Level 10
Parker
Es war Samstagabend, mein Kopf dröhnte, ich war rastlos und allein daheim. Mittlerweile bereute ich es, nicht mit den anderen an den Strand gefahren zu sein und die Hitzewelle auszunutzen, die Pensacola aktuell heimsuchte. Es war beinahe so, als wären uns die heißen Temperaturen von Texas hierher gefolgt.
Ich rieb mir über die Stirn und stand auf, um den Ventilator auf eine höhere Stufe zu stellen, dann setzte ich mich wieder an den Schreibtisch und warf einen Blick aufs Handy. Dad hatte mir vorhin getextet und gefragt, wann ich das nächste Mal nach Hause kam. Mehr nicht. Nichts über Moms Zustand. Keine Infos darüber, ob es ihr schlechter ging oder es irgendwelche Vorfälle gegeben hatte. Ich biss die Zähne zusammen und rieb mir über die pochende Stirn.
Ich saß schon den ganzen Tag an den Aufnahmen des gestrigen Livestreams, um sie zu YouTube-Videos mit einer leichter verdaulichen Länge zu schneiden, während ich nebenher meine Social-Media-Kanäle pflegte. So viel zum sogenannten Fame als gefeierter Gaming-Star – oder was auch immer sich die Menschen darunter vorstellten. Die Realität bestand leider nicht aus ständigen Poolpartys mit Drinks und leicht bekleideten Mädels oder aus millionenschweren Werbedeals mit Getränkefirmen und den größten Spieleherstellern. So sah mein Leben definitiv nicht aus. Stattdessen rollte ich mit dem Stuhl zwischen zwei Monitoren hin und her, trank viel zu viel Kaffee und Energydrinks und hatte die Vorhänge schon den ganzen Tag zugezogen, damit es hier drinnen nicht noch wärmer wurde.
Mittlerweile musste es bereits Abend sein. Zumindest war mein Magenknurren ein ziemlich guter Indikator dafür. Und die Tatsache, dass alle Gläser, Dosen und Flaschen im Raum leer waren.
Ein letztes Mal überprüfte ich das aktuelle Video und atmete auf. Zwischenzeitlich hatte ich befürchtet, dass sich die Tonspur während der Aufnahme im Livestream zu sehr verschoben hatte und es mit dem Upload zeitlich eng werden könnte. Ich lud die Videos immer zu einer ganz bestimmten Uhrzeit hoch, und wusste aus Erfahrung, dass schon eine halbe Stunde Verspätung zu zahlreichen Fragen und empörten Kommentaren im Netz führen konnte. Aber zum Glück hatte doch noch alles geklappt. Der Rechner schnurrte im Hintergrund, während er die letzten Videos renderte, und für mich gab es heute ausnahmsweise nicht mehr viel zu tun. Wenn man mal von den ganzen Mails, Nachrichtenanfragen, der längst überfälligen Buchhaltung und dem Stapel ungespielter Games absah.
Seufzend stand ich auf, streckte mich und ließ den Nacken knacken, dann brachte ich die ganzen leeren Flaschen, Gläser und Dosen in die Küche und holte mir einen neuen Energydrink aus dem Kühlschrank. Wahrscheinlich nicht die beste Entscheidung, da ich schon den ganzen Tag so unruhig war, dass ich gefühlt die Wände hochgehen könnte, aber das Zeug schmeckte mir. Außerdem hielt es mich wach, und das war im Moment das einzig Wichtige.
Zurück in meinem Zimmer ließ ich mich auf den Drehstuhl fallen, schaltete Monitor Nummer drei ein und loggte mich auf Twitch über meinen privaten Account ein, mit dem ich inkognito zuschauen und sogar im Chat schreiben konnte. In der Erwartung, gleich Teagans Stimme zu hören, weil sie samstags immer zu dieser Zeit streamte, lehnte ich mich zurück. Aber es passierte nichts. TRGame war offline.
Huh. Seltsam.
Allerdings war es gerade mal kurz vor zehn. Vielleicht fing sie heute einfach später mit dem Stream an. Den Nachrichten von gestern Abend nach zu urteilen, hatten sich bei ihr genügend Aggressionen angesammelt, um etwas zu zocken, bei dem sie jede Menge Gegner in die Luft jagen, Zombies killen oder sich anderweitig durch gefährliche Level durchkämpfen konnte. Und nach einem ganzen Tag, an dem ich seit dem Aufstehen nur Videos geschnitten, nachbearbeitet und Thumbnails für YouTube erstellt hatte, konnte ich ein ­bisschen ­Entspannung in Form von Teagans Livestream sehr gut gebrauchen.
