Die Musikindustrie dürfte sich durch den Einfluss generativer KI ebenfalls verändern. Plattformen wie Spotify, Apple Music, Amazon Music und Soundcloud nutzen KI-Technologien schon lange, um personalisierte Playlists zu erstellen und Musikempfehlungen zu geben. Auch rein synthetische Musik findet sich dort immer mal wieder, inklusive erfundener Biografien für Fake-Musiker. 2023 verlangte das Plattenlabel Universal, Spotify solle alle Songs, die Anwender mit dem KI-Tool Boomy kreiert hatten, aus dem Angebot nehmen. Nach eigenen Angaben waren zu dem Zeitpunkt bereits mehr als 14,5 Millionen Songs mit dem Tool kreiert worden, das entspräche knapp 14 Prozent der weltweiten Musikaufnahmen. Am Ende gab Spotify klein bei und löschte die mit Boomy generierten Musiktitel: Für die meisten Musikhörenden spielen die von Universal vertretenen Künstlerinnen und Musiker eine zu große Rolle, um auf sie zu verzichten.
Aber es gibt Ausnahmen. Gebrauchsmusik zu medizinischen Zwecken oder zur Entspannung wird bislang noch von eigenen Apps, wie dem bereits erwähnten Endel, bereitgestellt. Doch es würde mich wundern, wenn die Großen der Branche in ihrem Bemühen, zur zentralen Quelle für Audioinhalte zu werden, nicht immer mehr synthetischen Content integrieren. Der qualitative Unterschied von generierter Musik zu einer endlosen Playlist «Piano-Tunes zur Entspannung» ist überschaubar. Auch außerhalb der Streamingplattformen wird der Anteil von Gebrauchsmusik zunehmen, die von Algorithmen für Supermärkte, Wartebereiche, Computerspiele oder Business-Anwendungen generiert wird. Insgesamt schätze ich dennoch den zukünftigen Anteil von komplett algorithmisch erzeugter Musik als eher gering ein, weil der Strom von menschlichen Nachwuchstalenten groß genug ist und die Vorteile generierter Klänge für nicht übermäßig viele Fans interessant sein dürften.
Eine weitere Ausnahme sind KI-Werkzeuge in der Produktion. Selbst Amateurwerkzeuge, ganz zu schweigen von Profiprogrammen, bieten eine Vielzahl synthetischer Soundbausteine für die Musikproduktion an. Die Zahl an verfügbaren Musikstücken wird in jedem Fall deutlich steigen, aber nur ein Bruchteil wird es im schwer umkämpften Musikmarkt nach oben schaffen. Von synthetischer Musik würde ich hier nur bedingt sprechen, weil es immer noch menschliche Produzentinnen oder Musiker sind, die diese Werkzeuge benutzen.
Fake-Songs von Drake, The Weeknd, Rihanna, Eminem, Harry Styles oder Ariana Grande verursachen jedes Mal großen Aufruhr. Warum konzentrieren sich die Medien besonders auf solche Beispiele aus der Musik? Erstens wird uns bei diesen perfekt gemachten Imitationen die Leistungsfähigkeit von künstlicher Intelligenz klar, schließlich ist für Laien meist kein Unterschied zwischen Fake und Original zu erkennen. Zweitens ist es natürlich im Interesse der Stars, ihre Stimmen, ihre ganz besondere Art der Komposition oder Musik zu schützen und auf solche Fakes sehr deutlich öffentlich hinzuweisen. Und drittens zeigt sich, dass die Werkzeuge dafür gar nicht mal so schwer zu bekommen sind. Laien sind in der Lage, vermeintliche Kunstwerke von Weltstatus zu schaffen. Alles starke Botschaften mit Aufregungspotenzial. Rein quantitativ machen solche synthetischen Songs aber bislang nur einen kleinen Anteil aus, da es wenig kommerziellen Nutzen gibt.