unmissverständlich klarmachte, wie sehr er das Spielen und Singen brauchte. Langsam schloss ich die Augen und nickte.

»Okay, ja. Das wird werden.« Jaakko lächelte. Als ich die Augen wieder öffnete, ergriff er meine Hände und drückte sie zärtlich. Kiitos, formte er mit den Lippen.

Verdammt, du mich auch Kiitos, murmelte ich in Gedanken.