Während ich wartete, schrieb ich Dad eine Antwort, klickte mich anschließend wieder durch meine Social-Media-Kanäle, wo ich alle Nachrichten ignorierte, die sich auf die Umarmung mit Teagan während meiner Autogrammstunde auf der RTX bezogen, postete ein neues Bild auf Instagram und in die Storys, diskutierte mit ein paar Leuten auf Discord über die Games, die im Herbst neu herauskamen und schielte dabei immer wieder zu Twitch hinüber.
TRGame war noch immer offline. Ich ging direkt zur Channelinfo, aber auch hier stand nichts dazu, ob der Livestream heute später starten oder ganz ausfallen würde, und mittlerweile war es schon elf Uhr. Normalerweise begannen ihre Streams spätestens zu dieser Zeit, wenn Teagan vorher eine Schicht im Coffeeshop hatte. So viel wusste ich inzwischen. Anders als die Leute im Chat, in dem ich ebenfalls unterwegs war. Sie wunderten sich jedoch ebenso wie ich, wo TRGame blieb. Und so langsam begann ich mir Sorgen zu machen.
Ich wartete weitere zehn Minuten, aber als auch dann nichts von Teagan zu sehen, hören oder lesen war, schnappte ich mir mein Smartphone und tippte eine Nachricht an sie. Kurz darauf klingelte mein Handy – und ich erstarrte. Mein erster Gedanke galt Mom und Dad, da so ein später Anruf immer nur einen Notfall bedeutete. Aber es war Teagans Name, der auf dem Display aufleuchtete. Ich atmete erstickt aus, aber das ­Hämmern in meinem Brustkorb wollte sich nicht so schnell wieder beruhigen – wenn auch aus einem völlig anderen Grund.
Bisher hatten wir nie miteinander telefoniert und uns überhaupt nur zweimal persönlich gesprochen – das erste Mal, als ich sie während ihres Livestreams via Discord überraschend angerufen hatte und das zweite Mal auf der RTX. Dass sie jetzt, exakt eine Woche später, hier anrief, statt zu texten oder wie geplant ihren Livestream zu starten, war mehr als seltsam. Und beunruhigend.
Ich hielt mir das Handy ans Ohr. »Hi. Du rufst an. Wie old school.«
»Mein Datenvolumen am Handy ist fast verbraucht«, sagte sie statt einer Begrüßung. Pure Frustration schwang in ihrer Stimme mit. »Und wir haben erst Mitte Juli!«
»Shit.« Mein Blick wanderte zum Rechner, wo TRGame noch immer als offline anzeigt wurde, dann zur Uhrzeit am oberen rechten Bildschirmrand und wieder zurück. »Alles klar bei dir? Streamst du heute nicht?«
»Nichts ist klar. Und nein, ich streame nicht. Heute nicht und wie es aussieht auch in Zukunft nicht mehr.«
Ich runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«
»Das heißt …« Sie atmete tief durch. »Das heißt, dass mein Vater den Router mitgenommen hat. Kein Internet, keine Livestreams, keine Online-Games. Gar nichts!«
Wie bitte? Was?
»Shit«, war das Erste, was mir dazu einfiel. Nicht sehr hilfreich, aber wenigstens ehrlich.
Sie schnaubte. »Du sagst es.«
»Was ist passiert? Wieso hat er das getan?«
Diesmal antwortete Teagan nicht sofort. Und als sie es tat, konnte ich das Zögern in ihrem Tonfall hören.
»Wir hatten … eventuell … eine kleine Meinungsverschiedenheit.«
»Eine Meinungsverschiedenheit?«, wiederholte ich gedehnt.
»Na gut, es war ein Streit. Wir haben uns angeschrien und am Ende hat er den Router eingepackt. Wahrscheinlich hätte er mir auch das Handy weggenommen, wenn er sich nicht Sorgen machen würde, dass er mich dann gar nicht mehr erreicht und keine Ahnung hat, wo ich mich herumtreibe.«
»Shit …«
»Jepp.«
Nachdenklich lehnte ich mich im Stuhl zurück, bis er leise quietschte, und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Und jetzt? Was machst du jetzt?«
»Ich hab einen Plan aufgestellt. Punkt eins ist Durchdrehen. Check.«
In meiner Vorstellung hakte sie das gerade mit dem Zeigefinger ab, was mich unweigerlich zum Lächeln brachte. »Was ist Punkt zwei?«
Sie seufzte tief. »So weit bin ich nicht gekommen. Wenn ich anfange, darüber nachzudenken, drehe ich durch und dann bin ich wieder bei Punkt eins.«
Verdammt. Ich würde gerne irgendetwas tun, ihr irgendwie helfen, aber ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich das anstellen sollte. Und noch schlimmer als diese Hilflosigkeit war die Vorstellung, plötzlich keinen oder kaum noch Kontakt mehr zu ihr zu haben. Keine regelmäßigen abendlichen Livestreams mehr, keine nächtlichen Gaming-Sessions, keine Chats zu allen möglichen und unmöglichen Uhrzeiten.
