Level 7
Parker
Conventions waren das Beste. Zugegeben, ich liebte die Livestreams – und wenn ich ehrlich war sogar das anschließende Schneiden der Videos, um sie auf YouTube hochzuladen, auch wenn das manchmal eine echt nervige und langwierige Arbeit sein konnte. Vor allem wenn wieder mal irgendwas nicht so funktionierte, wie es sollte, und dadurch mein ganzer Zeitplan durcheinandergeriet. Doch der direkte Austausch mit meinen Zuschauern war der Teil, der mir am meisten Spaß machte. Ich hätte den ganzen Tag in diesem Raum stehen und mit den Leuten quatschen, sie umarmen, lachen, herumscherzen und irgendwelches Zeug signieren können. Leider hatten die Veranstalter mir genau wie allen anderen nur zwei Stunden Zeit eingeräumt, und als ich den letzten Fan verabschiedete, hatte ich schon über eine halbe Stunde überzogen. Whoops.
Ursprünglich wäre ich allein auf die Convention gekommen, aber vor einer Woche hatte Cole erklärt, er als zukünftiger Gaming-Designer wolle die Gelegenheit nutzen, um zu netzwerken und die neuesten Spiele auszutesten, und Lincoln … okay, keine Ahnung, was der eigentlich hier machte. Aber er studierte Cyber Security, und vermutlich gab es auf der RTX auch eine Spielwiese für jemanden wie ihn.
Von der Autogrammstunde hatte ich die beiden ferngehalten, weil ich das sehr gut allein hinbekam und keinen dazu verdonnern wollte, stundenlang herumzustehen. Trotzdem mussten die beiden genau wie Coles Freundin Mallory zumindest in der Nähe geblieben oder pünktlich zurückgekommen sein, denn sie schleiften mich direkt nach dem Signieren in den abgesperrten Bereich hinter den Bühnen, wo es Snacks und Getränke für die eingeladenen Gamer und Entwickler gab, ­genauso wie die Möglichkeit, zwischendurch kurz zu verschnaufen.
Nach dem Treffen mit meinen Zuschauern schwebte ich noch immer auf einem Adrenalinhoch. Während ich mir Häppchen in den Mund stopfte, versuchte ich, einigermaßen vernünftige Gespräche hinzukriegen. Schließlich ging es neben allem anderen bei solchen Veranstaltungen vor allem ums Networking und darum, alte Freunde und Bekannte aus der Szene wiederzutreffen. Ich begrüßte Leute per Handschlag oder mit kurzen Umarmungen, wir machten ein paar Selfies, die sofort auf Instagram und Co. landeten, tauschten uns über die neuesten gehypten Games aus und vereinbarten gemeinsame Streams und Termine auf den nächsten Conventions. Zwischendurch sah ich mich immer wieder nach Teagan und ihrer Begleitung um, konnte die beiden aber leider nirgends entdecken.
Auch beim Live Let’s Play später am Nachmittag hatten wir keine Möglichkeit, ungestört miteinander zu reden. Bei PUBG beschränkte sich die Kommunikation zwischen allen Teilnehmern auf zugerufene Befehle, Richtungsanweisungen, Jubelschreie, Flüche und wilde Verwünschungen, wenn man selbst oder jemand aus dem eigenen Team getroffen wurde. Ich verlor eine Person aus meiner Gruppe – aber wir schafften es trotzdem in die markierte Zone und gewannen in den letzten Sekunden sogar gegen einen ziemlich berühmten Gamer und seine Truppe. TRGame war schon vor einer ganzen Weile rausgeflogen. Ha! So viel zu den Tränen und Taschentüchern, die sie mir angedroht hatte.
Nachdem alle Programmpunkte erledigt waren, machte ich abends einen kurzen Abstecher ins Hotel, duschte und zog mich um, dann ging es für die After-Show-Party zurück ins Convention Center, wo Lincoln, Cole, Mallory und ich uns unter die Leute mischten. Nach dem zweiten Tag in Folge auf der RTX sollte ich körperlich total erledigt sein, aber stattdessen war ich aufgekratzt und voller Energie. Ich konnte kaum still sitzen, allerdings war mir auch nicht danach zumute, mich auf der Tanzfläche auszutoben, die einen Großteil der Halle ausmachte. Stattdessen versuchte ich mich mit ein paar Leuten aus der Szene, die ebenfalls regelmäßig streamten, an einigen Runden Just Dance, ehe ich zu den anderen zurück­kehrte.
Auf der Bühne lief gerade ein Live-Act, der dem Publikum einheizte, aber der DJ stand schon an seinem Pult bereit, damit die Party richtig starten konnte. Am anderen Ende der Halle gab es ein riesiges Buffet direkt neben der Bar. Die meisten Leute tummelten sich noch dort, aber wir hatten uns in weiser Voraussicht schon mal eine der vielen Sitzecken gesichert. Ächzend ließ ich mich auf ein knallgrünes Sofa mit vielen bunten Kissen fallen.
»Hey.« Ich trat Cole gegens Schienbein, damit er von seinem Handy aufsah. »Wo sind die anderen?«
»Holen was zu trinken.« Er hatte es sich in einem roten Sessel gemütlich gemacht und hob nicht mal den Kopf. Was auch immer er da las oder anschaute, es musste wahnsinnig spannend sein. Spannend genug, um sogar die Plaudertasche unserer WG zum Schweigen zu bringen.
Seufzend lehnte ich mich zurück und ließ den Blick durch die Halle – oder das, was ich bei all den Menschen davon sehen konnte – wandern. Allerdings waren es weder Linc noch Mallory, nach denen ich mich umsah, sondern eine ganz bestimmte junge Frau mit langen, teilweise lila gefärbten Haaren, einer unglaublichen Ausstrahlung und einem Konkurrenzdenken, das mich herausforderte und zu Höchstleistungen antrieb. Während meiner Autogrammstunde hatten wir uns höchstens ein, zwei Minuten miteinander unterhalten. Mehr nicht. Aber ich wollte mehr. Ich wollte in Ruhe mit ihr reden und herausfinden, ob sie im echten Leben genauso war wie online in den Streams. Wie in unseren ganzen Chats. Und ich war ehrlich genug, das zumindest vor mir selbst zuzugeben.
