Das Spiel gegen Arminia Hannover haben wir übrigens am Ende trotzdem gewonnen. Die Mannschaft ist wirklich zum großen Finalturnier nach Hannover gefahren und wurde dort gewaltig eingeseift. Ein schöner Spaß soll es dennoch gewesen sein.
Ich war nicht dabei. Für mich hatte sich das mit dem Fußball nach diesem Elfmeterschießen irgendwie erledigt. Ich habe umgehend meine Karriere beendet. Allerdings ohne Rücktrittserklärung. Ich bin einfach nicht mehr hingegangen. Niemand, nicht mal Mareike, konnte mir hinterher sagen, wie weit ich eigentlich vorbeigeschossen hatte. Die Schätzungen schwankten zwischen fünf und fünfhundert Metern. Nur der gleichfalls kläglich gescheiterte letzte Schütze von Arminia Hannover hat sich später bei mir bedankt. Durch meinen Fehlschuss sei seiner nicht der entscheidende gewesen. Damit hätte ich ihm einen wirklich großen Gefallen getan. Glücklicherweise war es der Kapitän und fraglos beste Spieler von Arminia, der dann den letzten Ball verschossen hat. Bei dem hat sich keiner getraut zu meckern. Manchmal beweist das Schicksal eben auch Fingerspitzengefühl.
«Ich hätte dich übrigens auf jeden Fall verrecken lassen, du Arschloch.»
Mareike sprach überhaupt nicht laut in Richtung des Rockers. Jedoch sehr gut verständlich. Schneidend, mit hoher Intensität.
«Ich wollte nur die Schlüssel. Ich kann nicht mal diesen Heimlich-Griff. Ich hab gelogen, du Wichser!»
«Hat er dir was … na ja, angetan?»
Ich hatte keine Ahnung, wie ich diese Frage stellen sollte. Es aber nun irgendwie wohl doch getan.
«Du meinst angetatscht oder schlimmer?»
«So in etwa.»
«Nein. Nichts Sexuelles. Aber er wollte, dass ich größtmögliche Angst habe, dieses Stück Scheiße.»
Sie spuckte nach ihm, kam aber nicht weit genug, um ihn zu treffen. Beim zweiten Versuch war sie schon dichter dran. Unverdrossen zog sie noch ein drittes Mal, diesmal von ganz unten, die Spucke hoch, holte tief Luft, machte ein Hohlkreuz, als würde sie sich einem Bogen gleich spannen, und …
Der vermeintlich tote Sense schoss hoch. Wie von einem Katapult abgefeuert fuhr er mit einem heulenden Geräusch nach oben. Richtete sich auf, immer weiter, höher, bis seine massige schwarze Gestalt praktisch den gesamten Himmel verdunkelte.
Als würde er von Geisterhand geführt, bewegte er sich, einer fliegenden Kuh gleich, auf Mareike zu.
Um dann kurz vor ihr zusammenzufallen und krachend auf den Boden aufzuschlagen.
Ich war erstaunt, mit welchem Krawumm man auf einem weichen Streuobstwiesenboden auftreffen kann. Die ganze Szenerie schien einzufrieren. Wie gelähmt starrten wir eine gefühlte halbe Ewigkeit lang auf den nun aber hoffentlich endgültig toten Sense.
«Boah ey, wie im Horrorfilm», sagte ich.
«Aber voll», nickte Jana. «Nur dass man da ja irgendwie schon immer vorher weiß, dass so was wahrscheinlich noch mal kommen wird.»
«Genau», stimmte Mareike zu und spuckte jetzt regelrecht lässig treffsicher auf Senses kahlste Stelle am Hinterkopf. «Ist halt immer ein verlässlicher visueller Schockmoment. Funktioniert aber auch nur in Bildern. Also im Film. In Büchern findet man so was zu Recht nie.»