»Was war der Grund für den Streit? Meinst du, ihr kriegt das wieder hin?«
»Es gab eine Menge Gründe. Zu viele, um sie alle aufzuzählen. Sagen wir einfach, mein Dad und der Rest der Familie sind nicht sonderlich begeistert über meine Einstellungen, meine Hobbys und meine Zukunftspläne.«
»Zukunftspläne?«, hakte ich automatisch nach, da sie das mir gegenüber zum ersten Mal erwähnte. Zwar hatte ich auf der RTX-After-Show-Party mitbekommen, wie angeregt sie sich mit Cole über sein Studium unterhalten hatte, dem allerdings nicht allzu viel Bedeutung beigemessen. Jeder, der zockte, wusste eine gute Spielegrafik zu schätzen. Klar war das Interesse an Game Design da. Dass mehr dahinterstecken könnte, war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Was auch daran liegen könnte, dass ich an jenem Abend in ­Gedanken mit ganz anderen Dingen beschäftigt gewesen war.
Schweigen am anderen Ende der Leitung.
»Teagan?«
»Ach, verdammt!« Sie seufzte tief. »Ich hab mich bei ein paar Colleges beworben. Einige nur, weil mein Vater mich unbedingt dort hinschicken will und weil ich einen Plan B brauche, falls Plan A nicht funktioniert.«
»Was ist Plan A?«, hakte ich automatisch nach, während ich noch zu begreifen versuchte, was das bedeutete. Ging sie etwa noch zur Schule? War sie minderjährig? Scheiße, ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie alt sie war, und hatte sie geküsst. Wobei ich diesen Kuss um keinen Preis der Welt rückgängig machen wollte.
»Plan A ist, Game Design zu studieren«, antwortete Teagan, ohne auch nur zu ahnen, was ihre vorherigen Worte für ein Chaos in meinem Kopf ausgelöst hatten. »Es gibt nur eine Handvoll Unis in den Staaten, die das anbieten, und es ist sauschwer, da reinzukommen. New York hat mir schon abgesagt, also bleiben nur noch drei. Das Terrence College in Texas, die University of Southern California und das …«
»… West Florida Media & Arts College in Pensacola«, ergänzte ich. Coles College. Deshalb das Interesse an seinem Studiengang und all die Fragen dazu. Auf einmal ergab dieses ganze Gespräch einen vollkommen neuen Sinn.
»Genau.« Sie zögerte einen Moment, dann fügte sie hinzu: »Ich war nicht nur wegen der RTX in Austin, sondern auch, um mir das Terrence College anzuschauen.«
»Und?«, fragte ich und stand auf, weil ich keine Sekunde mehr still sitzen konnte. Ich war schon den ganzen Tag so unruhig gewesen, aber der letzte Energydrink und dieses Telefonat hatten meine Rastlosigkeit nur noch verschlimmert. An Schlaf war heute Nacht mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr zu denken.
»Und …«, wiederholte Teagan gedehnt, »es ist schön da. Als New York mir abgesagt hat, war ich total am Ende, aber dann ist Texas meine Nummer eins geworden. Allerdings hatte ich auch noch keine Chance, mir die anderen beiden Unis anzuschauen.«
»Dann komm her.«
Die Worte waren aus mir herausgeplatzt, bevor ich darüber nachdenken konnte. Bevor ich sie aufhalten konnte. Aber … wollte ich das überhaupt?
»Was?«
Mein Puls begann zu hämmern, und da war eine kleine Stimme in meinem Kopf, die mir weismachen wollte, dass das eine ganz miese Idee war. Ich ignorierte beides.