»Suchst du jemand Bestimmtes?« Cole hatte sein Smartphone weggesteckt und sein amüsiertes Gesicht tauchte in meinem Blickfeld auf, als er sich auf dem Sessel vorlehnte. Er wedelte mit der Hand herum, als könnte er nur so auf sich aufmerksam machen. Wie immer zierten zahlreiche Glücksarmbänder sein Handgelenk, ohne die er nie aus dem Haus ging. Einmal war er sogar schon fast beim Campus gewesen und extra wieder zurückgefahren, um sie zu holen.
»Linc«, erwiderte ich auf seine Frage hin. »Mit den Getränken.«
Was zumindest ein Teil der Wahrheit war. Nach der Tanzpartie bei Just Dance war ich am Verdursten.
»Hmmm«, machte Cole nur und rieb sich über den Ring in seiner Augenbraue. »Sicher? Gibt es da nicht noch jemand anderen, der dein Interesse geweckt haben könnte? Sie ist ungefähr so groß und hat …«
»Kein. Wort«, knurrte ich.
Obwohl ich mich für nichts schämte – schließlich war auch gar nichts passiert! –, konnte ich auf seine dummen Sprüche verzichten. Teagan und ich waren Freunde. Freunde, die seit Wochen miteinander schrieben und sich heute zum allerersten Mal in echt gesehen hatten. War es da wirklich ein Wunder, dass ich mehr von ihr woll… ähm, mehr Zeit mit ihr verbringen wollte? Definitiv nicht. Aber das musste ich sicher nicht mit der ganzen Welt teilen. Oder mit meinen neugierigen Mitbewohnern.
Grinsend lehnte sich Cole zurück. »Wie du meinst, Mann. Aber die ganzen Fotos und Videos von euch bei deiner Autogrammstunde erzählen eine ganz andere Geschichte.«
Ich seufzte innerlich. Auch das noch … Dabei hätte ich wissen müssen, dass so etwas sofort online sein und ziemlich hohe Wellen schlagen würde. Wahrscheinlich explodierte die Gerüchteküche bereits. Und ich hatte noch keine Zeit gehabt, überhaupt mal länger auf mein Handy zu schauen, als es dauerte, um ein Foto oder kurzes Video hochzuladen.
Wo war Sophie, wenn man sie brauchte? Sie hätte im Handumdrehen dafür gesorgt, dass Cole die Klappe hielt und nicht weiter auf diesem Thema herumritt. Leider war unsere Mitbewohnerin in Pensacola geblieben, statt mit uns nach Texas zu fahren. Nicht, dass ich es ihr verübeln könnte. Wenn ich an ihrer Stelle gewesen wäre und die Wahl zwischen sturmfreier Bude für ein ganzes Wochenende und einer zehnstündigen Autofahrt mit Cole, Linc, Mallory und mir hätte, würde ich auch Ersteres wählen.
»Also, wenn du meine Meinung dazu hören willst …«
»Will ich nicht«, fiel ich Cole ins Wort, bevor er weiterreden konnte. Wenn der Kerl erst mal anfing, gab es kein Halten mehr. Einmal hatten wir es darauf ankommen lassen und er hatte uns tatsächlich über zwei Stunden lang vollgetextet. Praktisch ohne Luft zu holen. Auf eine Wiederholung konnte ich wirklich verzichten.
»Was willst du nicht?«, fragte Mallory und setzte sich mit einem Cocktail in der einen und einem Bier in der anderen Hand auf Coles Schoß. Erst überreichte sie ihm das Bier, dann drückte sie ihren Mund auf seinen.
Ich wandte den Blick ab. Im Grunde mochte ich Mallory – sie war immer gut drauf, hatte einen tollen Sinn für Humor und war auch noch hübsch anzusehen. Aber die beiden zusammen konnten auf Dauer nervig werden. Ständig knutschten oder schmusten sie herum, völlig egal, ob sie allein oder in Gesellschaft waren. Ich schnaubte. Pärchen waren anstrengend. Aber das hier war immer noch besser als Faye und ihren Ehemann auf Callies Geburtstagsparty zu ertragen. Sieben Stunden lang. Und da gab es echt noch Leute, die behaupteten, in einer Multiplayer-Lobby darauf warten zu müssen, dass das Spiel endlich startete, wäre die Hölle. Die hatten ja keine Ahnung.
Ich atmete auf, als Lincoln endlich aus der Menge auftauchte und mir gleich darauf ein Bier in die Hand drückte. »Danke, Kumpel.« Ich trank ein paar Schlucke gegen den Durst – und dann noch einen großen, um Cole und Mallory auszublenden.
Lincoln ließ sich auf den Gaming-Sitzsack schräg gegenüber fallen. Auch sein Blick glitt zu dem glücklichen Paar und er schnitt eine Grimasse. Dann flog auch schon ein Bierdeckel durch die Luft. »Nehmt euch ein Zimmer!«
Cole sah nicht mal auf, sondern knutschte weiter mit seiner Freundin herum, zeigte Linc dafür aber erstaunlich zielgenau den Mittelfinger.
Belustigt schüttelte ich den Kopf und stieß nur mit Lincoln auf einen gelungenen zweiten Convention-Tag an. Dann lehnte ich mich mit einem zufriedenen Seufzen zurück. Es war echt zu schade, dass Sophie und Liz nicht auch hier sein konnten. Damit wäre unsere WG komplett – und diese durchgeknallte Truppe bedeutete mir mittlerweile mehr, als ich je für möglich gehalten hatte.
Als ich vor drei Jahren für einen Neuanfang nach Pensacola gezogen war, war mein ganzes Leben ein einziger verdammter Clusterfuck gewesen. Neues Studium, neue Stadt, in die falsche Frau verliebt und Eltern, die mich brauchten und in deren Nähe ich sein wollte. Nicht so nahe, dass ich praktisch wieder zu Hause wohnte, denn das würde ich nicht aushalten, aber nahe genug, um spontan genauso wie an den Wochenenden hinzufahren. Und in Notfällen.
