Wir waren uns einig, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, die Polizei zu rufen.
Für gut fünf Minuten. Dann, nachdem alle etwas getrunken hatten, jeder kurz im Badezimmer des Wohnhauses gewesen war und die Schmerzen am Handgelenk ein wenig nachließen, bröckelte diese Entschlossenheit rapide. Die konkrete Bedrohung war zum Vogelnest geworden, und so erschien die Möglichkeit, alles doch noch ärger- und straffrei zu Ende zu bringen, plötzlich wieder realisierbar. Für die Idee, auch Tonne und Sense auf ihrem privaten Friedhof zu begraben, konnten wir uns zunächst nicht so richtig erwärmen. Der schiere Aufwand, den das Verbuddeln der beiden massigen Körper bedeutet hätte, war uns unsympathisch. Schon die Vorstellung ermüdete kolossal.
Nach einigem Hin und Her landeten wir stattdessen bei einer sehr viel eleganteren Lösung. Dachten wir zumindest.
Mehrere Stunden später, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, bog ein schwarzer 7er BMW auf den Parkplatz der «Nord-West-Grüner-Sonnenschein-Hofgemeinschaft e.G.».
Im Kofferraum die Leichen zweier Rocker. Eine Schubkarre aus der Scheune des verlassenen Gehöfts hatte uns beim Transport von Senses Kadaver gute Dienste erwiesen. Unter wildem Protest der um ihre neue Heimstadt gebrachten Spatzen hatten wir Sense zu seinem Kollegen geladen. Der hatte längst eine weitere unangenehme Eigenschaft entwickelt. Falls jemand plant, in nächster Zeit mal drei Zentner totes Fleisch zwei Tage lang ohne jede Kühlung im Kofferraum eines PKWs durch die Frühlingslandschaft zu kutschieren: Ich rate davon ab. Tonne war mitnichten so leblos, wie er tat. Dem Odeur nach zu urteilen mussten extrem viele Mikroorganismen aufs aktivste damit beschäftigt gewesen sein, Tonnes Zellen in Gestank zu verwandeln. Sie hatten ordentlich was geschafft. Mit angehaltenem Atem wuchteten wir Sense auf ihn rauf, ruckelten und zuppelten die beiden Körper so zurecht, dass wir die Klappe schließen konnten, und hofften, dass wir den Kofferraum in der Folge nur noch ein letztes Mal würden öffnen müssen.
Wann genau Mareike die Idee mit dem alten Kükenschredder ihres Onkels gehabt hatte, ließ sich später nicht mehr rekonstruieren. Offiziell war der ja längst nicht mehr in Betrieb. Schließlich war mittlerweile alles bio, artgerecht, mit Respekt vor den Tieren, allem Pipapo. Da wurden natürlich keine männlichen Küken mehr in den Schredder geworfen. Aber er funktionierte offenbar noch. Zumindest behaupteten immer wieder Bewohner von Torfstede, sie hätten ihn des Nachts rattern und knattern gehört.
Wahrscheinlich hing es mit Tonnes Wunsch zusammen, nach seinem Tod aufgegessen zu werden. Wir hatten überlegt, wer denn wohl bereit wäre, jemanden wie Tonne zu essen. Ich hatte meinen Großvater zitiert: «Zur Not fressen die Hühner den Rest. Die fressen alles.» Dann ergab eins das andere.
Grundsätzlich, wusste Mareike, zerrieb der Schredder alles zu Fischfutter. Zumindest war das früher so. Das erschien uns praktikabel und vergleichsweise pietätvoll. Wir würden an die Küste fahren, uns ein Boot leihen und die Überreste der beiden ins Meer streuen. So wäre Tonnes Wunsch entsprochen, und die Leichen wären zudem ökologisch einwandfrei entsorgt. Ein Problem blieben natürlich die beiden Autos und das, was die Rocker ihre Oberste Heeresleitung genannt hatten. Doch Mareike hatte einen Plan.