»Komm her und schau dir den Campus an. Cole, Linc und ich wohnen in Pensacola. Mallory auch.«
Sie zögerte. »Ist das dein Ernst?«
»Klar. Eine unserer Mitbewohnerinnen ist den Sommer über bei ihrem Freund in Australien. Du kannst in ihrem Zimmer schlafen.« Ich hielt kurz inne, wartete auf ihre Reaktion. Als keine kam, fügte ich noch halb im Spaß hinzu: »Du kannst natürlich auch jederzeit mein Bett haben, wenn dir das lieber ist.«
Teagan lachte auf. Und lachte fast eine Minute später immer noch.
Ich nahm das Handy herunter und starrte kurz darauf, dann hielt ich es mir amüsiert wieder ans Ohr. »Bist du jetzt fertig?«
»Nein«, keuchte sie. »Lachflash!«
Ich gab einen undefinierbaren Laut von mir. »Das ist das erste Mal, dass eine Frau anfängt zu lachen, wenn ich ihr einen Platz in meinem Bett anbiete.«
Und da war es wieder, dieses Geräusch, nur diesmal gedämpft, fast so, als würde sich Teagan gerade die Hand vor den Mund halten.
»Mach nur. Lass es raus. Mein Ego kann das ab.«
Sie prustete los. Und obwohl ich gerade der Grund ihrer Belustigung war, konnte ich nicht anders, als selbst zu grinsen. Gott, diese Frau war echt unmöglich.
»Es gibt für alles ein erstes Mal«, stieß sie schließlich hervor und schniefte dabei. »Ich brauche ein Taschentuch.«
»Scheiße, TR, weinst du etwa?«
»Keine Sorge, das sind Tränen der Freude. Und der Erheiterung. Und … keine Ahnung.« Sie räusperte sich – und irgendetwas sagte mir, dass sie in diesem Moment genauso an den Kuss zurückdenken musste wie ich. Oder vielleicht war das auch bloßes Wunschdenken. »Aber jetzt mal ganz im Ernst. Wenn ich wirklich zu euch komme, wird das das Erste sein, was ich tue: Dich aus deinem Bett kicken, damit du auf dem Boden schlafen musst, während ich dein Bett in Beschlag nehme.«
Ich kniff die Augen zusammen und wiegte den Kopf hin und her. So war das zwar nicht gemeint gewesen, aber ich verstand, dass sie die Zweideutigkeit in meinen Worten lieber ausblendete. Seit diesem Wahnsinnskuss vor ihrem Hotelzimmer hatten wir kein Wort mehr darüber verloren, genauso wenig darüber, wie und ob es weiterging. Ob es überhaupt weitergehen konnte. Aber wir waren einfach nicht dazu gekommen, obwohl ich mehr als einmal mit dem Smartphone in der Hand dagesessen und überlegt hatte, was ich ihr schreiben könnte. Doch dann war ich so mit den Streams und den Videos und allem, was während des Wochenendes auf der Convention liegen geblieben war, beschäftigt gewesen, und Teagan schien genauso viel zu tun zu haben. Wir hatten zwar einige Male getextet und miteinander gezockt, aber da waren wir zu sehr davon abgelenkt gewesen, vor Killern davonzulaufen, gegnerische Teams zu erledigen oder die markierte Zone zu erreichen.
Und ganz ehrlich? Ich hatte keine Ahnung, was ich über diese Sache zwischen Teagan und mir denken sollte. Vielleicht war genau das das Problem. In jener Nacht hatte ich nicht nachgedacht, ich hatte mich mitreißen lassen und einfach gehandelt. Wollte ich jetzt, eine Woche später, zurückrudern und so tun, als wäre nie etwas zwischen uns gewesen? Scheiße, nein. Definitiv nicht. Aber ich merkte auch, dass Teagan gerade mehr als genug andere Sorgen hatte. Sogar mehr, als ich vermutet hatte, wenn sie seit Monaten auf Zu- und Absagen von Colleges im ganzen Land wartete.
Erst Teagans Seufzen machte mir klar, dass ich seit einer kleinen Ewigkeit nichts mehr gesagt hatte. Wir schwiegen schon seit geraumer Weile, aber es fühlte sich nicht seltsam an, gemeinsam am Telefon zu schweigen. Wer hätte das ­gedacht?