Ich war ohne Erwartungen nach Florida gekommen, ohne Kohle und nach meinem abgebrochenen Medizinstudium mit kaum bis gar keinen Zukunftsaussichten. Doch dann war ich irgendwie in dieser WG gelandet, zusammen mit Leuten, die ähnliche Interessen hatten wie ich, die lustig, locker, loyal und total chaotisch waren. Und selbst wenn wir uns gelegentlich gegenseitig an die Gurgel gingen oder einer von uns – meistens Cole – die anderen auf möglichst kreative Weise ins Jenseits befördern wollte, wusste ich, dass ich mich auf sie verlassen konnte. Egal, worum es ging. Und obwohl ich auch allein zu dieser Veranstaltung gefahren wäre, war ich doch froh, dass sie dabei waren.
»Erde an Parker.« Lincoln wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum.
Ich schlug sie weg und starrte ihn stirnrunzelnd an. »Was willst du?«
»So schlecht drauf?« Er grinste dieses wissende Grinsen, das ihm trotz der braunen Hundewelpenaugen etwas Diabolisches verlieh.
Ich schüttelte nur den Kopf.
Cole löste sich lange genug von Mallorys Lippen, um Luft zu holen und seinen Senf dazu zu geben. »Könnte daran liegen, dass eine ganz bestimmte Frau noch nicht aufgekreuzt ist.«
Diesmal war ich derjenige, der ihm den Mittelfinger zeigte. Okay, vielleicht hatte ich das mit der loyalen WG, an der ich mit ganzem Herzen hing, gerade etwas übertrieben.
»Entspann dich.« Lincoln fuhr sich durch das dunkelblonde Haar und lehnte sich in dem Sitzsack zurück. Obwohl er völlig relaxt wirkte, merkte man ihm an, dass er nicht richtig hierher gehörte. Vielleicht war Linc einfach zu sehr erwachsen und zu wenig nerdig mit seinen Chucks, der Jeans und dem schwarzen Hemd, vielleicht auch zu fokussiert und zielorientiert, um den ganzen Tag über zwischen all den Ständen, Veranstaltungen und Besuchern Spaß zu haben. Wahrscheinlich musste man das bei einem Cyber-Security-Studium, das man mithilfe eines Sportstipendiums finanzierte, auch sein. Aber da er die Hälfte der Kosten für das Hotelzimmer ebenso wie seinen Teil für den Sprit übernahm, würde ich mich sicher nicht beschweren. »Wir verarschen dich nur. Sie kommt bestimmt.«
War ich wirklich so leicht zu durchschauen? Denn irgendwie war ich mir gar nicht mehr so sicher, was Teagans Auftauchen anging. Seit unserem letzten viel zu kurzen Chat und dem Live Let’s Play heute Nachmittag hatte ich nichts mehr von ihr gesehen oder gehört. Auch auf meine Nachricht, wo genau wir auf der After-Show-Party zu finden waren, hatte sie nicht reagiert.
Shit . Was, wenn sie es sich anders überlegt hatte und schon nach Hause gefahren war? Dass ich nicht mal wusste, wo genau dieses Zuhause war, machte die Sache nicht gerade besser. Genau genommen wusste ich kaum etwas über Teagan, außer dass sie aufs College ging, als Barista arbeitete und mein Team und mich im Guild Wars PvP fertigmachen konnte. Aber auch, dass sie gut zuhören und man stundenlang mit ihr zocken konnte, dass sie eine rebellische Art genauso wie einen erfrischend zynischen Sinn für Humor und ein unglaubliches Lächeln hatte und nie klein beigab. Und dass sie sich heute verdammt gut in meinen Armen angefühlt hatte.
Bevor ich genauer über den letzten Punkt nachdenken konnte, teilte sich die Menge ein wenig und gab den Blick auf zwei Personen frei, die sich zu uns durchschlängelten. Eine davon war Alice, die ich zum Glück auch ohne ihr Alice-im-Wunderland-Cosplay erkannte, und die uns schon auf die Entfernung zuwinkte. Die andere war Teagan.
Ich ließ meinen Blick an ihr auf und ab gleiten und schluckte hart. Scheiße, war sie hübsch. Und heiß.
Teagan trug eine grau gemusterte Jeans, die wie eine zweite Haut an ihren Beinen und Hüften klebte, Boots mit Nieten und ein schlichtes schwarzes Top. Ihre ab Kinnhöhe lila gefärbten Haare fielen ihr in Wellen über die Schultern auf den Rücken, die dichten Brauen und dunkel geschminkten Augen ließen ihr Gesicht so faszinierend wirken, dass ich mich zwingen musste, den Blick abzuwenden. Auch wenn ich irgendwann noch herausfinden wollte, welche Farbe ihre Augen hatten. Weder in einem ihrer Livestreams noch heute, als wir uns persönlich gegenübergestanden hatten, hatte ich es deutlich ausmachen können.
»Na, sieh mal einer an.« Ich stellte das Bier beiseite und stand auf. »Ihr habt es wirklich geschafft.«
»Ja …«, erwiderte Teagan gedehnt und blieb einen Schritt von mir entfernt stehen. Der Blick aus ihren zusammengekniffenen Augen wanderte zu Alice, bevor er zu mir zurückkehrte. »Ich hatte quasi gar keine andere Wahl.«
Meine Mundwinkel zuckten, da ich mir nur zu gut vorstellen konnte, wie Alice sie hierher hatte schleifen müssen – ähnlich wie heute Vormittag zu meiner Signierstunde. Zu der Zeit hatte ich jedoch keinen Gedanken daran verschwendet, wie ein Treffen mit TRGame aussehen könnte. Dafür war ich zu sehr mit den ganzen wartenden Leuten beschäftigt gewesen. Als Teagan dann plötzlich aufgetaucht war, war ich meinem ersten Instinkt gefolgt, zu ihr hinübergegangen und hatte sie umarmt. Und genau das war das Problem. Vor ein paar Stunden hatte ich nicht nachgedacht – jetzt schon. Und plötzlich wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte oder wohin mit meinen Händen. Sollte ich sie noch mal umarmen? Ihr auf die Schulter klopfen? War eine Bro-Fist besser? Oder doch ein freundliches Nicken?
Scheiße. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Und das war eine völlig neue Erfahrung für mich.
Teagan rührte sich nicht, wippte nur etwas auf den Fersen vor und zurück, bevor sie die Hände in die hinteren Taschen ihrer Jeans schob. Okay. Dann also keine Umarmung. Shit. Hätte ich mich bloß schneller entschieden.
Glücklicherweise ersparte uns Linc eine längere peinliche Stille, indem er aufstand und den beiden nacheinander die Hand gab. »Hi. Ich bin Lincoln. Freut mich.«
»Hey.« Teagan lächelte etwas angespannt. »Zockst du auch?«
Lincolns Mundwinkel zuckten, aber er schüttelte den Kopf. »Nur ab und zu, um mich abzureagieren. Ich bin Parkers Mitbewohner. Genau wie der da.« Er deutete mit dem Daumen auf Cole, der sich nach einem lauten Räuspern meinerseits endlich dazu entschied, seinen Mund von seiner Freundin zu lösen.
Blinzelnd sah er in die Runde, dann breitete sich Erkenntnis auf seinem Gesicht aus – zusammen mit einem fetten Grinsen. »Oh, hallo. Da seid ihr ja! Wir haben uns schon Sorgen gemacht, ob ihr noch kommt.«
Wie bitte? Gerade eben hatte er noch felsenfest behauptet, dass Teagan hier auftauchen würde. Und jetzt das? Diese kleine Ratte.
»Ich bin Cole und das ist Mallory – und Aufstehen ist gerade nicht möglich«, fügte er hinzu und hielt Mallory an der Hüfte fest, als sie genau das tun wollte. Sie kicherte und vergrub das Gesicht an seinem Hals.
Ich schüttelte nur den Kopf, dann ließ ich mich wieder aufs Sofa fallen und rutschte zur Seite, um den beiden Neuankömmlingen Platz zu machen. Das endete damit, dass ich am äußersten Ende saß, Teagan direkt neben mir in der Mitte und auf ihrer anderen Seite Alice, schräg gegenüber von Lincoln, der es sich wieder auf dem Sitzsack gemütlich gemacht hatte.
Als mich plötzlich etwas Warmes am Oberschenkel berührte, erstarrte ich. Mein Blick zuckte zu Teagan hinüber. Sie schien es im selben Moment zu bemerken, zog ihr Knie hastig weg und räusperte sich leise. All das, ohne mich auch nur eine Sekunde lang anzusehen.
»Cole also …«, murmelte sie schließlich und schaute von ihm zu mir. »Ist das der Mitbewohner, der euch fast in die Luft gesprengt hätte?«
Seine Augen wurden kugelrund. »Scheiße, du hast ihr davon erzählt?«, rief er entrüstet und warf dabei fast Mallory von seinem Schoß, die sich mit einem Quietschen an ihm festhielt.
Ich zuckte nur mit den Schultern und verbarg mein Grinsen hinter meiner Bierflasche. »Ich hab nur die Wahrheit erzählt«, murmelte ich und trank einen großen Schluck.
»Es war ein Unfall!«, rief Cole.
»Das sagst du jedes Mal«, konterte Lincoln schulterzuckend und deutete auf unseren Kumpel, während er sich an Alice wandte. »Einmal hat er eine Tiefkühlpizza im Ofen vergessen, und als der Feuermelder anging, war die ganze Wohnung schon voller Rauch.«
Bei der Erinnerung daran musste ich grinsen, auch wenn selbst jetzt noch, Monate später, ein Hustenreiz meinen Hals kitzelte. Den Gestank aus dem Haus zu kriegen hatte Ewigkeiten gedauert. Kurzzeitig hatten wir sogar befürchtet, dass Mr Oakley uns rausschmeißen würde – was er glücklicherweise nicht getan hatte, nachdem Eliza ein längeres Gespräch mit ihm geführt hatte, in dessen Folge wir uns nicht nur einen, sondern gleich zwei Feuerlöscher angeschafft hatten.
»Wie bitte?« Mallory starrte ihren Freund mit offenem Mund an. »Du hast behauptet, das wäre Sophie gewesen!«
Ich prustete in mein Bier, weil das bei unserer tollpatschigen Mitbewohnerin gar nicht so unwahrscheinlich war. An jenem Nachmittag war Cole allerdings ganz allein schuld an dem Chaos gewesen. »Unser Vermieter von unten, der schon über achtzig ist, hat die Feuerwehr gerufen, und die sind mit zwei Trucks angerückt«, erinnerte ich uns alle und sah zu Teagan hinüber. Sie lächelte ganz leicht, wirkte aber noch immer irgendwie angespannt. Selbst dann noch, als Alice und Lincoln anfingen, sich angeregt über irgendetwas zu unterhalten und Cole und Mallory zu ihrem Speichelaustausch zurückkehrten. Okay … vielleicht auch genau deswegen.
»Hey.« Ich stieß ihre Schulter mit meiner an.
Fragend zog sie die Brauen hoch, und ich kam nicht umhin, eine Spur von Misstrauen in ihren Augen lesen zu können. Augen, die bei den schlechten Lichtverhältnissen hier drinnen eher dunkel wirkten.
Ich vermied es, auf ihren Mund zu starren, und konzentrierte mich stattdessen weiterhin auf ihre Augen. »Ich hab eine Idee.«
»Muss ich mir Sorgen machen?«
»Kein bisschen!«, behauptete ich, wiegte dann jedoch scheinbar nachdenklich den Kopf hin und her. »Ein bisschen vielleicht. Kommt drauf an, wie fit du bist.«
»Wie … fit ich bin?«
Ich sprang auf. »Genau. Komm mit.« Vielleicht war es gewagt, aber ich hielt ihr die Hand hin.
Stirnrunzelnd sah Teagan von mir zu meiner ausgestreckten Hand und wieder zurück. Dann stand sie ohne meine Hilfe auf, was mich aus irgendeinem Grund grinsen ließ.
»Wir sind gleich zurück«, informierte ich niemanden Bestimmtes und bahnte uns einen Weg durch die Menge. Beim Hereinkommen hatte ich nämlich schon entdeckt, dass es – wie es sich für eine After-Show-Party auf einer Games-Convention gehörte – außer der Tanzfläche noch ganz andere Möglichkeiten gab, Spaß zu haben. Neben so alltäglichen Dingen wie Dart und Billard hatten die Veranstalter auch ein paar Virtual-Reality-Games, Dance-Dance-Revolution-Maschinen und Konsolen für Just Dance, SingStar und Mario Kart zur Verfügung gestellt, an denen sich haufenweise Leute austobten.