»Wie hast du dich für deine Uni entschieden?«, fragte sie schließlich. »Warte. Du studierst doch, oder? Das habe ich auf der RTX richtig mitbekommen?«
Ich nickte, auch wenn sie es nicht sehen konnte, und rieb mir mit der freien Hand über den Nacken. »Ja, aber das ist eine ziemlich lange Geschichte.«
Sie schnaubte. »Ich hab ’ne Flatrate. Und es ist ja nicht so, als hätte ich heute Abend ohne Internet noch irgendetwas anderes zu tun.«
Mein Blick zuckte zum Monitor. »Willst du deinen Zuschauern nicht Bescheid geben, dass du heute und voraussichtlich auch in nächster Zeit nicht mehr streamst?«
»Hab ich schon. Ich hab Alice getextet, und sie postet die Updates überall. Aber heute ist Jos Geburtstag, wahrscheinlich hat sie es deshalb noch nicht geschafft.«
»Okay.« Ich legte den Kopf in den Nacken und ließ die ganze verquere Geschichte, die mich hierhergebracht hatte, in Gedanken Revue passieren. »Ursprünglich komme ich aus einer winzigen Stadt in Alabama. Sie hat ungefähr … neunundachtzig Einwohner.«
»Ahhh, ich wusste es! Daher der Südstaatenakzent.«
»Hey!« Ich setzte ich abrupt wieder auf. »Was hast du gegen meinen Südstaatenakzent?«
»Gar nichts.« Das Grinsen war ihrer Stimme deutlich anzuhören. »Er passt zu dir.«
»Du meinst wohl: Er ist sexy.«
»Wenn du das sagst …«
Diesmal war es an mir, zu grinsen, aber ich beschloss, nicht weiter darauf einzugehen. »Jedenfalls war ich eine Zeit lang ganz versessen darauf, Medizin zu studieren, hab mich im ganzen Land beworben und bin an ein College nach Oregon gegangen. Dort hab ich Callie kennengelernt. Du weißt schon, meine beste Freundin, auf deren Geburtstagsparty ich vor einem Monat war.«
»Wo auch die Ex mit dem Ehemann war«, ergänzte Teagan trocken. »Ich erinnere mich.«
Kurz biss ich die Zähne zusammen, erzählte dann jedoch weiter. »Callie und ich waren auf einem Date, haben dann aber ziemlich schnell gemerkt, dass niemals etwas zwischen uns laufen wird, aber da wir beide aus Alabama stammen – und uns das irgendwie verbunden hat –, sind wir stattdessen Freunde geworden.« Beim Gedanken an meine beste Freundin musste ich unweigerlich lächeln. »Callie hat dann noch vor mir ihr Studium in Oregon abgebrochen und ist zurück nach Hause gezogen. Ich hab kurz nach ihr das Handtuch geworfen.«
»Wolltest du nach dem College doch nicht mehr auf die Med School?«
Ich schüttelte den Kopf. In Gedanken war ich wieder zu Hause bei meinen Eltern, bei meiner Mom, für die es keine Hilfe gab, nur Wege, die Symptome zu lindern. Daran würde kein Medizinstudium der Welt etwas ändern. Ich schluckte hart. »Definitiv nicht«, erwiderte ich und musste mich räuspern, damit meine Stimme nicht mehr so verflucht belegt klang. »In der Zwischenzeit hatte ich schon mit den Livestreams und YouTube-Videos angefangen und wusste, dass ich in der Richtung weitermachen wollte, aber professionell. Also habe ich mich an einigen Unis beworben und bin schließlich in Pensacola gelandet. Jetzt bin ich im Master of Business Administration mit Schwerpunkt Entrepreneurship.«
Und damit an einer anderen Universität als die, auf die Cole ging und die Teagan anstrebte. Witzigerweise war der Campus gar nicht weit entfernt und es gab haufenweise Cafés, in die die Studenten beider Colleges gingen, weil sie direkt in der Mitte oder auf dem Weg lagen. Und am Strand trafen sich sowieso ständig alle. Manchmal glaubte ich, in einem Dorf zu wohnen, weil man fast immer Leuten begegnete, die man von irgendwoher kannte. Andererseits bot Pensacola noch immer genügend Anonymität, um als richtige Stadt durchzugehen.
»Wir sind zwar nicht New York oder Austin«, begann ich, »aber dafür haben wir den besten Strand und die besten Leute.«
»Tatsache?« Belustigung schwang in ihrer Stimme mit.
»Auf jeden Fall. Du hast alle Vorzüge von Florida, aber ohne die ganzen Touristen wie in Miami. Was will man mehr?«
»Stimmt. Was will man mehr?«
Kurz zuckte mein Blick zum Monitor, als der Bildschirmschoner anging, dann richtete ich meine ganze Aufmerksamkeit wieder auf Teagan am anderen Ende der Leitung. »Also, wie sieht es aus? Kommst du nach Pensacola, um dir den Campus anzuschauen?«