»Dance Dance Revolution?«, rief Teagan, als sie entdeckte, worauf ich zusteuerte – nämlich auf das blinkende Ding, das aussah wie ein Spielautomat aus den Neunzigern, allerdings mit Feldern davor, auf denen Pfeile und Symbole aufgezeichnet waren, und auf die man im vorgegebenen Takt zur Musik springen musste. Sie lachte auf. »Bist du irre?«
Ich blieb vor der Maschine stehen, für die sich außer uns gerade niemand zu interessieren schien, und warf ihr ein herausforderndes Lächeln zu. »Hast du Angst?«
Sekundenlang starrte sie mich nur mit offenem Mund an, dann gab sie mir einen Schubs gegen die Brust. »Rauf da! Und dann sehen wir, wer hier Angst hat.«
Wir stellten uns nebeneinander auf die Matte, jeder auf sein eigenes Feld. Dann drückte ich ein paar Knöpfe und schon ging es los.
»Ich hab das noch nie gemacht«, stieß Teagan hervor, als die ersten Bewegungen von uns verlangt wurden. Wir mussten nach vorne und zurück springen, dann zur Seite, während eine passende Melodie dazu lief.
»Ich auch nicht.«
Okay, das war nicht die ganze Wahrheit. Als Kind hatte ich das ständig gespielt, wann immer Mom und Dad mit mir in die Mall gefahren waren. Aber das war schon so lange her, dass es nicht mehr zählte. Richtig?
Wir schafften das erste Level, das deutlich schwieriger war als in meiner Erinnerung. Am Ende atmeten wir beide schwer und hatten eine der schlechtesten Bewertungen überhaupt. Autsch.
»Das ist furchtbar!« Lachend hielt sich Teagan an mir fest. »Wer hat sich das bitte ausgedacht?«
Ich grinste. »Keine Ahnung. Wie wär’s, wenn …«
Plötzlich packte sie meinen Bizeps so fest, dass ich nach Luft schnappte. »Oh mein Gott, spielen sie da drüben etwa Beat Saber?«, rief sie. »Das wollte ich schon immer mal ausprobieren!«
Und schon war sie fort. Sekundenlang starrte ich ihr nur hinterher, während ich versuchte, das Mädchen aus unseren Chats mit dem im echten Leben in Verbindung zu bringen. Und stellte fest, dass ich noch lange nicht genug über Teagan wusste oder ausreichend Zeit mit ihr verbracht hatte, um das tun zu können. Also folgte ich ihr, schob mich an ein paar Leuten vorbei, begrüßte andere per Handschlag, die ich von früheren Conventions oder gemeinsamen Streams kannte, und erreichte schließlich den Virtual-Reality-Bereich der Party.
Teagan hatte recht. Hier wurde Beat Saber gespielt – und das anscheinend gegeneinander, wenn mich die neben dem riesigen Bildschirm leuchtende Highscore-Tabelle nicht täuschte.
Bei dem Game ging es darum, die direkt auf einen zuschwebenden Würfel mit zwei Lichtschwertern zu zersäbeln. Dabei gab es sowohl für die Lichtschwerter als auch für die Würfel zwei Farben, und man musste die Würfel mit dem Schwert in der richtigen Farbe und auch noch aus der angezeigten Richtung treffen. Als wäre das nicht schon anspruchsvoll genug, gab es zusätzlich Hindernisse, denen man während des Gameplays ausweichen musste. Die Geschwindigkeit hing von der Musik und dem Schwierigkeitsgrad ab. Ich hatte Beat Saber zwei-, dreimal bei Cole auf dem Campus getestet, wo er und noch ein paar andere Studenten ein Virtual-Reality-Studio betreuten und im Rahmen ihres Studiums an neuen Konzepten arbeiteten.
Im Moment metzelte sich eine junge Frau durch die heranfliegenden Würfel. Sie stand mit dem Rücken zu uns, hatte eine schwarz-weiße VR-Brille auf dem Kopf und die beiden Move-Motion-Controller in den Händen. Sie sah alles durch die Brille, während das Spiel für uns auf den überdimensionalen Bildschirm direkt vor ihr projiziert wurde, sodass wir live dabei zuschauen konnten, wie sie die pinken und blauen Würfel zerschmetterte. Das Lied, das währenddessen in voller Lautstärke auf dieser Seite der Halle lief, kam mir irgendwie bekannt vor. Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich es anhand der Stimmen als eine Nummer von den Backstreet Boys erkannte. Woher ich das wusste? Sicher nicht, weil ich die Band so liebte. Aber Sophie vergötterte sie und zwang die ganze WG dazu, ihre Songs mitzuhören, wenn sie sie mal wieder in Stadionlautstärke in ihrem Zimmer laufen ließ.
Die aktuelle Spielerin schlug sich ziemlich gut. Ihre Punktzahl und Combos kletterten immer weiter in die Höhe, bis sie ein paar Schläge versaute, dann jedoch schnell wieder in den Rhythmus zurückfand.
Teagan tauchte neben mir auf. »Das müssen wir spielen!«
Ich sah sie mit hochgezogenen Brauen an. » Wir? «, rief ich gegen die Musik und Stimmen an.
»Ja, wir .« Sie nickte entschieden. »Oder hast du etwa Angst, wieder von einem Mädchen fertiggemacht zu werden?«
Ich lachte ungläubig auf. »Das hast du jetzt nicht gesagt.«
Doch sie grinste nur herausfordernd. Und das, genau das war die Teagan, die ich in unseren Chats, gemeinsamen Gaming-Sessions und ihren Livestreams kennengelernt hatte.
»Wie du willst.« Ich zuckte lässig mit den Schultern. »Aber sei hinterher bloß nicht traurig.«
»Oh, ich werde gar keine Zeit haben, um traurig zu sein, weil ich nämlich meinen Sieg feiern werde.«
Bevor ich etwas darauf antworten konnte, beendete die Playerin ihre Performance. Ohne Teagans Blick loszulassen, riss ich die Hand hoch. »Ich bin der Nächste!«
»Welcher Song?«, rief jemand.
»Das überlasse ich ganz euch.«
Ein Kerl in einem neongrünen T-Shirt, mit dem ich heute schon während des Live Let’s Plays kurz zu tun gehabt hatte, als er unser Equipment überprüft hatte, winkte mich zu sich. Ich zwinkerte Teagan zu, dann trat ich nach vorne, ließ mir die VR-Brille geben und alles erklären. Ich hörte ihm aufmerksam zu, auch wenn das nicht mein erstes Mal in einem VR-Spiel war, aber das hier war schließlich sein Job. Dann gab er mir die beiden Controller in die Hände und wünschte mir viel Glück.
»Hey! Wer hat die Schwierigkeit auf Hard gestellt?«
Durch die Kopfhörer nahm ich nur gedämpftes Lachen wahr, dann begann auch schon der Song, und ich musste mich vollauf konzentrieren, die Würfel passend zum Rhythmus von MC Hammers U Can’t Touch This zu treffen. Wahrscheinlich sah ich nicht mal halb so grazil aus wie meine Vorgängerin, vor allem wenn ich beim Refrain so wild herumsprang wie jetzt, aber das war mir egal. Mir blieb überhaupt keine Zeit, darüber nachzudenken, wie lächerlich ich mich gerade machte. Und, ganz ehrlich? Nach ein paar Jahren Livestreams und Convention-Auftritten hatte ich eh kein Problem mehr damit, für ein paar Lacher zu sorgen. Also tobte ich mich aus, schnitt durch die heransausenden Würfel, riss die Arme hoch, wich den auf mich zukommenden Wänden und Bomben aus und sprang im Takt des Refrains hin und her. Und obwohl ich regelmäßig mit Linc ins Fitnessstudio ging, war ich ziemlich schnell außer Atem. Das hier war eindeutig kein Spiel für Anfänger oder Leute, die Sport hassten.
Zum Glück dauerte es keine drei Minuten, bis ich die letzten Würfel zerschnitt und das Lied endete. Keuchend riss ich mir die VR-Brille runter und starrte auf den Highscore. Nicht übel. Definitiv nicht übel.
Ein paar Leute jubelten, aber mein Blick suchte und fand Teagan, die breitbeinig dastand und klatschte. Ihr Lächeln hätte herausfordernder nicht sein können.
»Nicht schlecht, Parker.«
Ich schnaubte und griff nach der Wasserflasche, die mir irgendjemand hinhielt, nachdem ich Brille und Controller abgegeben hatte. »Nicht schlecht?«, echote ich und wischte mir über die Stirn. »Versuch das erst mal zu toppen, Süße.«
»Du hast heimlich geübt, oder?«, entgegnete sie und trat an die Stelle, wo ich bis eben gestanden hatte. »Nur deshalb warst du so gut.«
Einen Moment lang war ich zu abgelenkt von dem Tattoo auf ihrem Schulterblatt, um zu reagieren, doch dann breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus. »Also gibst du zu, dass ich gut war?«
Sie schüttelte nur den Kopf, ließ sich die Einweisung für das Spiel geben und setzte die VR-Brille auf. »Ich wollte das schon seit Ewigkeiten testen, aber im Gegensatz zu dir hatte ich noch nie die Gelegenheit dazu.«
Ich trank noch einen Schluck und beobachtete Teagan dabei, wie sie sich in Position brachte. Das dürfte interessant ­werden.
Wieder wählten die Umstehenden das Lied aus, zu dem sie spielen würde, genauso wie den Schwierigkeitsgrad. Zu meiner Genugtuung erkannte ich, dass sie das Level auch auf der Schwierigkeitsstufe Hard durchstehen musste.
Ihr Song war Escape , ein Lied, das extra für Beat Saber komponiert worden war. Es startete zunächst mit einer schnellen Melodie, die einen Vorgeschmack auf das gab, was einen später erwartete, mit Beginn des Gesangs jedoch deutlich langsamer wurde. Aber ich wusste genau, worauf Teagan sich da eingelassen hatte. Denn sobald der Refrain losging, wurde der Rhythmus immer schneller – und damit auch die Würfel, die plötzlich auf den Spieler zurasten.
»Alter …« Ich hielt mit der Wasserflasche auf dem Weg zum Mund inne, da meine ganze Aufmerksamkeit auf dem Bildschirm lag, wo Teagan zwar ein paar Würfel verpasste, aber dennoch jede Menge Punkte sammelte, weil sie immer wieder traf und immer mehr Combos schaffte. »Willst du mich verarschen?«
Das spielte sie doch nie und nimmer gerade zum ersten Mal. Dafür war sie zu schnell, wenn sie mit den Controllern ausholte und zuschlug, sich vor den Hindernissen duckte oder ihnen auswich und die Würfel dabei auch noch aus den korrekten Winkeln traf.
Ich merkte nicht einmal, wie mein Blick vom Geschehen auf dem Bildschirm zur Spielerin wanderte. Sie wirkte mehr badass als jeder Cosplayer und Gamer, den ich heute und gestern auf der Convention gesehen hatte. Und das waren eine Menge gewesen. Ich hob erst den Kopf, als das Lied verklang – und Teagan die Runde mit einer Combo von über dreihundert ­beendete. Sie nahm die VR-Brille ab und lächelte atemlos, als um uns herum lauter Jubel ausbrach.
»Du hast gesagt, du hast das noch nie gespielt!«, rief ich ihr entgegen, als sie zu mir zurückkam.
Sie zuckte lässig mit den Schultern. »Hab ich auch nicht.«
»Du hast gerade einen neuen Highscore aufgestellt!«
»Anscheinend hab ich gute Reflexe.« Sie grinste breit und nahm mir die Wasserflasche aus der Hand, um ein paar Schlucke daraus zu trinken.
In ihren Augen funkelte es gut gelaunt. Sie atmete schnell, war verschwitzt und ihr Mascara, Eyeliner – oder was auch immer Frauen sich auf die Augen schmierten – war etwas verlaufen. Aber sie war wunderschön.
»Ich will noch mal!«, verkündete sie lachend.
»Damit du noch mehr Leute, die hier punkten wollen, zur Verzweiflung bringen kannst?«
Sie gab mir einen spielerischen Stoß gegen die Schulter und sah sich nach dem Typen im grünen T-Shirt um. »Lass mich. Das macht Spaß.«
»Beat Saber? Oder das mit der Verzweiflung?«
»Beides natürlich.«
Ich grinste breit. »Natürlich.«
Jemand anderes war dran, anschließend übernahm Teagan wieder. Diesmal mit einem Song von Taylor Swift, der vor allem bei den weiblichen Zuschauern für lautstarke Zustimmung sorgte.
Es machte Spaß, ihr zuzuschauen. Und das nicht nur, weil sie so viele Combos wie möglich schaffen wollte, sondern auch, weil man ihr anmerkte, wie viel Freude ihr das Spiel bereitete. Teagan stand nicht einfach steif da und zerschmetterte die pinken und blauen Würfel mit den Lichterschwertern, sondern tanzte dabei auch zum Song. Und schon bald wanderte mein Blick wieder abwärts zu Teagans Hüften, die im Takt der Musik hin und her schwangen. Nach einigen Sekunden erwischte ich mich dabei, dass ich ihr auf den Hintern starrte – aber es war ein wirklich hübscher Hintern. Genauso wie die langen Beine in der hautengen Jeans und die ganze Art, wie sie zu dem Lied herumtänzelte und dabei lässig einen Würfel nach dem anderen zerschmetterte, als hätte sie nie etwas anderes ­getan.
Als das Level vorbei war, hatte sie ihren eigenen Highscore übertroffen. Die Umstehenden klatschten, pfiffen und prosteten ihr zu. Irgendein Typ bat sie sogar, ihn zu heiraten, woraufhin Teagan nur lachte.
»Oh mein Gott, das war so gut!«, stieß sie hervor, als sie wieder bei mir war, und fächelte sich mit den Händen Luft zu. »Ich brauche etwas zu trinken.«
Halb im Spaß bot ich ihr meine Flasche an, in der zwar nicht mehr allzu viel drin war, aber immerhin. Besser als nichts. Teagan riss sie förmlich an sich und stürzte das Wasser in wenigen großen Schlucken hinunter.
»So schlimm?«, neckte ich sie.
Kopfschüttelnd gab sie mir die leere Flasche zurück. »Mach du das mal zwei Lieder lang. Das ist besser als ein Workout.«
Oh ja, das konnte ich schon nach nur einem Level bestätigen.
»Komm.« Ohne nachzudenken, griff ich nach ihrer Hand, bahnte uns einen Weg an den anderen Gästen vorbei, die sich um die Spiele versammelt hatten, und hielt erst an, als wir die Bar erreicht hatten. »Was willst du trinken?«
»Wasser. Cola. Irgendwas.« Teagan rutschte auf einen frei gewordenen Hocker und lehnte sich gegen den Tresen.
Ich bestellte eine Cola für sie und einen Energydrink für mich, dann wandte ich mich ihr wieder ganz zu. »Hübsches Tattoo.« Mit den Fingerspitzen strich ich ganz leicht über ihr Schulterblatt.
Teagan erstarrte unter der Berührung – und für einen Moment befürchtete ich, zu weit gegangen zu sein.
Aber statt meine Hand wegzuschlagen oder mir eine Standpauke zu halten, lächelte sie nur etwas zögerlich. »Danke. Ich hab es mir mit sechzehn stechen lassen.«
»Mit sechzehn? Und das haben dir deine Eltern erlaubt?« Ich versuchte, mir meine Überraschung nicht anmerken zu lassen, wobei mir wieder einmal klar wurde, dass ich gar nicht so genau wusste, wie alt Teagan eigentlich war. Definitiv keine sechzehn mehr, so viel stand fest.
»Nope.« Sie schnitt eine Grimasse und nahm dankend ihre Cola vom Barkeeper entgegen. »Es war so etwas wie meine ganz persönliche Rebellion.«
Ich stieß mit ihr an. »Deine ganz persönliche Rebellion war ein Schmetterling?«
Ein schöner Schmetterling – keine Frage. Im Tribal-Stil mit filigranen blauen Flügeln. Aber dennoch ein Schmetterling.
»Hey, was hast du gegen Schmetterlinge?«
»Gar nichts«, wehrte ich ab und trank einen Schluck. »So, wie ich dich kennengelernt habe, hätte ich bloß mit etwas anderem gerechnet. Das ist alles. Ein Totenkopf zum Beispiel. Oder das tanzende Lama aus Guild Wars 2.«
»Ach, sei still.« Sie nippte an ihrer Cola. »Ich hab es mir stechen lassen, kurz nachdem meine Mom uns verlassen hat.«
Ich erstarrte. Shit. Voll ins Fettnäpfchen, Kumpel. »Das tut mir leid.«
Sie zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache, aber ich konnte ihr ansehen, dass es das doch war, auch wenn – oder vielleicht gerade weil – sie meinem Blick auswich.
»Was ist mit dir?«, unterbrach sie meine Gedanken. »Irgendwelche Tattoos?«
»Glaub mir, ich würde jetzt echt gerne mit irgendeiner coolen Story ankommen und dir all meine Tattoos präsentieren, aber … nein. Ich bin noch Jungfrau. Tattoo-Jungfrau.«
Ihre Mundwinkel zuckten, und der verletzte Ausdruck, der in ihren Augen aufgetaucht war, verschwand wieder. Mit dem Kopf deutete sie Richtung Sitzecken. »Dein Kumpel Cole scheint kein Problem damit zu haben. Seine Arme sind voll davon.«
»Ja, aber Cole hat auch kein Problem mit Nadeln. Ich schon«, gab ich widerwillig zu und schüttelte mich.
Statt sich über mich lustig zu machen, was ich bei dem Thema schon oft genug erlebt hatte, nickte Teagan nur. Ganz so, als würde sie diese für viele so lächerliche Angst akzeptieren. Wobei das in meinen Augen kein bisschen lächerlich war. Nadeln konnten echt fies sein und höllisch wehtun.
Neben Teagan wurde ein Hocker frei, und ich schnappte ihn mir, bevor es jemand anderes tun konnte. Als ich mich hinsetzte, streiften sich unsere Knie für einen Moment – und unsere Blicke trafen sich.
»Okay, ein Geständnis: Ich mag zwar keine Nadeln«, sagte ich langsam und ließ meinen Blick von ihrem Gesicht über ihren Hals bis zu ihrer Schulter wandern. »Aber ich mag Tattoos.«
»Ja?« Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Dann hab ich auch ein Geständnis für dich: Vielleicht ist das nicht mein einziges.«
»Tatsache?«
»Mhm.«
Ich nahm einen großen Schluck von meinem Energydrink, um meine plötzlich ziemlich trockene Kehle zu befeuchten. »Wo sind die anderen?«
»Nur eins.« Sie hielt einen Finger in die Höhe. »Ein anderes. Und es ist an einer Stelle, die die meisten Leute nicht zu sehen bekommen.
Scheiße . Hatte sie das gerade wirklich gesagt? War ihr eigentlich klar, welche Art von Bildern mir gerade durch den Kopf schossen? Ein Blick in ihr Gesicht genügte. Oh ja, sie wusste es. Und wie sie es wusste.
Ich räusperte mich, trotzdem klang meine Stimme irgendwie rau. »Und das wäre dann … wo genau?«
Mit einem Funkeln in den Augen lehnte Teagan sich vor, um mir die Antwort zuzuflüstern. Als ich ihren warmen Atem an meinem Ohr spürte und ihre weiche Stimme hörte, wanderte ein heißer Schauer durch meinen Körper, und ich hielt unweigerlich die Luft an. Dabei berührte sie mich nicht mal. Was zum Teufel passierte hier eigentlich?
»Das zweite Tattoo …«, begann sie leise und kam noch ein bisschen näher, bis ihre Lippen mein Ohr streiften und ich jedes bisschen Selbstbeherrschung aufbringen musste, um meinen Kopf nicht einfach zu drehen und meinen Mund auf ihren zu pressen, »… ist an meinem Knöchel.«
»An … deinem Knöchel …«, wiederholte ich perplex, während sie sich zurücklehnte, als wäre nichts gewesen.
»Genau.« Sie blinzelte übermäßig unschuldig und nippte an ihrer Cola. »Ich trage fast nur Boots, also kriegt dieses Tattoo so gut wie niemand zu sehen. Was hast du denn gedacht?«
Ich konnte nicht anders, ich prustete los. Im ersten Moment grinste Teagan nur, dann musste auch sie lachen.
»Jetzt will ich es erst recht sehen«, behauptete ich, sobald wir uns einigermaßen von unserem Lachflash erholt hatten.
Teagan bekam große Augen und sah sich kurz um. »Hier? Jetzt?«
Am liebsten hätte ich mit Ja geantwortet, da ich wirklich neugierig war. Doch dann könnte ich sie nicht später irgendwann daran erinnern und damit aufziehen, also schüttelte ich den Kopf. »Nicht jetzt. Aber irgendwann.«
»Hm«, machte sie und drehte ihr Glas auf dem Tresen. »Das würde voraussetzen, dass wir uns wiedersehen. Also in echt jetzt.«
»Zweifelst du etwa daran?«
Sie wiegte den Kopf ein wenig hin und her. »Ich fliege nicht jeden Tag mehrere Stunden zu einer Convention. Auch nicht, um dich zu sehen, Parker.«
»Ich auch nicht«, konterte ich grinsend und musste den Impuls unterdrücken, die Hand auszustrecken und sie zu berühren. Ihr das Haar zurückzustreichen zum Beispiel. Ihren Arm zu streifen. Ihr die Hand aufs Knie zu legen. Aber dafür kannten wir uns noch nicht gut genug. Oder?
In meinem Kopf tauchten unsere ganzen Chats der letzten Wochen auf. Eigentlich kannten wir uns schon. Irgendwie zumindest. Nicht so richtig persönlich, aber virtuell. Ergab das einen Sinn?
Teagan lächelte, trank ihre Cola aus und rutschte vom Hocker. Aber während sie bereits zu den anderen ging, blieb ich noch einen Moment sitzen und sah ihr nach. Ich hatte keine Ahnung, was das zwischen uns war, ich wusste nur, dass da etwas war. Und dass ich es näher erkunden wollte.
Als ich kurz darauf ebenfalls zu den anderen zurückkehrte, saß Cole allein auf dem Sofa. Von Mallory war weit und breit nichts zu sehen, während Alice und Lincoln noch immer die Köpfe zusammensteckten. Nur dass mittlerweile eine weitere junge Frau mit dunklem Lockenkopf dazugestoßen war, die neben Alice saß und den Arm locker um sie gelegt hatte. Sie unterhielt sich mit Teagan, die vor ihr stand und sie bereits zu kennen schien.
»Da ist ja der Rest des glücklichen Paars«, begrüßte mich Cole mit einem breiten Grinsen und wissenden Ausdruck in den Augen.
Statt einer Antwort gab ich ihm einen Schubs, damit er zur Seite rutschte und ich mich ebenfalls aufs Sofa fallen lassen konnten. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sich Teagan zu mir setzte.
»Hey Cole?«, fragte Teagan und lehnte sich an mir vorbei, um meinen Mitbewohner anzusehen. »Was hat dich eigentlich hierher verschlagen? Bist du ein bekannter YouTuber, den ich kennen sollte?«
Cole schnaubte. »Als ob. Das überlasse ich lieber den anderen. Ich studiere Game Design«, fügte er hinzu, und ich hätte schwören können, dass Teagans Augen bei der Antwort begeistert aufleuchteten.
»Wirklich? Wo studierst du? Und woran arbeitest du gerade?«
Coles Grinsen wurde nur noch breiter. Er setzte sich auf und rieb die Hände aneinander. »Wie viel Zeit hast du?«
Ich schnaubte kopfschüttelnd. »Und so schnell bin ich abgeschrieben …«
Teagan warf mir ein amüsiertes Lächeln zu, dann wandte sie sich wieder an Cole und wurde schon bald mit allen möglichen Details zu seinem Studium überschüttet. Sie klebte förmlich an seinen Lippen, aber ich konnte meinen Blick einfach nicht von ihr losreißen.